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VwGH 26.04.2023, Ra 2023/16/0005

VwGH 26.04.2023, Ra 2023/16/0005

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
MRK Art6
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24
VwRallg
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
RS 1
Bei behaupteter Verletzung des Rechtes auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach Art. 6 MRK bzw. Art. 47 GRC ist eine Relevanzdarstellung nicht erforderlich. Der Grund dafür liegt darin, dass die Rechtsprechung des EGMR zum Erfordernis der mündlichen Verhandlung nach Art. 6 MRK eine solche Relevanzprüfung nicht vorsieht, was entsprechend auch auf das auf Art. 47 GRC gestützte Recht auf mündliche Verhandlung zu übertragen ist (; VwG ).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2020/07/0109 B RS 5
Normen
GGG 1984 §1
MRK Art6
RS 2
Angelegenheiten der Gerichtsgebühren fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK ("civil rights" - vgl. , mwN).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2022/16/0057 B RS 2

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie den Hofrat Mag. Straßegger und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des Mag. R K in W, vertreten durch Mag. R K, Rechtsanwalt in W, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W176 2258554-1/2E, betreffend Gerichtsgebühren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom schrieb die Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien dem Revisionswerber die Pauschalgebühr für die Einbringung einer Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes X in folgender Höhe vor:


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„Pauschalgebühr TP 2 Gerichtsgebührengesetz (GGG),
 
Bemessungsgrundlage 1.914.682,00 EUR
40.536,00 EUR
Mehrbetrag gem. § 31 GGG
23,00 EUR
Einhebungsgebühr § 6a Abs 1
 
Gerichtliches Einbringungsgesetz (GEG)
8,00 EUR
offener Gesamtbetrag
40.567,00 EUR“

2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

3 In der Begründung führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Revisionswerber mache in der Beschwerde geltend, dass die Pauschalgebühr dem Grunde nach nicht anfallen dürfe, weil er als Privatbeteiligter in einem Strafverfahren, der hinsichtlich eines Teiles seiner Ansprüche zu Unrecht auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden sei, von der Entrichtung der Gebühr befreit sein müsse. Dem sei jedoch entgegen zu halten, dass gemäß Anmerkung 5 zu TP 2 Gerichtsgebührengesetz (GGG) der Pauschalgebühr ua. Berufungsverfahren unterliegen würden, die Tatbestandsvoraussetzungen der Anmerkung 5 zu TP 2 GGG nicht erfüllt seien und die behauptete Gebührenfreiheit schon im Hinblick auf § 10 Abs. 1 GGG bzw. § 13 Abs. 1 GGG zu verneinen sei. Denn unabhängig davon, ob der Revisionswerber damit eine persönliche oder eine sachliche Gebührenfreiheit geltend mache, sei eine aus § 69 StPO abzuleitende Befreiung jedenfalls von den in den zuvor genannten Bestimmungen normierten „Regenschirm-Derogationen“ umfasst.

4 Mit Beschluss vom , E 2737/2022-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers ab und trat die Beschwerde über nachträglichen Antrag gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG mit Beschluss vom , E 2737/2022-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, die das BVwG dem Verwaltungsgerichtshof unter Anschluss des verwaltungsgerichtlichen Aktes vorlegte.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Der Revisionswerber bringt zur Begründung der Zulässigkeit der Revision vor, wenn nach Verurteilung im Strafverfahren eine Verweisung durch das Strafgericht auf den Zivilrechtsweg erfolgt sei, sei die Überreichung einer Rechtsmittelschrift beim Zivilgericht entweder aus Gründen des Opferschutzes als gebührenfrei zu beurteilen, oder diese Bestimmung sei wegen Fehlens der Befreiung verfassungswidrig. Es gäbe zur Frage der Gebührenfreiheit (gemäß § 380 StPO) von zivilgerichtlichen Ansprüchen nach §§ 6769 StPO bei Verweisung auf den Zivilrechtsweg durch das Strafgericht bei Verurteilung des dort Angeklagten noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Dies gehe über den Einzelfall hinaus, weil die Gebührenbefreiung für viele Opfer einer Straftat relevant sei, die ansonsten ihre Ansprüche aufgrund der Gebührenlast nicht mehr verfolgen könnten. Die Höhe der Gebühren erreiche zudem ein unzumutbares und mit näher zitierter Judikatur des EGMR unvereinbares Ausmaß.

10 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan. Soweit der Revisionswerber sich mit diesem Vorbringen der Sache nach gegen die Verfassungskonformität der Gebührenschuld für Pauschalgebühren für Rechtsmittel im Fall der Verweisung eines Privatbeteiligten im Strafverfahren mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg nach Verurteilung des Angeklagten wendet, ist auf die - im Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , E 2737/2022-5, zitierte - ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dem Gesetzgeber bei der Festsetzung und Bemessung von Gerichtsgebühren ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt und es ihm freisteht, im Hinblick auf die Kostenwahrheit und das Verursacherprinzip Gebühren für die Inanspruchnahme der Gerichte vorzusehen (vgl. VfSlg. 19.590/2011, 19.666/2012, 19.943/2014, 20.243/2018). Auch darf der Gesetzgeber bei der Regelung von Gerichtsgebühren von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und an leicht feststellbare äußere Merkmale sachgerecht anknüpfen (vgl. VfSlg. 11.751/1988). Es ist auch nicht unsachlich, wenn das Gerichtsgebührengesetz die Gebühren (ab einer bestimmten Höhe des Streitwerts) in einem Hundertsatz des jeweiligen Streitwerts festlegt, sodass sich ihre Höhe linear mit steigendem Streitwert bewegt und dementsprechend für die Gerichtsgebühren keine Obergrenze besteht (vgl. VfSlg. 18.070/2007, mwN).

11 Dass sich aus dem Gerichtsgebührengesetz Anknüpfungspunkte für den Entfall oder die Ermäßigung der Pauschalgebühr für Berufungsverfahren im Fall der Verweisung eines Privatbeteiligten mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg ergeben würden, wird vom Revisionswerber mit seinem Vorbringen nicht aufgezeigt.

12 Der Revisionswerber bringt in der Zulässigkeitsbegründung des Weiteren vor, das BVwG habe trotz seines Antrages keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Zweck der mündlichen Verhandlung sei nach näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Klärung des Sachverhaltes, die Einräumung von Parteiengehör und die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage. Der Sachverhalt sei nicht abschließend geklärt gewesen, weil das BVwG den Verfahrensakt im Grundverfahren nicht beigeschafft habe. Hätte das BVwG eine mündliche Verhandlung anberaumt, hätte der Revisionswerber die Verfehlungen und Verstöße des Strafgerichtes gegen die EMRK ausführlich dargetan, woraus sich die Gebührenfreiheit des gegenständlichen zivilgerichtlichen Verfahrens ergeben hätte.

13 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. , mwN).

14 Zwar ist bei behaupteter Verletzung des Rechtes auf Durchführung einer Verhandlung im Anwendungsbereich des Art. 6 MRK sowie des Art. 47 GRC eine Relevanzdarstellung nicht erforderlich. Der Grund dafür liegt darin, dass die Rechtsprechung des EGMR zum Erfordernis der mündlichen Verhandlung nach Art. 6 MRK eine solche Relevanzprüfung nicht vorsieht, was entsprechend auch auf das auf Art. 47 GRC gestützte Recht auf mündliche Verhandlung zu übertragen ist (; zur Übertragung dieser Judikatur auf das Verfahren vor dem VwG vgl. ). Außerhalb des Anwendungsbereiches des Art. 6 MRK und des Art. 47 GRC ist es aber weiterhin Sache des Revisionswerbers, die Relevanz der unterbliebenen mündlichen Verhandlung aufzuzeigen (vgl. etwa , mwN).

15 Angelegenheiten der Gerichtsgebühren fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK („civil rights“ - vgl. , mwN).

16 Da der Revisionswerber die Rechtswidrigkeit der Gebührenvorschreibung nicht aufzeigen kann, wird mit dem Vorbringen zur Gebührenfreiheit des zivilgerichtlichen Verfahrens die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensmängel nicht dargelegt.

17 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG unter Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
GGG 1984 §1
MRK Art6
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24
VwRallg
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023160005.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
WAAAF-46377