VwGH 29.05.2024, Ra 2023/15/0087
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Die Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung kann ihre Ursachen sowohl in der privaten Lebensführung haben als auch in einer weiteren Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen oder in der Erwerbstätigkeit seiner Ehegattin bzw. Partnerin einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft (vgl. , mwN) und ist aus der Sicht des jeweiligen Streitjahres zu beurteilen (vgl. , mwN). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der Mag. DDr. G in G, vertreten durch Mag. Michaela Moosbrugger in 8044 Graz-Mariatrost, Himmelreichweg 41, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2100165/2023, betreffend Einkommensteuer 2020 und 2021, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Die Revisionswerberin hatte seit dem in der Steiermark ihren Hauptwohnsitz und war seit 2007 als Beamtin in der Steiermark im Kulturbereich beschäftigt. Im Jahr 2012 verehelichte sich die Revisionswerberin. Seit dem hatte sie in Wien einen Nebenwohnsitz, und diente das mit ihrem Ehemann bewohnte Einfamilienhaus in Wien als gemeinsame Familienwohnung.
2 Im Zuge der Einreichung der Einkommensteuererklärung 2020 und 2021 machte die Revisionswerberin Kosten für doppelte Haushaltsführung, Familienheimfahrten sowie sonstige Werbungskosten geltend.
3 Das Finanzamt versagte die Anerkennung der Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung sowie die Familienheimfahrten, weil der Ehemann der Revisionswerberin seit 2018 in Pension sei und somit die Voraussetzungen für eine doppelte Haushaltsführung nicht mehr vorlägen. Es sei jedoch eine angemessene Frist bei Eheleuten für einen Umzug einzuräumen, weshalb die Kosten der doppelten Haushaltsführung für die Veranlagungsjahre 2018 und 2019 noch berücksichtigt worden seien. Gründe für eine auf Dauer angelegte doppelte Haushaltsführung aufgrund der Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes lägen ab dem Jahr 2020 nicht (mehr) vor.
4 In der dagegen eingebrachten Beschwerde brachte die Revisionswerberin vor, eine Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes könne sich auch aus anderen Gründen als der Erwerbstätigkeit des Ehegatten ergeben. Gegenständlich habe sich der Ehegatte der Revisionswerberin seinen Kindern gegenüber nicht nur vertraglich verpflichtet, das Einfamilienhaus in einem guten Zustand zu erhalten, sondern auch, dieses nicht zu verkaufen. Überdies ziehe die Revisionswerberin durch ihre Anwesenheit am Familienwohnsitz berufliche Vorteile durch die große Kulturszene in Wien. Auch werde die doppelte Haushaltsführung mit der absehbaren Pensionierung der Revisionswerberin beendet, weshalb auch eine Zumutbarkeit der Wohnsitzverlegung zu verneinen sei.
5 Mit Beschwerdevorentscheidung wies das Finanzamt die Beschwerde ab und fügte hinzu, dass die Revisionswerberin nach dem Beginn ihrer Erwerbstätigkeit im Jahr 2007 erst im November 2011 ihren Wohnsitz nach Wien verlegt habe. Damit sei bereits die Begründung des Hausstandes in Wien nicht beruflich, sondern privat veranlasst gewesen.
6 Daraufhin stellte die Revisionswerberin einen Vorlageantrag, in welchem sie das bisherige Vorbringen wiederholte.
7 Das Bundesfinanzgericht änderte die Bescheide - nicht verfahrensrelevant - ab und erklärte die Revision für nicht zulässig. Zur doppelten Haushaltsführung sowie den Familienheimfahrten führte es aus, dass die Revisionswerberin seit 1997 ihren Wohnsitz am Beschäftigungsort habe. Im Zuge ihrer Eheschließung im Jahr 2012 habe sie bei ihrem Ehemann in Wien ihren Familienwohnsitz begründet. Damit habe sie ihre Familienwohnung aus privaten Gründen weg verlegt und am Beschäftigungsort einen zweiten Hausstand beibehalten. Unter solchen Umständen sei die doppelte Haushaltsführung nicht beruflich, sondern privat veranlasst. Der Umstand, dass sie durch ihre Kontakte in Wien allenfalls berufliche Vorteile habe ziehen können, ändere nichts an der privaten Veranlassung der Wohnsitzverlegung. Damit erübrige sich die Frage, ob die Verlegung des Familienwohnsitzes von Wien nach Graz zumutbar sei.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die keinen Aufwandersatz begehrt und zu ihrer Zulässigkeit ausführt, das Bundesfinanzgericht habe die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes auf das jeweilige Streitjahr abzustellen sei, außer Acht gelassen. Es sei zu klären, ob bei der Verlegung des Familienwohnsitzes weg vom Beschäftigungsort aus privaten Gründen eine doppelte Haushaltsführung nie möglich sei - weil die private Veranlassung für alle zukünftigen Jahre eine solche unzulässig mache - oder eine jährliche Prüfung ohne Rücksicht auf die ursprüngliche Motivation stattfinden müsse.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem das Finanzamt keine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen:
10 Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.
11 Gemäß § 20 Abs. 1 Z 1 EStG 1988 dürfen die für den Haushalt von Steuerpflichtigen und für den Unterhalt ihrer Familienangehörigen aufgewendeten Beträge bei den einzelnen Einkünften nicht abgezogen werden. Dasselbe gilt nach § 20 Abs. 1 Z 2 lit. a EStG 1988 für Aufwendungen und Ausgaben für die Lebensführung, selbst wenn sie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung von Steuerpflichtigen mit sich bringt und sie zur Förderung des Berufes oder der Tätigkeit der Steuerpflichtigen erfolgen.
12 Haushaltsaufwendungen oder Aufwendungen für die Lebensführung sind demnach grundsätzlich nicht als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abziehbar. Die Beibehaltung des Familienwohnsitzes ist aus der Sicht einer Erwerbstätigkeit, die in unüblicher Entfernung von diesem Wohnsitz ausgeübt wird, niemals durch die Erwerbstätigkeit, sondern immer durch Umstände veranlasst, die außerhalb dieser Erwerbstätigkeit liegen und gilt somit vorerst als privat veranlasst. Lediglich unvermeidbare Mehraufwendungen, die Steuerpflichtigen dadurch erwachsen, dass sie am Beschäftigungsort wohnen müssen und ihnen die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort ebenso wenig zugemutet werden kann wie die tägliche Rückkehr zum Familienwohnsitz, werden als beruflich bzw. betrieblich bedingte Mehraufwendungen bei jener Einkunftsart abzuziehen sein, bei der sie erwachsen sind (vgl. , mwN; , 2006/15/0047, mwN).
13 Die Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung kann ihre Ursachen sowohl in der privaten Lebensführung haben als auch in einer weiteren Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen oder in der Erwerbstätigkeit seiner Ehegattin bzw. Partnerin einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft (vgl. , mwN) und ist aus der Sicht des jeweiligen Streitjahres zu beurteilen (vgl. , mwN).
14 Das Bundesfinanzgericht hat die Anerkennung der doppelten Haushaltsführung verneint, weil die Revisionswerberin nach ihrer Eheschließung 2012 ihren Familienwohnsitz in Wien begründet habe und die Wohnsitzverlegung deshalb privat veranlasst gewesen sei, was eine Anerkennung der Aufwendungen auch zukünftig ausschließe. Damit hat es aber die Rechtslage verkannt, weil es für die Beurteilung der Anerkennung der doppelten Haushaltsführung die den Streitjahren vorangehenden Jahre für wesentlich erachtet hat (vgl. ). Das Bundesfinanzgericht hätte sich vielmehr mit den Umständen in den revisionsgegenständlichen Jahren 2020 und 2021 auseinandersetzen müssen und die Zumutbarkeit einer Verlegung des Familienwohnsitzes in den Nahbereich der Arbeitsstätte nach den Umständen des Einzelfalles des jeweiligen Streitjahres beurteilen müssen.
15 Ungeachtet dessen vermag sich der Verwaltungsgerichtshof aber auch der Beurteilung des Bundesfinanzgerichts nicht anzuschließen, dass im Jahr 2012 keine anzuerkennende doppelte Haushaltsführung vorgelegen habe. Das Bundesfinanzgericht hat den Umstand, dass bis 2012 kein gemeinsamer Familienwohnsitz bestand, nicht ausreichend gewürdigt.
16 Im Revisionsfall übten im Jahr 2012 sowohl die Revisionswerberin als auch ihr Ehemann eine Erwerbstätigkeit aus. Die Entfernung zwischen den beiden Wohnsitzen in Wien und Graz machte eine tägliche Rückkehr unzumutbar. Dass es in einem solchen Fall nahelag, dass einer der beiden Ehepartner seinen bisherigen als Familienwohnsitz geeigneten Wohnsitz am Beschäftigungsort beibehalten werde, liegt auf der Hand, woraus sich in der Folge eine Unzumutbarkeit der Aufgabe des Wohnsitzes am Beschäftigungsort ergab. Die Verlegung des Wohnsitzes nach Wien durch die erstmalige Begründung eines Familienwohnsitzes im Jahr 2012 erfolgte zwar privat, die Beibehaltung des Wohnsitzes am Beschäftigungsort war im Revisionsfall allerdings beruflich veranlasst (vgl. , mwN). Dass (auch) private Gründe für die Beibehaltung des Wohnsitzes am Beschäftigungsort ausschlaggebend gewesen wären, wurde vom Bundesfinanzgericht nicht festgestellt.
17 Die Ansicht des Bundesfinanzgerichts würde dazu führen, dass Steuerpflichtige, die nach einer Eheschließung bzw. Begründung einer Lebensgemeinschaft einen gemeinsamen Familienwohnsitz am bisherigen Hauptwohnsitz eines der Partner erst dann begründen, wenn schon beide berufstätig sind, und beide bis zu diesem Zeitpunkt in weit voneinander entfernten Orten ihren Wohnsitz am Beschäftigungsort hatten, niemals Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten geltend machen könnten, weil immer aus der jeweiligen Sicht des einen Steuerpflichtigen die Begründung des Familienwohnsitzes in Entfernung zum Beschäftigungsort als privat veranlasst anzusehen ist. Dieses Ausblenden der Auswirkungen des Eingehens einer Lebensgemeinschaft oder Ehe entspricht nicht der Rechtslage (vgl. ).
18 Wenn das Bundesfinanzgericht in dem Zusammenhang auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verweist, wonach eine berufliche Veranlassung nicht vorliege, wenn der Arbeitnehmer seine Familienwohnung aus privaten Gründen vom bisherigen Wohnort, der auch der Beschäftigungsort sei, weg verlege und am Beschäftigungsort einen zweiten Hausstand führe, ist darauf zu verweisen, dass alle vom Bundesfinanzgericht zitierten Erkenntnisse Fälle betrafen, bei denen ein ursprünglich schon länger bestehender gemeinsamer Familienwohnsitz am Beschäftigungsort weitgehend aus privaten Gründen von dort wegverlegt wurde oder der Wohnsitz am Beschäftigungsort aus privaten Gründe aufrecht erhalten wurde (zur Bedeutung der Ursache der doppelten Haushaltsführung vgl. auch Sutter/Pfalz; in HR EStG § 16 Abs. 1 Z 6 Rz 77).
19 Das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts erweist sich daher als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet und war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
20 Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Bundesfinanzgericht damit auseinanderzusetzen haben, ob in den Revisionsjahren 2020 und 2021 nach der Pensionierung des Ehemannes der Revisionswerberin noch eine Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes nach Graz vorlag, oder die Beibehaltung des Familienwohnsitzes in der privaten Lebensführung der Eheleute begründet ist.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023150087.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
TAAAF-46365