VwGH 15.11.2024, Ra 2023/15/0076
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | |
RS 1 | Ob die Voraussetzungen der verlängerten Verjährungsfrist im Sinne des § 207 Abs. 2 BAO vorliegen, ist im Abgabenverfahren zu beurteilen. In einem solchen gilt ein anderes Beweismaß als in einem Finanzstrafverfahren (vgl. ; , Ra 2020/13/0096; , Ra 2019/13/0038). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des R M in W, vertreten durch die Reinhard Stulik Steuerberatungs GmbH & Co OG in 3150 Wilhelmsburg an der Traisen, Färbergasse 3, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7103454/2022, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2011 bis 2014 sowie Einkommensteuer 2011 bis 2015, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach einer durch eine Selbstanzeige ausgelösten Außenprüfung beim Revisionswerber nahm das Finanzamt die Verfahren betreffend Einkommensteuer 2011 bis 2014 wieder auf und erließ neue Sachbescheide betreffend Einkommensteuer 2011 bis 2014 sowie einen Einkommensteuerbescheid 2015. Begründend führte das Finanzamt aus, der Revisionswerber habe als leitender Mitarbeiter der E GmbH Scheinrechnungen zur Zahlung freigegeben und so im Zeitraum 2009 bis 2019 insgesamt mehr als 1,965 Mio € veruntreut und es unterlassen, die daraus resultierenden Einkünfte in seinen Abgabenerklärungen offenzulegen.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung abgewiesen, woraufhin der Revisionswerber einen Vorlageantrag stellte.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es stellte fest, dass der Revisionswerber im Beschwerdezeitraum bei der E GmbH als Gruppenleiter im Bereich öffentliche Gebäude tätig gewesen sei. Er habe in der Firma Personalverantwortung getragen, sei für die Kundenbetreuung zuständig gewesen, habe zur Entlastung der Projektleiter Kalkulationen erstellt und die Berechtigung gehabt, Angebote bis zu einer Höhe von 250.000 € selbst zu unterzeichnen. Zu seinen Aufgaben habe zudem die Prüfung und Freigabe von Eingangsrechnungen für von ihm betreute Projekte gezählt. Von EK seien Scheinrechnungen erstellt und an die E GmbH übermittelt worden. Der Revisionswerber habe sie anschließend freigegeben. Auf diese Art und Weise seien vom Revisionswerber und EK im Zeitraum 2009 bis 2019 insgesamt mehr als 1,965 Mio € veruntreut worden. Diese Einnahmen seien zwischen dem Revisionswerber und EK im Verhältnis 70 % (Rw) und 30 % (EK) aufgeteilt worden.
4 Der Revisionswerber habe es unterlassen, die daraus resultierenden Einkünfte in seinen Abgabenerklärungen offenzulegen. Er habe es ernstlich für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, dass dadurch die Einkommenssteuer in den hier relevanten Jahren 2011 bis 2015 verkürzt werde. Durch eine Geldwäscheverdachtsmeldung und Ermittlungen der Steuerfahndung sei dies der E GmbH bekannt geworden. Die E GmbH habe daraufhin mit dem Revisionswerber einen Vergleich über eine Schadensgutmachung geschlossen. Am sei vom rechtlichen Vertreter des Revisionswerbers eine Selbstanzeige an das Finanzamt übergeben worden.
5 Beweiswürdigend führte das Bundesfinanzgericht zum Vorliegen des Vorsatzes aus, der Revisionswerber habe über einen Zeitraum von zehn Jahren gemeinsam mit EK Gelder in Höhe von 1,965 Mio € veruntreut. Bei einer Veruntreuung von Geldern in derart hohem Ausmaß und über einen derart langen Zeitraum müsse dem Revisionswerber bewusst gewesen sein, dass die Vereinnahmung von Beträgen in dieser Größenordnung auch entsprechende steuerliche Konsequenzen für ihn haben werde, wenn ihm auch vielleicht nicht bewusst gewesen sein möge, welcher Einkunftsart die erzielten Einkünfte zuzuordnen seien. Selbst einem steuerlichen Laien sei klar, dass die Vereinnahmung von Geldern in dieser Größenordnung nicht ohne entsprechende steuerliche Auswirkungen bleiben könne. Umso mehr müsse dies für einen leitenden Angestellten gelten, da bei diesem nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen sei, dass es zu seinem allgemeinen Wissen gehöre, dass fortlaufende Einnahmen auch zu entsprechenden steuerlichen Konsequenzen führten, somit zu versteuern seien. Aus dem Verhältnis der Aufteilung der veruntreuten Gelder zwischen dem Revisionswerber (70 %) und EK (30 %) sei zudem zu schließen, dass der Revisionswerber der maßgebliche Betreiber der Veruntreuungen gewesen sei, weil der überwiegende Teil der Gelder ihm zugeflossen sei. Die Handlungen des Revisionswerbers seien zweifelsfrei darauf gerichtet gewesen, sich fortlaufend zusätzliche Einnahmen in erheblicher Höhe zu verschaffen und es müsse ihm damit auch bewusst gewesen sein, dass diese Einnahmen steuerliche Relevanz hätten.
6 Der Revisionswerber habe die Steuerpflicht der Einnahmen ernstlich für möglich gehalten und die Nichtversteuerung in Kauf genommen, weshalb die Voraussetzungen des § 207 Abs. 2 BAO für die verlängerte Verjährungsfrist erfüllt seien.
7 Gegen diese Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Bundesfinanzgericht sei in seiner Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes abgewichen bzw. sei diese nicht einheitlich. Die freie Beweiswürdigung sei im Sinne des § 21 BAO und unter Berücksichtigung des § 33 Abs. 1 FinStrG zu führen. Der Vorsatztatbestand dürfe nicht „über das Finanzstrafrecht“ gehen. Werde die Vorfrage durch ein Finanzstrafverfahren geklärt, dürfe es nicht zu einer Besserstellung kommen, denn dadurch würde jeder reuige Steuerzahler, der eine Selbstanzeige erstatte, schlechter gestellt, was nicht im Sinne des Gesetzgebers wäre. Die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichts zur subjektiven Tatseite des Revisionswerbers erweise sich daher als mangelhaft. Das Bundesfinanzgericht habe unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Verfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen sei oder nicht; bestünden Zweifel, so dürfe die Sache nicht zum Nachteil des Beschuldigten angenommen werden. Dem Finanzamt sei es nicht gelungen, den subjektiven Tatbestand konkret darzulegen und überprüfbare Feststellungen für das Vorliegen der Abgabenhinterziehung zu treffen. Soweit das Bundesfinanzgericht sich auf die lange Dauer der Veruntreuung stütze, sei diese kein Indiz für die subjektive Tatseite. Dasselbe gelte für die Höhe. Der Revisionswerber habe nur eine technische Ausbildung und auch seine Fortbildungen seien nur im technischen Bereich gewesen. Dies sei jedoch nicht gewürdigt worden.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliegt nach § 207 Abs. 1 BAO nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 207 Abs. 2 BAO im Allgemeinen fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist nach § 207 Abs. 2 Satz 2 BAO zehn Jahre.
12 Ob Abgaben hinterzogen sind, bildet eine Vorfrage nach § 116 Abs. 1 BAO für die Frage, ob die längere Verjährungsfrist des § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO anzuwenden ist (vgl. , mwN).
13 Im Revisionsfall oblag es dem Finanzamt bzw. dem Bundesfinanzgericht, die maßgebenden Hinterziehungskriterien nachzuweisen (vgl. ).
14 Die Beurteilung, ob Abgaben hinterzogen sind, setzt konkrete und nachprüfbare Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus. Vorsätzlich handelt, wer ein Tatbild mit Wissen und Wollen verwirklicht. wobei ein Eventualvorsatz genügt. Vorsätzliches Handeln beruht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zwar auf einem nach außen nicht erkennbaren Willensvorgang, ist aber aus dem nach außen in Erscheinung tretenden Verhalten des Täters zu erschließen, wobei sich die diesbezüglichen Schlussfolgerungen als Ausfluss der freien Beweiswürdigung erweisen (vgl. ; , Ra 2021/13/0040, jeweils mwN).
15 Ob die Voraussetzungen der verlängerten Verjährungsfrist im Sinne des § 207 Abs. 2 BAO vorliegen, ist im Abgabenverfahren zu beurteilen. In einem solchen gilt ein anderes Beweismaß als in einem Finanzstrafverfahren (vgl. ; , Ra 2020/13/0096; , Ra 2019/13/0038).
16 Wenn die Revision geltend macht, es hätten dieselben Beweisregeln wie in einem Finanzstrafverfahren angewendet werden müssen, ist sie somit nicht im Recht. Ungeachtet dessen führt aber auch das Vorbringen, dass im Fall von Zweifeln diese zugunsten des Beschuldigten hätten beachtet werden müssen, schon deshalb nicht zum Erfolg, weil nicht dargelegt wird, dass das Bundesfinanzgericht Zweifel an dem von ihm als Ergebnis seiner Beweiswürdigung angenommenen Sachverhalt gehabt hätte.
17 Mit den übrigen Zulässigkeitsausführungen wendet sich die Revision im Ergebnis gegen die Beweiswürdigung des Bundesfinanzgerichts.
18 Das Bundesfinanzgericht hat sich mit dem Vorliegen eines Eventualvorsatzes auseinandergesetzt und diesen bejaht, weil der Revisionswerber über den langen Zeitraum von 10 Jahren einen hohen Betrag veruntreut hat und sich dessen bewusst gewesen sein musste, dass dies steuerliche Folgen haben wird. Im Gegensatz zum Vorbringen in der Revision hat sich das Bundesfinanzgericht nicht auf die Ausbildung des Revisionswerbers gestützt, sondern darauf, dass er in der E GmbH als leitender Angestellter tätig war und bei einem solchen nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon ausgegangen werden kann, dass er die Steuerpflicht der veruntreuten Gelder zumindest für möglich gehalten hat.
19 Eine in einem Einzelfall vorgenommene, nicht als grob fehlerhaft erkennbare Beweiswürdigung wirft im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (vgl. erneut , mwN).
20 Der Revision gelingt es mit ihrem wenig konkreten Vorbringen, das sich großteils in Verweisen auf finanzstrafrechtliche Judikatur des Bundesfinanzgerichts und Feststellungsmängel des Finanzamtes erschöpft, nicht aufzuzeigen, dass die vom Bundesfinanzgericht vorgenommene Beweiswürdigung grob fehlerhaft wäre. Sie zeigt weder einen Verstoß gegen die Denkgesetze noch einen Widerspruch zur Lebenserfahrung auf. Der Verwaltungsgerichtshof vermag daher der im Einzelfall getroffenen Beurteilung des Bundesfinanzgerichts, der Revisionswerber habe mit zumindest bedingtem Vorsatz gehandelt, im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Revision nicht entgegenzutreten.
21 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | |
Schlagworte | Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023150076.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAF-46359