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VwGH 20.03.2024, Ra 2023/15/0065

VwGH 20.03.2024, Ra 2023/15/0065

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
RS 1
Wie der VwGH ausgesprochen hat, stellt sich das Verfahren nach § 188 BAO als Bündelung eines Ausschnittes der Einkommensteuerverfahren aller Beteiligten dar. Vorläufige Bescheide werden erlassen, um einen dem Grunde nach wahrscheinlich entstandenen Abgabenanspruch in jenen Fällen realisieren zu können, in denen der eindeutigen und zweifelsfreien Klärung der Abgabepflicht oder der Höhe der Abgabenschuld nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens vorübergehende Hindernisse entgegenstehen. Soweit im Rahmen eines Feststellungsverfahrens gemäß § 188 BAO die Höhe des einheitlichen Gewinnes bzw. Überschusses aufgrund vorübergehender Hindernisse nicht ermittelt werden kann, steht der Anteil am Gewinn bzw. Überschuss der einzelnen Beteiligten nicht fest. Diese Ungewissheit kommt durch die Erlassung eines vorläufigen Feststellungsbescheides zum Ausdruck und erfasst insoweit auch den abgeleiteten Einkommensteuerbescheid. Folglich liegt hinsichtlich dieser Ungewissheit auch dann ein Anwendungsfall des § 208 Abs. 1 lit. d BAO vor, wenn ein Feststellungsbescheid gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig ergangen ist und der davon abgeleitete Bescheid - im Hinblick auf § 295 BAO - endgültig erlassen wurde (vgl. ). Zwar unterliegt die Erlassung von Feststellungsbescheiden selbst grundsätzlich nicht der Festsetzungsverjährung des § 207 Abs. 1 BAO (vgl. etwa ), sodass § 207 BAO keine Grenze für deren Erlass bietet. Allerdings ist für den Beginn und damit den Lauf der Verjährungsfrist für das hier gegenständliche Einkommensteuerverfahren die oben beschriebene Durchschlagswirkung einer vorläufigen Feststellung durch § 208 Abs. 1 lit. d BAO zeitlich befristet, wonach die Verjährung mit dem Ablauf des Jahres beginnt, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2019/15/0153 E RS 4
Normen
RS 2
Wurde ein vorläufiger Abgabenbescheid rechtskräftig erlassen, ist es für eine Anwendbarkeit des § 209 Abs. 4 BAO unerheblich, ob tatsächlich eine Ungewissheit iSd § 200 Abs. 1 bestanden hat, da eine fehlende tatsächliche Ungewissheit einer Endgültigerklärung nach der hg. Rechtsprechung nicht entgegensteht (vgl. Ellinger ua, BAO3 § 209 Anm 41 sowie § 200 Anm 16 unter Hinweis auf ; , mwH).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2019/15/0153 E RS 2

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des H M in I, vertreten durch die Marsoner + Partner GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 6020 Innsbruck, Andreas-Hofer-Straße 43, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/3100258/2018, betreffend Einkommensteuer und Anspruchszinsen für die Jahre 2006 bis 2009, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber war im Revisionszeitraum an mehreren Mitunternehmerschaften beteiligt. Im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 vom wurden die Tangenten aus diesen Beteiligungen erklärungsgemäß berücksichtigt.

2 Die Feststellungsbescheide gemäß § 188 BAO für 2006 ergingen vorläufig, was damit begründet wurde, dass der Umfang der Abgabenpflicht von den Ergebnissen eines noch nicht beendeten Rechtsmittelverfahrens (betreffend die Jahre 1999 bis 2005) abhängig sei. Im Jahr 2016 wurde bei einem Teil der Mitunternehmerschaften aufgrund einer Betriebsprüfung das Feststellungsverfahren 2006 wiederaufgenommen und wurden neue Feststellungsbescheide erlassen, die in weiterer Folge zu neuen Einkommensteuerbescheiden für das Jahr 2006 führten (zunächst am , dann am ). Die übrigen Feststellungsbescheide 2006 wurden für endgültig erklärt.

3 Auch für das Jahr 2007 erfolgte bei den Mitunternehmerschaften zunächst mit selber Begründung eine vorläufige Feststellung ihrer Einkünfte. Im Jahr 2016 wurden bei einem Teil der Mitunternehmerschaften nach einer Wiederaufnahme neue Feststellungsbescheide für 2007 erlassen, die zu neuen Einkommensteuerbescheiden für das Jahr 2007 führten (zunächst am , dann am ). Die übrigen Feststellungsbescheide 2007 wurden für endgültig erklärt.

4 Auch für die Jahre 2008 und 2009 führten im Jahr 2016 neu erlassene - ursprünglich vorläufig ergangene - Feststellungsbescheide im Jahr 2016 zu neuen Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2008 und 2009.

5 Gegen die im Jahr 2016 erlassenen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2006 bis 2009 erhob der Revisionswerber fristgerecht Beschwerde, in er die eingetretene Verjährung einwandte. Nach abweisender Beschwerdevorentscheidung stellte der Revisionswerber einen Vorlageantrag.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und ausführlicher Darstellung der Chronologie der erlassenen Bescheide und Feststellungsbescheide stellte es fest, dass die Einkommensteuer für die Jahre 2006 bis 2009 ursprünglich erklärungsgemäß und endgültig veranlagt worden sei. Die Erfolgstangenten aus den verschiedenen Mitunternehmerschaften seien in die jeweilige Einkommensteuererklärung eingeflossen. Die Feststellungsbescheide 2006 bis 2009 seien vorläufig erlassen worden. Grund für die Vorläufigkeit sei die Streitanhängigkeit der Feststellungsbescheide bei diesen Mitunternehmerschaften für die Jahre 1999 bis 2005 gewesen. Die Beschwerde gegen die Feststellungsbescheide 1999 bis 2005 sei im Jahr 2012 vom Unabhängigen Finanzsenat als unzulässig zurückgewiesen worden, weil es sich bei den bekämpften Bescheiden um Nichtbescheide gehandelt habe.

7 Rechtlich führte das Bundesfinanzgericht aus, die Vorläufigkeit eines Bescheides sei in den Spruch aufzunehmen; dieser Teil des Bescheidspruches sei mit Beschwerde gemäß § 243 BAO bekämpfbar. Werde ein Bescheid zu Unrecht vorläufig erlassen, weil von der Abgabenbehörde etwa eine Ungewissheit angenommen und in die Grundlagen des Bescheides aufgenommen worden sei, welche nicht im Tatsachenbereich liege, so werde diese Ungewissheit zu einer Ungewissheit im Sinne des § 200 BAO, wenn der Bescheid nicht in diesem Punkte angefochten werde. Im Revisionsfall habe die Abgabenbehörde die Feststellungsbescheide der Jahre 2006 bis 2009 ursprünglich vorläufig erlassen. Begründet sei die Vorläufigkeit mit der Anhängigkeit eines Rechtsmittels betreffend die Feststellungsbescheide 1999 bis 2005 worden. Diese Feststellungsbescheide seien unbekämpft in Rechtskraft erwachsen. Die anhängigen Rechtsmittel in Bezug auf die Feststellungsbescheide 1999 bis 2005 seien im Jahre 2012 erledigt worden. Die Beschwerden seien als unzulässig zurückgewiesen worden, weil es sich um Nichtbescheide gehandelt habe. In weiterer Folge seien die ursprünglich vorläufig ergangenen Feststellungsbescheide des Zeitraumes 2006 bis 2009 im Jahre 2016 teilweise für endgültig erklärt worden, teilweise seien nach Wiederaufnahme neue Feststellungsbescheide ergangen.

8 Der Unabhängige Finanzsenat habe im Jahr 2012 über die Beschwerden gegen die Feststellungsbescheide bei den einzelnen Mitunternehmerschaften für die Jahre 1999 bis 2005 derart entschieden, dass er die jeweiligen Beschwerden gegen die Feststellungsbescheide als unzulässig zurückgewiesen habe. Zu diesem Zeitpunkt beginne die Verjährungsfrist zu laufen, weil die Ungewissheit in Bezug auf die Feststellungsbescheide für den Zeitraum 2006 bis 2009 mit Ende des Jahres 2012 beseitigt worden sei. Die Abänderung der Einkommensteuerbescheide aufgrund geänderter Tangenten im Sinne des § 295 Abs. 1 BAO sei im Dezember 2016 innerhalb der gesetzlich normierten Verjährungsfrist und somit rechtzeitig erfolgt.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorbringt, die Vorläufigkeit sei mit der Streitanhängigkeit eines Rechtsmittelverfahrens hinsichtlich der Feststellungsbescheide der Jahre 1999 bis 2005 begründet worden. Die Rechtsmittel betreffend die Feststellungen der Jahre 1999 bis 2005 seien im Jahr 2012 als unzulässig zurückgewiesen worden, weil die im Rechtszug bekämpften Feststellungsbescheide als Nichtbescheide qualifiziert worden seien. Nichtbescheide seien als nichtige Akte der Verwaltung nicht rechtswirksam und könnten somit nicht mit Rechtsmitteln bekämpft werden. Rechtsmittel gegen Nichtbescheide würden deshalb auch nicht eine die Verjährung hindernde Streitanhängigkeit nach § 209a BAO begründen. Ebenso wenig liege eine Ungewissheit kraft Streitanhängigkeit iSd § 200 BAO vor, weil Rechtsmittel gegen Nichtbescheide keine Streitanhängigkeit begründen würden. Nur Ungewissheiten im Tatsachenbereich/im Sachverhalt, jedoch nicht in der rechtlichen Würdigung könnten eine Vorläufigkeit von Bescheiden nach § 200 BAO sachlich rechtfertigen. Ungewissheiten über die Lösung einer Rechtsfrage durch Rechtsmittelbehörden seien dagegen keine Ungewissheit nach § 200 BAO. Selbst wenn eine absolute Verjährung von 15 Jahren iSd § 209 Abs. 4 BAO gesetzlich vertretbar wäre (obwohl die Vorläufigkeit auf unzulässige Rechtsmittel gegen Nichtbescheide gestützt wird), wäre die Verjährungsfrist nach § 208 BAO im Jahr der Erlassung der bekämpften Bescheide vom Dezember 2016 bereits abgelaufen.

10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt sich das Verfahren nach § 188 BAO als Bündelung eines Ausschnittes der Einkommensteuerverfahren aller Beteiligten dar. Vorläufige Bescheide werden erlassen, um einen dem Grunde nach wahrscheinlich entstandenen Abgabenanspruch in jenen Fällen realisieren zu können, in denen der eindeutigen und zweifelsfreien Klärung der Abgabepflicht oder der Höhe der Abgabenschuld nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens vorübergehende Hindernisse entgegenstehen. Soweit im Rahmen eines Feststellungsverfahrens gemäß § 188 BAO die Höhe des einheitlichen Gewinnes bzw. Überschusses aufgrund vorübergehender Hindernisse nicht ermittelt werden kann, steht der Anteil am Gewinn bzw. Überschuss der einzelnen Beteiligten nicht fest. Diese Ungewissheit kommt durch die Erlassung eines vorläufigen Feststellungsbescheides zum Ausdruck und erfasst insoweit auch den abgeleiteten Einkommensteuerbescheid. Folglich liegt hinsichtlich dieser Ungewissheit auch dann ein Anwendungsfall des § 208 Abs. 1 lit. d BAO vor, wenn ein Feststellungsbescheid gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig ergangen ist und der davon abgeleitete Bescheid - im Hinblick auf § 295 BAO - endgültig erlassen wurde. Zwar unterliegt die Erlassung von Feststellungsbescheiden selbst grundsätzlich nicht der Festsetzungsverjährung des § 207 Abs. 1 BAO, sodass § 207 BAO keine Grenze für deren Erlass bietet. Allerdings ist für den Beginn und damit den Lauf der Verjährungsfrist für das abgeleitete Einkommensteuerverfahren die oben beschriebene Durchschlagswirkung einer vorläufigen Feststellung durch § 208 Abs. 1 lit. d BAO zeitlich befristet, wonach die Verjährung mit dem Ablauf des Jahres beginnt, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde (vgl. , mwN).

14 Wurde ein vorläufiger Abgabenbescheid rechtskräftig erlassen, ist es für eine Anwendbarkeit des § 209 Abs. 4 BAO unerheblich, ob tatsächlich eine Ungewissheit gemäß § 200 Abs. 1 BAO bestanden hat, da eine fehlende tatsächliche Ungewissheit einer Endgültigerklärung nicht entgegensteht (vgl. ).

15 Wird eine Abgabe gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig festgesetzt und erwächst ein derartiger Bescheid in Rechtskraft, ist in der Folge auch für die Frage, mit welchem Zeitpunkt die Verjährung beginnt, von der Ungewissheit im Sinne des § 200 Abs. 1 BAO bei Bescheiderlassung auszugehen (vgl. ).

16 Das Bundesfinanzgericht hat festgestellt, dass die vorläufigen Feststellungsbescheide unbekämpft in Rechtskraft erwachsen sind. Somit ist nach der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes – die auch auf Abgabenbescheide anzuwenden ist, welche aufgrund der Durchschlagswirkung vorläufiger Feststellungsbescheide von deren Vorläufigkeit erfasst werden - von einer Ungewissheit im Sinne des § 200 BAO auszugehen, selbst wenn tatsächlich eine solche Ungewissheit nicht bestanden hat. Der geltend gemachten Zulässigkeitsfrage fehlt es somit an Relevanz.

17 Wenn die Revision mit einem Verweis auf zwei Literaturstellen zudem noch geltend macht, dass unabhängig von der Frage der Vorläufigkeit die Verjährungsfrist gemäß § 209 Abs. 4 BAO im Jahr der Bescheiderlassung 2016 bereits abgelaufen gewesen sei und eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes behauptet, verabsäumt sie es darzulegen, warum die Verjährungsfrist bereits abgelaufen sein soll und weshalb das Bundesfinanzgericht von der Rechtsprechung abgewichen ist.

18 Gemäß § 208 Abs. 1 lit. d BAO beginnt die Verjährung bei vorläufigen Bescheiden mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit beseitigt ist. Dies war nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts das Jahr 2012. Die gesetzliche Verjährungsfrist von 5 Jahren endete somit mit Ablauf des Jahres 2017. Die bekämpften Einkommensteuerbescheide wurden im Jahr 2016 erlassen. Dem - überdies nicht in der Zulässigkeitsbegründung erstatteten - Vorbringen in den Revisionsgründen, dass keine Verlängerungshandlungen in den Jahren 2013 bis 2015 stattgefunden hätten, fehlt es somit ebenfalls an Relevanz.

19 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023150065.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
QAAAF-46353