VwGH 26.11.2024, Ra 2023/15/0013
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | § 31 Abs. 2 Z 3 VStG nimmt in Zusammenhang mit dem Begriff der "Vorfrage" nicht ausdrücklich auf § 38 AVG Bezug. Eine systematische Interpretation ergibt jedoch, dass in jenen Fällen, in denen ein Strafverfahren gemäß § 38 AVG iVm. § 24 VStG förmlich (durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde) und rechtskräftig ausgesetzt wurde, die Frage, ob diese Aussetzung zu Recht erfolgte, im Rahmen der Beurteilung der Strafbarkeitsverjährung nicht (neuerlich) überprüft werden kann. Der Beschuldigte hatte in einem solchen Fall nämlich die Möglichkeit, in einem Rechtsmittel gegen die Aussetzungsentscheidung seine Bedenken in Bezug auf das Vorliegen der (aller) Voraussetzungen des § 38 AVG geltend zu machen und in einem Verfahren, dessen ausschließlicher Gegenstand die Aussetzung ist, überprüfen zu lassen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2022/11/0069 E RS 7 (hier ohne den ersten Satz) |
Normen | |
RS 2 | Ein "Erkundungsbeweis" ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässig (Hinweis E , 2013/09/0161). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ro 2016/21/0012 B RS 2 |
Norm | VwGG §41 |
RS 3 | Tatsachenvorbringen, das die Parteien im Verfahren vor dem VwG nicht erstattet haben, können sie im Revisionsverfahren auf Grund des Neuerungsverbotes nicht mehr nachholen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2021/15/0099 B RS 1 |
Norm | VwGG §41 |
RS 4 | Rechtsausführungen unterliegen dem Neuerungsverbot, wenn zu deren Beurteilung zusätzliche Sachverhaltsfeststellungen erforderlich wären (). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2019/16/0124 B RS 1 |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2023/15/0014
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der revisionswerbenden Parteien 1. K G und 2. I KG, beide in W und beide vertreten durch Mag. Martin Paar, Mag. Hermann Zwanzger und Mag. Tobias Praschl-Bichler, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 46/6, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7500100/2020, betreffend Übertretung des Wiener Wettterminalabgabegesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien - Abteilung 6 Rechnungs- und Abgabenwesen DII), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Die revisionswerbenden Parteien haben dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom , wurde der Erstrevisionswerber mehrerer Verwaltungsübertretungen hinsichtlich Verkürzung der Wettterminalabgabe nach §§ 5 Abs. 1 und 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 des Wiener Wettterminalabgabegesetzes (WWAG) für schuldig erkannt. Er habe es als unbeschränkt haftender Gesellschafter der zweitrevisionswerbenden Kommanditgesellschaft (als Lokalinhaberin) bis zum unterlassen, die im Betrieb in [...] gehaltenen sieben Wettterminals für den Monat April 2017 mit einem Betrag von je 350 € zur Wettterminalabgabe anzumelden und diese zu entrichten. Hierdurch habe er die Wettterminalabgabe für diesen Monat mit dem Betrag von je 350 € verkürzt und sieben Verwaltungsübertretungen begangen, weswegen über ihn Geldstrafen in der Höhe von je 180 € (sowie Ersatzfreiheitsstrafen von je 13 Stunden) verhängt würden. Ferner habe er gemäß § 64 VStG 126 € (10% der Strafen) als Beitrag zu den Kosten der Strafverfahren zu zahlen. Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafen/Kosten/Barauslagen) betrage daher 1.386 €. Die zweitrevisionswerbende Kommanditgesellschaft hafte gemäß § 9 Abs. 7 VStG für die verhängten Geldstrafen, sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand.
2 Dagegen erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (BFG).
3 Mit hat dieses das Beschwerdeverfahren bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im Verfahren Ro 2019/15/0029 ausgesetzt. Der Verwaltungsgerichtshof hatte in diesem Verfahren mit Beschluss vom dem Gerichtshof der Europäischen Union in einem Vorabentscheidungsersuchen die Fragen vorgelegt, ob die Regelungen des WWAG als „technische Vorschriften“ im Sinne des Art. 1 der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom zu beurteilen und daher notifizierungspflichtig seien, und ob die Unterlassung der Mitteilung der Bestimmungen des WWAAG im Sinne der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom dazu führe, dass eine Abgabe wie die Wettterminalabgabe nicht erhoben werden dürfe.
4 Gegen diesen Aussetzungsbeschluss haben die revisionswerbenden Parteien Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof erhoben.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Revisionen mit Beschluss vom , Ra 2020/15/0057 bis 0058 als gegenstandslos geworden eingestellt, nachdem er mit Beschluss vom bereits über das Verfahren Ro 2019/15/0029 entschieden hatte und zufolge des Wegfalls des dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegenden Aussetzungsgrundes das Beschwerdeverfahren vor dem BFG ohnedies fortzusetzen war.
6 Zuvor haben die revisionswerbenden Parteien auf Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes bekannt gegeben, kein Interesse mehr „an einer Sachentscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof“ zu haben.
7 Zur Begründung der Kostenentscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof Folgendes ausgeführt:
„8 Mangels formeller Klaglosstellung liegt die Voraussetzung für einen Kostenzuspruch gemäß § 56 VwGG nicht vor. Vielmehr kommt § 58 Abs. 2 VwGG zur Anwendung. Da im vorliegenden Fall die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand nicht erfordert, waren die Kosten jener Partei zuzusprechen, die bei aufrechtem Rechtsschutzinteresse obsiegt hätte.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter einer Vorfrage im Sinne der §§ 38 und 69 Abs. 1 Z 3 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist. Gemäß § 38 AVG ist die Behörde berechtigt, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zu Grunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird ().
10 Das BFG hat das Verfahren nicht auf der Grundlage der Bestimmung des § 34 Abs. 3 VwGVG, sondern jener des § 38 AVG ausgesetzt.
11 Auf der Grundlage des § 38 AVG können Verfahren nach der hg. Rechtsprechung bis zur (in einem anderen Verfahren beantragten) Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union ausgesetzt werden (vgl. ; ).
12 Das BFG, das die Aussetzung nicht auf § 34 Abs. 3 VwGVG gestützt hat, hat das Beschwerdeverfahren jedoch nicht bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-711/19, Admiral Sportwetten u.a., ausgesetzt, sondern nach dem Spruch des angefochtenen Beschlusses unmissverständlich auf die Erledigung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof abgestellt. Dieses (innerstaatliche) Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist aber nach der hg. Rechtsprechung nicht präjudiziell im Sinne des § 38 AVG (vgl. ; ), weshalb der angefochtene Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben gewesen wäre.“
8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine ordentliche Revision für unzulässig erklärt worden ist, wies das BFG die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien nach Fortsetzung des Verfahrens als unbegründet ab. Begründend führte es insbesondere aus, es liege entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde kein Nichtbescheid vor und sei von einer gültigen Unterschrift iSd § 18 Abs. 3 AVG auf dem bekämpften Straferkenntnis auszugehen. Eine Unterschrift sei ein Gebilde aus Buchstaben einer üblichen Schrift, aus der ein Dritter, der den Namen des Unterzeichneten kenne, diesen Namen aus dem Schriftbild noch herauslesen könne; sie müsse nicht lesbar, aber ein „individueller Schriftzug“ sein, der entsprechend charakteristische Merkmale aufweise (Hinweis auf und 0014, ). Für das BFG, welches den Namen des Genehmigungsberechtigten kenne, sei die Unterschrift auf dem Straferkenntnis eindeutig dem Genehmigungsberechtigten (AR S[...]) zuordenbar und dessen Namen aus dem Schriftbild daher eindeutig herauszulesen. Zwar sei diese Unterschrift nicht eindeutig lesbar, aber es liege ein „individueller Schriftzug“ iSd zitierten Judikatur vor, der entsprechende charakteristische Merkmale aufweise, die eindeutig dem Genehmigungsberechtigten zugeordnet werden könnten. Dass dieser das angefochtene Straferkenntnis persönlich mit seiner Unterschrift und nicht mit einer bloßen Paraphe gefertigt habe, sei in der mündlichen Verhandlung auch durch Vergleich der Unterschriften auf dem Dienstausweis und dem Führerschein des Genehmigungsberechtigten mit der zugestellten Erkenntnisausfertigung aufgezeigt worden. Die Unterschriften auf den Ausweisen stimmten genau mit der Unterschrift auf der zugestellten Erkenntnisausfertigung überein.
9 Die sich aus der Aktenlage ergebenden Sachverhaltsfeststellungen anlässlich der Amtshandlung der zuständigen Magistratsabteilung vom , wonach auf den nicht angemeldeten Wettterminals die Wette und der Wetteinsatz durch die gespeicherte Auswahl festlegbar gewesen seien und der Wettkunde nach Angabe der Kundenkartennummer eine SMS mit der Aufforderung erhalten habe, innerhalb einer Minute den Wettvertrag abzuschließen, woraufhin der Wettschein unmittelbar ausdruckt worden sei, seien in der Beschwerde nicht in Frage gestellt worden und unstrittig gewesen. Die maßgebenden Kriterien für das Vorliegen von abgabepflichtigen Wettterminals, unmittelbar am Gerät den Wetteinsatz und den Wettgegenstand bestimmen zu können, seien daher bei den gegenständlichen Geräten gegeben.
10 Mit der Wettterminalabgabe werde die Ermöglichung einer unmittelbaren Wettteilnahme (Verweis auf § 2 WWAG) durch Halten eines Wettterminals und nicht das Zustandekommens des Vertrages selbst besteuert. Zum Beschwerdeeinwand, die Kunden hätten mit den elektronischen Ausfüllhilfen lediglich Wetten auf ihrem Kundenkonto abspeichern, nicht aber abschließen können, allfällige Wettabschlüsse seien via SMS, nicht aber über die bezeichneten Geräte erfolgt, somit die Bedienung der verfahrensgegenständlichen Terminals noch keine gültige Wette bzw. keinen gültigen Vertrag darstelle, werde auf die Erläuterungen zum WWAG verwiesen, wonach mit der Wettterminalabgabe das Halten eines Wettterminals und nicht der Dienst der Informationsgesellschaft bzw. eine sonstige Dienstleistung wie zum Beispiel der Abschluss eines Wettvertrages besteuert werde. Den Anforderungen an ein Wettterminal werde bereits entsprochen, wenn vom Kunden ein verbindliches Wettangebot abgegeben werde, ohne dass dieses vom Buchmacher oder Totalisateur verpflichtend und sofort angenommen werden müsste, könne doch der vermittelte Kunde ohne Dazwischentreten einer anderen Person in der Betriebsstätte am Terminal den Wettgegenstand und Wetteinsatz selbständig bestimmen. Es sei also nicht notwendig, den Wettkunden auch in die Lage zu versetzen, den Wettgegenstand und Wetteinsatz für den Buchmacher oder Totalisateur rechtsverbindlich festzulegen und diesen zu verpflichten, die vom Kunden offerierte Wette anzunehmen (Hinweis auf ).
11 Das BFG gehe im Revisionsfall sohin seinerseits auch davon aus, dass die Wettannahme bzw. der Wettvertrag erst durch die SMS Bestätigung des Wettkunden zustande gekommen sei, womit diesbezüglichen Beweisanträgen nicht zu folgen gewesen sei, weil nicht der Sachverhalt, sondern die Rechtsfrage, ob diesfalls abgabepflichtige Wettterminals vorlägen, strittig sei.
12 Zur Strafhöhe wies das BFG darauf hin, dass kein Beschwerdevorbringen zur Strafhöhe erstattet worden sei. Für die Strafbemessung sei zunächst das Verschulden des Erstrevisionswerbers und die Höhe der Verkürzungsbeträge maßgebend, wobei die verhängten Geldstrafen durch ihre Höhe geeignet sein sollten, ihn wirksam von einer Wiederholung abzuhalten (Spezialprävention). Unter Zugrundelegung der aus dem Spruch des angefochtenen Erkenntnisses ersichtlichen Verkürzungsbeträge und einer fahrlässigen Handlungsweise halte das BFG, unter Berücksichtigung des Milderungsgrundes der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit des Erstrevisionswerbers und durchschnittlicher wirtschaftlicher Verhältnisse, die verhängten Geldstrafen als tat- und schuldangemessen.
13 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision der revisionswerbenden Parteien. Zur Zulässigkeit führen diese zunächst aus, das BFG habe das angefochtene, die Beschwerde abweisende Erkenntnis - angesichts einer zu Recht bekämpften Aussetzungsentscheidung - nicht innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist des § 31 Abs. 2 VStG gegenüber den revisionswerbenden Parteien erlassen und entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht von Amts wegen die mittlerweile eingetretene Strafbarkeitsverjährung wahrgenommen.
14 Zudem lägen mehrere verfahrensrechtliche Fehler vor. So weise die zugestellte Ausfertigung des „Straferkenntnisses“ keine Unterschrift, sondern lediglich eine unleserliche, nicht aus Buchstaben einer üblichen Schrift bestehende Paraphe auf. Ein Dritter, der den Namen des Unterzeichnenden kenne, könne diesen Namen aus dem Schriftsatz unter keinen Umständen mehr herauslesen. Das BFG habe diese Paraphe in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise als Unterschrift beurteilt und sei damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen (Hinweis auf ; , 98/10/0013).
15 Außerdem weise das Erkenntnis des BFG nicht die vom Verwaltungsgerichtshof geforderte Trennung in Tatsachenfeststellung, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung auf, und fehlten darin wesentliche Sachverhaltsfeststellungen, insbesondere zum Vorhandensein einer Verbindung mit einem Wettunternehmer über eine Datenleitung und zur Nachholung der Selbstbemessung durch den Abgabepflichtigen.
16 Ferner sei das BFG von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs insofern abgewichen, als es das angefochtene Erkenntnis nicht sofort nach Schluss der Verhandlung verkündet habe, obgleich keine besonders komplexe Sach- und Rechtslage vorgelegen und auch sonst kein Grund für eine unterbliebene mündliche Verkündung ersichtlich sei (Hinweis auf , mwN).
17 Schließlich habe das BFG die bereits im Zeitpunkt seiner Entscheidung überlange Verfahrensdauer von mehr als 3 Jahren und 3 Monaten bei der Strafbemessung nicht strafmildernd berücksichtigt, obgleich eine überlange Verfahrensdauer nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs gemäß § 19 VStG iVm § 34 Abs 2 StGB strafmildernd zu berücksichtigen sei, wobei auch Verfahren vor den Höchstgerichten in die zu beurteilende Verfahrensdauer einzubeziehen seien (Hinweis auf ). Verantwortlich für die Verfahrensdauer seien die jahrelang untätige Strafbehörde (zwischen dem vermeintlichen Tatzeitpunkt und dem Erlass des behördlichen Straferkenntnisses alleine lägen fast 2 Jahre) und das nur zögerlich vorgehende BFG, wobei der zu beurteilende Fall weder in rechtlicher, noch tatsächlicher Hinsicht besonders komplex gewesen sei.
18 Der Magistrat der Stadt Wien erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision kostenpflichtig zurück- bzw. abzuweisen.
19 Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
20 Die Revision ist im Hinblick auf ihr Vorbringen zur Strafbarkeitsverjährung zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
21 Gemäß § 31 Abs. 2 VStG erlischt die Strafbarkeit einer Verwaltungsübertretung durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, in dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat. Nicht eingerechnet in die Verjährungsfrist werden unter anderem die Zeit, während der das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist (Z 3), und die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH (Z 4).
22 Durch die Hemmung wird die Verjährungsfrist um so viele Tage verlängert, als der die Hemmung bewirkende Zustand bestanden hat. Mit Ablauf des hemmenden Ereignisses läuft daher die Verjährungsfrist weiter. Sie ist so zu berechnen, als ob sie um die Dauer des Hemmungszeitraumes verlängert worden wäre (vgl. , mwN).
23 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Ra 2022/11/0069, zu § 31 Abs. 2 Z 3 VStG ausgesprochen, dass in jenen Fällen, in denen ein Strafverfahren gemäß § 38 AVG iVm § 24 VStG förmlich (durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde) und rechtskräftig ausgesetzt wurde, die Frage, ob diese Aussetzung zu Recht erfolgte, im Rahmen der Beurteilung der Strafbarkeitsverjährung nicht (neuerlich) überprüft werden kann. Der Beschuldigte hatte in einem solchen Fall nämlich die Möglichkeit, in einem Rechtsmittel gegen die Aussetzungsentscheidung seine Bedenken in Bezug auf das Vorliegen der (aller) Voraussetzungen des § 38 AVG geltend zu machen und in einem Verfahren, dessen ausschließlicher Gegenstand die Aussetzung ist, überprüfen zu lassen.
24 Nun bringt die Revision hierzu zwar vor, dass „im Unterschied zum dortigen Fall [die revisionswerbenden Parteien] in der vorliegenden Rechtssache eine Revision gegen den Aussetzungsbeschluss erhoben [haben] und ... vom Verwaltungsgerichtshof sogar geklärt [wurde], dass die Aussetzung rechtswidrig war“.
25 Diese „Klärung“ des Verwaltungsgerichtshofes ist allerdings nur im Rahmen der Begründung der Kostenentscheidung erfolgt. Eine förmliche Aufhebung des angefochtenen Aussetzungsbeschluss, durch die die Rechtssache gemäß § 42 Abs. 3 VwGG (ex tunc) in die Lage zurück getreten wäre, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Beschlusses befunden hat, ist nicht erfolgt.
26 Es wäre an den revisionswerbenden Parteien gelegen gewesen, dem Verwaltungsgerichtshof im Verfahren Ra 2020/15/0057 bis 0058 darzulegen, dass im Hinblick auf die Frage des allfälligen Eintritts der Strafbarkeitsverjährung ihrerseits ein aufrechtes rechtliches Interesse an einem stattgebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs bestehe. Diesfalls wäre von einem aufrechten Rechtsschutzinteresse auszugehen gewesen, das zu einer inhaltlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes geführt hätte (vgl. zum Rechtsschutzbedürfnis als Prozessvoraussetzung allgemein ).
27 Diese Möglichkeit, in einem Rechtsmittel gegen die Aussetzungsentscheidung ihre Bedenken in Bezug auf das Vorliegen der (aller) Voraussetzungen des § 38 AVG geltend zu machen und in einem Verfahren, dessen ausschließlicher Gegenstand die Aussetzung ist, überprüfen zu lassen, haben die revisionswerbenden Parteien nicht genützt.
28 Mangels Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses kann daher die rechtskräftig ausgesprochene Aussetzung bei der Beurteilung der Strafbarkeitsverjährung nicht ignoriert werden.
29 Zur Unterschriftsrüge der Revision ist darauf hinzuweisen, dass sich das BFG mit dem diesbezüglichen Vorbringen beweiswürdigend eingehend auseinander gesetzt und festgestellt hat, dass der entsprechende Schriftzug des Genehmigungsberechtigten auf dem Erkenntnis für das BFG, welches dessen Namen kenne, diesem eindeutig als „individueller Schriftzug“ iSd hg. Rechtsprechung zuordenbar sei.
30 Dass das BFG im Revisionsfall (das Schriftbild besteht laut Verwaltungsakten aus einem erkennbaren „S.“ für den Nachnamen des Genehmigungsberechtigten und einem weiteren Schriftzug) in unvertretbarer Weise von einer für eine Bescheidqualität hinreichenden Zeichnung ausgegangen wäre, wird in der Revision nicht dargelegt und ist für den Verwaltungsgerichtshof auch nicht ersichtlich (vgl. ; zur Maßgeblichkeit eines Vertretbarkeitskalküls bei der Beurteilung, ob ein Schriftgebilde eine Unterschrift darstellt, , sowie ).
31 Unter den Feststellungsrügen bringt die Revision zum Einen vor, dass insbesondere „keine Feststellungen und keine Beweiswürdigung zur Funktionsweise der als Wettterminals beurteilten Geräte“ getroffen worden seien. „Noch konkreter hätte das BFG etwa Feststellungen zu der Frage treffen müssen, ob die betreffenden Geräte über eine Datenleitung mit einem Wettunternehmer verbunden waren und ob diese einen unmittelbaren Wettabschluss ermöglicht haben“ (Hervorhebungen hinzugefügt).
32 Zum Anderen rügt die Revision, dass seitens des BFG „auch Feststellungen dazu zu treffen gewesen [wären], ob und wenn ja wann eine Selbstbemessung erfolgte und ob bzw wann die Abgabe entrichtet oder auch nicht entrichtet wurde“ (Hervorhebungen hinzugefügt). Diesfalls hätte das BFG „zu der Auffassung gelangen können, dass [...] die Revisionswerber die Selbstbemessung noch lange vor Erlass des Abgabenbescheids nachholten, obgleich sie der Ansicht waren, dass für die betreffenden Geräte keine Abgabepflicht bestand.“
33 In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Aufnahme eines Erkundungsbeweises nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässig ist (vgl. , mwN).
34 Zudem weist die Revisionsbeantwortung bereits zutreffend darauf hin, dass dem Revisionsvorbringen insofern als es bedeuten sollte, dass die revisionswerbenden Parteien tatsächlich „die Selbstbemessung noch lange vor Erlass des Abgabenbescheids nachholten“, im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof das Neuerungsverbot des § 41 VwGG entgegenstünde. Tatsachenvorbringen, das die Parteien im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht nicht erstattet haben, können sie nämlich im Revisionsverfahren auf Grund des Neuerungsverbotes nicht mehr nachholen. Ebenso unterliegen Rechtsausführungen dem Neuerungsverbot, wenn zu deren Beurteilung zusätzliche Sachverhaltsfeststellungen erforderlich wären (vgl. , mwN).
35 Im Übrigen wurden zur „Funktionsweise der als Wettterminals beurteilten Geräte“ sehr wohl Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis (siehe insbesondere S 20 f) getroffen und hat das BFG darin auch erläutert, welche Feststellungen es vor dem Hintergrund der hg. Rechtsprechung für relevant erachtet, wogegen sich die Revision nicht näher wendet.
36 Die Revision rügt ferner, das BFG habe gegen die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen, indem es seine Entscheidung nicht sofort im Anschluss an die mündliche Verhandlung verkündet habe, „obgleich keine besonders komplexe Sach- und Rechtslage vorlag“.
37 Gemäß § 47 Abs. 4 letzter Satz VwGVG sind in Verfahren in Verwaltungsstrafsachen nach dem Schluss der Verhandlung der Spruch des Erkenntnisses und seine wesentliche Begründung nach Möglichkeit sofort zu beschließen und zu verkünden.
38 Die Verkündung der Entscheidung direkt nach der Verhandlung stellt den gesetzlichen, wenn auch in der Praxis nicht immer umsetzbaren, Regelfall dar. Ist eine anschließende Verkündung nicht möglich, etwa wegen der Komplexität der Sach- oder Rechtslage, hat die Entscheidung schriftlich zu ergehen (vgl. , mwN). Bedarf die Fällung des Erkenntnisses (etwa die Beweiswürdigung) reiflicher Überlegung, so kann das Verwaltungsgericht von der sofortigen Verkündung Abstand nehmen, andernfalls belastet es durch die rechtswidrige Unterlassung der Verkündung das Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit (vgl. zB , mwN).
39 Im Revisionsfall hat das BFG in der genannten Niederschrift begründet, warum es ihm nicht möglich gewesen sei, das Erkenntnis nach Schluss der Verhandlung sofort zu verkünden („aufgrund des neu in der mündlichen Verhandlung erstatteten Vorbringens“). Damit verweist das BFG auf das als „ergänzende“ Ausführungen des Verteidigers protokollierte Vorbringen, dass das mit Straferkenntnis betitelte Schreiben des Magistrats der Stadt Wien vom keine Bildmarke enthalte und daher rechtsunwirksam sei, da sich auf dem zugestellten Straferkenntnis lediglich eine Paraphe des Genehmigungsberechtigten und keine Unterschrift befinde.
40 Eine Begründung des Verwaltungsgerichts zur unterbliebenen Erkenntnisverkündung ist - infolge ihrer Einzelfallbezogenheit - im Regelfall, wenn sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgt, nicht revisibel (vgl. wieder ).
41 Die Revision tritt dem zwar insofern entgegen, als sie darauf verweist, dass das Vorliegen eines Nichtbescheides bereits in der Beschwerde vorgebracht worden sei. Dort sind allerdings lediglich zwei ältere Judikate des Verwaltungsgerichtshofes genannt und die nicht näher fallbezogen substantiierte Behauptung des Vorliegens einer bloßen Paraphe im Revisionsfall. Demgegenüber sind in der mündlichen Verhandlung Erörterungen zu weiteren Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes und Beweisaufnahmen zur konkreten Fertigung des Genehmigenden inklusive Vergleichs mit dessen Fertigungen auf zwei Ausweisen dokumentiert, weshalb fallbezogen nicht von einer Unvertretbarkeit der Abstandnahme von der sofortigen Verkündung ausgegangen werden kann.
42 Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit wird von der Revision vor diesem Hintergrund nicht aufgezeigt.
43 Schließlich wendet sich die Revision noch gegen die Strafbemessung und bringt hierzu vor, die Verfahrensdauer habe von der Zustellung der behördlichen Strafverfügung vom am bis zu der den revisionswerbenden Parteien am zugestellten Entscheidung des BFG bereits mehr als 3 Jahre und 3 Monate gedauert. Weder der Sachverhalt noch die zur Beurteilung gelangenden Rechtsnormen seien „im vorliegenden Fall übermäßig komplex oder besonders umfangreich“. Auch hätten die revisionswerbenden Parteien keine Verfahrensverzögerungen verursacht, sondern sei die Dauer des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens auf eine lange Untätigkeit der Strafbehörde und ein zögerliches Vorgehen des BFG zurückzuführen.
44 Bei der Strafbemessung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die nach den vom Gesetzgeber in § 19 VStG festgelegten Kriterien vorzunehmen ist. Vom Verwaltungsgerichtshof ist daher (bloß) zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht von dem ihm eingeräumten Ermessen im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht hat, das heißt, ob die verhängte Strafe unter Bedachtnahme auf die Strafbemessungsgründe vertretbar erscheint (vgl. , mwN).
45 Das BFG hat seine Strafbemessung damit begründet, dass kein Beschwerdevorbringen des Erstrevisionswerbers (und zwar weder in der Beschwerde noch in der durchgeführten mündlichen Verhandlung) zur Strafhöhe der verhängten Geldstrafen erstattet worden sei. In diesem Lichte hat es ausgeführt, dass für die Strafbemessung zunächst das Verschulden des Erstrevisionswerbers und die Höhe der Verkürzungsbeträge maßgebend seien, wobei die verhängten Geldstrafen durch ihre Höhe geeignet sein sollten, den Erstrevisionswerber wirksam von einer Wiederholung abzuhalten (Spezialprävention). Unter Zugrundelegung der aus dem Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses ersichtlichen Verkürzungsbeträge und einer fahrlässigen Handlungsweise halte das BFG, unter Berücksichtigung des Milderungsgrundes der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit des Erstrevisionswerbers und durchschnittlicher wirtschaftlicher Verhältnisse, die verhängten Geldstrafstrafen als tat- und schuldangemessen, zumal der unbedenklichen Bemessung der Geldstrafe durch die Strafbehörde seitens des Erstrevisionswerbers mit der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten worden sei.
46 Der Magistrat der Stadt Wien weist in seiner Revisionsbeantwortung zudem darauf hin, dass im Revisionsfall „die Verfahrensdauer sehr wohl auch auf die Eingaben der revisionswerbenden Parteien und der über einen Routinefall hinausgehenden Komplexität des Falles (bspw. Rechtsfragen der Notifikation des WWAG, Frage des Vorliegens einer Amtssignatur) zurückzuführen“ sei und dass er bei einem Strafrahmen von 42.000 € und Ersatzfreiheitsstrafen bis zu sechs Wochen „jeweils eine Strafe im untersten Bereich des gesetzlichen Strafrahmens verhängt [habe]. Eine noch geringere Strafe verm[öge] kaum eine spezialpräventive Wirkung zu entfalten“.
47 Angesichts der im konkreten Strafverfahren zu beurteilenden Rechtsfragen und der dadurch erklärlichen Verfahrensdauer einerseits sowie der letztlich ohnedies verhängten niedrigen Strafen andererseits kann der Verwaltungsgerichtshof - entgegen dem Revisionsvorbringen - im Revisionsfall fallbezogen eine Unvertretbarkeit der Strafbemessung nicht erkennen.
48 Die Revision erweist sich daher insgesamt als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
49 Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Schlagworte | Ablehnung eines Beweismittels Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Erheblichkeit des Beweisantrages |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023150013.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
UAAAF-46330