VwGH 28.03.2024, Ra 2023/13/0145
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Die Nichtdurchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung durch das BFG stellt einen besonders gravierenden Verfahrensmangel dar, der im Anwendungsbereich der Grundrechtecharta (GRC) jedenfalls zu einer Aufhebung der Entscheidung führt (vgl. etwa , mwN). Außerhalb des Anwendungsbereiches der GRC führt eine Nichtdurchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung dann zu einer Aufhebung der Entscheidung, wenn dieser Verfahrensmangel relevant im Sinne eines möglichen Einflusses auf die angefochtene Entscheidung sein könnte und der Revisionswerber eine solche Relevanz auch aufzuzeigen vermochte. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2020/13/0038 B RS 8 (hier nur der zweite Satz) |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der T Gesellschaft mbH & Co KG in W, vertreten durch Mag. Erhard Donhoffer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ungargasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7400163/2020, betreffend Wasserbezugsgebühr, Wasserzählergebühr und Abwassergebühr (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Am machte der Magistrat der Stadt Wien (Magistratsabteilung 31 - Wiener Wasser) die Revisionswerberin mit einem Schreiben auf den erhöhten Wasserverbrauch von 4,57 m3 statt bisher 0,94 m3 aufmerksam und wies auf die Obsorgepflicht des § 15 WVG hin. Falls keine Gründe für den Mehrverbrauch bekannt wären, sei dessen Ursache nachzugehen.
2 Mit Bescheid vom erließ der Magistrat der Stadt Wien einen Bescheid über Wasser- und Abwassergebühren für Zeiträume in den Jahren 2017 und 2018.
3 Am schrieb die Revisionswerberin folgende E-Mail an den Magistrat:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
der von Ihnen festgestellte und verrechnete Verbrauch von 4284 m3 im Zeitraum - , was einem Tagesdurchschnittsverbrauch von 11,5 m3 entspricht, ist nicht nachvollziehbar. Im Haus leben maximal 10 Personen. Es ist kein Wasserrohrbruch aufgetreten. Der Verbrauch in 2017 war 2,85 m3/ Tag. Daher ersuchen wir um Überprüfung des bei uns eingesetzten Wassermessers. Es ist uns bekannt, dass wir die Kosten tragen müssen, sollte der Wassermesser in Ordnung sein. Bitte um Terminvereinbarung [...]“
4 Am gab der rechtliche Vertreter der Revisionswerberin an, diese zu vertreten und erklärte, dass die Revisionswerberin ihr den gegenständlichen Bescheid, gegen den sie am ein Rechtsmittel erhoben hätte, übergeben hätte.
5 Der Magistrat wies mit Beschwerdevorentscheidung vom die Beschwerde als unbegründet ab. Die Revisionswerberin stellte einen Vorlageantrag.
6 Das Bundesfinanzgericht hob mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerdevorentscheidung wegen Unzulässigkeit auf und erklärte, dass der Vorlageantrag aus dem Rechtsbestand ausscheide. Im Zuge der Ermittlungen des Bundesfinanzgerichtes habe sich ergeben, dass aus dem gesamten Akteninhalt des vorgelegten Falles kein Beschwerdevorbringen ersichtlich gewesen sei. Das Bundesfinanzgericht habe am einen Beschluss an den Magistrat gerichtet, in dem es ihn aufgefordert habe, die gegenständliche Bescheidbeschwerde vorzulegen, da diese weder im vorgelegten Akt noch im dazugehörigen Aktenverzeichnis aufzufinden gewesen sei. Die Behörde habe am bekannt gegeben, dass die Revisionswerberin lediglich mit E-Mail vom einen Antrag auf Zählerüberprüfung eingebracht habe. Primär wäre diese Eingabe seitens der Kanzleimitarbeiterinnen nicht als Bescheidbeschwerde angesehen und daher auch nicht als solche protokolliert worden. Erst auf Grund der Eingabe des Rechtsvertreters vom und dem Hinweis auf das am erhobene „Rechtsmittel“ wäre die Eingabe (E-Mail) der Revisionswerberin vom als rechtzeitig eingebrachte Beschwerde gegen den Gebührenbescheid vom gewertet worden. Das Bundesfinanzgericht habe diese Antwort der Revisionswerberin zur Kenntnisnahme unter ausdrücklicher Einräumung der Möglichkeit zu einer allfälligen Stellungnahme/Ergänzung/Äußerung innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zustellung des Beschlusses übermittelt. Es sei keine Stellungnahme oder sonstige Äußerung dazu erfolgt.
7 Das Bundesfinanzgericht führte aus, dass in der strittigen E-Mail weder eine Äußerung dahingehend gemacht worden sei, gegen den Bescheid mit Beschwerde vorgehen zu wollen oder nicht bereit zu sein, den Betrag zu entrichten oder dergleichen, noch wurde es als Beschwerde bezeichnet. Es sei ausschließlich ein Antrag auf Zählerüberprüfung gestellt worden. Die E-Mail entspreche nicht den Inhaltsvoraussetzungen des § 250 BAO. Der Text der E-Mails sei vielmehr inhaltlich klar darauf gerichtet, dass eine Überprüfung des Wasserzählers beantragt worden sei und zeige keine darüberhinausgehende Absicht. Bei einem eindeutigen Inhalt eines Anbringens iSd § 85 BAO sei eine davon abweichende, nach außen nicht zum Ausdruck kommende Absicht des Einschreiters nicht maßgebend. Demzufolge stelle die E-Mail vom keine Bescheidbeschwerde dar. Eine Eingabe (wie zB ein Antrag oder ein ähnliches Anbringen), die keine Beschwerde darstelle bzw. der die Voraussetzungen für eine Bescheidbeschwerde gemäß § 250 BAO fehlen würden, würden nachträglich nicht dadurch zum „Rechtsmittel“ bzw. zu einer Bescheidbeschwerde, weil ein Parteienvertreter sie nachträglich als solche bezeichne und vielleicht damit zu „retten“ versuche, dass sein Mandant durch dessen Eingabe, die vor dem Gesetz keine Beschwerde darstelle, die zulässige Rechtsmittelfrist versäumt habe. Da im Revisionsfall keine Bescheidbeschwerde eingebracht worden sei, sei im Ergebnis die Beschwerdevorentscheidung vom ohne Vorliegen einer Beschwerde erlassen worden. Die Beschwerdevorentscheidung sei somit wegen Unzuständigkeit der Behörde rechtswidrig. Durch Aufhebung der Beschwerdevorentscheidung sei der dagegen gestellte Vorlageantrag inklusive der darin gestellten Anträge wie zB auf mündliche Verhandlung gemäß § 264 Abs. 7 BAO durch Ausscheiden aus dem Rechtsbestand gegenstandslos geworden.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Bundesfinanzgericht begründe seine Abweisung der Beschwerde im Wesentlichen damit, dass keine Beschwerde gegen den Bescheid der „Stadt Wien“ über die Vorschreibung von Wasser- und Abwassergebühren vorgelegen habe. Dies sei konträr zum bisherigen Verfahrensverlauf, in dem beide Seiten - Revisionswerberin und belangte Behörde - die E-Mail der Revisionswerberin als Beschwerde gegen den erlassenen Gebührenbescheid angesehen hätten. Diese Ansicht sei auch bis dato unbekämpft geblieben. Nach Ansicht der Revisionswerberin sei es der Rechtsmittelinstanz jedoch verwehrt, diese Feststellung abzuändern. Die Revisionswerberin habe die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt und diesen Antrag mehrfach aufrechterhalten. Obwohl das Bundesfinanzgericht eine überraschende Entscheidung habe treffen wollen, sei die Rechtsansicht nicht mit der Revisionswerberin oder der belangten Behörde erörtert worden. Insbesondere sei es der Revisionswerberin damit verwehrt worden, weiteres Vorbringen im Hinblick auf den überraschenden Rechtsstandpunkt des Bundesfinanzgerichts zu erstatten.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Das Bundesfinanzgericht hat ausführlich dargelegt, wieso es davon ausgeht, dass es sich bei der strittigen E-Mail um keine Bescheidbeschwerde handelt. Dagegen wendet sich die Revision nicht. Wenn sie dazu vorbringt, das Bundesfinanzgericht sei an die Beurteilung der Behörde gebunden und hätte das Vorliegen einer Bescheidbeschwerde nicht anders beurteilen dürfen, genügt der Hinweis auf § 279 BAO. Nach dieser Bestimmung hat das Bundesfinanzgericht in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
13 Soweit die Revision das Unterlassen einer mündlichen Verhandlung releviert und geltend macht, die Revisionswerberin habe sich nicht zu der überraschenden Rechtsansicht des Bundesfinanzgerichts äußern können, wird zunächst darauf verwiesen, dass das Bundesfinanzgericht das Schreiben der Behörde, mit dem die ursprünglichen Zweifel an dem Vorliegen einer Beschwerde geäußert wurden, der Revisionswerberin zu einer allfälligen Stellungnahme übermittelt hat und damit das Parteiengehör gewahrt wurde. Die Revisionswerberin hat diese Gelegenheit nicht wahrgenommen.
14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Unterlassung einer rechtzeitig beantragten mündlichen Verhandlung - außerhalb des Anwendungsbereichs der Grundrechtecharta der Europäischen Union - eine Verletzung von Verfahrensvorschriften dar, die nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses führt, wenn dieser Verfahrensmangel relevant im Sinne eines möglichen Einflusses auf das angefochtene Erkenntnis sein könnte und der Revisionswerber bereits in der Zulässigkeitsbegründung eine solche Relevanz aufzeigt (vgl. etwa , mwN). Eine solche Relevanzdarstellung ist in der Zulässigkeitsbegründung mit dem pauschalen Vorbringen, die Revisionswerberin hätte sich zu der Rechtsansicht des Bundesfinanzgerichts nicht äußern und kein weiteres Vorbringen erstatten können, nicht erfolgt.
15 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023130145.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAF-46303