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VwGH 20.09.2023, Ra 2023/13/0063

VwGH 20.09.2023, Ra 2023/13/0063

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Dkfm. L in S, vertreten durch Dr. Wolfgang Halm, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1090 Wien, Berggasse 10/14, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7103939/2022, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde (Einkommensteuer 2002 und 2003 sowie Anspruchszinsen 2002 und 2003), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Eingabe vom beantragte der Revisionswerber die „neuerliche“ Zustellung der Bescheide betreffend Einkommensteuer 2002 und 2003, Anspruchszinsen 2002 und 2003 sowie betreffend Ablauf der Aussetzung und Festsetzung von Aussetzungszinsen. Er machte geltend, diese Bescheide, von deren Existenz er erst durch Einsichtnahme in den Steuerakt Kenntnis erlangt habe, seien ihm niemals zugegangen.

2 Mit Schreiben vom teilte das Finanzamt dem Revisionswerber mit, es übermittle (im Anhang des Schreibens) „Duplikate“ der geforderten Bescheide.

3 Mit Eingabe vom erhob der Revisionswerber Beschwerde gegen diese Bescheide. Die angefochtenen Bescheide sind darin u.a. bezeichnet mit Einkommensteuerbescheid 2002 und Bescheid betreffend Anspruchszinsen 2002, „beide vom , zugestellt am “; sowie mit Einkommensteuerbescheid 2003 und Bescheid betreffend Anspruchszinsen 2003, „beide vom , zugestellt am “. In der Beschwerde wurde u.a. ausgeführt, es sei erst jetzt möglich, gegen diese Bescheide Rechtsmittel einzubringen, da sie (zuvor) nicht zugestellt worden seien. Eingewandt werde Festsetzungsverjährung (§ 207 BAO). Es werde beantragt, die angefochtenen Bescheide aufzuheben oder abzuändern.

4 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde gemäß § 260 Abs. 1 lit. b BAO als verspätet zurück. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die nunmehr bekämpften Bescheide betreffend Einkommensteuer 2002 und 2003 seien am 10. bzw.  aufgrund von Feststellungsmitteilungen zur H KG gemäß § 295 Abs. 1 BAO erlassen worden. Aufgrund der sich daraus jeweils ergebenden Nachforderung seien mit demselben Datum automatisiert auch Anspruchszinsen festgesetzt worden. Diese Bescheide seien nach dem elektronischen Datenbestand unbescheinigt zugestellt worden (Zustellung ohne Rückschein). Da bis 2009 keine Zustellvollmacht erteilt worden sei, seien behördliche Schriftstücke bis 2009 an den Revisionswerber (persönlich) adressiert worden. Der steuerliche Vertreter des Revisionswerbers habe mit Schreiben vom einen Antrag auf Aussetzung der Einhebung betreffend Einkommensteuer 2002 und 2003 (jeweils samt Aussetzungszinsen) gestellt. Die im Antrag angeführten Beträge entsprächen jeweils exakt den in den Bescheiden angeführten Nachforderungen bzw. den festgesetzten Anspruchszinsen. Es sei daher davon auszugehen, dass die Bescheide bereits im Februar 2006 zugestellt worden seien. Ein Zustellmangel sei damals nicht behauptet worden. Die Bescheide über den Ablauf der Aussetzung der Einhebung und über die Festsetzung von Aussetzungszinsen (jeweils vom , nach Ergehen der Entscheidung des Bundesfinanzgerichts vom in der Rechtssache der H KG) seien an die bevollmächtigte steuerliche Vertreterin zugestellt worden. Die neuerliche Zustellung des gleichen Dokuments löse keine Rechtswirkungen aus. Die Beschwerde erweise sich somit als verspätet und sei daher zurückzuweisen.

5 Der Revisionswerber beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

6 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde betreffend Einkommensteuer 2002 und 2003 sowie Anspruchszinsen 2002 und 2003 gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO als unzulässig zurück. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7 Nach Schilderung des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die angefochtenen, gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderten Einkommensteuerbescheide sowie die Bescheide betreffend Festsetzung von Anspruchszinsen seien mit (für das Jahr 2002) bzw.  (für das Jahr 2003) datiert. Sie seien an den Revisionswerber adressiert und seien ohne Zustellnachweis versandt worden; eine aufrechte Zustellvollmacht habe im Jahr 2006 nicht vorgelegen. Aufgrund des nach einer Akteneinsicht gestellten Ersuchens des nunmehrigen steuerlichen Vertreters seien von der belangten Behörde Ausdrucke aus der Datenbank der Finanzverwaltung angefertigt und mit dem Stempelvermerk „Duplikat ausgestellt wegen Verlust des Originals + Datum “ versehen worden. Die Ausdrucke betreffend die Einkommensteuer 2002 und 2003 wiesen als Behörde das Finanzamt Österreich, aber unverändert die Daten bzw.  auf, während jene betreffend Festsetzung von Anspruchszinsen das Finanzamt Lilienfeld St. Pölten als Behörde aufwiesen. Sämtliche Ausdrucke seien dem bevollmächtigten Vertreter am zugegangen. Gegen diese Duplikate sei Beschwerde erhoben worden.

8 Den Duplikaten mangle die Bescheidqualität. Diese Schriftstücke erfüllten nicht die in § 96 BAO normierten Voraussetzungen. Sie seien nicht mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung erstellt, sondern von einer Mitarbeiterin des Finanzamts aus der Datenbank der Finanzverwaltung ausgedruckt und mit einem Duplikatsvermerk versehen worden. Sie wiesen aber keine Unterschrift auf. Nur Ausfertigungen, die mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung erstellt worden seien, bedürften keiner Unterschrift und keiner Beglaubigung. Bei den Ausdrucken betreffend Einkommensteuer 2002 und 2003 sei darüber hinaus auch die Behördenbezeichnung unrichtig. Die mit 10. bzw.  datierten Exemplare wiesen das Finanzamt Österreich auf, obwohl diese Organisationsform zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestanden habe. Seien aber das Ausfertigungsdatum und die Behördenbezeichnung nicht miteinander in Einklang zu bringen, sei das Vorliegen von Bescheiden im Sinne des § 96 BAO zu verneinen. Der Empfänger eines Schriftstückes müsse aus der Sendung erkennen können, ob das Fehlen einer Unterschrift (Beglaubigung) dem Schreiben den Bescheidcharakter nehme. Er müsse daher aus der Sendung erkennen können, ob es sich um eine mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung erstellte Ausfertigung handle. Bei den Ausdrucken, die dem steuerlichen Vertreter gemeinsam mit dem Schreiben vom übermittelt worden seien, sei aber eindeutig zu erkennen, dass es sich nicht um Ausfertigungen handle, die mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung erstellt worden seien.

9 Eine Beschwerde, welche sich wie hier nicht gegen einen Bescheid richte, sei unzulässig und daher gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO zurückzuweisen.

10 Gegen diesen Beschluss wendet sich die vorliegende Revision.

11 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat sich die belangte Behörde am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13 Die Revision ist zulässig und begründet.

14 Gemäß § 96 Abs. 1 BAO (in der für den Zeitpunkt der Übermittlung der „Duplikate“ anwendbaren Fassung des Steuerreformgesetzes 2020, BGBl. I Nr. 103/2019) müssen alle schriftlichen Ausfertigungen der Abgabenbehörden die Bezeichnung der Behörde enthalten sowie mit Datum und mit der Unterschrift dessen versehen sein, der die Erledigung genehmigt hat. An die Stelle der Unterschrift des Genehmigenden kann die Beglaubigung treten, dass die Ausfertigung mit der genehmigten Erledigung des betreffenden Geschäftsstückes übereinstimmt und das Geschäftsstück die eigenhändig beigesetzte Genehmigung aufweist.

15 Nach § 96 Abs. 2 BAO bedürfen Ausfertigungen, die mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung erstellt werden, weder einer Unterschrift noch einer Beglaubigung und gelten, wenn sie weder eine Unterschrift noch eine Beglaubigung aufweisen, als durch den Leiter der auf der Ausfertigung bezeichneten Abgabenbehörde genehmigt.

16 Nach § 97 Abs. 1 BAO werden Erledigungen dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekanntgegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Die Bekanntgabe erfolgt bei schriftlichen Erledigungen (im Allgemeinen) durch Zustellung. Die Zustellungen sind (wiederum im Allgemeinen) nach dem Zustellgesetz vorzunehmen (§ 98 Abs. 1 BAO).

17 Gemäß § 6 Zustellgesetz löst die neuerliche Zustellung des gleichen Dokuments, wenn dieses bereits zugestellt ist, keine Rechtswirkungen aus.

18 Es kann hier offen bleiben, ob die übermittelten „Duplikate“ (an sich) wirksame Bescheide sind. Wie aus dem Begleitschreiben vom und auch aus dem auf den „Duplikaten“ angebrachten Vermerk der belangten Behörde klar hervorgeht, sollten weitere Ausfertigungen von nach Ansicht des Finanzamts vor langer Zeit erlassenen Entscheidungen übermittelt werden.

19 Parteierklärungen sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, d.h. es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt (vgl. , mwN).

20 Nach dem Vorbringen in der Beschwerde, insbesondere nach der Bezeichnung der angefochtenen Bescheide (§ 250 Abs. 1 lit. a BAO), wandte sich die Beschwerde gegen näher bezeichnete Bescheide vom 10. bzw. , die - nach dem Vorbringen in der Beschwerde - erst am zugestellt worden seien. Demnach richtete sich die Beschwerde (auch nach der Lage des Verfahrens folgerichtig) nicht gegen konkret bezeichnete (allenfalls auch unwirksame) Ausfertigungen dieser Bescheide (die übermittelten „Duplikate“), sondern gegen die in den bezeichneten Verfahren jeweils ergangene Erledigung. Diese Erledigung und nicht bloß eine von allenfalls mehreren Ausfertigungen dieser Erledigungen sollte nach dem Beschwerdebegehren aufgehoben oder abgeändert werden.

21 In dieser Weise wurde die Beschwerde auch vom Finanzamt verstanden. Das Finanzamt prüfte daher, ob eine diese Verfahren jeweils abschließende Erledigung wirksam ergangen und rechtzeitig bekämpft wurde. Es kam dabei zu dem Ergebnis, dass diese Erledigungen bereits im Jahr 2006 wirksam ergangen seien und die nunmehr erhobene Beschwerde daher verspätet sei.

22 Eine Zurückweisung dieser eindeutig so zu verstehenden Beschwerde mit der Begründung, es liege kein Anfechtungsobjekt (kein wirksam ergangener Bescheid) vor, wäre hingegen nur dann rechtmäßig, wäre in der jeweiligen Rechtssache überhaupt keine wirksame Erledigung ergangen. Dass im Jahr 2006 keine wirksame Erledigung ergangen wäre, wird zwar vom Revisionswerber behauptet; diesen Behauptungen ist aber das Finanzamt in der Beschwerdevorentscheidung ausführlich entgegengetreten.

23 Erwägungen des Bundesfinanzgerichts zu dieser zwischen den Parteien des Verfahrens strittigen Frage können dem angefochtenen Beschluss nicht entnommen werden, sodass dem Verwaltungsgerichtshof eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht möglich ist.

24 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

25 Soweit der Revisionswerber wiederholt auch darauf verweist, dass eine Entscheidung über den Ablauf der Aussetzung sowie über die Aussetzungszinsen mit dem angefochtenen Beschluss nicht erfolgte, so ist dies zwar zutreffend. Da die Entscheidung aber insoweit trennbar ist, begründet dieser Umstand (für sich) keine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung. Dem Revisionswerber stehen dazu Säumnisbehelfe offen.

26 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023130063.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
OAAAF-46290