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VwGH 05.10.2023, Ra 2023/13/0060

VwGH 05.10.2023, Ra 2023/13/0060

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
BAO §80 Abs1
BAO §9 Abs1
RS 1
Abgabenrechtliche Pflichten werden nicht erfüllt, wenn Abgaben, die zu entrichten gewesen wären, nicht entrichtet worden sind (vgl. ).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2020/13/0038 B RS 3

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat MMag. Maislinger und die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Wien 4/5/9/10/18/19 Klosterneuburg in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7100924/2023, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO (mitbeteiligte Partei: K in W, vertreten durch die Marschall & Heinz Rechtsanwalts-Kommanditpartnerschaft in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 8), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid vom wurde der Mitbeteiligte als Haftungspflichtiger für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der G GmbH in Höhe von insgesamt 128.953,79 € (Umsatzsteuer für die Zeiträume 1/2019 bis 7/2019) in Anspruch genommen.

2 Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.

3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Der Mitbeteiligte beantragte die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hob das Bundesfinanzgericht den Bescheid des Finanzamts (ersatzlos) auf. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht aus, mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom Mai 2021 sei ein Insolvenzverfahren über die im Jahr 2017 errichtete G GmbH mangels kostendeckenden Vermögens nicht eröffnet worden; die Gesellschaft sei aufgelöst und im Mai 2022 infolge Vermögenslosigkeit gemäß § 40 FBG im Firmenbuch gelöscht worden. Der Mitbeteiligte sei von der Gründung der G GmbH bis zum deren alleiniger Geschäftsführer gewesen. Im Oktober 2019 habe er die Gesellschaftsanteile an A veräußert, der vom bis zur Auflösung der Gesellschaft als deren Geschäftsführer im Firmenbuch eingetragen gewesen sei.

6 Während der Geschäftsführertätigkeit des Mitbeteiligten sei die Gesellschaft steuerlich vertreten gewesen. Sie habe monatlich Umsatzsteuervoranmeldungen, insbesondere auch für die Monate Jänner bis Juli 2019 eingereicht; diese hätten jeweils geringe Zahllasten oder Vorsteuerüberschüsse aufgewiesen. Im Zeitpunkt des Verkaufs der Gesellschaftsanteile im Oktober 2019 habe am Abgabenkonto der Gesellschaft kein Rückstand bestanden. Nach der Auflösung der Gesellschaft seien beim Finanzamt für die Zeiträume Jänner bis Juli 2019 (zweite) Umsatzsteuervoranmeldungen eingegangen. Das Finanzamt habe mit Bescheiden (im Zeitraum bis ) die Umsatzsteuer für diese Zeiträume entsprechend diesen Anmeldungen festgesetzt. Die daraus resultierende Abgabenschuld in der Gesamthöhe von 128.953,79 € sei nicht entrichtet worden.

7 Laut Buchungsabfrage des Steuerkontos der G GmbH seien im Zeitraum der Geschäftsführertätigkeit des A von Oktober 2019 bis April 2021 weder Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht noch Umsatzsteuervorauszahlungen geleistet worden. Die Abgabenverbindlichkeiten hätten im Zeitpunkt der Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens ca. 18.000 € betragen, im Zeitpunkt des Verkaufs der Geschäftsanteile durch den Mitbeteiligten hingegen (minus) 884,47 €. Im Zeitraum der Geschäftsführertätigkeit des A sei nur ein einziges Mal ein Betrag in Höhe von 136,06 € auf das Abgabenkonto der G GmbH überwiesen worden. Die Umsatzsteuervoranmeldungen mit den dem Mitbeteiligten angelasteten Zahllasten für die Zeiträume 1-7/2019 seien erst nach der Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit und daher zu einem Zeitpunkt eingebracht worden, in dem die G GmbH bereits aufgelöst gewesen sei.

8 Es sei nicht davon auszugehen, dass diese Umsatzsteuervoranmeldungen von der früheren steuerlichen Vertreterin eingebracht worden seien, da diese nach eigenen Angaben nur bis Juli 2019 für die G GmbH tätig gewesen sei.

9 Ob die Umsatzsteuervoranmeldungen vom ehemaligen Geschäftsführer A eingebracht worden seien, könne nicht festgestellt werden, da dieser nach Auskunft des Finanzamts nicht auffindbar sei und daher nicht befragt werden könne. Ebenfalls ungeklärt bleibe, um welche Umsätze es sich gehandelt habe, zumal der Mitbeteiligte vorbringe, Umsätze in dieser Höhe nicht getätigt zu haben. Seine Umsätze seien monatlich von der steuerlichen Vertreterin gebucht und dem Finanzamt gemeldet worden.

10 Das Finanzamt bringe dazu vor, es könne sich nur um zunächst nicht gemeldete Umsätze der G GmbH gehandelt haben.

11 Richtig sei, dass das Finanzamt im Haftungsverfahren an die in den Abgabenbescheiden festgesetzten Abgaben hinsichtlich des Grundes und der Höhe der Abgabe gebunden sei. Allerdings könne im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden, um welche Umsätze es sich gehandelt habe und von wem die möglicherweise unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen eingebracht worden seien. Auffallend sei, dass die Bemessungsgrundlagen jeweils runde Summen ausgewiesen hätten. Diese Umsatzsteuervoranmeldungen seien elektronisch eingebracht worden; das Finanzamt habe die Festsetzungsbescheide ohne weitere Begründung erlassen.

12 Bereits aufgrund der runden Beträge der Bemessungsgrundlagen in jeder der sieben Voranmeldungen sei eine Nachmeldung von Umsätzen, die im Zuge der Tätigkeit des Unternehmens angefallen seien, nicht wahrscheinlich. Ebenso unwahrscheinlich sei, dass der bis zur Auflösung der G GmbH in steuerlichen Belangen untätige Geschäftsführer die Unterlagen des früheren Geschäftsführers durchforstet und für die Voranmeldungszeiträume Jänner bis Juli 2019 Umsätze in der Höhe von über einer Million Euro nachgemeldet habe. Im Übrigen sei auch nicht davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte beim Verkauf der Gesellschaftsanteile Unterlagen weitergegeben habe, aus denen nicht erklärte Umsätze in Millionenhöhe ersichtlich seien. Die vom Finanzamt ins Spiel gebrachte mangelnde Beweisvorsorge durch die Weitergabe sämtlicher Unterlagen an den neuen Gesellschafter-Geschäftsführer vermöge den Mitbeteiligten nicht zu belasten, weil nicht erwiesen werden könne, dass es sich um Umsätze handle, die während der Geschäftsführertätigkeit des Mitbeteiligten angefallen seien.

13 Angesichts der vorliegenden Fakten (keine Entrichtung des Kaufpreises der Gesellschaftsanteile, keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen durch den Geschäftsführer A während aufrechten Geschäftsbetriebes, keine Abfuhr von Steuern und Beiträgen, kein oder verschwiegener Wohnsitz des A in Österreich, Einbringung von Umsatzsteuervoranmeldungen erst nach Auflösung der Gesellschaft) sei „wohl eher“ davon auszugehen, dass die Gesellschaft nach ihrer Auflösung als „Scheinfirma“ Verwendung gefunden habe und Umsätze - aus hier nicht eruierbaren Gründen für die Zeiträume 1-7/2019 - erklärt worden seien, um dem (ungerechtfertigten) Vorsteuerabzug bei einem anderen Unternehmen einen seriösen Anstrich zu geben.

14 Während bei der Verletzung der Abgabenentrichtungspflicht auch davon ausgegangen werden könne, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit der Abgaben ursächlich gewesen sei, bedürfe es bei der Verletzung sonstiger abgabenrechtlicher Pflichten - wie im vorliegenden Fall - einer näheren Begründung der Kausalität der Pflichtverletzung für die eingetretene Uneinbringlichkeit der Abgaben. Eine solche Kausalität könne im vorliegenden Fall nicht argumentiert werden, weil nicht habe festgestellt werden können, worin die schuldhafte Pflichtverletzung des Mitbeteiligten für die (angebliche) Nichtmeldung von Umsatzsteuer in der Höhe von 128.953,79 € gelegen sei. Da die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme des Mitbeteiligten für die Umsatzsteuern 1-7/2019 nicht vorlägen, sei der Haftungsbescheid gemäß § 279 Abs. 1 BAO aufzuheben gewesen.

15 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision des Finanzamts. Zur Zulässigkeit wird geltend gemacht, das Bundesfinanzgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, indem es im Beschwerdeverfahren betreffend den Haftungsbescheid die Rechtmäßigkeit der vom Finanzamt mit Bescheiden festgesetzten Umsatzsteuervorauszahlungen in Frage stelle.

16 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung eingebracht.

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

18 Die Revision ist aus den in ihr aufgezeigten Gründen zulässig und begründet.

19 Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

20 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO annehmen darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war (vgl. z.B. , mwN).

21 Geht einem Haftungsbescheid ein Abgabenbescheid voran, so ist die Behörde daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an den Abgabenbescheid zu halten. Die Verschuldensprüfung hat dabei von der objektiven Richtigkeit der Abgabenfestsetzung auszugehen. Einwendungen gegen die Richtigkeit der Festsetzung der Umsatzsteuer sind hingegen nur in einem gemäß § 248 BAO durchzuführenden Abgabenverfahren, nicht jedoch im Haftungsverfahren zu klären (vgl. , mwN).

22 Abgabenrechtliche Pflichten werden nicht erfüllt, wenn Abgaben, die zu entrichten gewesen wären, nicht entrichtet worden sind (vgl. , mwN).

23 Dem hier vorliegenden Haftungsbescheid gingen Abgabenbescheide (Festsetzung der Umsatzsteuer für die Monate Jänner bis Juli 2019) voran. Im Haftungsverfahren ist nach der bereits angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von der Richtigkeit dieser Abgabenfestsetzung auszugehen und diese der Verschuldensprüfung zu Grunde zu legen. Demnach ist im Haftungsverfahren aber davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte unrichtige Abgabenerklärungen abgegeben und insoweit keine Abgaben entrichtet hat (vgl. neuerlich ).

24 Entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts ist demnach im Haftungsverfahren - bei Zugrundelegung der Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts - davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte seine abgabenrechtlichen Verpflichtungen schuldhaft verletzt hat und dies auch für die Uneinbringlichkeit ursächlich war.

25 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
BAO §80 Abs1
BAO §9 Abs1
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023130060.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
XAAAF-46287