VwGH 20.09.2023, Ra 2023/13/0050
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Eine Haftungsinanspruchnahme setzt voraus, daß die rückständigen Abgaben uneinbringlich wurden und dies auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Vertreters zurückzuführen ist. Die Heranziehung des Vertreters zur Haftung hat weiters zur Voraussetzung, daß zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Vertreters und der Uneinbringlichkeit der Forderung ein Rechtswidrigkeitszusammenhang besteht. Ein solcher Zusammenhang besteht, wenn der Vertreter bei oder nach Fälligkeit der Verbindlichkeit Mittel für die Bezahlung - gegebenenfalls nach gleichmäßiger Aufteilung der Zahlungsmittel auf alle Verbindlichkeiten - zur Verfügung hatte und nicht, wenn auch nur anteilig, für die Abgabentilgung Sorge getragen hat (Hinweis E , 92/17/0042). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 95/16/0155 E RS 1 (hier ohne den ersten Satz und ohne den Einschub im letzten Satz) |
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RS 2 | Für den Fall, dass die vorhandenen Mittel nicht ausreichten, um sämtliche Verbindlichkeiten voll zu tilgen, ist für die Darstellung der Gläubigergleichbehandlung zunächst der Nachweis zu erbringen, dass die Abgabenschulden gegenüber anderen Verbindlichkeiten nicht benachteiligt wurden, indem konkret und nachvollziehbar dargelegt wird, dass von den Abgabenschulden nicht eine geringere Quote beglichen wurde als von anderen Verbindlichkeiten, wobei auch Zug-um-Zug Geschäfte zu berücksichtigen sind (vgl. für viele , mwN). Dabei kommt es nicht nur auf die am Fälligkeitstag geleisteten Tilgungen an; der Haftende hat vielmehr darzutun, dass er die vorhandenen liquiden Mittel ab der Fälligkeit für eine (im Vergleich zu anderen Gläubigern) anteilige Befriedigung des Abgabengläubigers verwendet hat (vgl. etwa ; , 97/14/0176). Gelingt dieser Nachweis nicht, ist die Haftung des Vertreters dennoch mit jenem Betrag begrenzt, um den der Abgabengläubiger bei gleichmäßiger Befriedigung aller Forderungen mehr erlangt hätte, als er infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich erhalten hat (vgl. ; , 96/15/0049), wobei es am Vertreter liegt, diese Quote zu berechnen. Dafür ist erforderlich, dass die gesamten (fälligen) Verbindlichkeiten der Primärschuldnerin inklusive der Abgabenverbindlichkeiten zum jeweiligen Fälligkeitstag der Abgaben den vorhandenen liquiden Mitteln gegenübergestellt werden und jene Quote errechnet wird, die sich bei gleichmäßiger Aufteilung der liquiden Mittel auf die (fälligen) Verbindlichkeiten sämtlicher Gläubiger ergibt (vgl. ; , 92/17/0042). In Zeiträumen nach der Fälligkeit der Abgaben zugeflossene liquide Mittel sind dabei ebenfalls zu berücksichtigen (vgl. ; , 2007/13/0137), weil die Verpflichtung zur Entrichtung der Ababenschuldigkeiten erst mit deren Abstattung endet (vgl. ; , 89/14/0043). Die quotenmäßige Berücksichtigung dieser weiteren liquiden Mittel kann gegebenenfalls auch überschlägig erfolgen (vgl. ). |
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RS 3 | Ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder dem Hervorkommen der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung anderseits ist ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht lassen darf. Ein solcher Umstand kann jedoch auch lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten sein, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sind. Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt vom Einzelfall ab. Eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensmissbrauch läge dann vor, wenn ein solcher Umstand bei der Ermessensentscheidung überhaupt nicht berücksichtigt würde (vgl. , mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2021/13/0132 E RS 2 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Ing. S in A, vertreten durch die Dr. Pötzl Rechtsanwalts GmbH in 4020 Linz, Garnisonstraße 17, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5100772/2022, betreffend Haftung gemäß § 9 iVm 80 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Haftungsbescheid vom zog das Finanzamt den Revisionswerber zur Haftung für Abgabenverbindlichkeiten der S GmbH in Höhe von 142.246,73 € heran. Dagegen erhob der Revisionswerber fristgerecht Beschwerde.
2 Mit Schreiben vom machte der Revisionswerber folgende Angaben zur Gläubigergleichbehandlung: Bezogen auf die Umsatzsteuer 04/15, welche am zur Zahlung fällig gewesen sei, und Einfuhrumsatzsteuer 05/15, welche am zur Zahlung fällig gewesen wäre, wurde ausgeführt, dass das zweite Insolvenzverfahren am eröffnet worden sei. Die in diesem Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen mit Ausnahme der Dienstnehmerforderungen und jener Forderungen, bezüglich welcher Wiederaufleben betreffend die dritte, nicht bezahlte Rate der Sanierungsplanquote des ersten Insolvenzverfahrens geltend gemacht worden sei, würden 846.164,17 € betragen. Diese Insolvenzforderungen seien weit überwiegend bereits vor Fälligkeit der Umsatzsteuer 04/15 und der Einfuhrumsatzsteuer 05/15 zur Zahlung fällig gewesen. Die Dienstnehmerforderungen und die wiederaufgelebten Forderungen seien erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am zur Zahlung fällig geworden. Gemäß der Geldbewegungen der Primärschuldnerin auf dem Kreditkonto bei der Bank seien im Juni 2015 299.620,10 € eingenommen und 251.021,83 € ausgegeben worden. Im Juli 2015 habe die Primärschuldnerin 261.731,89 € eingenommen und 279.653,43 € ausgegeben. Im Zeitraum bis habe die Primärschuldnerin 145.098,65 € eingenommen und 72.748,68 € ausgegeben. Im Zeitraum bis würden daher die Einnahmen gesamt 706.450,64 € und die Ausgaben gesamt 603.323,94 € betragen. Die Ausgaben auf dem Konto würden der Summe der jeweils im Zeitpunkt der Zahlungen vorhandenen Ausnutzbarkeit des Kredites entsprechen. Aufgrund der zum Insolvenzverfahren angemeldeten (fälligen) Verbindlichkeiten von 846.164,17 € und den ab aus den zur Verfügung stehenden Kreditmitteln bezahlten Verbindlichkeiten von 603.323,94 € würden sich für diesen Zeitraum Gesamtverbindlichkeiten von 1,449.488,11 € ergeben. Diesen Gesamtverbindlichkeiten würden verfügbare Mittel (ausnutzbarer Kredit) von 603.323,94 € gegenüberstehen. Diese verfügbaren Mittel würden bezogen auf die vorhandenen Verbindlichkeiten von 1,449.448,11 € einer Quote von 41 % entsprechen. Insoweit ergäbe sich für den nicht bezahlten Teil der Umsatzsteuer 04/15 im Betrag von 7.734,09 € und den nicht bezahlten Teil der Einfuhrumsatzsteuer 05/15 von 3.604,29 € ein Potential für eine Geschäftsführerhaftung von 41 %. Bezüglich des Ausfalles des Finanzamtes betreffend die Abgaben Umsatzsteuer 08/14 im Betrag von 3.349,17 €, Umsatzsteuer 09/14 im Betrag von 10.765,35 €, Einfuhrumsatzsteuer 09/14 im Betrag von 4.477,63 € und Einfuhrumsatzsteuer 09/12 würde gelten, dass diese Abgaben bei Fälligkeit mangels liquider Mittel nicht bezahlt werden konnten. Die Gesellschaft wäre aufgrund ihres Geschäftsganges und hoher Außenstände bereits im Jahr 2012 nur in der Lage gewesen, durchschnittlich jeweils rund 40 % bis 50 % ihrer fälligen Verbindlichkeiten über die zur Verfügung stehenden Kreditmittel zu bezahlen. Außer den am Kreditkonto ausnutzbaren Mitteln seien in der Gesellschaft keine weiteren Mittel vorhanden gewesen. Der exakte Nachweis, dass im Fall der Gläubigergleichbehandlung auch die im September 2012 und in den Monaten August und September 2014 fällig gewordenen Abgaben nur mit einer Quote von 50 % hätten bezahlt werden können, könne nur durch ein Buchsachverständigengutachten unter Berücksichtigung der frei verfügbaren Kreditmittel der Gesellschaft erbracht werden. Da nach der ständigen Rechtsprechung die Vertreterhaftung pauschal und angemessen festzusetzen sei, werde beantragt, dass bezüglich des Ausfalles des Finanzamtes betreffend die Abgaben Umsatzsteuer 08/14, Umsatzsteuer 09/14, Einfuhrumsatzsteuer 09/14 und Einfuhrumsatzsteuer 09/12 die Vertreterhaftung mit einer Quote von 50 % festgesetzt werde.
3 Mit Beschwerdevorentscheidung wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Weder im Zuge des ersten Vorhalteverfahrens noch in der Beschwerde sei eine Quotenberechnung bzw. seien Unterlagen vorgelegt worden, welche zur Beurteilung einer nicht schuldhaften Pflichtverletzung des Revisionswerbers erforderlich wären. Nach Vorlageantrag legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor und beantragte im Vorlagebericht die teilweise Stattgabe hinsichtlich näher genannter Abgaben.
4 Das Bundesfinanzgericht gab der Beschwerde teilweise Folge und verminderte den Haftungsbetrag. Es stellte fest, dass der Revisionswerber seit September 2007 Geschäftsführer der S GmbH gewesen sei. Mit Beschluss des Landesgerichtes im Mai 2013 sei über das Vermögen der S GmbH das Konkursverfahren eröffnet worden, der Sanierungsplan im Oktober 2013 rechtskräftig bestätigt und der Konkurs aufgehoben worden. Mit Beschluss des Landesgerichtes im August 2015 sei über das Vermögen der S GmbH neuerlich das Konkursverfahren eröffnet worden, der Sanierungsplan im Dezember 2015 rechtskräftig bestätigt und der Konkurs aufgehoben worden. Die mit dem Haftungsbescheid geltend gemachten Abgabenforderungen würden am Abgabenkonto der Primärschuldnerin zur Gänze unberichtigt aushaften. Im Beschwerdeverfahren sei nicht nachgewiesen worden, dass das Gleichbehandlungsgebot eingehalten worden sei, also, dass sämtliche Gläubiger im gleichen Ausmaß befriedigt worden seien. Es sei auch nicht dargelegt worden, in welchem prozentuellen Ausmaß die Verbindlichkeiten, des Finanzamtes befriedigt worden wären, wenn alle Verbindlichkeiten gleichmäßig bedient worden wären. Das Gleichbehandlungsgebot bedeute, dass sämtliche Gläubiger mit derselben Quote befriedigt werden müssten. Daher müssten sämtliche Verbindlichkeiten zum jeweiligen Fälligkeitstag den zu diesem Zeitpunkt verfügbaren finanziellen Mitteln gegenübergestellt werden. Mit der daraus resultierenden Quote seien alle Gläubiger gleichmäßig zu befriedigen.
5 Der Revisionswerber habe zwar diverse Unterlagen, aber keine Aufstellung vorgelegt, aus der hervorgehe, über welche finanziellen Mitteln die Primärschuldnerin im Zeitpunkt der Fälligkeiten der haftungsgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten verfügt und wie sie diese Mittel verwendet habe. Es sei nicht dargelegt worden, mit welchem Anteil sämtliche Gläubiger befriedigt worden wären, wenn die vorhandenen Mittel auf alle Gläubiger gleichmäßig verteilt worden wären. So gäben auch die Forderungsanmeldungen im Konkursverfahren keinen Aufschluss auf eine Gläubigergleichbehandlung. Wenn der Revisionswerber vorbringe, die Ausgaben im Zeitraum von bis hätten 603.323,94 € betragen, übersehe er, dass aus dieser Aussage bzw. aus den diesbezüglichen Aufstellungen nicht hervorgehe, wie hoch die gesamten Verbindlichkeiten bei den einzelnen Gläubigern zum jeweiligen Fälligkeitsstichtag der Abgabenverbindlichkeiten gewesen seien. Es sei nicht dargelegt worden, wie hoch die Bankverbindlichkeiten gewesen und in welchem Ausmaß diese getilgt worden seien. Darüber hinaus sei nicht offengelegt worden, wofür das Geld aus diversen Barbehebungen verwendet worden sei. Die Einnahmen zwischen und seien um mehr als 100.000 € höher als die Ausgaben gewesen. Daraus ergebe sich, dass die Primärschuldnerin über finanzielle Mittel verfügt hätte, um die Abgabenverbindlichkeiten zu tilgen. Im Zusammenhang mit den Fälligkeiten im Jahr 2012 und 2014 sei kein Vorbringen erstattet worden. Daraus ergebe sich insgesamt, dass die vorgelegten Unterlagen nicht geeignet seien, den erforderlichen Nachweis dafür zu erbringen, dass der Abgabengläubiger im gleichen Ausmaß wie alle anderen Gläubiger befriedigt worden sei.
6 Als Geschäftsführer der Primärschuldnerin sei der Revisionswerber im haftungsrelevanten Zeitraum ihr abgabenrechtlicher Vertreter gewesen. Den Vertreter treffe die Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung bzw. Abfuhr von Abgabenverbindlichkeiten. Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen sei, ob der Vertreter die Gleichbehandlungspflicht erfüllt habe, bestimme sich danach, wann die Abgabe nach den abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wäre. Bei Selbstbemessungsabgaben sei maßgebend, wann die Abgabe bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung zu entrichten oder abzuführen gewesen wäre. Der Revisionswerber habe nicht nachgewiesen, dass er die liquiden Mittel anteilig auf alle Gläubiger gleichmäßig verteilt habe. Darüber hinaus habe er keinen Nachweis erbracht, in welcher Höhe die Abgabenverbindlichkeiten bei gleichmäßiger Befriedigung aller Forderungen zu bedienen gewesen wären. Das Finanzamt habe daher entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes agiert, indem es die Haftung für die aushaftenden Abgabenverbindlichkeiten in voller Höhe ausgesprochen habe. Es sei von einer Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Abgaben auszugehen. Eine Ausnahme bestehe nur hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer für den Zeitraum Februar bis April 2015, weshalb insoweit der Haftungsbetrag zu reduzieren sei. Vom Revisionswerber sei nichts dahingehend vorgebracht worden, weshalb die Haftung wegen seiner persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geltend gemacht werden dürfe. Da der Abgabenausfall auf ein Verschulden des Revisionswerbers zurückzuführen sei, sei den Zweckmäßigkeitsgründen der Vorrang einzuräumen. Im Hinblick auf die Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin sei die Geltendmachung der Haftung die einzige Möglichkeit, für die Einbringlichkeit der gegenständlichen Abgaben zu sorgen.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, der Revisionswerber habe bei seiner Berechnung der Gläubigergleichbehandlung eine Zeitraumbetrachtung vorgenommen, weil eine auf einzelne Fälligkeitstage abgestellte Betrachtung in der Praxis oft nur schwer möglich sei und auch zu Verzerrungen führen könne (etwa bei Zahlungsverzügen). So müsse etwa bei einer isolierten Betrachtung der Zahlungen nur an einem bestimmten Tag eines Monats (Fälligkeitstag; bei den Selbstbemessungsabgaben in der Regel der 15. eines Monats) eine massive Bevorzugung anderer Gläubiger im Zeitraum vor oder nach diesem Stichtag außer Betracht bleiben, sodass die vom Revisionswerber herangezogene Zeitraumbetrachtung nicht nur praktikabler sei, sondern auch zu sachgerechteren Ergebnissen führe. Die Berechnung anhand der Zeitraumbetrachtung sei eine mögliche Berechnungsmethode alternativ zu jener Berechnungsmethode nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, welche auf die Verbindlichkeiten und das Vorhandensein liquider Mittel zu bestimmten Fälligkeitszeitpunkten abstelle. Das Bundesfinanzgericht habe durch eine unrichtige rechtliche Beurteilung wohl unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, welcher die Berechnungsmethode, dass für die Berechnung des Ausfalls des Finanzamtes bei der Primärschuldnerin die Verbindlichkeiten und die liquiden Mittel zu bestimmten Fälligkeitszeitpunkten heranzuziehen seien, zugrunde liege, die vom Revisionswerber herangezogene Berechnung nach der Zeitraumbetrachtung ignoriert, indem es den unrichtigen Schluss gezogen habe, dass der Revisionswerber den ihm obliegenden Beweis, dass das Finanzamt nicht benachteiligt worden sei, deshalb nicht erbracht habe, weil der Revisionswerber eine unrichtige Berechnungsmethode, nämlich jene, welche auf der Zeitraumbetrachtung abstelle, gewählt habe. Das Bundesfinanzgericht habe aus diesem Grund zu Unrecht die Zulässigkeit der ordentlichen Revision verneint. Im Rahmen der Revision werde weiters geltend gemacht, dass das Bundesfinanzgericht das Ermessen im Sinn des § 20 BAO nicht richtig ausgeübt habe. Konkret sei bei der Ausübung des Ermessens zu Lasten des Revisionswerbers nicht berücksichtigt worden, dass die Abgabenverbindlichkeiten der Primärschuldnerin, für welche der Revisionswerber zur Haftung herangezogen worden sei, bereits beträchtliche Jahre zurückliegen würden, nämlich in den Jahren 2012, 2014 und 2015 entstanden seien.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:
9 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
10 Gemäß § 80 Abs. 1 zweiter Satz BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
11 Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung annehmen darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war (vgl. ).
13 Die Heranziehung des Vertreters zur Haftung erfordert, dass zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Vertreters und der Uneinbringlichkeit der Forderung ein Rechtswidrigkeitszusammenhang besteht. Ein solcher Zusammenhang besteht, wenn der Vertreter bei oder nach Fälligkeit der Verbindlichkeit Mittel für die Bezahlung zur Verfügung hatte und nicht, wenn auch nur anteilig, für die Abgabentilgung Sorge getragen hat (vgl. , mwN).
14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haftet der Vertreter für die nicht entrichteten Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel zur Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht ausreichen, es sei denn, er weist nach, dass er die Abgabenschuld im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als bei anteiliger Verwendung der vorhandenen Mittel für die Begleichung aller Verbindlichkeiten (vgl. , mwN).
15 Reichten die liquiden Mittel nicht zur Begleichung sämtlicher Schulden aus und haftet der Vertreter nur deswegen, weil er die Abgabenforderungen nicht wenigstens anteilig befriedigt und den Abgabengläubiger somit benachteiligt hat, dann erstreckt sich die Haftung des Vertreters auch nur auf den Betrag, um den der Abgabengläubiger bei gleichmäßiger Befriedigung aller Forderungen mehr erlangt hätte, als er infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich erhalten hat. Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliegt allerdings dem Vertreter. Weist er nach, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, dann haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und dem tatsächlich bezahlten Betrag (vgl. ).
16 Nicht die Abgabenbehörde hat das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung herangezogene Vertreter das Fehlen ausreichender Mittel. Auf dem Vertreter lastet auch die Verpflichtung zur Errechnung einer entsprechenden Quote und des Betrages, der bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen der Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre (vgl. ).
17 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 9 BAO ist daher für den Fall, dass die vorhandenen Mittel nicht ausreichten, um sämtliche Verbindlichkeiten voll zu tilgen, für die Darstellung der Gläubigergleichbehandlung zunächst der Nachweis zu erbringen, dass die Abgabenschulden gegenüber anderen Verbindlichkeiten nicht benachteiligt wurden, indem konkret und nachvollziehbar dargelegt wird, dass von den Abgabenschulden nicht eine geringere Quote beglichen wurde als von anderen Verbindlichkeiten, wobei auch Zug-um-Zug Geschäfte zu berücksichtigen sind (vgl. für viele , mwN). Dabei kommt es nicht nur auf die am Fälligkeitstag geleisteten Tilgungen an; der Haftende hat vielmehr darzutun, dass er die vorhandenen liquiden Mittel ab der Fälligkeit für eine (im Vergleich zu anderen Gläubigern) anteilige Befriedigung des Abgabengläubigers verwendet hat (vgl. etwa ; , 97/14/0176).
18 Gelingt dieser Nachweis nicht, ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Haftung des Vertreters dennoch mit jenem Betrag begrenzt, um den der Abgabengläubiger bei gleichmäßiger Befriedigung aller Forderungen mehr erlangt hätte, als er infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich erhalten hat (vgl. ; , 96/15/0049), wobei es am Vertreter liegt, diese Quote zu berechnen. Dafür ist erforderlich, dass die gesamten (fälligen) Verbindlichkeiten der Primärschuldnerin inklusive der Abgabenverbindlichkeiten zum jeweiligen Fälligkeitstag der Abgaben den vorhandenen liquiden Mitteln gegenübergestellt werden und jene Quote errechnet wird, die sich bei gleichmäßiger Aufteilung der liquiden Mittel auf die (fälligen) Verbindlichkeiten sämtlicher Gläubiger ergibt (vgl. ; , 92/17/0042). In Zeiträumen nach der Fälligkeit der Abgaben zugeflossene liquide Mittel sind dabei ebenfalls zu berücksichtigen (vgl. nochmals ; , 2007/13/0137), weil die Verpflichtung zur Entrichtung der Ababenschuldigkeiten erst mit deren Abstattung endet (vgl. ; , 89/14/0043). Die quotenmäßige Berücksichtigung dieser weiteren liquiden Mittel kann gegebenenfalls auch überschlägig erfolgen (vgl. ).
19 Die Revision räumt selbst ein, dass das Bundesfinanzgericht die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat. Das Bundesfinanzgericht ist zum Ergebnis gelangt, der Revisionswerber habe nicht nachgewiesen, dass das Gleichbehandlungsgebot eingehalten worden sei. Es hat sich mit den vorgelegten Unterlagen des Revisionswerbers ausführlich auseinandergesetzt und etwa aufgezeigt, dass der Revisionswerber die Bankverbindlichkeiten nicht angegeben hat. Die Einnahmen im Zeitraum Juni 2015 bis August 2015 seien insgesamt um mehr als 100.000 € höher als die Ausgaben; bereits daraus ergebe sich, dass die Primärschuldnerin über (zusätzliche) finanzielle Mittel verfügt habe. Betreffend die Jahre 2012 und 2014 sei kein (konkretes) Vorbringen erstattet worden. Der Revisionswerber sei damit seiner Behauptungs- und Beweispflicht im Zusammenhang mit dem Gleichbehandlungsgebot nicht nachgekommen.
20 Der Revisionswerber macht in der Revision dazu lediglich pauschal geltend, er habe unter Beibringung geeigneter Unterlagen nachgewiesen, dass nur eine Quote von 41 % zu berücksichtigen sei. Damit kann er die eingehenden Erwägungen des Bundesfinanzgerichts nicht erschüttern.
21 Im Recht ist die Revision aber mit dem Vorbringen, dass das Bundesfinanzgericht im Rahmen der Ermessensübung den Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder dem Hervorkommen der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits nicht berücksichtigt hat.
22 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder dem Hervorkommen der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht lassen darf. Ein solcher Umstand kann jedoch auch lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten sein, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sind. Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt vom Einzelfall ab (vgl. etwa ). Eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensmissbrauch liegt dann vor, wenn ein solcher Umstand bei der Ermessensentscheidung überhaupt nicht berücksichtigt wird (vgl. , mwN).
23 Das Bundesfinanzgericht hat sich mit dieser Frage im Rahmen der Ermessensentscheidung nicht auseinandergesetzt. Dies belastet das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.
24 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
25 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Schlagworte | Ermessen VwRallg8 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023130050.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
IAAAF-46279