VwGH 22.03.2023, Ra 2023/09/0001
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | ÄrzteG 1998 §137 Abs1 Z1 VStG §32 Abs2 VwRallg |
RS 1 | Das ÄrzteG 1998 ordnet den Begriff der "Verfolgungshandlung" der Disziplinarkommission zu. So ist in § 145 Abs. 2 legcit vorgesehen, dass bei mehreren Berufssitzen oder Dienstorten eines Disziplinarbeschuldigten jene Disziplinarkommission zuständig ist, in deren Sprengel das Disziplinarvergehen begangen worden ist, und dass im Zweifel hinsichtlich der Zuständigkeit der Disziplinarkommission "das Zuvorkommen mit der ersten Verfolgungshandlung" entscheidet. Auch dem § 151 Abs. 2 ÄrzteG 1998 ist zu entnehmen, dass es Sache der Disziplinarkommission ist, darüber zu beraten, "ob eine bestimmte Verfolgungshandlung vorzunehmen" ist. Daraus ergibt sich, dass das ÄrzteG 1998 "Verfolgungshandlungen" im Disziplinarrecht der Disziplinarkommission und nicht dem Disziplinaranwalt zuordnet. Ausgegangen werden kann auch davon, dass mit der Verwendung des Begriffs der "Verfolgungshandlung" in § 137 Abs. 1 Z. 1 ÄrzteG 1998 der Gesetzgeber an den mit demselben Wort bezeichneten Begriff anknüpfte, wie er ihn in § 32 Abs. 2 des VStG vorfand. Aus dieser Bestimmung geht eindeutig hervor, dass eine Verfolgungshandlung nur von einer Behörde getroffen werden kann, nicht aber von einer sonstigen Partei des Verfahrens. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ro 2015/09/0002 E VwSlg 19195 A/2015 RS 2 (hier nur die letzten beiden Sätze)
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Normen | ÄrzteG 1998 §137 Abs1 Z1 ÄrzteG 1998 §150 Abs3 ÄrzteG 1998 §153 Abs1 ÄrzteG 1998 §153 Abs2 VwRallg |
RS 2 | Wenn nun auch das Disziplinarverfahren nach dem ÄrzteG 1998 dem Disziplinaranwalt insb. in § 150 erhebliche Befugnisse einräumt, vor allem die Befugnis zur Beantragung der Durchführung von Erhebungen oder der Einleitung des Disziplinarverfahrens gemäß Abs. 3 legcit, so kommt es zu einer Verfolgung des Beschuldigten erst dann, wenn der Disziplinaranwalt solche Anträge gestellt hat und zur Durchführung von Erhebungen insb. zur Einvernahme des Beschuldigten und von Zeugen gemäß § 153 Abs. 1 ÄrzteG 1998 ein Untersuchungsführer bestellt ist. Nur diesem kommen behördliche Befugnisse zu (§ 153 Abs. 2 legcit). Erst der Untersuchungsführer und die Disziplinarkommission sind daher befugt, "Verfolgungshandlungen" iSd § 137 Abs. 1 Z. 1 ÄrzteG 1998 im Disziplinarverfahren zu setzen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ro 2015/09/0002 E VwSlg 19195 A/2015 RS 3 |
Normen | ÄrzteG 1998 §137 ÄrzteG 1998 §141 ÄrzteG 1998 §150 ÄrzteG 1998 §151 Abs2 ÄrzteG 1998 §151 Abs4 ÄrzteG 1998 §153 VStG §32 Abs2 VwRallg |
RS 3 | Der Disziplinaranwalt kann - auch wenn ihm in § 150 ÄrzteG 1998 weitreichende Befugnisse eingeräumt werden - mangels behördlicher Befugnisse keine Verfolgungshandlungen setzen, sondern kommt es für die Frage der Hemmung der Verjährungsfrist nach § 137 legcit. auf der Disziplinarkommission oder dem Untersuchungsführer zuzurechnende Akte an. Dies findet auch darin seine Deckung, dass in § 150 ÄrzteG 1998 die Einholung einer Äußerung des "Angezeigten" durch den Disziplinaranwalt vorgesehen ist, während in § 151 Abs. 4 legcit. der Disziplinarkommission eine Verständigungspflicht gegenüber dem "Beschuldigten" auferlegt wird. Daran ändert auch nichts, dass die Disziplinarkommission zunächst einen Rücklegungsbeschluss nach § 151 Abs. 2 legcit. fasst und erst als Folge der seitens des Disziplinaranwaltes erfolgreichen Bekämpfung dieser Entscheidung die Einleitung des Disziplinarverfahrens beschließt. Aus dem in § 141 ÄrzteG 1998 dem Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer gegenüber dem Disziplinaranwalt eingeräumten Weisungsrecht können auch keine über die genannten Befugnisse des Disziplinaranwaltes hinausgehenden behördlichen Befugnisse einer Disziplinarkommission oder die Stellung eines Untersuchungsführers nach § 153 ÄrzteG 1998 abgeleitet werden. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2020/09/0012 B RS 3 |
Normen | ÄrzteG 1998 §151 Abs2 VwGG §21 Abs1 Z4 VwGG §36 Abs1 VwGG §47 Abs3 VwGG §51 |
RS 4 | Mangels Parteistellung des Angezeigten war die Revisionsbeantwortung des Angezeigten sowie der Antrag auf Aufwandersatz zurückzuweisen (vgl. ). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, Hofrat Dr. Doblinger sowie Hofrätin Dr. Koprivnikar, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die außerordentliche Revision des Disziplinaranwalt-Stellvertreters für Tirol beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer in Innsbruck, vertreten durch Dr. Daniela Altendorfer-Eberl, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Brucknerstraße 4/5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom , LVwG-2022/37/1698-8, betreffend eine Disziplinarangelegenheit nach dem Ärztegesetz 1998 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Tirol; weitere Partei: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Revisionsbeantwortung des Herrn Univ.-Doz. Dr. A B in C, vertreten durch Dr. Christian Ortner, Wilhelm-Greil-Straße 14/2, in 6020 Innsbruck, samt deren Kostenbegehren wird zurückgewiesen.
Begründung
1 1. Der 1964 geborene Angezeigte ist niedergelassener Facharzt für Urologie in Tirol.
2 2.1. Mit Schriftsatz vom teilte die Österreichische Ärztekammer dem Disziplinaranwalt beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer mit, dass ihr zwei Videos zur Kenntnis gebracht worden seien, in denen der Angezeigte die Behandlung von COVID-19 mit Ivermectin befürworte; dieses sei besonders sicher und werde seit 35 Jahren beim Menschen eingesetzt; dies, obwohl der Hersteller bereits im November 2021 in einer Aussendung von der Einnahme bei einer COVID-19 Erkrankung abgeraten habe.
3 2.2. In der Folge beantragte der nunmehrige Revisionswerber beim Vorsitzenden der Disziplinarkommission für Tirol mit Schreiben vom gemäß § 150 Abs. 3 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) die Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen den Angezeigten, weil dieser in zwei Videos des X TV auf Facebook die Behandlung von COVID-19-Erkrankungen mit Ivermectin befürwortet und dieses als besonders sicher hingestellt habe, obwohl dies nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen entspreche und unwahr sei, weil das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen bereits im März 2021 sowie näher genannte Herstellerfirmen im November 2021 davon abgeraten hätten. Der Angezeigte habe dadurch gegen § 53 Abs. 1 ÄrzteG 1998 iVm §§ 1 und 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung der Österreichischen Ärztekammer über die Art und Form zulässiger ärztlicher Information in der Öffentlichkeit (Arzt und Öffentlichkeit 2014) verstoßen und Disziplinarvergehen nach § 136 Abs. 1 Z 1 und 2 ÄrzteG 1998 begangen.
4 2.2. Der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Tirol, fasste am gemäß § 151 Abs. 2 erster Satz ÄrzteG 1998 einen Rücklegungsbeschluss, weil seiner Ansicht nach aus näheren Gründen kein Disziplinarvergehen vorliege.
5 2.3. Die gegen diesen Beschluss vom Revisionswerber erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
6 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Die Revision langte am beim Verwaltungsgerichtshof ein.
7 4. Gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts ist die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 §§ 137, 141, 150, 151 und 153 ÄrzteG 1998, BGBl. I Nr. 169/1998 in den Fassungen BGBl. I Nr. 112/2007 und BGBl. I Nr. 25/2017, lauten:
„§ 137. (1) Durch Verjährung wird die Verfolgung eines Arztes oder außerordentlichen Kammerangehörigen ausgeschlossen, wenn
1. innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Disziplinaranwaltes von dem einem Disziplinarvergehen zugrundeliegenden Sachverhalt oder von allfälligen Wiederaufnahmsgründen keine Verfolgungshandlung gesetzt oder
2. innerhalb von fünf Jahren nach der Beendigung eines disziplinären Verhaltens kein Einleitungsbeschluß gefaßt oder ein rechtskräftig beendetes Disziplinarverfahren nicht zu seinem Nachteil wiederaufgenommen worden ist.
(2) Der Lauf der im Abs. 1 genannten Fristen wird gehemmt, wenn
1. wegen des dem Disziplinarvergehen zugrunde liegenden Sachverhaltes ein Verfahren nach der StPO oder ein Verwaltungsstrafverfahren oder ein Verfahren vor einem anderen Träger der Disziplinargewalt oder vor dem Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof anhängig ist, für die Dauer dieses Verfahrens,
2. die Berechtigung eines Arztes zur ärztlichen Berufsausübung während des Laufes der Verjährungsfrist erlischt, bis zu seiner allfälligen Wiedereintragung in die Ärzteliste.
(3) Bildet ein Disziplinarvergehen zugleich eine gerichtlich strafbare Handlung und ist die strafrechtliche Verjährungsfrist länger als die im Abs. 1 Z 2 angeführte Frist, so tritt an deren Stelle die strafrechtliche Verjährungsfrist.
(4) Begeht ein Arzt innerhalb der Verjährungsfrist erneut ein gleichartiges Disziplinarvergehen, so tritt Verjährung nach Abs. 1 nicht ein, bevor auch für dieses Disziplinarvergehen die Verjährungsfrist abgelaufen ist.
§ 141. Die Vertretung der Anzeigen beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer sowie beim Verwaltungsgericht des Landes obliegt dem Disziplinaranwalt, der in diesen Verfahren Parteistellung im Sinne des § 8 AVG sowie das Recht der Revision gemäß Art. 133 Abs. 8 B-VG hat. Auf Weisung des Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer ist der Disziplinaranwalt zur Disziplinarverfolgung und zur Ergreifung von Rechtsmitteln verpflichtet. Der Disziplinaranwalt und ein Stellvertreter für jede Disziplinarkommission sind vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellen und müssen rechtskundig sein.
§ 150. (1) Alle beim Disziplinarrat, bei den Ärztekammern in den Bundesländern oder bei der Österreichischen Ärztekammer einlangenden Anzeigen wegen eines Disziplinarvergehens sind zunächst dem Disziplinaranwalt zuzuleiten.
(2) Ist der Disziplinaranwalt der Ansicht, dass weder eine Beeinträchtigung des Standesansehens noch eine Berufspflichtverletzung vorliegt oder dass eine Verfolgung wegen Verjährung, mangelnder Strafwürdigkeit oder aus anderen Gründen ausgeschlossen ist, so hat er die Anzeige zurückzulegen und hievon den Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer zu verständigen.
(3) Ist der Disziplinaranwalt der Ansicht, daß die Voraussetzungen für eine Disziplinarverfolgung vorliegen oder wird ihm diese vom Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer aufgetragen, so hat er unter Vorlage der Akten beim Vorsitzenden der Disziplinarkommission die Durchführung von Erhebungen oder, wenn solche nicht erforderlich sind, die Einleitung des Verfahrens zu beantragen.
(4) Sofern der Inhalt der Anzeige oder die bekanntgewordenen Verdachtsgründe keine ausreichende Beurteilung zulassen, kann der Disziplinaranwalt vorweg eine ergänzende Äußerung des Anzeigers sowie eine Äußerung des Angezeigten einholen und Akten beischaffen.
(5) Solange der Angezeigte keine Äußerung erstattet hat, kann der Disziplinaranwalt unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme vorliegen, auch nach Zurücklegung der Anzeige einen Antrag auf Durchführung von Erhebungen oder, wenn solche nicht erforderlich sind, auf Einleitung des Verfahrens stellen.
§ 151. (1) Tritt der Vorsitzende des Disziplinarrates dem Antrag des Disziplinaranwaltes auf Durchführung von Erhebungen bei, so hat er den Untersuchungsführer mit der Durchführung der von ihm erforderlich erachteten Erhebungen zu beauftragen. An den Inhalt der Erhebungsanträge des Disziplinaranwaltes ist der Vorsitzende hiebei nicht gebunden. Hält der Vorsitzende der Disziplinarkommission dafür, daß Grund zur Zurücklegung der Anzeige besteht, so hat er die Disziplinarkommission einzuberufen.
(2) Erachtet die Disziplinarkommission anläßlich der Beratung darüber, ob eine bestimmte Verfolgungshandlung vorzunehmen oder ein Einleitungsbeschluß zu fassen ist, daß ein Disziplinarvergehen nicht vorliegt oder daß die Verfolgung aus einem der in diesem Bundesgesetz genannten Gründe ausgeschlossen ist, so hat sie einen Rücklegungsbeschluß zu fassen. Findet die Disziplinarkommission Grund zur Verfolgung des Beschuldigten, so hat sie die Durchführung von Erhebungen oder, wenn solche nicht erforderlich sind, sogleich die Einleitung des Disziplinarverfahrens zu beschließen.
(3) Von dem Rücklegungsbeschluss ist der Disziplinaranwalt zu verständigen, der dagegen Beschwerde erheben kann. Zugleich sind von dem Rücklegungsbeschluss die für den Disziplinarbeschuldigten zuständige Ärztekammer und die Österreichische Ärztekammer zu verständigen.
(4) Beschließt die Disziplinarkommission die Durchführung von Erhebungen, hat der Vorsitzende den Untersuchungsführer mit der Durchführung der von ihm erforderlich erachteten Erhebungen zu beauftragen und hievon den Beschuldigten unter Bekanntgabe des Namens des Untersuchungsführers und der wesentlichen Verdachtsgründe sowie den Disziplinaranwalt zu verständigen.
(5) Die Auswahl des Untersuchungsführers hat aus der vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu erstellenden Liste zu erfolgen.
§ 153. (1) Der Untersuchungsführer hat die erforderlichen Erhebungen zu pflegen und dem Beschuldigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu geben. Er kann den Beschuldigten und Zeugen vernehmen, Sachverständige beiziehen und Augenscheine vornehmen.
(2) Personen, die als Zeugen vorgeladen werden, sind zum Erscheinen verpflichtet. Hinsichtlich der Vernehmung von Zeugen sind die §§ 155 bis 159 StPO sinngemäß anzuwenden. Die Beeidigung von Zeugen und Sachverständigen durch den Untersuchungsführer ist unzulässig.
(3) Der Untersuchungsführer kann um die Vornahme von Vernehmungen oder anderen Erhebungen auch die jeweils für Rechtshilfe in Strafsachen zuständige Staatsanwaltschaft ersuchen. Diese hat hiebei nach den Bestimmungen der Strafprozeßordnung vorzugehen. Die Kosten für die Erhebungen sind vorläufig von der Österreichischen Ärztekammer zu tragen. Zu Vernehmungen, Befundaufnahmen und zur Vornahme eines Augenscheins sind der Untersuchungsführer, der Disziplinaranwalt, der Beschuldigte und dessen Vertreter (§ 156) zu laden. Diesen Personen steht das Fragerecht nach der Strafprozeßordnung zu.
(4) Dem Beschuldigten, seinem Verteidiger sowie dem Disziplinaranwalt steht das Recht der Akteneinsicht zu. Ausgenommen von der Akteneinsicht sind Beratungsprotokolle. Der Untersuchungsführer kann jedoch bis zur Fassung eines Einleitungsbeschlusses einzelne Aktenstücke von der Einsichtnahme durch den Beschuldigten und dessen Verteidiger ausschließen, wenn besondere Umstände die Befürchtung rechtfertigen, daß durch eine sofortige Kenntnisnahme von diesen Aktenstücken der Zweck der Untersuchung gefährdet wäre.“
10 4.1. Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, im Verfahren sei nicht zu klären, ob die Aussage des Angezeigten, wonach Ivermectin als „off-label-Anwendung“ auch bei der Behandlung von COVID-19 eingesetzt werden dürfe, unwahr oder unsachlich sei, sondern ob die Aussage des Angezeigten, der die Behandlung von COVID-19-Erkrankungen mit Ivermectin befürworte und dieses Medikament dafür als besonders sicher hinstelle, obwohl dies nicht den wissenschaftlichen Erkenntnissen entspreche, unwahr oder unsachlich sei. Der Angezeigte habe ein von ihm empfohlenes Präparat verharmlost und falsche, zumindest jedoch unvollständige Behauptungen zum diesbezüglichen Wissensstand aufgestellt.
11 Mit diesem Vorbringen erwiese sich die Revision zwar als zulässig; nach der hg. Rechtsprechung setzt die Zulässigkeit einer Revision aber auch voraus, dass das Schicksal der Revision von der geltend gemachten Rechtsfrage abhängt (vgl. aus vielen etwa , mwN, oder ). Die vom Revisionswerber aufgeworfenen Fragestellungen erweisen sich jedoch aus den nachfolgenden Überlegungen als nicht relevant im Sinne der zitierten Judikatur:
12 Im hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/09/0002, wurde (zum einschlägigen Fall der Zurücklegung von Disziplinaranzeigen nach dem ÄrzteG 1998) ausgeführt, dass der Begriff der „Verfolgungshandlung“ in § 137 Abs. 1 ÄrzteG 1998 an denjenigen in § 32 Abs. 2 VStG 1991 anknüpft, und klargestellt, dass eine Verfolgungshandlung nur von einer Behörde getroffen werden kann, nicht aber von einer sonstigen Partei des Verfahrens.
13 Wenn nun auch das Disziplinarverfahren nach dem Ärztegesetz 1998 dem Disziplinaranwalt insbesondere in § 150 erhebliche Befugnisse einräumt, vor allem die Befugnis zur Beantragung der Durchführung von Erhebungen oder der Einleitung des Disziplinarverfahrens gemäß Abs. 3 leg. cit., so kommt es zu einer Verfolgung des Beschuldigten erst dann, wenn der Disziplinaranwalt solche Anträge gestellt hat und zur Durchführung von Erhebungen insbesondere zur Einvernahme des Beschuldigten und von Zeugen gemäß § 153 Abs. 1 ÄrzteG ein Untersuchungsführer bestellt ist. Nur diesem kommen behördliche Befugnisse zu (§ 153 Abs. 2 leg. cit.). Erst der Untersuchungsführer und die Disziplinarkommission sind daher befugt, „Verfolgungshandlungen“ im Sinne des § 137 Abs. 1 Z 1 ÄrzteG im Disziplinarverfahren zu setzen (vgl. erneut ).
14 Daraus ergibt sich eindeutig, dass der Disziplinaranwalt - auch wenn ihm in § 150 ÄrzteG weitreichende Befugnisse eingeräumt werden - mangels behördlicher Befugnisse keine Verfolgungshandlungen setzen kann, sondern es für die Frage der Hemmung der Verjährungsfrist nach § 137 ÄrzteG auf der Disziplinarkommission oder dem Untersuchungsführer zuzurechnende Akte ankommt. Dies findet im Übrigen auch darin seine Deckung, dass in § 150 ÄrzteG die Einholung einer Äußerung des „Angezeigten“ durch den Disziplinaranwalt vorgesehen ist, während in § 151 Abs. 4 leg. cit. der Disziplinarkommission eine Verständigungspflicht gegenüber dem „Beschuldigten“ auferlegt wird.
15 Daran ändert auch nichts, dass - wie hier - die Disziplinarkommission zunächst einen Rücklegungsbeschluss nach § 151 Abs. 2 leg. cit. fasste und erst allenfalls als Folge der seitens des Disziplinaranwaltes erfolgreichen Bekämpfung dieser Entscheidung die Einleitung des Disziplinarverfahrens beschlossen werden könnte: Aus dem in § 141 ÄrzteG dem Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer gegenüber dem Disziplinaranwalt eingeräumten Weisungsrecht können auch keine über die genannten Befugnisse des Disziplinaranwaltes hinausgehenden behördlichen Befugnisse einer Disziplinarkommission oder die Stellung eines Untersuchungsführers nach § 153 ÄrzteG 1998 abgeleitet werden (vgl. zu einer solchen Konstellation ).
16 Wesentlich ist daher, ob im vorliegenden Fall innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Disziplinaranwaltes eine taugliche Verfolgungshandlung stattgefunden hat; nur in diesem Fall könnte die Klärung der vom Revisionswerber formulierten Rechtsfrage von Relevanz sein, weil es nur in diesem Fall zu einer weiteren disziplinären Verfolgung des Angezeigten kommen könnte.
17 Die Verjährungsfrist begann mit der Kenntnis des Disziplinaranwaltes vom zu verfolgenden Sachverhalt am zu laufen; die gegen das abweisende Erkenntnis erhobene Revision langte am beim Verwaltungsgerichtshof ein. Eine etwaige Hemmung der Verjährungsfrist gemäß § 137 Abs. 2 ÄrzteG 1998 könnte daher frühestens an diesem Tag beginnen (vgl. zum Beginn der Hemmungswirkung im VStG: , Rn. 23).
18 In der Zeit vom bis ist jedoch nach der unbedenklichen Aktenlage keine Verfolgungshandlung von einer hiefür nach dem ÄrzteG 1998 zuständigen Behörde gegen den Angezeigten gesetzt worden; hinsichtlich des dem Disziplinaranwalt mit Schreiben der Österreichischen Ärztekammer vom zur Kenntnis gebrachten Sachverhaltes und der darin allenfalls umschriebenen Disziplinarübertretungen ist daher Verjährung eingetreten. Eine Verfolgung des Angezeigten wäre daher selbst bei Stattgabe der Revision und Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses nicht mehr möglich.
19 Aus diesem Grund hängt die Revision nicht von der Lösung der aufgeworfenen Rechtsfragen ab.
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
21 Der Umstand, dass der Angezeigte in der Verfügung über die Einleitung des Vorverfahrens als Mitbeteiligter bezeichnet wurden, vermag weder seine rechtliche Stellung als Mitbeteiligter im Sinne des § 21 Abs. 1 VwGG noch einen Anspruch auf Aufwandersatz zu begründen (vgl. , mwN). Mangels Parteistellung des Angezeigten war die Revisionsbeantwortung des Angezeigten sowie der Antrag auf Aufwandersatz zurückzuweisen (vgl. erneut ).
Wien, am
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Normen | ÄrzteG 1998 §137 ÄrzteG 1998 §137 Abs1 Z1 ÄrzteG 1998 §141 ÄrzteG 1998 §150 ÄrzteG 1998 §150 Abs3 ÄrzteG 1998 §151 Abs2 ÄrzteG 1998 §151 Abs4 ÄrzteG 1998 §153 ÄrzteG 1998 §153 Abs1 ÄrzteG 1998 §153 Abs2 VStG §32 Abs2 VwGG §21 Abs1 Z4 VwGG §36 Abs1 VwGG §47 Abs3 VwGG §51 VwRallg |
Schlagworte | Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023090001.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
TAAAF-46245