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VwGH 02.10.2024, Ra 2023/08/0154

VwGH 02.10.2024, Ra 2023/08/0154

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
ASVG §4 Abs2
ASVG §539
ASVG §539a
RS 1
Selbst eine ausdrücklich vereinbarte Befugnis des Beschäftigten, bereits zugesagte Arbeitseinsätze jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu können, stünde im Verdacht, ein "Scheingeschäft" zu sein, wenn eine solche Vereinbarung mit den objektiven Anforderungen der Unternehmensorganisation nicht in Einklang zu bringen wäre (vgl. §§ 539 und 539a ASVG). Anders wäre ein Sachverhalt aber z.B. dann zu beurteilen, wenn der Dienstgeber einfache Aushilfsarbeiten derart organisiert, dass für deren Durchführung jederzeit mehrere abrufbare Arbeitskräfte zur Verfügung stehen ("präsenter Arbeitskräftepool"), und es ihm - nicht zuletzt wegen der Einfachheit der Arbeiten - gleichgültig ist, von welcher - gleichwertigen - Arbeitskraft aus dem potenziell zur Verfügung stehenden Kreis er die Arbeiten verrichten lässt. Steht dem Dienstgeber die Möglichkeit offen, im Falle der (jederzeit möglichen) Absage der von ihm in Aussicht genommenen Person aus dem "Pool" sofort die jeweils nächste Arbeitskraft abzurufen und stehen genügend Arbeitskräfte zur Verfügung, dann könnte der einzelne Teilnehmer am "Pool", mit dem dies vereinbart wurde oder dem dies bekannt ist, tatsächlich in Übereinstimmung mit dem Vereinbarten davon ausgehen, einzelne Arbeitsleistungen jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu dürfen (vgl. ; , 2012/08/0100).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2017/08/0099 B RS 3
Norm
ASVG §4 Abs2
RS 2
Unter einem sanktionslosen Ablehnungsrecht wäre nur die Ausschlagung bereits zugesagter Arbeiten nach Gutdünken zu verstehen. Die Möglichkeit, sich (nur) bei Vorliegen entsprechender Gründe wie Krankheit und sonstigen Verhinderungen im Einzelfall zu entschuldigen bzw. vertreten zu lassen, fällt nicht darunter (vgl. in diesem Sinn hinsichtlich der Annahme eines generellen Vertretungsrechts , mwN).
Normen
ASVG §4 Abs2
ASVG §4 Abs4
RS 3
Selbst ein sanktionsloses Ablehnungsrecht wäre noch nicht im Sinn einer völligen Unverbindlichkeit zu verstehen, die auch ein freies Dienstverhältnis ausschlösse. Ein sanktionsloses Ablehnungsrecht nach der Zusage, bestimmte Dienstleistungen zu erbringen, wird im Allgemeinen vielmehr als einseitiges Gestaltungsrecht des Dienstnehmers oder auch als jederzeitiges fristloses Kündigungsrecht zu deuten sein, wobei aber eine Verpflichtung zur Dienstleistung besteht, soweit bzw. solange von der Option kein Gebrauch gemacht wird (vgl. in diesem Sinn bis 0085, Rn. 28).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der Österreichischen Gesundheitskasse, vertreten durch die Destaller Mader Niederbichler Griesbeck Sixt Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Wastiangasse 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , G312 2263103-1/27E u.a., betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG (mitbeteiligte Parteien: F GmbH und 24 weitere mitbeteiligte Parteien, alle vertreten durch die Divitschek, Sieder, Sauer, Peter Rechtsanwälte GesbR in 8530 Deutschlandsberg, Raiffeisenstraße 3; weitere Partei: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid vom sprach die revisionswerbende Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) aus, dass 79 in den beiden Anhängen namentlich bezeichnete Personen (darunter die 24 weiteren mitbeteiligten Parteien) auf Grund ihrer Tätigkeit als Pflegefachkräfte für die erstmitbeteiligte Partei in näher bezeichneten Zeiträumen der Pflichtversicherung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG sowie - soweit es sich um die in Anhang I. genannten Personen handelte - auch der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen seien (Spruchpunkte I. und II.). Mit Spruchpunkt III. wurde die erstmitbeteiligte Partei verpflichtet, allgemeine Beiträge, Nebenumlagen, Sonderbeiträge und Zuschläge sowie Verzugszinsen in Höhe von insgesamt € 653.351,42 nachzuentrichten.

2 Gegen diesen Bescheid erhoben die mitbeteiligten Parteien Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt. Es stellte fest, dass die in den Anhängen des bekämpften Bescheides genannten Personen in den dort bezeichneten Zeiträumen auf Grund ihrer Tätigkeit für die Erstmitbeteiligte nicht der Vollversicherungspflicht in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung gemäß § 4 ASVG und daher auch nicht der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen seien.

4 Das Bundeverwaltungsgericht traf Feststellungen, denen zufolge die erstmitbeteiligte Partei, eine GmbH, mit dem Geschäftszweig „Durchführung von Pflegeleistungen, Vermittlung von Pflegepersonal, Arbeitskräfteüberlassung, Handel mit Waren aller Art“ im Firmenbuch eingetragen sei. Sie verfüge über Gewerbeberechtigungen für den Bereich „Personenbetreuung“, „Organisation von Personenbetreuung“ sowie „Vermittlung von Werk- und Dienstleistungsverträgen über Pflege- und Betreuungsleistungen, ausgenommen die Organisation von Personenbetreuung, sowie das Namhaftmachen von Ärzten verschiedener Fachrichtungen“. Die im Anhang I und II des bekämpften Bescheides genannten Pflegefachkräfte hätten im verfahrensgegenständlichen Zeitraum Tätigkeiten im Bereich der Personenbetreuung/Personenpflege für betreuungsbedürftige bzw. pflegebedürftige Personen bzw. Pflegeheime und Institutionen durchgeführt.

5 Zwischen der erstmitbeteiligten Partei (im Folgenden: GmbH) als Auftraggeberin und den Pflegefachkräften als Auftragnehmern sei jeweils ein als „Kooperationsvertrag“ bezeichneter schriftlicher Vertrag abgeschlossen worden. Weiters sei es zwischen den jeweiligen Pflegeinstituten als Auftraggeber und der GmbH als Auftragnehmerin zu als „Auftragsvereinbarungen für Pflegedienstleistungen“ bezeichneten Verträgen gekommen.

6 Die Pflegefachkräfte hätten der GmbH im verfahrensgegenständlichen Zeitraum aus eigener Initiative bis zum 15. des Monats bekannt gegeben, an wie vielen bzw. an welchen Tagen sie im darauffolgenden Monat für einen möglichen Einsatz in den jeweiligen Krankenhäusern, Privatkliniken, Pflegeheimen bzw. sonstigen pflegenden Institutionen zur Verfügung stünden. Bei Bedarf seien sie von der GmbH per Telefon oder WhatsApp kontaktiert worden und hätten im Einzelfall den vorgeschlagenen Dienst zu- oder abgesagt.

7 Eine Vertretung für die Ausführung der Pflegetätigkeit durch externe Pflegefachkräfte sei weder vereinbart gewesen, noch hätte ernsthaft damit gerechnet werden können. Dass die Pflegefachkräfte für einen zugesagten Termin einen externen Vertreter entsandt hätten, sei nicht vorgekommen. Im Verhinderungsfall (zB Krankheit) eines bereits zugesagten Arbeitseinsatzes sei die GmbH von der jeweiligen Pflegefachkraft kontaktiert worden und hätte eine Vertretung für die ausgefallene Pflegefachkraft organisiert. Eine Absage nach Zusage einer Tätigkeit sei seitens der GmbH nicht sanktioniert worden. Bei Entfall hätte sich die GmbH unter Heranziehung einer anderen Pflegefachkraft um Ersatz gekümmert.

8 Die Pflegefachkräfte hätten in der jeweiligen Pflegeeinrichtung eine kleine Einschulung erhalten. Eine weiterreichende fachliche Einschulung sei nicht erforderlich gewesen und habe auch nicht stattgefunden. Im Übrigen hätten sich die Pflegefachkräfte - wie alle in diesem Bereich Tätigen - an die jeweiligen organisatorischen bzw. medizinischen Notwendigkeiten der jeweiligen Pflegeeinrichtung zu halten gehabt und sei die inhaltliche Gestaltung der von den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen geforderten Dienste direkt mit ihnen abgesprochen bzw. vereinbart worden. Die Pflegefachkräfte seien hinsichtlich der konkreten Durchführung der Tätigkeit auch keinen Weisungen bzw. Überprüfungen der GmbH unterlegen; diese habe überhaupt keinen Einfluss auf inhaltliche Ausgestaltungen gehabt. Die Pflegefachkräfte hätten einzelne Tätigkeiten im Rahmen eines übernommenen Dienstes in den jeweiligen Betrieben ohne Sanktionen ablehnen können.

9 Die Tätigkeit der Pflegefachkräfte sei pro Stunde entlohnt worden. Der Stundensatz sei zwischen ihnen und der GmbH vereinbart worden und abhängig von der Art der ausgeübten Tätigkeit und dem Tätigkeitsort gewesen. Hierzu hätten die Pflegefachkräfte bis zum 5. des Folgemonats Honorarnoten an die GmbH gelegt. Das Entgelt sei durch die jeweiligen Pflegeinstitute an die GmbH bezahlt worden, welche sich eine Vermittlungsgebühr einbehalten habe. Das restliche Entgelt sei in weiterer Folge durch die GmbH an die Pflegefachkräfte ausbezahlt worden. Die Pflegefachkräfte hätten für ihre Tätigkeit ihre Einkünfte im Rahmen der Einkommensteuer selbständig veranlagt.

10 In der zwischen der GmbH und den Pflegefachkräften abgeschlossenen und als „Kooperationsvertrag“ bezeichneten Vereinbarung sei jeweils unter Punkt 8. festgehalten, dass die Pflegefachkräfte für den Zeitraum ihrer Tätigkeit für die GmbH sowie für die Dauer von drei Jahren nach Beendigung der Zusammenarbeit einem Konkurrenzverbot im Hinblick auf ihre Tätigkeit unterlägen. Diese Konkurrenzklausel sei in der Realität nicht gelebt worden. Mehrere Pflegefachkräfte hätten entgegen dieser Klausel bei einem mit dem Verbot angesprochenen Dienstgeber zu arbeiten begonnen und seien seitens der GmbH nicht sanktioniert worden. Somit stehe fest, dass es eine solche Konkurrenzklausel faktisch nicht gegeben habe.

11 Die Pflegefachkräfte hätten ihre Tätigkeit in den jeweiligen Pflegeeinrichtungen ausgeübt. Die GmbH habe ihnen keine Betriebsmittel zur Verfügung gestellt. Die erforderlichen Betriebsmittel seien ihnen teilweise von den jeweiligen Pflegeinstituten zur Verfügung gestellt worden, so wie dies jeweils auch intern gehandhabt worden sei. Teilweise hätten die Pflegefachkräfte ihre eigenen Betriebsmittel (Arbeitskleidung, Laptop sowie weitere technische Hilfsmittel) auf eigene Kosten mitgebracht.

12 Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht (jeweils unter konkreter Bezugnahme auf die Verhandlungsschrift, wobei aber nicht alle Fundstellen nachvollziehbar sind) - soweit für die hier zu beurteilenden Rechtsfragen wesentlich - aus, die Feststellung, dass die Pflegefachkräfte bis zum 15. des Monats der GmbH bekanntgegeben hätten, an wie vielen bzw. an welchen Tagen sie im darauffolgenden Monat zur Verfügung stünden, ergebe sich aus den glaubwürdigen Angaben eines der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung. In Übereinstimmung dazu habe aus den im Akt ersichtlichen WhatsApp-Chatprotokollen geschlossen werden können, dass die GmbH für einen einzelnen Arbeitseinsatz mit den Pflegefachkräften Kontakt aufgenommen habe, wobei der konkrete Termin seitens der Pflegefachkraft ohne Sanktion abgelehnt oder angenommen werden habe können. In Übereinstimmung dazu habe ein Zeuge in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er der GmbH mitgeteilt habe, welche Dienstzeit für ihn möglich sei, worauf ihm seitens der GmbH vorgeschlagen worden sei, in welcher Pflegeeinrichtung er arbeiten könne. Zwei andere Zeugen hätten ausgeführt, dass sie die Tätigkeiten per WhatsApp erhalten hätten und sie sich den Dienst aussuchen hätten können. Die einzige damit in Widerspruch stehende Aussage einer Zeugin, wonach es sich im Falle einer Kontaktaufnahme durch die GmbH um eine Vorgabe - und um keinen Vorschlag - gehandelt habe, erscheine im Lichte der anderen Aussagen als unglaubwürdig. Mit Ausnahme dieser Zeugin hätten die einvernommenen Pflegefachkräfte auch angegeben, dass sie zu keiner bestimmten (vorgegebenen) Anzahl von Diensten bzw. Arbeiten verpflichtet oder genötigt worden wären, sondern selbst jeweils vorgegeben hätten, welche Art und Anzahl von Diensten sie verrichten wollten.

13 Im Rahmen der mündlichen Verhandlung habe sich durch die Angaben der einvernommenen Pflegefachkräfte auch gezeigt, dass ihnen die Zusammenarbeit mit der GmbH insofern Vorteile gebracht habe, als ihnen in der Erbringung ihrer Pflegedienstleistung eine zeitliche Flexibilität offen gestanden sei und sie an keinen verbindlichen Dienstplan gebunden gewesen seien. Sie hätten Tätigkeiten im Rahmen der übernommenen Dienste auch ablehnen können und seien insgesamt nicht dem engen Korsett des für die Angestellten des jeweiligen Betriebes geltenden Dienstvorschriften unterlegen. Durch diese nachvollziehbaren Angaben sei der Umstand untermauert worden, dass die GmbH ein System etabliert habe, in welchem die Pflegefachkräfte aus eigener Initiative bekanntgeben hätten können, zu welchen Zeiten sie zur Verfügung stünden.

14 Aus dem Akt und den Befragungen in der Verhandlung ergebe sich, dass keine Vertretungsregelung vereinbart gewesen sei. Zudem hätten sich die Pflegefachkräfte nie durch externe Personen vertreten lassen. Die Vertretung durch Personen, welche ebenfalls der GmbH an Pflegefachkräften zur Verfügung gestanden seien, sei durch Zeugen in der Verhandlung glaubhaft bestätigt worden. Diese Ausführungen seien auch vor dem Hintergrund, dass es sich im vorliegenden Fall um eine sensible Tätigkeit handle, bei der ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit vorausgesetzt werden müsse, nachvollziehbar. Zudem habe glaubhaft dargelegt werden können, dass die genannten Pflegefachkräfte auch bereits übernommene Tätigkeiten sanktionslos absagen hätten können und diesfalls von der GmbH für Ersatz gesorgt worden wäre. In der mündlichen Verhandlung sei deutlich geworden, dass die GmbH ein System etabliert habe, welches gerade kurzfristige Verhinderungen von Pflegefachkräften berücksichtige. Hierzu habe einer der Beschwerdeführer ausgeführt, dass er auch aus eigenen Stücken einen Dienst abschlagen habe können. Auch einer der Zeugen habe ausgeführt, dass er im Falle seiner Verhinderung (zB bei einem Krankheitsfall) eine SMS an die GmbH geschickt habe und sich um keine Vertretung kümmern habe müssen. Übereinstimmend dazu habe eine Beschwerdeführerin ausgeführt, dass sie - im Falle eines Ausfalls - die Vertreterin der GmbH angerufen habe und es die Sache der GmbH sei, für eine Vertretung zu sorgen. Schließlich habe auch eine weitere Beschwerdeführerin angegeben, dass sie sich im Falle, dass sie zwar einen Dienst angenommen habe, diesen jedoch nicht habe antreten können, nicht um eine Vertretung kümmern habe müssen. Eine Zeugin habe passend dazu ausgeführt, dass sie - im Falle ihres Ausfalls - dies über WhatsApp bzw. telefonisch dem Sekretariat der GmbH mitgeteilt habe.

15 Im Gesamtbild ergebe sich, dass es auf Grund des Interesses der Pflegefachkräfte am seitens der GmbH etablierten System im Falle einer Absage oder fehlender Kapazitäten möglich gewesen sei, andere Pflegefachkräfte für einen möglichen Arbeitseinsatz zu kontaktieren.

16 In rechtlicher Hinsicht ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass keine Werkverträge vorgelegen seien. Es bleibe zu prüfen, ob die Pflegefachkräfte die Tätigkeit in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit von der GmbH als Dienstgeberin gemäß § 4 Abs. 2 ASVG, im Rahmen eines freien Dienstvertrags gemäß § 4 Abs. 4 ASVG oder als selbständige (Dienstleistungs-)Tätigkeit erbracht hätten.

17 Grundvoraussetzung für die Annahme persönlicher Abhängigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG sei die persönliche Arbeitspflicht. Fehle sie, dann liege ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Sinn des § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG schon deshalb nicht vor.

18 Fallbezogen sei den Pflegefachkräften zwar kein generelles Vertretungsrecht, aber ein die persönliche Arbeitspflicht ausschließendes sanktionsloses Ablehnungsrecht zugekommen. Der GmbH sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum eine nicht abgegrenzte Anzahl an Pflegefachkräften zur Verfügung gestanden. Dadurch sei es ihr im Verhinderungsfall einer einzelnen Pflegefachkraft jederzeit möglich gewesen, eine andere Pflegefachkraft für einen möglichen Einsatz zu kontaktieren. Den genannten Pflegefachkräften sei somit klar gewesen, dass sie sich im Verhinderungsfall einfach melden hätten können, wenn sie einen Dienst nicht antreten konnten bzw. wollten. Auf Grund dieses gelebten Systems habe glaubhaft dargelegt werden können, dass die genannten Pflegefachkräfte auch bereits übernommene Tätigkeiten sanktionslos absagen hätten können und diesfalls von der GmbH für Ersatz gesorgt worden wäre. In der mündlichen Verhandlung sei deutlich geworden, dass die GmbH ein System etabliert habe, welches gerade kurzfristige Verhinderungen von Pflegefachkräften berücksichtige. Darüber hinaus hätte auch die Geschäftsführerin der GmbH selbst - da es sich bei ihr um eine gelernte Diplomkrankenschwester handle - die erforderlichen Tätigkeiten durchführen können, wenn die Dringlichkeit dies geboten hätte.

19 Aus den Feststellungen ergebe sich weiters, dass es der eigenen Entscheidung der Pflegefachkräfte oblegen sei, ob und wann sie eine Tätigkeit ausübten. Dies sei ihnen weder durch die GmbH noch durch die einzelnen Pflegeinstitute vorgegeben worden. Die Pflegefachkräfte hätten sich von sich aus initiativ um ihren Einsatz bei der GmbH bemüht, indem sie im Voraus ihre möglichen Arbeitszeiten und möglichen Einsatztage für den Folgemonat angegeben hätten. Es sei auch nicht ersichtlich, inwiefern die GmbH mit den genannten Pflegefachkräften eine konkrete vertragliche Leistungsvereinbarung bzw. Rahmenvereinbarung über ihren Einsatz getroffen hätte.

20 Sei eine Person überhaupt nicht zu einem Tätigwerden verpflichtet, sondern sei nur vereinbart, dass bei (selbst initiierter und bestimmter) Leistungserbringung ein Entgelt gebühre und sei auch weder ein Mindestumsatz noch eine Sanktion bei Nichttätigwerden vorgesehen, liege kein Dienstverhältnis vor. Freilich komme es dabei nicht nur darauf an, dass eine Verpflichtung vertraglich ausgeschlossen sei, sondern dass auch tatsächlich - bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise - keinerlei Verpflichtung zum Tätigwerden bestehe.

21 Auf Grund der gegenständlich überhaupt fehlenden Leistungsverpflichtung der Pflegefachkräfte sei nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts somit kein Dienstverhältnis gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG vorgelegen. Da § 4 Abs. 4 ASVG ebenso eine Verpflichtung zur Erbringung von Dienstleistungen vorsehe, bestehe auch keine Versicherungspflicht als freier Dienstnehmer.

22 Zusammengefasst sei keine persönliche Abhängigkeit der Pflegefachkräfte im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG von der GmbH vorgelegen, da sie sanktionslos bereits zugesagte Tätigkeiten ablehnen hätten können und zudem nicht in die betriebliche Organisation der GmbH eingegliedert gewesen seien. Die übrigen Kriterien persönlicher Abhängigkeit (Bindung an Arbeitszeit und Arbeitsort sowie Weisungsbindung im Hinblick auf arbeitsbezogenes Verhalten) seien im Beschwerdefall nicht unterscheidungskräftig.

23 Daher sei den Beschwerden stattzugeben und festzustellen gewesen, dass die im Anhang I und II des bekämpften Bescheides genannten Pflegefachkräfte nicht der Versicherungspflicht nach ASVG und AlVG unterlägen.

24 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

25 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der ÖGK. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die erstmitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

26 Vorauszuschicken ist, dass mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerden insoweit nicht vollständig erledigt wurden, als nicht auch über den Spruchpunkt III. betreffend die Beitragsnachentrichtung abgesprochen wurde (mit dem im Übrigen nur in Rechte der Erstmitbeteiligten, nicht aber auch der weiteren vor dem Bundesverwaltungsgericht beschwerdeführenden Parteien eingegriffen wurde). Sache des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof ist daher nur die mit den Spruchpunkten I. und II. des Bescheides vom erledigte Frage der Feststellung einer Pflichtversicherung nach dem ASVG und AlVG.

27 Die Revisionswerberin bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, dass das Bundesverwaltungsgericht mit der Feststellung eines sanktionslosen Ablehnungsrechts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Im gegenständlichen Fall hätten die Pflegekräfte angebotene Dienste ablehnen können und lediglich zugesagte Dienste verbindlich einhalten müssen. Dementsprechend sei die Einbeziehung in die Pflichtversicherung ausschließlich an jenen Tagen erfolgt, an denen die Pflegekräfte tatsächlich für die GmbH tätig gewesen seien. Die einzige im angefochtenen Erkenntnis befindliche Feststellung zum generellen Ablehnungsrecht, wonach auch Absagen nach erfolgter Zusage der Tätigkeit nicht sanktioniert worden seien, sei aktenwidrig. Keine der durch das Bundesverwaltungsgericht befragten Personen habe angegeben, schon einmal ohne triftigen Grund einen übernommenen Dienst abgesagt zu haben. Ein sanktionsloses Ablehnungsrecht sei weder vereinbart gewesen noch gelebt worden.

28 Bereits aus diesem Grund erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.

29 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass Grundvoraussetzung für die Annahme persönlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG und damit eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses stets die persönliche Arbeitspflicht ist. Fehlt sie, dann liegt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nach dieser Bestimmung nicht vor. Persönliche Arbeitspflicht ist (unter anderem) dann nicht gegeben, wenn demjenigen, dessen Leistungserbringung zu beurteilen ist, eine generelle Vertretungsbefugnis bei Erbringung dieser Leistung eingeräumt ist oder wenn ein Beschäftigter die Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos ablehnen kann.

30 Ein „sanktionsloses Ablehnungsrecht“ in diesem Sinn liegt vor, wenn es dem Beschäftigten offen steht, die Leistung bereits übernommener Dienste jederzeit nach Gutdünken ganz oder teilweise sanktionslos abzulehnen. Der Empfänger der Dienstleistungen kann unter solchen Umständen nicht darauf bauen und entsprechend disponieren, dass dieser Beschäftigte an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit für Dienstleistungen vereinbarungsgemäß zur Verfügung steht. Die bloße Befugnis eines Erwerbstätigen, ihm angebotene Beschäftigungsmöglichkeiten auszuschlagen, berührt die persönliche Arbeitspflicht in keiner Weise, mag diese Befugnis auch als „sanktionsloses Ablehnungsrecht“ (in einem weiteren Sinn) bezeichnet werden. Zwischen der sanktionslosen Ablehnung der Erbringung einzelner Leistungen, etwa bei deren Abruf im Zuge einer Rahmenvereinbarung bei verpflichtender Tätigkeit im Fall der Zusage, und einem generellen sanktionslosen Ablehnungsrecht, das die persönliche Abhängigkeit ausschließt, ist ein deutlicher Unterschied zu machen. Selbst eine ausdrücklich vereinbarte Befugnis des Beschäftigten, bereits zugesagte Arbeitseinsätze jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu können, stünde im Verdacht, ein „Scheingeschäft“ zu sein, wenn eine solche Vereinbarung mit den objektiven Anforderungen der Unternehmensorganisation nicht in Einklang zu bringen wäre (vgl. §§ 539 und 539a ASVG). Anders wäre ein Sachverhalt aber zB dann zu beurteilen, wenn der Dienstgeber einfache Aushilfsarbeiten derart organisiert, dass für deren Durchführung jederzeit mehrere abrufbare Arbeitskräfte zur Verfügung stehen („präsenter Arbeitskräftepool“) und es ihm - nicht zuletzt wegen der Einfachheit der Arbeiten - gleichgültig ist, von welcher - gleichwertigen - Arbeitskraft aus dem potenziell zur Verfügung stehenden Kreis er die Arbeiten verrichten lässt. Steht dem Dienstgeber die Möglichkeit offen, im Falle der (jederzeit möglichen) Absage der von ihm in Aussicht genommenen Person aus dem „Pool“ sofort die jeweils nächste Arbeitskraft abzurufen und stehen genügend Arbeitskräfte zur Verfügung, dann könnte der einzelne Teilnehmer am „Pool“, mit dem dies vereinbart wurde oder dem dies bekannt ist, tatsächlich in Übereinstimmung mit dem Vereinbarten davon ausgehen, einzelne Arbeitsleistungen jederzeit nach Gutdünken sanktionslos ablehnen zu dürfen (vgl. zum Ganzen  ua, Rn. 7, mwN).

31 Das Bundesverwaltungsgericht ist von einem „sanktionslosen Ablehnungsrecht“ im Sinn dieser Rechtsprechung ausgegangen. Das findet jedoch in den Feststellungen keine Deckung. Diesen lässt sich weder entnehmen, dass ein sanktionsloses Ablehnungsrecht vereinbart wurde (in den „Kooperationsverträgen“ wurde im Gegenteil ausdrücklich festgehalten, dass einmal zugesagte Dienste verpflichtend seien), noch dass es (abweichend von den schriftlichen Verträgen) tatsächlich gelebt wurde. Unter einem sanktionslosen Ablehnungsrecht wäre nämlich nur die Ausschlagung bereits zugesagter Arbeiten nach Gutdünken zu verstehen. Die Möglichkeit, sich (nur) bei Vorliegen entsprechender Gründe wie Krankheit und sonstigen Verhinderungen im Einzelfall zu entschuldigen bzw. vertreten zu lassen, fällt nicht darunter (vgl. in diesem Sinn hinsichtlich der Annahme eines generellen Vertretungsrechts , mwN). Ein Ablehnungsrecht, das unabhängig von Verhinderungsgründen bestand und auch gelebt wurde, hat das Bundesverwaltungsgericht aber nicht festgestellt. Vielmehr ging es laut Feststellungen und Beweiswürdigung um Fälle der Verhinderung (zB Krankheit), „Ausfälle“ und „Nichtantretenkönnen“ eines Dienstes. Soweit das Bundesverwaltungsgericht sich auf die Aussage eines der Beschwerdeführer stützt, wonach er auch „aus eigenen Stücken einen Dienst abschlagen“ habe können, geht daraus nicht hervor, dass dieses behauptete, aber im Gegensatz zur schriftlichen Vereinbarung stehende Recht tatsächlich gelebt wurde (laut Verhandlungsschrift vom , S. 10/11, gab der betreffende Beschwerdeführer ausdrücklich an, dass er von der Möglichkeit, zu einem übernommenen Dienst nicht zu erscheinen, keinen Gebrauch machen habe wollen). Im Übrigen vermochte das Bundesverwaltungsgericht auch nicht darzulegen, dass die für die GmbH tätigen Pflegefachkräfte (laut Bescheid der ÖGK 79 Personen) tatsächlich einen präsenten - das heißt jederzeit verfügbaren - Pool gebildet hätten, der vor dem Hintergrund der Geschäftsbeziehungen der GmbH mit zahlreichen Pflegeinstitutionen und in Anbetracht dessen, dass es nicht bloß um einfache Aushilfsarbeiten ging, ausgereicht hätte, um jederzeit mögliche kurzfristige Absagen durch Ersatzkräfte abzudecken, sodass die Einräumung eines (im schriftlichen Vertrag gerade nicht vorgesehenen) sanktionslosen Ablehnungsrechts mit den Anforderungen der Unternehmensorganisation vereinbar gewesen wäre.

32 Was aber das vom Bundesverwaltungsgericht festgestellte (und auch gelebte) Recht betrifft, angebotene Dienste im Vorhinein abzulehnen, so ist es für die Annahme einer persönlichen Abhängigkeit während der Einsätze selbst nicht von Bedeutung. Sollte es sich bei der vorliegenden Konstellation - worauf der bisher festgestellte Sachverhalt hindeutet - um Arbeitskräfteüberlassung im Sinn des AÜG handeln, so würde sich das Recht auf Ablehnung einzelner Aufträge (Überlassungen) im Übrigen auch aus § 2 Abs. 2 AÜG ergeben, ohne dass dies die persönliche Arbeitspflicht ausschlösse (vgl. dazu auch ). Zu der Feststellung, die Pflegefachkräfte hätten einzelne Tätigkeiten im Rahmen eines übernommenen Dienstes in den jeweiligen Betrieben ohne Sanktionen ablehnen können, fehlt wiederum jegliche Untermauerung in der Beweiswürdigung, sodass sie mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet ist.

33 Selbst ein sanktionsloses Ablehnungsrecht wäre aber entgegen der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht im Sinn einer völligen Unverbindlichkeit zu verstehen, die auch ein freies Dienstverhältnis ausschlösse (vgl. zu solchen nur ausnahmsweise vorkommenden Konstellationen Mosler in SV-Komm § 4 Rz 111, der als Beispiel die selbst initiierte - und im Nachhinein abgegoltene - Kundenzuführung bei Versicherungen und Bausparkassen nennt). Ein sanktionsloses Ablehnungsrecht nach der Zusage, bestimmte Dienstleistungen zu erbringen, wird im Allgemeinen vielmehr als einseitiges Gestaltungsrecht des Dienstnehmers oder auch als jederzeitiges fristloses Kündigungsrecht zu deuten sein, wobei aber eine Verpflichtung zur Dienstleistung besteht, soweit bzw. solange von der Option kein Gebrauch gemacht wird (vgl. in diesem Sinn bis 0085, Rn. 28).

34 Die Verneinung einer persönlichen Arbeitspflicht bzw. jeglicher Verpflichtung zur Erbringung von Dienstleistungen, worauf die Feststellung des Nichtbestehens einer Pflichtversicherung nach dem ASVG tragend gestützt wurde, erweist sich daher als rechtswidrig.

35 Das angefochtene Erkenntnis war wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
ASVG §4 Abs2
ASVG §4 Abs4
ASVG §539
ASVG §539a
Schlagworte
Dienstnehmer Begriff Persönliche Abhängigkeit
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023080154.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
JAAAF-46244