VwGH 10.05.2023, Ra 2023/07/0006
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | AVG §38 VStG §24 VwGVG 2014 §38 WRG 1959 §137 Abs1 Z1 WRG 1959 §137 Abs2 Z4 WRG 1959 §31 Abs1 WRG 1959 §31 Abs2 |
RS 1 | Die Frage, ob der Tatbestand der Gewässerverunreinigung gemäß § 31 Abs. 1 iVm § 137 (nun: Abs. 2 Z 4) WRG 1959 erfüllt wurde, ist auch in Bezug auf die objektive Tatseite keine, die gemäß § 38 AVG (hier: iVm § 38 VwGVG 2014, § 24 VStG) als Hauptfrage in einem anderen Verfahren zu entscheiden wäre; sie ist vielmehr von der Verwaltungsstrafbehörde selbst als Hauptfrage zu entscheiden (vgl. ). Dies gilt entsprechend auch für die Frage einer unterlassenen Meldung nach § 31 Abs. 2 iVm § 137 Abs. 1 Z 1 WRG 1959, die den Eintritt der Gefahr einer Gewässerverunreinigung voraussetzt. |
Normen | AVG §58 Abs2 AVG §59 Abs1 AVG §68 Abs1 AVG §8 VStG §24 VwGG §42 Abs2 Z1 VwGVG 2014 §38 VwRallg WRG 1959 §137 Abs3 Z2 |
RS 2 | Die Rechtskraftwirkung eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses kann sich grundsätzlich allein auf den Spruch und nicht auf einzelne Begründungselemente (vgl. ) beziehen. Überdies könnte auch eine Erstreckung der Rechtskraft auf die Revisionswerberin, die nicht Partei des Verfahrens über den erteilten wasserpolizeilichen Auftrag war, nicht ohne weiteres angenommen werden (vgl. ). |
Normen | |
RS 3 | § 46 Abs. 3 VwGVG 2014 regelt nach seinem klaren Wortlaut die Zulässigkeit der Verlesung von Niederschriften über die Vernehmung des Beschuldigten oder von Zeugen sowie von Gutachten der Sachverständigen. In diesem Zusammenhang sind die Anforderungen an ein faires Verfahren iSd MRK zu beachten, wonach alle Beweise normalerweise in Anwesenheit des Beschuldigten in einer öffentlichen Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung vorgebracht werden müssen und Aussagen, die im Vorverfahren gemacht wurden, in der Regel nur dann verwendet werden dürfen, wenn der Beschuldigte eine angemessene und ausreichende Gelegenheit zur Widerlegung und Befragung des Belastungszeugen erhält (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2019/02/0172 B RS 1 |
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RS 4 | Mit einem Verzicht auf die Verlesung des Akteninhaltes in der öffentlichen mündlichen Verhandlung wird nicht auch die Zustimmung zur Verlesung von Niederschriften über die Vernehmung von Zeugen oder von Gutachten der Sachverständigen erteilt (vgl. ; ). |
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RS 5 | Das Unterlassen jeglicher argumentativer Auseinandersetzung mit einem Beschwerdevorbringen führt jedenfalls zu einem Begründungsmangel einer Entscheidung des VwG (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2022/05/0112 E RS 1 |
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RS 6 | Die Bestrafung eines fortgesetzten Deliktes erfasst alle bis zur Erlassung (Zustellung) des Straferkenntnisses erster Instanz in Betracht kommenden gleichartigen Tathandlungen. Diese Erfassungswirkung steht einer Doppelbestrafung entgegen (vgl. ; , 2010/01/0009). |
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RS 7 | Die Unterlassung der Erstattung von Meldungen oder von Veröffentlichungen, die nach dem Gesetz in einer bestimmten Frist oder "unverzüglich" vorzunehmen gewesen wären, begründet ein Dauerdelikt (vgl. ). Nach dem ersichtlichen Zweck der Meldeverpflichtung des § 31 Abs. 2 WRG 1959 - nämlich die Inkenntnissetzung der Behörde zur Sicherstellung erforderlicher Maßnahmen - endet die Verpflichtung zur Meldung (und damit der Tatzeitraum) spätestens mit der Kenntnis der Behörde von der betreffenden Gefahr einer Gewässerverunreinigung. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Bamer, über die Revision der DI S Z in K, vertreten durch die Lindner Stimmler Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4/1/29, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-S-1595/001-2022, betreffend Übertretungen des Wasserrechtsgesetzes 1959 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Landeshauptstadt St. Pölten), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im bekämpften Umfang - also in seinem Spruchpunkt 1., soweit er sich auf die Spruchpunkte 1. und 2. des Straferkenntnisses der belangten Behörde vom bezieht, sowie in seinen Spruchpunkten 2. und 3. - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 I.1. Die Revisionswerberin ist die handelsrechtliche Geschäftsführerin der Z GmbH (im Folgenden: Z GmbH), die über eine Konzession zum Betrieb einer kommunalen Buslinie verfügt und dazu u.a. ein unbefestigtes (geschottertes) Grundstück insbesondere als Abstellplatz nutzt.
2 2. Bei der belangten Behörde bestand der Verdacht, dass es auf diesem Grundstück auf Grund von (bereits eingestellten) unsachgemäß durchgeführten Betankungen von Bussen mit AdBlue - einer wässrigen Harnstofflösung zur Abgasnachbehandlung bei Dieselmotoren - zum Eintritt dieses Stoffes in das Erdreich und damit zu einer Grundwassergefährdung durch die Abbauprodukte Ammonium, Nitrit und Nitrat gekommen sei. Daher forderte sie die Z GmbH zunächst mit Schreiben vom gemäß § 31 Abs. 3 Wasserrechtsgesetz 1959 (WRG 1959) auf, die betroffene Fläche mit einer regendichten Plane abzudecken (um weitere Auswaschungen des im Harnstoff enthaltenen Stickstoffs und damit dessen Transport in tiefere Erdschichten hintanzuhalten).
3 In weiterer Folge trug die belangte Behörde der Z GmbH mit Bescheid vom gemäß § 31 Abs. 1 und 3 WRG 1959 auf, einen näher bezeichneten Bereich dieses Grundstücks abzugraben, das auszuhebende Material zu entsorgen und einen Nachweis der Entsorgung sowie eine Bodenanalyse des verbleibenden Untergrunds vorzulegen.
4 Gegen diesen Bescheid erhob die Z GmbH Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht). Dieses führte am eine mündliche Verhandlung durch, in der es mehrere Zeugen zu ihren Wahrnehmungen auf dem Grundstück bzw. bei den Betankungsvorgängen vernahm. Weiters erfolgten in dieser Verhandlung Erläuterungen durch einen hydrogeologischen Amtssachverständigen und wurde ein Gutachten des (abwesenden) chemisch-technischen Amtssachverständigen verlesen und vollinhaltlich in der Niederschrift wiedergegeben.
5 Mit am mündlich verkündeten und am schriftlich ausgefertigten Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der Z GmbH Folge und behob den Bescheid vom ersatzlos.
6 In diesem Erkenntnis stellte es unter anderem fest, dass es in der Dauer von etwa drei Wochen vor dem im Zuge der Lagerung bzw. Betankung von Bussen mit AdBlue zum Austritt dieses Stoffes im Volumen von einigen Litern auf einer Fläche von annähernd 12 m2 gekommen sei. Harnstoff sei gut wasserlöslich und könne daher nach Aufbringung in der Natur mit dem Niederschlagswasser in ein Gewässer gelangen. Aus näher dargelegten Berechnungen ergebe sich, dass eine Verdünnung von 1:14.000 erforderlich sei, damit in das Grundwasser gelangendes AdBlue nicht zur Überschreitung des Trinkwassergrenzwertes für Nitrat führe. Auf Grund von zahlreichen Starkregenereignissen im Sommer 2021 sei davon auszugehen, dass die Kontamination zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes bereits aus dem oberflächennahen Bereich ausgeschwemmt, im Untergrund verteilt und bereits mit dem Grundwasser abtransportiert worden sei.
7 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, es stehe außer Zweifel, dass die Gefahr einer Gewässerverunreinigung gegeben gewesen sei bzw. sich diese durch Verlagerung bis in das Grundwasser bereits verwirklicht habe. Allerdings hätten sich die tatsächlichen Umstände seit der Erlassung des bekämpften Bescheides mittlerweile verändert: Aufgrund der festgestellten Ausschwemmung der Kontamination sei eine signifikante Auswirkung auf das Grundwasser bzw. fremde Rechte nicht mehr zu erwarten. Ein gewässerpolizeilicher Auftrag habe daher nach der Sachlage im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes nicht mehr zu ergehen. Der angefochtene Bescheid sei aus diesem Grund ersatzlos zu beheben.
8 3. In der Folge wurde der Revisionswerberin mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom angelastet, als handelsrechtliche Geschäftsführerin der Z GmbH (jeweils zusammengefasst und vereinfacht dargestellt) zu verantworten zu haben, (1.) die Bezirksverwaltungsbehörde nicht von der Gefahr einer Gewässerverunreinigung durch den Austritt von AdBlue „im Zeitraum April bis Mai 2021 über rund zwei bis drei Wochen“ bei näher beschriebenen Betankungsvorgängen, der zu einer Absickerung in den Boden im Ausmaß von ca. 12 m2 geführt habe, sodass am Ablagerungen in Form von weißlichen Kristallen vorhanden gewesen seien, verständigt zu haben, (2.) bei diesen Betankungsvorgängen in diesem Zeitraum nicht dafür Sorge getragen zu haben, den Eintritt von AdBlue in das Erdreich zu verhindern und (3.) den behördlichen Auftrag vom nicht befolgt zu haben, da die zunächst aufgebrachte Plane nach ca. zwei Wochen entfernt worden sei. Sie habe dadurch (zu 1.) § 30 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 2 iVm § 137 Abs. 1 Z 1 WRG 1959, (zu 2.) § 30 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 iVm § 137 Abs. 2 Z 4 WRG 1959 und (zu 3.) den behördlichen Auftrag vom iVm § 137 Abs. 3 Z 2 WRG 1959 verletzt, weshalb über sie näher festgesetzte Geldstrafen samt Ersatzfreiheitsstrafen verhängt und ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens festgesetzt wurden.
9 Gegen dieses Straferkenntnis erhob die Revisionswerberin Beschwerde an das Verwaltungsgericht, in der sie eine ungenaue Tatzeitangabe rügte sowie näher begründet insbesondere bestritt, dass es sich bei dem vorgefundenen „Material“ (weißlichen Kristallen) um ausgetretenes AdBlue gehandelt habe und dass das Vorgehen der Behörde - angesichts der im Vergleich zu Streusalz gleichen Gefährungsklassifizierung von AdBlue - selbst bei dessen Kontakt mit dem Boden erforderlich gewesen sei. Der Beschwerde legte sie u.a. - zur Illustration des Verfahrensganges - die Niederschrift der Verhandlung vom bei.
10 Das Verwaltungsgericht führte eine mündliche Verhandlung durch, in der es lediglich die Revisionswerberin vernahm. Auf die Verlesung des Verwaltungsstrafverfahrensaktes wurde verzichtet.
11 4. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde insofern statt, als es das Verfahren betreffend Spruchpunkt 3. des behördlichen Straferkenntnisses (Entfernung der Plane) gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG einstellte sowie die Strafe zu Spruchpunkt 1. des behördlichen Straferkenntnisses (unterlassene Meldung) herabsetzte; weiters wies es die Beschwerde zu Spruchpunkt 2. des behördlichen Straferkenntnisses (unterlassene Verhinderung des Eintritts von AdBlue in das Erdreich) als unbegründet ab und ergänze die Angabe der Übertretungs- und Strafnormen um ihre Fundstellen (Spruchpunkt 1.). Es setzte den Beitrag zu den Kosten des behördlichen Strafverfahrens neu fest (Spruchpunkt 2.), verpflichtete die Revisionswerberin zur Leistung eines Beitrags zu den Kosten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht (Spruchpunkt 3.) und erklärte eine Revision gegen sein Erkenntnis für nicht zulässig (Spruchpunkt 4.).
12 Das Verwaltungsgericht stellte als Sachverhalt fest, dass es die Revisionswerberin als handelsrechtliche Geschäftsführerin der Z GmbH zu verantworten habe, dass im April und Mai 2021 der „Treibstoffzusatz AdBlue“ auf dem betreffenden Grundstück auf einer Fläche von ca. 12 m2 auf unbefestigter Fläche versickert sei. Dieser Stoff sei beim händischen Betanken von Bussen durch Abpumpen von AdBlue aus einem Container im südöstlichen Teil auf dem genannten Grundstück ausgetreten, dieser Umstand des Austrittes und Versickerns sei am von ausgebildeten Organen der technischen Gewässeraufsicht festgestellt worden. Die Z GmbH habe eine Meldung des Austrittes von AdBlue bis unterlassen. Weiters habe sie es unterlassen, den Eintritt dieses „Treibstoffzusatzes“ ins unbefestigte Erdreich zu verhindern.
13 In seiner Beweiswürdigung führte es dazu aus, dass von der Revisionswerberin bestritten werde, dass es zu einem Austritt von AdBlue gekommen sei - im Wesentlichen, weil näher genannte Indizien dagegen sprächen, dass die vorgefundenen, aber nicht untersuchten weißlichen Ablagerungen von ausgeronnenem AdBlue stammten. Dem stünden jedoch „die Feststellungen in der Verhandlung am “ (im oben dargestellten Beschwerdeverfahren betreffend den wasserpolizeilichen Auftrag vom ) entgegen. Aus der Verhandlungsschrift vom , welche auch der verfahrensgegenständlichen Beschwerde angeschlossen gewesen sei, ergebe sich, dass dem verlesenen schriftlichen Gutachten des chemisch-technischen Amtssachverständigen zu entnehmen sei, dass mehrere Liter AdBlue auf einer Fläche von 12 m2 ausgeflossen und dort Kristallablagerungen zurückgeblieben seien. Der Sachverständige habe geschlussfolgert, dass mit einer Beeinträchtigung des Grundwassers zu rechnen gewesen sei. Diese Feststellungen seien auch Ergebnis des am verkündeten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes gewesen, welches in Rechtskraft erwachsen sei.
14 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - aus, dass sich aus der mündlichen Verhandlung am und dem nach dieser Verhandlung mündlich verkündeten Erkenntnis ergeben habe, dass die Gefahr einer Gewässerverunreinigung in gegenständlicher Angelegenheit gegeben gewesen sei. Diese Rechtsfrage sei bereits rechtskräftig geklärt. Mangels Meldung an die Bezirksverwaltungsbehörde sei daher der Straftatbestand des §137 Abs. 1 Z 1 iVm § 31 Abs. 2 WRG 1959 erfüllt.
15 Das Vorbringen (zum Vorwurf fehlender Maßnahmen zur Verhinderung des Eindringens von AdBlue in das Erdreich), der betreffende Tank habe sich in einer Wanne im Container befunden, könne nicht helfen, weil die Verunreinigungen außerhalb des Containers und unterhalb desselben bereits in der Verhandlung und dem anschließend verkündeten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom anhand der Aktenlage festgestellt worden sei. Die beantragten Beweisaufnahmen (meteorologische und geologische Gutachten sowie ein Lokalaugenschein) seien als unerheblich anzusehen, da es sich um unzulässige Erkundungsbeweise handle.
16 Zum Beschwerdevorbringen einer angeblich unklaren Tatzeit erwog das Verwaltungsgericht, dass es sich bei den Vorwürfen nach Spruchpunkten 1. und 2. des behördlichen Straferkenntnisses um Dauerdelikte handle, die so lange begangen würden als der verpönte Zustand andauere. Weil im vorliegenden Fall weder eine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte der Bestraften noch eine Gefahr der Doppelbestrafung bestehe, führe eine Ungenauigkeit bei der Konkretisierung der Tat in Ansehung der Tatzeit nicht zu einer Rechtswidrigkeit.
17 5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften. Sie lässt dabei die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens durch das Verwaltungsgericht hinsichtlich Spruchpunkt 3. des behördlichen Straferkenntnisses (Entfernung der Plane) ausdrücklich unangefochten.
18 6. Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof hat die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
II. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
19 1. Die Revision ist zulässig, weil sie zutreffend aufzeigt, dass das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur eigenständigen Beurteilung des Vorliegens einer Gewässerverunreinigung im Verwaltungsstrafverfahren abgewichen ist. Sie ist daher auch begründet.
20 2.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die Frage, ob der Tatbestand der Gewässerverunreinigung gemäß § 31 Abs. 1 iVm § 137 (nun: Abs. 2 Z 4) WRG 1959 erfüllt wurde, auch in Bezug auf die objektive Tatseite keine ist, die gemäß § 38 AVG (hier: iVm § 38 VwGVG, § 24 VStG) als Hauptfrage in einem anderen Verfahren zu entscheiden wäre; sie ist vielmehr von der Verwaltungsstrafbehörde selbst als Hauptfrage zu entscheiden (vgl. ). Dies gilt entsprechend auch für die Frage einer unterlassenen Meldung nach § 31 Abs. 2 iVm § 137 Abs. 1 Z 1 WRG 1959, die den Eintritt der Gefahr einer Gewässerverunreinigung voraussetzt.
21 Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis tragend damit begründet, dass der Eintritt der Gefahr einer Gewässerverunreinigung durch das Erkenntnis vom (im Beschwerdeverfahren betreffend den an die Z GmbH gerichteten wasserpolizeilichen Auftrag vom ) „bereits rechtskräftig geklärt“ sei, und damit zum Ausdruck gebracht, dass es sich an die dort getroffenen Sachverhaltsfeststellungen gebunden erachte.
22 Eine solche Bindung kann aber schon deshalb nicht bestehen, weil sich die Rechtskraftwirkung eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses grundsätzlich allein auf den Spruch und nicht auf einzelne Begründungselemente (vgl. , Rn 20, mwN) beziehen kann. Überdies könnte auch eine Erstreckung der Rechtskraft auf die Revisionswerberin, die nicht Partei des Verfahrens über den der Z GmbH erteilten wasserpolizeilichen Auftrag war, nicht ohne weiteres angenommen werden (vgl. , mwN).
23 Durch die Annahme einer Bindung an das Erkenntnis vom bzw. dessen Sachverhaltsfeststellungen hat das Verwaltungsgericht sein hier angefochtenes Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
24 2.2. Soweit jedoch das Verwaltungsgericht davon unabhängig auch eigenständig die Feststellung getroffen hat, dass AdBlue auf dem von der Z GmbH genutzten Grundstück im April und Mai 2021 auf unbefestigter Fläche versickert sei, beruht diese Feststellung nicht auf einem mängelfreien Verfahren. Sie stützt sich nämlich ausdrücklich allein auf das Gutachten des chemisch-technischen Amtssachverständigen, das dieser im Verfahren über die Beschwerde gegen den an die Z GmbH gerichteten wasserpolizeilichen Auftrag vom erstattet hat und welches in der Niederschrift zur Verhandlung vom wiedergegeben wurde.
25 Die Revisionswerberin erblickt in dieser Vorgehensweise einen Verstoß gegen den (für das Verwaltungsstrafverfahren in § 48 VwGVG verankerten) Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens, zumal das Verwaltungsgericht jegliche eigenständige Beweisaufnahme unterlassen habe.
26 § 48 VwGVG legt die Geltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im Verwaltungsstrafverfahren fest, der für den Beschuldigten an Art. 6 EMRK zu messen ist. Demnach darf das Verwaltungsgericht, soweit es eine Verhandlung durchführt, bei seiner Entscheidung nur auf die in der Verhandlung selbst vorgekommenen Beweise Rücksicht nehmen (vgl. , mwN). Weiters regelt § 46 Abs. 3 VwGVG die Zulässigkeit der Verlesung von Niederschriften über die Vernehmung des Beschuldigten oder von Zeugen sowie von Gutachten der Sachverständigen. In diesem Zusammenhang sind die Anforderungen an ein faires Verfahren iSd EMRK zu beachten, wonach alle Beweise normalerweise in Anwesenheit des Beschuldigten in einer öffentlichen Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung vorgebracht werden müssen und Aussagen, die im Vorverfahren gemacht wurden, in der Regel nur dann verwendet werden dürfen, wenn der Beschuldigte eine angemessene und ausreichende Gelegenheit zur Widerlegung und Befragung des Belastungszeugen erhält (vgl. , mwN).
27 Gemäß § 46 Abs. 3 VwGVG dürfen Niederschriften über die Vernehmung des Beschuldigten oder von Zeugen sowie die Gutachten der Sachverständigen nur unter den in Abs. 3 Z 1 bis 4 leg. cit. normierten Voraussetzungen verlesen werden; unter anderem gemäß Abs. 3 Z 4 leg. cit. dann, wenn alle anwesenden Parteien zustimmen. Mit einem Verzicht auf die Verlesung des Akteninhaltes in der öffentlichen mündlichen Verhandlung wird nicht auch die Zustimmung zur Verlesung von Niederschriften über die Vernehmung von Zeugen oder von Gutachten der Sachverständigen erteilt (vgl. , mwN und - zu den gleichlauten Vorgängerbestimmungen zum Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat - , mwN).
28 Ob dem Erfordernis der Unmittelbarkeit in Bezug auf das fragliche Gutachten des chemisch-technischen Amtssachverständigen schon deshalb Rechnung getragen wurde (wovon das Verwaltungsgericht offenbar ausgeht), weil die Revisionswerberin selbst die Niederschrift der Verhandlung vom vorgelegt hat, der der Inhalt dieses Gutachtens entnommen werden kann (etwa im Sinne des § 48 Abs. 2 VwGVG), muss hier aus folgenden Gründen nicht abschließend beurteilt werden:
29 Die Revisionswerberin ist den Prämissen dieses Gutachtens nämlich schon im Rahmen der Beschwerde ausdrücklich entgegengetreten, indem sie vorgebracht hat, dass das am vorgefundene Material aus weißlichen Kristallen nicht untersucht worden sei und aus näher dargelegten Erwägungen nicht aus einem Aufbringen von AdBlue im Zuge von Betankungsvorgängen aus einem darüber situierten Container stammen habe können.
30 Einwendungen gegen die Schlüssigkeit eines Gutachtens einschließlich der Behauptung, die Befundaufnahme sei unzureichend bzw. der Sachverständige gehe von unrichtigen Voraussetzungen aus, haben ebenso wie Einwendungen gegen die Vollständigkeit des Gutachtens auch dann Gewicht, wenn sie nicht auf gleicher fachlicher Ebene angesiedelt sind, also insbesondere auch ohne Gegengutachten erhoben werden. Die unvollständige und unrichtige Befundaufnahme vermag auch ein Laie nachvollziehbar darzulegen. Das Verwaltungsgericht ist in diesem Fall verpflichtet, sich mit diesen - der Sachverhaltsfrage zuzurechnenden - Einwendungen in einer Verhandlung auseinanderzusetzen (vgl. , mwN).
31 Das Unterlassen jeglicher argumentativer Auseinandersetzung mit einem Beschwerdevorbringen führt jedenfalls zu einem Begründungsmangel einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtes (, 0138, 0142, 0143, mwN). Ein solcher Fall liegt hier vor, weil das Verwaltungsgericht sich zur Begründung seiner Feststellungen allein auf das Gutachten gestützt hat, ohne das diesbezügliche Vorbringen der Revisionswerberin inhaltlich zu behandeln. Diesem Verfahrensmangel kann auch nicht von vornherein die Relevanz abgesprochen werden.
32 2.3. Die Revision bringt weiters vor, das angefochtene Erkenntnis sei mangels Nennung einer konkreten Tatzeit mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet, das Straferkenntnis wäre schon deshalb zur Gänze ersatzlos zu beheben (also das Strafverfahren auch insofern einzustellen) gewesen. Die Tatzeit sei in den (vom Verwaltungsgericht insoweit durch Bestätigung des behördlichen Straferkenntnisses übernommenen) Tatvorwürfen mit den Worten „Zeitraum April bis Mai 2021 über rund zwei bis drei Wochen“ umschrieben. Damit sei für die Revisionswerberin nicht erkennbar, an welchen konkreten Tagen die vorgeworfene Tat begonnen und beendet worden sein soll (Hinweis auf ).
33 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind maßgebliche Gesichtspunkte bei der Konkretisierung des Spruchs eines Straferkenntnisses die Wahrung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und die Vermeidung der Gefahr einer Doppelbestrafung. Der Vorschrift des § 44a Z 1 VStG ist - unter Rechtsschutzüberlegungen - dann entsprochen, wenn im Spruch des Strafbescheides dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass er (im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren, gegebenenfalls auch in einem Wiederaufnahmeverfahren) in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden (vgl. etwa bis 0173, und , 2011/07/0205, je mwN).
34 Ausgehend von der Zielrichtung des Konkretisierungsgebots des § 44a Z 1 VStG sind die an die Tatumschreibung zu stellenden Erfordernisse nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweils gegebenen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall unterschiedlich zu beurteilen (vgl. , mwN). Schon aus diesem Grund ist für die Revisionswerberin aus der von ihr angeführten Entscheidung (, wonach der dort vorgeworfene Verstoß gegen die Gewerbeordnung 1994 im Zeitraum „ca. seit 2017 bis zumindestens “ nicht ausreichend konkretisiert gewesen sei), nichts zu gewinnen.
35 Zu Spruchpunkt 2. des behördlichen Straferkenntnisses wurde der Revisionswerberin vorgeworfen, für die Nichtverhinderung des Eintritts von AdBlue in das Erdreich (also die Nichtvermeidung einer Gewässerverunreinigung) bei Tankvorgängen auf einem bestimmten Grundstück im April und Mai 2021 über rund zwei bis drei Wochen hinweg verantwortlich zu sein, was zu am feststellbaren Ablagerungen in Form weißlicher Kristalle geführt habe. Damit war der Tatvorwurf soweit konkret gefasst, dass es der Revisionswerberin möglich war, im Verfahren entsprechendes Vorbringen und Beweisanbot zu ihrer Entlastung zu erstatten, was sie auch getan hat (etwa dazu, dass die Betankungen mit einer dafür vorgesehenen Pumpe sachgemäß erfolgt und der betreffende Container am entfernt worden sei, es sich bei den Ablagerungen nicht um Reste von AdBlue gehandelt habe, etc.).
36 Eine Gefahr der Doppelbestrafung auf Grund der gewählten Formulierung (im Hinblick auf die nicht präzisierte Festlegung des Tatzeitraums von rund zwei bis drei Wochen innerhalb der Monate April und Mai 2021) besteht schon deshalb nicht, weil die Bestrafung eines - wie hier vorliegend - fortgesetzten Deliktes alle bis zur Erlassung (Zustellung) des Straferkenntnisses erster Instanz in Betracht kommenden gleichartigen Tathandlungen erfasst. Diese Erfassungswirkung steht einer Doppelbestrafung entgegen (vgl. ; , 2010/01/0009, je mwN).
37 Der Tatvorwurf zu Spruchpunkt 1. des behördlichen Straferkenntnisses betrifft das Unterlassen der unverzüglichen Meldung der Gefahr einer Gewässerverunreinigung durch den Austritt von AdBlue an die Bezirksverwaltungsbehörde. Der Beginn der Tatbegehung ist mit dem erstmaligen Austritt von AdBlue durch die beschriebenen Tankvorgänge anzusetzen, der nach den oben angestellten Erwägungen noch hinreichend konkret angegeben ist.
38 Der Verwaltungsgerichtshof hat insbesondere zur Unterlassung der Erstattung von Meldungen oder von Veröffentlichungen, die nach dem Gesetz in einer bestimmten Frist oder „unverzüglich“ vorzunehmen gewesen wären, ausgesprochen, dass eine solche Unterlassung ein Dauerdelikt begründe (vgl. , mwN). Nach dem ersichtlichen Zweck der Meldeverpflichtung des § 31 Abs. 2 WRG 1959 - nämlich die Inkenntnissetzung der Behörde zur Sicherstellung erforderlicher Maßnahmen - endet die Verpflichtung zur Meldung (und damit der Tatzeitraum) spätestens mit der Kenntnis der Behörde von der betreffenden Gefahr einer Gewässerverunreinigung, das ist hier mit der Feststellung der Ablagerungen am . Auch dieses Datum ist dem Spruch des Straferkenntnisses zu entnehmen, sodass der Tatzeitraum insgesamt ausreichend konkret festgelegt ist.
39 Zusammenfassend liegt daher in Bezug auf die Formulierung des Tatzeitraumes keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses vor.
40 3. Im Ergebnis war das angefochtene Erkenntnis aus den genannten Gründen (rechtswidrige Annahme einer Bindungswirkung) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen vorrangiger Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
41 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Normen | AVG §38 AVG §56 AVG §58 Abs2 AVG §59 Abs1 AVG §60 AVG §68 Abs1 AVG §8 MRK Art6 VStG §22 VStG §24 VStG §44a Z1 VwGG §42 Abs2 Z1 VwGG §42 Abs2 Z3 litc VwGVG 2014 §17 VwGVG 2014 §38 VwGVG 2014 §44 VwGVG 2014 §46 Abs3 VwGVG 2014 §48 VwGVG 2014 §48 Abs1 VwRallg WRG 1959 §137 Abs1 Z1 WRG 1959 §137 Abs2 Z4 WRG 1959 §137 Abs3 Z2 WRG 1959 §31 Abs1 WRG 1959 §31 Abs2 |
Schlagworte | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere Rechtsgebiete "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit Dauerdelikt "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit fortgesetztes Delikt Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Rechtsgrundsätze Verzicht Widerruf VwRallg6/3 Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Spruch und Begründung Verfahrensbestimmungen |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023070006.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
RAAAF-46224