VwGH 12.06.2023, Ra 2023/06/0075
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | BauG Stmk 1995 §13 Abs4 BauG Stmk 1995 §13 Abs6 BauO Stmk 1968 §4 BauRallg |
RS 1 | Für die Berechnung des Seitenabstandes ist jeweils die der Grundgrenze nächstliegende Außenwand des Gebäudes maßgebend (vgl. etwa , mwN, ergangen zu § 4 der Stmk BauO 1968). Weist ein Teil einer Gebäudefront keine übliche Geschoßeinteilung auf, ist dieser Teil nach § 13 Abs. 6 Stmk BauG 1995 zu beurteilen, der verbleibende Teil der Gebäudefront nach § 13 Abs. 4 leg. cit. (vgl. , mit Hinweisen auf ). |
Normen | BauG Stmk 1995 §13 Abs4 BauG Stmk 1995 §13 Abs6 BauRallg |
RS 2 | Die Vorschriften der Bauordnungen über den Seitenabstand sind jeweils dahingehend auszulegen, dass die der betroffenen Grundstücksgrenze zugekehrte Fassade gegebenenfalls auch im Falle einer Unklarheit, wie der unbestimmte Gesetzesbegriff des "überwiegend" oberirdisch-Liegens verstanden werden muss, maßgeblich ist. Wenn bei Geländegestaltungen für die Beurteilung, ob ein Gebäude überwiegend oberirdisch oder unterirdisch gelegen ist, je nach Betrachtung von verschiedenen Seiten ein unterschiedliches Ergebnis möglich erscheint, muss im Lichte des Sinnes von Abstandsbestimmungen davon ausgegangen werden, dass der Umstand, dass eine bauliche Anlage einer Seite gegenüber (hier: gegenüber der westlichen Grundgrenze) als unterirdisch anzusehen wäre, bei der Beurteilung, ob es sich um eine ganz oder überwiegend unter dem angrenzenden Geländeniveau liegende bauliche Anlage handelt, jedenfalls bei der Beurteilung des Abstandes gegenüber dem südlich gelegenen Grundstück nicht von Bedeutung sein kann (vgl. ). |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2023/06/0076
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Liebhart-Mutzl als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache 1. des Dr. C S und 2. der M S, beide in G und beide vertreten durch die Prutsch-Lang & Damitner Rechtsanwälte OG in 8010 Graz, Joaneumring 6/III, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , LVwG 50.14-7072/2022-28, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz; mitbeteiligte Parteien: 1. DI M R und 2. V R, beide in G und beide vertreten durch die Eisenberger Rechtsanwälte GmbH in 8020 Graz, Schloßstraße 25; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz (Behörde) vom , mit dem den mitbeteiligten Parteien die Baubewilligung zur Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage, eines Stellplatzes, eines Pools, eines Nebengebäudes, von Freitreppen, Terrassen, Stützmauern sowie der Durchführung von Geländeveränderungen auf einem näher genannten Grundstück in G. (Baugrund) erteilt worden war, als unbegründet ab und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.
Begründend führte das LVwG - soweit für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof relevant - aus, die Behörde habe zutreffend die Abstandsberechnung gemäß § 13 Abs. 4 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG) durchgeführt. Der dem Grundstück der revisionswerbenden Parteien zugewandte, gegenüber dem Hauptbaukörper vorspringende Gebäudeteil im Erdgeschoß (Garage) weise eine Geschosshöhe von nicht mehr als 3 m auf und der Gebäudesockel liege nicht mehr als 1,5 m über dem natürlichen Gelände; dies habe der bautechnische Amtssachverständige in der Fortsetzungsverhandlung vor dem LVwG am bestätigt. Der Gebäudesockel sei somit nicht abstandsrelevant und das gegenüber der Gebäudefront der Garage zurückversetzte Obergeschoß bilde keine vorgeschobene Gebäudefront aus, sodass die Garage eingeschossig sei. Der projektierte Grenzabstand zum Grundstück der revisionswerbenden Parteien von 3,34 m bis 3,46 m sei somit ausreichend. Der Umstand, dass die dahinterliegende Gebäudefront des teilweise auf der Garage aufsitzenden Obergeschosses eine unübliche Geschosseinteilung aufweise, führe nicht dazu, dass auch auf die Gebäudefront der Garage die Abstandsregel des § 13 Abs. 6 Stmk. BauG zur Anwendung komme.
5 In der Zulässigkeitsbegründung rügen die revisionswerbenden Parteien ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der hg. Rechtsprechung beziehungsweise das Fehlen einer solchen. Über der Garage sei ein Obergeschoß aufgesetzt, dessen Fußbodenniveau 3,52 m über dem Fußbodenniveau der Garage liege, sodass § 13 Abs. 6 Stmk. BauG anzuwenden sei. Aus den Planunterlagen ergebe sich an der nordwestlichen Gebäudeecke eine Höhe von rund 3,4 m und an der nordöstlichen Gebäudeecke eine solche von 5,2 m; an der nordöstlichen Gebäudeecke liege - bei Annahme eines fiktiven Geschoßes mit einer Höhe von 3 m - eine Restgeschoßhöhe von 2,2 m vor, die als eigenes Geschoß zu werten und somit abstandsrelevant sei.
Darüber hinaus entspreche der Keller aufgrund des starken Hanggefälles ebenfalls einem vollen Geschoss, sodass die Garage auch aus diesem Grund nicht als eingeschossig zu bewerten sei. Der Keller (§ 4 Z 39 Stmk. BauG) befinde sich nicht ganz oder überwiegend unter dem angrenzenden Geländeniveau und liege „zumindest an der hangabgewandten Seite“ im Mittel mindestens 1,50 m über dem natürlichen Gelände (§ 13 Abs. 4 Stmk. BauG).
Schließlich habe das LVwG nicht berücksichtigt, dass bei einem mehrgeschossigen Gebäude die Summe der Deckenhöhen im Hinblick auf die Belichtungsverhältnisse am Nachbargrundstück relevant sei (Hinweis auf ).
6 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Berechnung des Seitenabstandes jeweils die der Grundgrenze nächstliegende Außenwand des Gebäudes maßgebend (vgl. etwa , mwN, ergangen zum inhaltsgleichen § 4 der Steiermärkischen Bauordnung 1968). Weist ein Teil einer Gebäudefront keine übliche Geschoßeinteilung auf, ist dieser Teil nach § 13 Abs. 6 Stmk. BauG zu beurteilen, der verbleibende Teil der Gebäudefront nach § 13 Abs. 4 leg. cit. (vgl. , mit Hinweisen auf ). Die Vorschriften der Bauordnungen über den Seitenabstand sind jeweils dahingehend auszulegen, dass die der betroffenen Grundstücksgrenze zugekehrte Fassade gegebenenfalls auch im Falle einer Unklarheit, wie der unbestimmte Gesetzesbegriff des „überwiegend“ oberirdisch-Liegens verstanden werden muss, maßgeblich ist. Wenn bei Geländegestaltungen für die Beurteilung, ob ein Gebäude überwiegend oberirdisch oder unterirdisch gelegen ist, je nach Betrachtung von verschiedenen Seiten ein unterschiedliches Ergebnis möglich erscheint, muss im Lichte des Sinnes von Abstandsbestimmungen davon ausgegangen werden, dass der Umstand, dass eine bauliche Anlage einer Seite gegenüber (hier: gegenüber der westlichen Grundgrenze) als unterirdisch anzusehen wäre, bei der Beurteilung, ob es sich um eine ganz oder überwiegend unter dem angrenzenden Geländeniveau liegende bauliche Anlage handelt, jedenfalls bei der Beurteilung des Abstandes gegenüber dem südlich gelegenen Grundstück nicht von Bedeutung sein kann (vgl. ).
7 Zunächst wird festgehalten, dass das Grundstück der revisionswerbenden Parteien nur im nordwestlichen Bereich an den Baugrund angrenzt. Vor dem Hintergrund der oben angeführten hg. Rechtsprechung können sie daher eine allfällige Verletzung der Abstandsvorschriften im Nordosten gegenüber einem nicht in ihrem Eigentum stehenden Grundstück (dass sie daran in anderer Weise berechtigt wären, wurde nicht vorgebracht) nicht als subjektiv öffentliches Nachbarrecht geltend machen.
Den Keller betreffend bringen die revisionswerbenden Parteien nicht vor, dass dessen Außenwände im Mittel mindestens 1,50 m hoch über dem natürlichen Gelände liege (§ 13 Abs. 4 zweiter Gedankenstrich Stmk. BauG). Sie zeigen auch nicht auf, dass dieser auf der ihrem Grundstück im Nordwesten zugewandten Seite als oberirdisch anzusehen wäre. Für die Beurteilung des Abstandes gegenüber dem nordwestlich gelegenen Grundstück kann nach der oben angeführten hg. Rechtsprechung nicht von Bedeutung sein, wenn der Keller „zumindest an der hangabgewandten Seite“ südseitig allenfalls überwiegend oberirdisch gelegen ist.
Die Zulässigkeitsbegründung setzt sich nicht mit der in der Fortsetzungsverhandlung am diskutierten und dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde gelegten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (), wonach für jeden Gebäudeteil gesondert zu beurteilen sei, ob § 13 Abs. 4 oder 6 Stmk. BauG zur Anwendung komme, auseinander. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die revisionswerbenden Parteien eine allfällige Verletzung der Abstandsvorschriften an der nordöstlichen Gebäudeecke nicht als subjektiv öffentliches Nachbarrecht geltend machen können, legen sie nicht dar, inwiefern die Beurteilung des LVwG vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes als unvertretbar anzusehen sei (vgl. etwa , Rn. 8, mwN).
Der Hinweis auf , ist nicht zielführend, weil diesem Erkenntnis ein mit dem gegenständlichen Verfahren nicht vergleichbarer Sacherhalt (nachträgliches Einziehen eines 1 m starken „Deckenkeils“, um die für Nebengebäude zulässige Raumhöhe von maximal 3 m zu erreichen) zugrunde lag.
8 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | BauG Stmk 1995 §13 Abs4 BauG Stmk 1995 §13 Abs6 BauO Stmk 1968 §4 BauRallg |
Schlagworte | Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Abstandsvorschriften BauRallg5/1/1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023060075.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
GAAAF-46219