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VwGH 12.05.2023, Ra 2023/05/0063

VwGH 12.05.2023, Ra 2023/05/0063

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
BauO NÖ 1996 §35
BauO NÖ 1996 §6 Abs2
BauO NÖ 2014 §35 Abs3
BauO NÖ 2014 §6 Abs1 Z3
BauRallg
RS 1
Ist Gegenstand des Verfahrens ein Antrag des Nachbarn gemäß § 6 Abs. 1 Z 3 NÖ BauO 2014, auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrags zur Untersagung der Nutzung zu einem anderen als dem bewilligten Verwendungszweck gemäß § 35 Abs. 3 NÖ BauO 2014, kommt einem solchen Nachbarn nach der Rechtsprechung des VwGH ein Antragsrecht auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrags wegen der Behauptung der Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts zu (vgl. zur insofern vergleichbaren Rechtslage der NÖ BauO 1996 ).
Normen
BauO NÖ 2014 §35 Abs3
BauO NÖ 2014 §70 Abs10
VwRallg
RS 2
Die Novelle LGBl. Nr. 50/2017 ermöglichte die Anordnung eines Nutzungsverbotes nach § 35 Abs. 3 NÖ BauO 2014 ausdrücklich auch für den Fall eines nicht bewilligten oder nicht angezeigten Bauwerkes (vgl. Motivenbericht zu Ltg.-1378/B-23/3-2017). Infolge der Übergangsbestimmung des § 70 Abs. 10 NÖ BauO 2014 ist § 35 Abs. 3 idF der Novelle LGBl. Nr. 50/2017 nicht auf Verfahren anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten der Novelle am anhängig wurden (vgl. ).
Normen
BauO NÖ 1996 §35 Abs3
BauO NÖ 2014 §35 Abs3
BauRallg
RS 3
Wie bereits zu § 35 Abs. 3 NÖ BauO 1996 ausgesprochen (vgl. die zu § 35 Abs. 3 NÖ BauO 1996 ergangene Rechtsprechung zum Nutzungsverbot im Gefährdungsfall , mwN), sind auch in den Fällen des § 35 Abs. 3 NÖ BauO 2014 nach entsprechender Beweisaufnahme, insbesondere durch Einsicht in den für die Liegenschaft bestehenden Bauakt getroffene Feststellungen Grundvoraussetzung für die Beurteilung, ob eine fehlende Bewilligung oder Anzeige (1. Fall) oder ein Abweichen der tatsächlichen Nutzung von dem bewilligten oder aus der Bauanzeige zu ersehenden Verwendungszweck (2. Fall) vorliegt und daher ein baupolizeilicher Auftrag nach § 35 Abs. 3 NÖ BauO 2014 erteilt werden muss.
Normen
AVG §37
AVG §8
BauRallg
RS 4
Für die Beurteilung der Parteistellung des übergangenen Nachbarn

ist die Rechtslage anzuwenden, die in jenem Verfahren galt, in dem

der Nachbar Parteistellung wünscht (Hinweis E , 97/05/0157

und 98/05/0013); das Tatbestandsmerkmal der Parteistellung bestimmt

sich ja nach dem normativen Gehalt der in der Rechtssache

anzuwendenden Vorschriften (Hinweis E , 96/05/0150).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 98/05/0173 E RS 1
Normen
AVG §37
AVG §40 Abs1
AVG §42 Abs2
AVG §45 Abs3
AVG §8
BauRallg
RS 5
Nach den Bestimmungen des AVG bedeutet die Nichtbeiziehung eines Nachbarn zu einer Bauverhandlung nicht die Nichtigkeit des Verfahrens, ja das fehlende Parteiengehör kann auch im Berufungsverfahren saniert werden. Die Bauverhandlung dient, was die Beiziehung des Nachbarn anlangt, letztlich nur dem Zwecke, den Nachbarn die Möglichkeit einzuräumen, tatsächliche oder vermeintliche Verletzungen ihrer subj.-öffentl Rechte geltend zu machen.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 87/05/0148 E RS 2
Normen
AVG §37
AVG §41 Abs1
AVG §42 Abs1
AVG §8
BauRallg
RS 6
Das Auftreten einer übergangenen Partei allein rechtfertigt noch nicht die Aufhebung des Bewilligungsbescheides und die Anordnung der Durchführung einer neuerlichen Verhandlung. Die übergangene Partei hat vielmehr lediglich das Recht auf nachträgliche Durchführung eines zusätzlichen, auf sie und die betreffende Hauptpartei beschränkten Verfahrens (Hinweis auf E v. , 3128/79). Ein Rechtsanspruch auf Durchführung einer neuerlichen Verhandlung besteht nicht. (Hinweis auf E , 82/05/0124, , 2780/80)
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 87/05/0148 E RS 1
Normen
AVG §41
AVG §42
AVG §56
AVG §8
VwRallg
RS 7
Eine nicht erfolgte Zustellung eines Bescheides im Mehrparteienverfahren bedeutet nicht, dass das zugrundliegende Verfahren rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit eine Aufhebung des gegenüber den übrigen Parteien im Mehrparteienverfahren bereits erlassenen Bescheides zur Folge hätte (vgl. ).
Normen
AVG §42 Abs1
AVG §56
AVG §8
VwRallg
RS 8
Ein in einem Mehrparteienverfahren gegenüber einer Partei erlassener Bescheid erhält dadurch seine rechtliche Existenz, auch wenn er gegenüber den anderen Parteien - solange er ihnen gegenüber nicht erlassen wurde - keine rechtlichen Wirkungen äußert. Eine Partei, die rechtliche Interessen oder einen Rechtsanspruch an einer Verwaltungssache hat, welcher im Verfahren nicht die Stellung einer Partei eingeräumt wurde und gegenüber welcher keine Bescheiderlassung erfolgte, hat nach Abschluss des Verfahrens die Möglichkeit, die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides zu begehren (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 0710/60, VwSlg 5794 A/1962) und in der Folge Berufung zur Wahrung ihrer Rechte zu erheben.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2006/05/0071 E RS 1
Norm
VwGG §47 Abs3
RS 9
Mitbeteiligte haben nach § 47 Abs. 3 VwGG Anspruch auf Aufwandersatz nur im Fall der Abweisung der Revision insgesamt (vgl. ).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2017/05/0010 E RS 9

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des Gemeindevorstands der Gemeinde Stetten, vertreten durch Dr. Franz Nistelberger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stock im Eisen-Platz 3, der gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich Außenstelle Mistelbach vom , Zl. LVwG-AV-656/002-2022, betreffend einen Bauauftrag nach der Niederösterreichischen Bauordnung 2014 (mitbeteiligte Parteien: 1. Mag. I und 2. J; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis sprach das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich nach Stellung sowohl eines Devolutionsantrags als auch in weiterer Folge einer Säumnisbeschwerde durch die mitbeteiligte Partei I.M. ein Nutzungsverbot gemäß § 35 Abs. 3 Niederösterreichische Bauordnung 2014 betreffend die Nutzung eines näher genannten Heurigen-Schankbetriebs und eines näher genannten Gastgartens zu diesem Betriebszweck mangels vorliegenden Konsenses aus und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

2 Mit der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Revision des Gemeindevorstands ist der Antrag verbunden, der Revision aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

3 Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat bis zur Vorlage der Revision das Verwaltungsgericht und ab Vorlage der Revision der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers einer Revision aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, soweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des Erkenntnisses für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

4 Bei einer Amtsrevision ist als „unverhältnismäßiger Nachteil für die revisionswerbende Partei“ eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der von der Amtspartei zu vertretenden öffentlichen Interessen als Folge einer Umsetzung der angefochtenen Entscheidung in die Wirklichkeit zu verstehen. Insoweit treten diese öffentlichen Interessen im Falle einer Amtsrevision bei der vorzunehmenden Interessenabwägung an die Stelle jener Interessenlage, die sonst bei einem „privaten“ Revisionswerber als Interesse an dem Aufschub des sofortigen Vollzugs der angefochtenen Entscheidung in die Abwägung einfließt. Im Übrigen ist es erforderlich, dass schon im Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung jene Umstände konkret dargelegt werden, aus denen sich ein solcher „unverhältnismäßiger Nachteil“ ergibt (vgl. den Beschluss eines verstärkten Senates vom , VwSlg. 10.381 A/1981). Die diesbezüglichen Anforderungen an die Konkretisierungspflicht des Antragstellers sind streng (vgl. , mwN).

5 Im vorliegenden Fall begründet die revisionswerbenden Partei den Antrag mit den zu erwartenden Einkommenseinbußen des betroffenen Heurigenwirtes und der Möglichkeit dieses Heurigenwirtes sich im Rahmen eines Amtshaftungsverfahrens an der revisionswerbenden Partei schadlos zu halten. Der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung stünden keine öffentlichen Interessen entgegen, zumal der Betrieb des Heurigen jahrzehntelang konsenskonfrom betrieben worden wäre, Interessen anderer würden nicht beeinträchtigt.

6 Aufgrund dieses Vorbringens vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen, inwiefern mit dem Vollzug des Erkenntnisses für die revisionswerbende Partei ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden sein sollte.

7 Dem Antrag war aus diesem Grund nicht stattzugeben.

Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungsdatum:

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger, Mag. Liebhart-Mutzl, Dr.in Sembacher und Dr.in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Tichy, über die Revision des Gemeindevorstands der Gemeinde S, vertreten durch Dr. Franz Nistelberger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stock im Eisen-Platz 3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-AV-656/002-2022, betreffend einen Bauauftrag nach der NÖ Bauordnung 2014 (mitbeteiligte Partei:Mag. I M in S; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Das Kostenersatzbegehren der revisionswerbenden Partei wird abgewiesen.

Ein Kostenersatz an die mitbeteiligte Partei findet nicht statt.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Partei beantragte mit mehreren Eingaben jeweils vom  die Erlassung eines baupolizeilichen Auftrags gemäß § 35 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 (NÖ BO 2014) betreffend die Untersagung der Nutzung eines näher genannten Heurigenbetriebs auf den Grundstücken Nrn. 103/1, 103/3, .121 und .122, alle KG S., soweit diese nicht vom Konsens aus dem Jahr 1978 umfasst sei. Dies beziehe sich auf die Nutzung des Gastgartens auf dem Grundstück Nr. 103/1 und der Terrasse auf dem Grundstück Nr. .121. Es handle sich um einen einheitlichen Betrieb, sodass die Nutzung des Gastgartens und der Terrasse eines baubehördlichen Konsenses bedürften.

2 Mit Eingabe vom stellte die mitbeteiligte Partei einen Devolutionsantrag und hielt ihren Antrag auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrags betreffend die Benutzung des Gastgartens und der Terrasse aufrecht und weitete ihren Antrag auf andere, ihrem Vorbringen nach ebenso nicht vom Konsens umfasste Grundstücke, den Betrieb mit mehr als 65 Verabreichungsplätzen sowie das Abstellen einspuriger Fahrzeuge auf dem Betriebsgelände aus.

3 Mit Eingabe vom erhob die mitbeteiligte Partei sodann Säumnisbeschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) und stellte ergänzend Anträge auf Räumung der betroffenen Grundstücke von allen Gegenständen, die für die konsenswidrige Nutzung verwendet würden und auf Untersagung „jeglicher Nutzung aus Gewerbeantrag“, insbesondere der Verabreichung warmer Speisen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das LVwG aus, dass gemäß § 35 Abs. 3 NÖ BO 2014 die Nutzung des auf den Grundstücken Nrn. 103/1, 103/3 und .121, alle KG S., etablierten Heurigen-Schankbetriebs (Buschenschank), bestehend aus den auf den Grundstücken Nrn. .121 und 103/1 befindlichen Bauwerken sowie dem auf den Grundstücken Nrn. 103/1 und 103/3 befindlichen Gastgarten zu diesem Betriebszweck untersagt werde (Spruchpunkt 1.). Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das LVwG für unzulässig (Spruchpunkt 2.).

5 Das LVwG legte seinen Erwägungen die folgenden Feststellungen - soweit von Relevanz für das vorliegende Revisionsverfahren - zugrunde:

6 J.W. sei Eigentümer der unmittelbar zusammenhängenden Grundstücke Nrn. 103/1, 103/3, .121 und .122, alle KG S., und betreibe unter anderem auf diesen Grundstücken einen Heurigenschankbetrieb. Auf dem Grundstück Nr. 103/1 befänden sich der Gastraum mit Küche und Sanitäranlagen, auf dem Grundstück Nr. .121 das nunmehr als Lager genutzte Presshaus samt Terrasse und das Grundstück Nr. 103/3 werde als Gastgarten benutzt. Die mitbeteiligte Partei sei bereits 1978 Eigentümerin des Grundstücks Nr. .251 der KG S. gewesen, das sich, getrennt durch das im Eigentum der Gemeinde S. befindliche Grundstück Nr. 120/2, ebenso KG S., welches im Süden zur Aufschließung des Betriebes diene, rund 3 Meter westlich der Baugrundstücke befände. Mit Eingabe vom habe Herr K.W. die Erteilung einer Baubewilligung zur Errichtung eines Presshauses und eines Heurigen-Schanklokales auf den Grundstücken Nr. 103/1 und .121 beantragt. Das Presshaus und der Abgang zum bestehenden Weinkeller sollten dabei im Kellergeschoß, die Terrasse, das Heurigen-Lokal samt Küche und Sanitärräumen im Erdgeschoß errichtet werden. Ein Betriebskonzept sei dem vorliegenden Akt nicht zu entnehmen, ebensowenig ein Einreichplan. Lediglich ein Auswechslungsplan im Zuge der Endbeschau liege vor. Die Bauverhandlung habe am stattgefunden, die mitbeteiligte Partei sei zu dieser nicht geladen gewesen, habe an ihr nicht teilgenommen und sei ihr gegenüber der entsprechende Bescheid nicht erlassen worden. Am habe der damalige gesetzliche Vertreter der mitbeteiligten Partei Einsicht in den Bauakt genommen, die Baustelle besichtigt und der Baubehörde gegenüber angegeben, gegen das Vorhaben in der geplanten Form und bei Einhaltung der Niederschrift der Bauverhandlung keinen Einwand erheben zu wollen. Eine Erlassung des Baubescheides zu Handen des Vertreters der mitbeteiligten Partei sei nicht erfolgt. Nach Durchführung der Endbeschau am habe der Bürgermeister mit Bescheid vom die baurechtliche Benützungsbewilligung für das Presshaus und das Heurigenschanklokal erteilt. Ein weiterer baubehördlicher Bewilligungsbescheid sei nicht erlassen worden.

7 Rechtlich führte das LVwG nach Ausführungen zum Säumnisbeschwerdeverfahren in der Sache zusammengefasst aus, dass Nachbarn gemäß § 6 Abs. 1 Z 3 NÖ BO 2014 im baupolizeilichen Verfahren nach § 34 Abs. 2 und § 35 NÖ BO 2014 Parteistellung hätten. Der mitbeteiligten Partei komme als Nachbarin Parteistellung und damit Antragslegitimation auf Einleitung eines baupolizeilichen Verfahrens zu. Gemäß § 35 Abs. 3 NÖ BO 2014 habe die Behörde unter anderem die Nutzung eines nicht bewilligten Bauwerks zu verbieten. Voraussetzung für die Erteilung eines solchen Auftrags sei die Bewilligungspflicht des Vorhabens im Errichtungszeitpunkt. Mangels der Anwendbarkeit von Ausnahmen bedürfe die Herstellung von Gebäuden der gegenständlichen Art nicht nur nach § 14 Z 1 NÖ BO 2014 einer baubehördlichen Bewilligung, sondern habe sie dieser auch nach den vormals geltenden Rechtslagen gemäß § 14 Z 1 NÖ Bauordnung 1996 (NÖ BauO 1996) und § 92 Abs. 1 Z 1 NÖ Bauordnung 1976 (NÖ BauO 1976) bedurft. Nach der ständigen Rechtsprechung würde im Falle einer Gaststätte - Gastgewerbebetrieb, Buschenschank - der Gastgarten mit der Gaststätte eine organisatorische bzw. funktionelle Einheit bilden und sohin eines baubehördlichen Konsenses bedürfen (Verweis auf , mwN). Im vorliegenden Fall sei dem Bewilligungswerber gegenüber ein Bescheid erlassen worden, nicht aber der mitbeteiligten Partei gegenüber, der aber nach dem Regime der NÖ BauO 1976 Parteistellung zugekommen sei. Die bloße Kenntnisnahme des Inhalts eines Schriftstücks durch Übermittlung einer Ablichtung oder durch Akteneinsicht stelle keine Zustellung und damit keine Erlassung eines Bescheides dar, weshalb die 1981 durchgeführte Akteneinsicht des gesetzlichen Vertreters der mitbeteiligten Partei eine derartige Rechtswirkung nicht entfalte; der abgegebenen Erklärung des Vertreters der mitbeteiligten Partei komme deshalb auch keine öffentlich-rechtliche Relevanz zu, aus der ein rechtmäßiger Konsens abgeleitet werden könne. Auch die von der mitbeteiligten Partei vorgelegte Kopie des Bescheides könne daran nichts ändern, zumal dieser weder ein Adressat noch eine Fertigung und damit entgegen § 18 Abs. 4 AVG kein Name des Genehmigenden zu entnehmen sei. Der Bescheid sei damit der mitbeteiligten Partei gegenüber nicht rechtmäßig erlassen worden, „sodass vom Vorliegen eines baubehördlichen Konsenses bezogen auf das gesamte Vorhaben nicht ausgegangen werden“ könne. Die Nutzung des Objekts samt Gastgarten erfolge deshalb konsenslos, weshalb die Voraussetzungen für eine baupolizeiliche Verfügung nach § 35 Abs. 3 NÖ BO 2014 vorlägen. Das LVwG habe Säumnisschutz zu gewähren, also über die ursprünglich gestellten Anträge abzusprechen, weshalb der nunmehr erteilte baupolizeiliche Auftrag zu determinieren gewesen sei. Der Umstand, dass die Baubehörde von Amts wegen allenfalls weitergehende Aufträge erteilen müsse oder könne, sei insoweit nicht von Relevanz.

8 Dagegen richtet sich die Amtsrevision des Gemeindevorstands der Gemeinde S., die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, die mitbeteiligte Partei sei präkludiert und das LVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtskraft von Bescheiden abgewichen. Weiters fehle Rechtsprechung zur Auslegung des § 6 Abs. 7 NÖ BO 2014 und habe das LVwG Ermittlungen und Feststellungen hinsichtlich des Baubeginns unterlassen.

9 Die mitbeteiligte Partei erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens eine selbst verfasste „Stellungnahme zur außerordentlichen Revision“ mit dem Antrag, die Revision und all ihre Anträge kostenpflichtig zurück- oder abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Revision ist im Sinne ihres Zulässigkeitsvorbringens zulässig und im Ergebnis auch begründet:

11 Voranzustellen ist, dass Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ein Antrag der mitbeteiligten Partei, einer Nachbarin gemäß § 6 Abs. 1 Z 3 NÖ BO 2014, auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrags zur Untersagung der Nutzung zu einem anderen als dem bewilligten Verwendungszweck gemäß § 35 Abs. 3 NÖ BO 2014 ist. Einem solchen Nachbarn kommt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Antragsrecht auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrags wegen der Behauptung der Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts zu (vgl. zur insofern vergleichbaren Rechtslage der NÖ BauO 1996 ).

12 § 35 Abs. 3 NÖ BO 2014 lautet seit der Novelle LGBl. Nr. 50/2017, in Kraft seit :

§ 35

Sicherungsmaßnahmen und Abbruchauftrag

(1) ...

(2) ...

(3) Die Baubehörde hat die Nutzung eines nicht bewilligten oder nicht angezeigten Bauwerks sowie die Nutzung eines Bauwerks zu einem anderen als dem bewilligten oder aus der Anzeige (§ 15) zu ersehenden Verwendungszweck zu verbieten. Abs. 1 und 2 sowie § 34 Abs. 1 und 2 bleiben davon unberührt.

(...)“

13 Bereits mit der Stammfassung der NÖ BO 2014, LGBl. Nr. 1/2015, war § 35 Abs. 3 NÖ BO 2014 im Vergleich zu § 35 Abs. 3 NÖ BauO 1996 dahingehend geändert worden, dass „eine nicht konsensgemäße Nutzung eines Bauwerks [...] immer, nicht nur im Gefährdungsfall wie in der NÖ Bauordnung 1996, von der Baubehörde zu verbieten sein“ soll (vgl. Motivenbericht der Niederösterreichischen Landesregierung zur Stammfassung der NÖ BO 2014 vom , Ltg.-477/B-23/2-2014, S. 27).

14 Die Novelle LGBl. Nr. 50/2017 ermöglichte sodann die Anordnung eines Nutzungsverbotes nach § 35 Abs. 3 NÖ BO 2014 ausdrücklich auch für den Fall eines nicht bewilligten oder nicht angezeigten Bauwerkes (vgl. Motivenbericht zu Ltg.-1378/B-23/3-2017, S. 22). Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu bereits festgehalten, dass infolge der Übergangsbestimmung des § 70 Abs. 10 NÖ BO 2014 § 35 Abs. 3 idF der Novelle LGBl. Nr. 50/2017 nicht auf Verfahren anzuwenden ist, die vor dem Inkrafttreten der Novelle am anhängig wurden (vgl. , mwN).

15 Liegt eine Nutzung des Bauwerks ohne Bewilligung oder Anzeige (1. Fall) oder eine dem bewilligten Verwendungszweck oder dem aus der Anzeige zu ersehenden Verwendungszweck widersprechende Nutzung (2. Fall) vor, hat die Baubehörde diese Nutzung des Bauwerks zu verbieten.

16 Wie bereits zu § 35 Abs. 3 NÖ BauO 1996 ausgesprochen (vgl. die zu § 35 Abs. 3 NÖ BauO 1996 ergangene Rechtsprechung zum Nutzungsverbot im Gefährdungsfall , mwN), sind auch in den Fällen des § 35 Abs. 3 NÖ BO 2014 nach entsprechender Beweisaufnahme, insbesondere durch Einsicht in den für die Liegenschaft bestehenden Bauakt getroffene Feststellungen Grundvoraussetzung für die Beurteilung, ob eine fehlende Bewilligung oder Anzeige (1. Fall) oder ein Abweichen der tatsächlichen Nutzung von dem bewilligten oder aus der Bauanzeige zu ersehenden Verwendungszweck (2. Fall) vorliegt und daher ein baupolizeilicher Auftrag nach § 35 Abs. 3 NÖ BO 2014 erteilt werden muss.

17 Soweit die Revision vorbringt, das LVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es seiner Entscheidung zugrunde legte, dass es sich bei der mitbeteiligten Partei um eine übergangene Partei des seinerzeitigen Baubewilligungsverfahrens handle, der (bzw. deren gesetzlichem Vertreter) der Baubewilligungsbescheid aus dem Jahr 1978 nicht zugestellt worden sei, weshalb eine Baubewilligung für den gegenständlichen Heurigenbetrieb nicht vorliege, so ist ihr aus den folgenden Erwägungen zuzustimmen:

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Frage der Feststellung einer Parteistellung in einem Bauverfahren bereits ausgesprochen, dass für die Beurteilung der Parteistellung des übergangenen Nachbarn die Rechtslage anzuwenden ist, die in jenem Verfahren galt, in dem der Nachbar Parteistellung wünscht; das Tatbestandsmerkmal der Parteistellung bestimmt sich nach dem normativen Gehalt der in der Rechtssache anzuwendenden Vorschriften (vgl. , mwN, dort: hinsichtlich der Frage der Parteistellung nach NÖ BauO 1976 bzw. NÖ BauO 1996).

19 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seiner Rechtsprechung zur NÖ BauO 1976 auch eingehend mit der Problematik der „übergangenen Partei“ im Baubewilligungsverfahren und den für dieses Verfahren daraus erwachsenden Konsequenzen beschäftigt und dazu festgehalten, dass nach den Bestimmungen des AVG die Nichtbeiziehung eines Nachbarn zu einer Bauverhandlung nicht die Nichtigkeit des Verfahrens bedeutet. Die Bauverhandlung dient, was die Beiziehung des Nachbarn anlangt, letztlich nur dem Zwecke, den Nachbarn die Möglichkeit einzuräumen, tatsächliche oder vermeintliche Verletzungen ihrer subjektiv-öffentlichen Rechte geltend zu machen (vgl. , mwN).

20 Das Auftreten einer übergangenen Partei allein rechtfertigt nach dieser Rechtsprechung weiters noch nicht die Aufhebung des Bewilligungsbescheides. Die übergangene Partei hat vielmehr lediglich das Recht auf nachträgliche Durchführung eines zusätzlichen, auf sie und die betreffende Hauptpartei beschränkten Verfahrens. Ein Rechtsanspruch auf Durchführung einer neuerlichen Verhandlung besteht nicht (vgl. erneut , mwN, unter Verweis auf , zur Stmk. Bauordnung). Das Recht auf Parteiengehör ist nämlich auch dann gewährleistet, wenn den Parteien die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens iSd § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis gebracht und ihnen die Möglichkeit eingeräumt worden ist, hiezu innerhalb angemessener Frist Stellung zu nehmen (vgl. ; weiters ebenso , mwN).

21 Das LVwG verkennt, dass eine nicht erfolgte Zustellung eines Bescheides im Mehrparteienverfahren auch nach den von ihm zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa ) nicht bedeutet, dass das zugrundliegende Verfahren rechtswidrig sei und die Rechtswidrigkeit eine Aufhebung des gegenüber den übrigen Parteien im Mehrparteienverfahren bereits erlassenen Bescheides zur Folge hätte (vgl. ebenso , mwN). Denn ein in einem Mehrparteienverfahren gegenüber einer Partei erlassener Bescheid erhält dadurch seine rechtliche Existenz, auch wenn er gegenüber den anderen Parteien - solange er ihnen gegenüber nicht erlassen wurde - keine rechtlichen Wirkungen entfaltet. Eine Partei, die rechtliche Interessen oder einen Rechtsanspruch an einer Verwaltungssache hat, welcher im Verfahren nicht die Stellung einer Partei eingeräumt wurde und gegenüber welcher keine Bescheiderlassung erfolgte, hat nach Abschluss des Verfahrens die Möglichkeit, die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides zu begehren (vgl. , mwN) und in der Folge ein Rechtsmittel zur Wahrung ihrer Rechte zu erheben. Fallbezogen führte das LVwG im angefochtenen Erkenntnis aus, dass der Baubewilligungsbescheid dem Bewilligungswerber gegenüber erlassen worden sei.

22 Vor dem Hintergrund des Gesagten erweist sich die Rechtsansicht des LVwG, die schon aufgrund einer bloß angenommenen Nichtzustellung des Baubewilligungsbescheides an die mitbeteiligte Partei bzw. ihren gesetzlichen Vertreter, somit wegen mangelnder Erlassung des Bescheides gegenüber der mitbeteiligten Partei, vom Nichtvorliegen eines Konsenses ausgeht, als rechtswidrig. Auf die Frage, ob es sich bei der mitbeteiligten Partei tatsächlich um eine übergangene Partei handelt und diese allenfalls durch ihre Antragstellung auf Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages auf eine gesonderte Zustellung des Baubewilligungsbescheides verzichtet hat (vgl. dazu ), ist schon deshalb nicht näher einzugehen.

23 Dasselbe gilt für das Revisionsvorbringen zum Verlust der Parteistellung nach § 6 Abs. 7 NÖ BO 2014.

24 Davon ausgehend hat das LVwG es aber verabsäumt, die für ein Verfahren nach § 35 Abs. 3 NÖ BO 2014 notwendigen Feststellungen zu treffen und die rechtlichen Schlussfolgerungen zu ziehen, wodurch weiters ein sekundärer Feststellungsmangel vorliegt (vgl. ).

25 Die angefochtene Entscheidung war aus all diesen Gründen wegen prävalierend wahrzunehmender Rechtswidrigkeit ihres Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

26 Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat die revisionswerbende Partei im Fall einer Amtsrevision nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz, ihr Antrag war aus diesem Grund abzuweisen.

27 Ein Kostenersatz an die mitbeteiligte Partei findet nicht statt, da Mitbeteiligte nach § 47 Abs. 3 VwGG Anspruch auf Aufwandersatz nur im Fall der Abweisung der Revision haben (vgl. ).

Wien, am

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Norm
VwGG §30 Abs2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023050063.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
EAAAF-46211