VwGH 03.04.2023, Ra 2023/05/0008
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Normen | BauO Wr §71b BauRallg VwRallg |
RS 1 | Zu § 71b Wr BauO hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2003/05/0032, grundsätzlich festgehalten, dass ein Anspruch auf die Erteilung einer solchen Sonderbaubewilligung nur besteht, wenn die vorzunehmende Interessenabwägung überwiegende öffentliche Interessen am Weiterbestand der Baulichkeit ergibt. Im Abs. 3 dieser Bestimmung werden alternativ (dies ergeben schon die ersten beiden Punkte, die einander ausschließen können; siehe auch Geuder/Hauer, Wiener Bauvorschriften5, 556) öffentliche Interessen aufgezählt, die "für das weitere Bestehen sprechen". Damit wird klargelegt, dass diese Umstände jedenfalls in die Abwägung einzubeziehen sind; keineswegs wird damit festgelegt, dass bei Vorliegen von einem oder mehreren der dort genannten Kriterien zwingend die Bewilligung zu erteilen wäre. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2005/05/0128 E VwSlg 17276 A/2007 RS 1 (hier: nur der erste Satz) |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2023/05/0009
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner und die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger und Dr.in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision 1. des C S und 2. der E S, beide in W, beide vertreten durch die PRIME LAW El-Juaneh Romanek Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Annagasse 5/3/15, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , 1. VGW-111/072/4178/2022-17 (hg. protokolliert zu Ra 2023/05/0008) und 2. VGW-111/V/072/4182/2022 (hg. protokolliert zu Ra 2023/05/0009), betreffend Versagung einer Sonderbaubewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bauausschuss der Bezirksvertretung für den 22. Bezirk; weitere Partei: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Bauausschusses der Bezirksvertretung für den 22. Bezirk vom wurde die von den revisionswerbenden Parteien beantragte Erteilung einer Sonderbaubewilligung gemäß § 71b Bauordnung für Wien - BO für Wien für ein laut Bestandsplan errichtetes Kleingartenwohnhaus auf einem näher angeführten Grundstück der revisionswerbenden Parteien versagt.
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die dagegen von den revisionswerbenden Parteien erhobene Beschwerde abgewiesen und gleichzeitig ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht) im angefochtenen Erkenntnis unter anderem aus, die revisionswerbenden Parteien seien Miteigentümer der Bauliegenschaft, für die die Widmung „Grünland - Erholungsgebiet - Kleingartengebiet für ganzjähriges Wohnen“ mit einer maximal bebaubaren Fläche von 50 m2 gelte. Mit Bescheid vom sei die Bewilligung gemäß § 71 BO für Wien zur Errichtung eines Kleingartenwohnhauses und eines Schwimmbeckens auf jederzeitigen Widerruf erteilt worden. Gleichzeitig mit der Errichtung des Kellers sei an die außenliegende Kellerstiege, die - entgegen der Baubewilligung - überdacht bzw. eingehaust worden sei, bzw. an den Kellerraum angrenzend ein - ebenfalls nicht im ursprünglichen Konsens enthaltener - Pooltechnikraum im Ausmaß von 16,99 m2 errichtet worden. Vor der Kochnische im Erdgeschoß sei laut dem der Baubewilligung zugrundeliegenden Einreichplan eine gedeckte Laube mit einer Fläche von 12,50 m2 vorgesehen gewesen; stattdessen sei ein als „Essplatz“ bezeichneter Raum vor der Kochnische errichtet worden. Der Pooltechnikraum im Keller und der „Essplatz“ seien am bereits fertiggestellt gewesen. Hinsichtlich der Überdachung bzw. Einhausung der Außenstiege vom Keller auf die Erdgeschoßebene werde im Zweifel davon ausgegangen, dass diese ebenfalls zu diesem Zeitpunkt bereits vorhanden gewesen sei. Dagegen seien die ebenfalls vom Antrag auf Erteilung einer Sonderbaubewilligung umfasste Stellplatzüberdachung („Carport“), der „Wintergartenzubau“ und die Vordächer zum noch nicht vorhanden gewesen.
3 Gemäß § 71b Abs. 1 BO für Wien sei für bestehende Bauwerke oder Bauwerksteile, die vor dem errichtet worden seien, eine erforderliche Baubewilligung nicht hätten und auch nach §§ 70 oder 71 leg. cit. nicht bewilligt werden könnten, auf Antrag eine Sonderbaubewilligung mit schriftlichem Bescheid nach Maßgabe der folgenden Absätze zu erteilen. Gemäß § 71b Abs. 3 BO für Wien sei die Sonderbaubewilligung zu erteilen, wenn öffentliche Interessen an dem weiteren Bestehen des Bauwerkes oder der Bauwerksteile öffentliche Interessen oder Interessen der Nachbarn an der Beseitigung überwögen. In der Folge zähle die BO für Wien beispielsweise derartige öffentliche Interessen auf. Die Revisionswerber hätten sich vor allem auf Z 1 leg. cit. gestützt, wonach bei der Überlegung, ob eine Sonderbaubewilligung gemäß § 71b BO für Wien zu erteilen ist, zu berücksichtigen sei, dass bereits geschaffener Wohnraum für die Bevölkerung erhalten werden solle.
4 Von den in Abweichung von der Baubewilligung errichteten Bauteilen seien lediglich der „Essplatz“ im Erdgeschoß, der Pooltechnikraum im Keller und die Einhausung der Stiege zwischen Keller und Erdgeschoßniveau am bereits vorhanden gewesen. Diesbezüglich könne keine Baubewilligung gemäß § 8 Wiener Kleingartengesetz 1996 - WKlG 1996 oder § 71 BO für Wien erwirkt werden. Für eine Sonderbaubewilligung müsse ein überwiegendes öffentliches Interesse an einem weiteren Bestehen bejaht werden. Die Erhaltung von Wohnraum sei kein hier zur Berücksichtigung gelangendes Interesse, weil weder mit der Entfernung des Pooltechnikraumes noch mit jener der Stiegeneinhausung oder des „Essplatzes“ der Verlust einer vorhandenen Wohnmöglichkeit drohe (Hinweis auf ; , 2003/05/0032). Da im Falle eines Bauauftrages mangels Erteilung der Sonderbaubewilligung lediglich der Zubau beseitigt werden müsste, während das Kleingartenwohnhaus bestehen bleibe, könne von einem drohenden Verlust einer Wohnmöglichkeit iSd § 71b Abs. 3 Z 1 BO für Wien hinsichtlich des als „Essplatz“ bezeichneten Raumes im Erdgeschoß keine Rede sein (Hinweis auf ).
5 Die Bauwerksteile seien weiters mit den Zielen der örtlichen Raumordnung nicht vereinbar, da es sich vorliegend um „Grünland - Erholungsgebiet - Kleingartengebiet für ganzjähriges Wohnen“ handle. Kleingärten seien gemäß § 2 Abs. 1 WKlG 1996 vorwiegend gärtnerisch genutzte Grundflächen, die der individuellen Erholung oder dem Wohnen dienten. Der Umfang und die Ausgestaltung der dort errichteten Gebäude müsse daher so beschaffen sein, dass dadurch der Charakter des kleingärtnerisch genutzten Gebietes nicht beeinträchtigt werde. Diese Voraussetzung sei nicht mehr gegeben, wenn Kleingartenwohnhäuser dauerhaft größer errichtet würden, als dies gesetzlich vorgeschrieben sei. Eine Umwidmung der betroffenen Grundfläche, sodass das Kleingartenwohnhaus bewilligungsfähig wäre, setzte eine Umwidmung in Bauland voraus, wofür keinerlei Gründe hervorgekommen seien.
6 Es sei auch nicht hervorgekommen, dass die Kriterien des § 71b Abs. 3 Z 2, 5 und 6 BO für Wien erfüllt wären. Lediglich die Voraussetzungen des Abs. 3 Z 7 und 8 leg. cit. seien gegeben und daher in die Interessenabwägung miteinzubeziehen. Die ordnungsgemäße Ausstattung des Kleingartenwohnhauses könne jedoch die Beeinträchtigung durch den Bestand bewilligungsloser Bauwerksteile und Baulichkeiten nicht aufwiegen. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass ein grundsätzliches öffentliches Interesse an der Einhaltung von Bauvorschriften bestehe, die u.a. die widmungsgemäße Bebauung sicherstellen solle. Auch werde vorliegend durch eine (nicht unwesentliche) Überschreitung der zulässigerweise zu bebauenden Fläche in subjektiv-öffentliche Rechte der Nachbarn eingegriffen.
7 Ein Überwiegen der öffentlichen Interessen am Bestehenbleiben der Bauwerksteile habe sich sohin nicht ergeben.
8 Hinsichtlich der anderen Gebäudeteile (Carport, Wintergartenzubau und Vordächer) sei die Erteilung einer Sonderbaubewilligung schon deshalb nicht möglich, weil sie am noch nicht bestanden hätten.
9 Dagegen wendet sich die vorliegende Revision.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 In der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision wird vorgebracht, es läge keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vor,
-- ob bei der gemäß § 71b BO für Wien durchzuführenden Interessenabwägung für die Bewilligung eines schon vor errichteten Gebäudeteils das öffentliche Interesse am Erhalt von Baustoffen, Energie und Ressourcen angesichts der seit Kurzem bestehenden massiven Energie- und Rohstoffknappheit und Energie- und Rohstoffkrise zu berücksichtigen sei,
-- ob für die Beurteilung gemäß § 71b Abs. 3 Z 1 BO für Wien im Zuge der Interessenabwägung auch ein vorübergehender Verlust der Wohnmöglichkeit für die Dauer der gesamten Abbruch-, Rückbau- und Sanierungsarbeiten zu berücksichtigen sei und
-- ob es sich bei der Überschreitung der zulässigerweise zu bebauenden Fläche um ein Kriterium handle, das bei der gemäß § 71b BO für Wien vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen sei.
14 Weiters weiche das angefochtene Erkenntnis von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach es einer nachvollziehbaren Begründung eines Sachverständigen bedürfe, ob und inwieweit Nachbarn in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beeinträchtigt würden (Hinweis auf ). Ohne Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens dürfe nicht davon ausgegangen werden, es werde durch die Überschreitung der zulässigerweise zu bebauenden Fläche in subjektiv-öffentliche Rechte der Nachbarn eingegriffen.
15 Zu § 71b BO für Wien hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , 2003/05/0032, grundsätzlich festgehalten, dass ein Anspruch auf die Erteilung einer solchen Sonderbaubewilligung nur besteht, wenn die vorzunehmende Interessenabwägung überwiegende öffentliche Interessen am Weiterbestand der Baulichkeit ergibt (vgl. auch ).
16 Die Zulässigkeit einer Revision könnte sich im Zusammenhang mit einer den Einzelfall betreffenden Interessenabwägung nur ergeben, wenn in den Revisionszulässigkeitsgründen substantiiert aufgezeigt wird, dass die diesbezügliche Beurteilung des Verwaltungsgerichtes grob fehlerhaft erfolgt wäre oder zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. ; , Ra 2019/06/0245, mwN).
17 Der vorliegenden Revision gelingt es mit ihrem pauschalen Zulässigkeitsvorbringen, das sich in der Auflistung von abstrakten Rechtsfragen zum Umfang der nach § 71b BO für Wien durchzuführenden Interessenabwägung erschöpft, ohne einen konkreten Fallbezug herzustellen, nicht aufzuzeigen, inwiefern die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Abwägungsentscheidung unvertretbar sein sollte. Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. etwa ; , Ra 2017/06/0021, mwN).
18 Zur behaupteten Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach es im Zusammenhang mit der festgestellten Überschreitung der zulässigerweise zu bebauenden Fläche einer nachvollziehbaren Begründung eines Sachverständigen bedürfe, ob und inwieweit Nachbarn in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beeinträchtigt würden (Hinweis auf ), ist ergänzend auszuführen, dass bei Verfahrensmängeln nach der ständigen hg. Rechtsprechung in den Zulässigkeitsgründen auch die Relevanz des Verfahrensmangels dargetan werden muss. Das heißt, dass es abstrakt möglich sein muss, im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen - für die revisionswerbende Partei günstigeren - Sachverhaltsgrundlage zu gelangen (vgl. etwa ; , Ra 2017/06/0191; , Ra 2015/05/0063, jeweils mwN). Mangels Relevanzdarstellung genügt die vorliegende Zulässigkeitsbegründung der Revision auch in diesem Punkt den Anforderungen nicht.
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | BauO Wr §71b BauRallg VwRallg |
Schlagworte | Baubewilligung BauRallg6 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023050008.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
DAAAF-46207