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VwGH 20.03.2024, Ra 2023/05/0001

VwGH 20.03.2024, Ra 2023/05/0001

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
BauO Wr §17 Abs4a
BauO Wr §50
BauO Wr §57 Abs3
RS 1
Der in der Wr BauO verwendete Begriff des "vollen Grundwertes" ist grundsätzlich mit dem Verkehrswert gleichzusetzen (vgl. ). Er ist gemäß § 57 Abs. 3 Wr BauO nach Zeit, Lage, Beschaffenheit und jenem Nutzen festzustellen, den jedermann bei vernünftigem Gebrauch erzielen kann.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ro 2018/05/0008 E RS 4
Normen
BauO Wr §50
BauO Wr §57 Abs3
RS 2
Ausgangspunkt für die Bemessung der Ersatzleistung in Geld hat die Erfüllung der Abtretungsverpflichtung in natura zu sein. Es kommt daher auf den Wert der abzutretenden Flächen an, nicht aber auf den Wert irgendwelcher anderer Grundflächen, insbesondere auch nicht der angrenzenden Bauplätze. Für die Höhe der Geldleistung ist ausschlaggebend, wieviel für den Erwerb der abzutretenden Grundflächen zu zahlen wäre; diesen Wert muss der Abtretungsverpflichtete nunmehr als Geldleistung im Sinne des § 50 Wr BauO erbringen (vgl. , unter Hinweis auf ).
Normen
BauO Wr §50
BauO Wr §57 Abs3
RS 3
Bei der Ermittlung des Wertes der abzutretenden Grundfläche hat die Festsetzung als Verkehrsfläche der Gemeinde, die ja die Anliegerverpflichtungen erst auslöst, außer Betracht zu bleiben (vgl. ; , Ro 2018/05/0008). Dies wird aus der Entschädigungsrechtsprechung des OGH abgeleitet, wonach Vorwirkungen der Enteignung, etwa die Verfügung einer Bausperre oder die Widmung als Verkehrsfläche und die dadurch bewirkte Wertminderung der enteigneten Fläche bei der Bemessung der Enteignungsentschädigung grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind (vgl. die Judikaturhinweise in ). Es ist somit auf diejenige fiktive Nutzungsmöglichkeit (nur) der betroffenen Grundfläche abzustellen, die sich ergeben hätte, wenn die Festlegung als Verkehrsfläche nicht erfolgt wäre (vgl. wiederum ; , Ra 2019/05/0104), wobei auch die Lage und Beschaffenheit (vgl. § 57 Abs. 3 Wr BauO) der Grundfläche einzufließen hat.
Normen
BauO Wr §5 Abs6 lita
BauO Wr §5 Abs8
BauO Wr §50
BauO Wr §57 Abs3
BauRallg
RS 4
Wie sich aus § 5 Abs. 6 lit. a Wr BauO ergibt, sind Baulinien die Grenzen der im Bauland gelegenen öffentlichen Verkehrsflächen gegen alle übrigen Grundflächen des anliegenden Baulandes. Sie können in den Bebauungsplänen festgesetzt werden. Baulinien finden sich demnach ausschließlich im Bauland, sie setzen die Flächenwidmung "Bauland" voraus. Daran ändert auch der Umstand, dass die Flächenwidmungs- und die Bebauungspläne gemäß § 5 Abs. 8 Wr BauO für dieselben Plangebiete in einem Plan zusammengefasst werden können, nichts, weil ein Bebauungsplan, der gleichzeitig mit einem Flächenwidmungsplan beschlossen und kundgemacht wird, auf der Grundlage eben dieses Flächenwidmungsplans ergeht. Wenn daher ein Flächenwidmungs- und ein Bebauungsplan in einem Plandokument zusammengefasst werden und sich daraus für eine bestimmte Grundfläche die Flächenwidmung Bauland und deren - im Bebauungsplan vorzunehmende - Abgrenzung zu einer öffentlichen Verkehrsfläche mittels Baulinie ergibt, so unterliegt es keinem Zweifel, dass "unmittelbar" vor Festsetzung der Baulinie, also in einer juristischen Sekunde davor, die Widmung Bauland bereits vorlag.
Normen
BauO Wr §50
BauO Wr §55
BauO Wr §57 Abs3
RS 5
Bei der Bemessung der Höhe der Ersatzleistung gemäß § 50 Wr BauO ist als maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung einer Grundfläche jener der Genehmigung der Grundabteilung anzunehmen (vgl. , zu § 50 BO aF; vgl. etwa auch , sowie , wonach einander an diesem Tag Aufschließungsvorteile und Kostenbeitragspflicht gegenüberstehen).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger, Mag. Liebhart-Mutzl, Dr.in Sembacher und Dr.in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Tichy, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW-111/072/18005/2021-22, betreffend Ersatzleistung gemäß § 50 der Bauordnung für Wien (mitbeteiligte Partei: G GmbH & Co KG in Wien, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 12; weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Eingabe vom beantragte die Rechtsvorgängerin der mitbeteiligten Partei die Abteilungsgenehmigung für eine näher genannte Liegenschaft der KG A nach Maßgabe der eingereichten Pläne.

2 Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien (im Folgenden: Amtsrevisionswerber) vom wurde die beantragte Abteilung unter Vorschreibung von Auflagen bewilligt (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde die Rechtsvorgängerin der mitbeteiligten Partei als Eigentümerin der Bauplätze „blau 1“ und „blau 2“ gemäß § 50 der Bauordnung für Wien (im Folgenden: BO) in Verbindung mit § 55 BO verpflichtet, der Gemeinde Wien für die nach Maßgabe der Bestimmungen des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes aus Anlass der Grundabteilung gemäß § 17 Abs. 1 und 4 BO unentgeltlich in das öffentliche Gut abzutretende Grundfläche (eine 86 m2 und eine 572 m2 große Teilfläche, insgesamt daher 658 m2), welche jedoch bereits im Eigentum der Gemeinde stehe, eine Ersatzleistung in der Höhe des vollen Grundwertes, das seien € 1.260,-- pro Quadratmeter, insgesamt daher € 829.080,--, zu entrichten.

3 Begründend wurde zu Spruchpunkt II. im Wesentlichen ausgeführt, für die gegenständlich betroffenen Flächen sei die Abtretungsverpflichtung durch das Plandokument (im Folgenden: PD) 8154 (Gemeinderatsbeschluss vom ) ausgelöst worden. Für die Ersatzleistungsfläche sei gemäß diesem PD die Widmung „Bauland-Gemischtes Baugebiet“ festgesetzt. Die Höhe der Ersatzleistung ergebe sich aus einer von einer Amtssachverständigen vorgenommenen Grundwertschätzung im Vergleichswertverfahren. Dabei sei vom Rohbaulandwert ausgegangen worden. Daraus habe sich ein Quadratmeterpreis für die Ersatzleistungsfläche in der Höhe von € 1.260,-- ergeben. Der volle Grundwert für die 658 m2 große Ersatzleistungsfläche betrage somit insgesamt € 829.080,--.

4 Gegen Spruchpunkt II. erhob die Rechtsvorgängerin der mitbeteiligten Partei ausschließlich in Bezug auf die Höhe der Ersatzleistung Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden: Verwaltungsgericht).

5 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom wurde - nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen - der Beschwerde Folge gegeben und der in seinem Spruchpunkt II. angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass für die gemäß § 17 Abs. 1 und 4 BO unentgeltlich in das öffentliche Gut abzutretenden, näher bezeichneten Grundflächen, welche jedoch bereits im Eigentum der Gemeinde stünden, eine Ersatzleistung für 658 m2 in der Höhe des vollen Grundwertes, das seien € 31,--/m2, insgesamt daher € 20.398,--, innerhalb von drei Monaten ab Rechtskraft zu entrichten sei. Eine ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.

6 Begründend ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass verfahrensgegenständlich lediglich die Höhe der gemäß § 50 Abs. 1 BO zu entrichtenden Ersatzleistung für eine näher bezeichnete Entschädigungsfläche in der KG A im Ausmaß von insgesamt 658 m2 sei. Die verfahrensgegenständliche Entschädigungsfläche sei Teil der G-Straße; dieser Bereich sei ursprünglich Teil einer Bundesstraße gewesen, im Jahr 2002 in das Eigentum des Landes Wien übertragen worden und seit dem Jahr 2006 im Eigentum der Gemeinde Wien, wo es verblieben sei. Es handle sich weiterhin um eine Verkehrsfläche. Für die den Entschädigungsflächen benachbarte Liegenschaft gelte aktuell das PD 8154 (Beschluss des Gemeinderates vom ), mit dem erstmals die Baulandfestsetzung mit der Widmung „Gemischtes Baugebiet“ für die zur Abtretung verpflichtete Liegenschaft erfolgt sei. Folglich sei mit diesem PD die Baulinie gegenüber den Entschädigungsflächen geschaffen worden, mit der die der Verpflichtung zur Ersatzleistung zugrundeliegenden Abtretungsverpflichtungen ausgelöst worden seien. Davor habe das PD 7702 (Gemeinderatsbeschluss vom ) gegolten, mit dem für die betreffenden Grundflächen die Widmung „Grünland-Ländliches Gebiet“ festgesetzt gewesen sei. Die Behörde habe ihrem Schätzgutachten die Widmung des PD 8154 zugrunde gelegt und sei damit von der Widmung „Bauland“ ausgegangen, wobei letztlich der Wert für Rohbauland zugrunde gelegt worden sei. Demgegenüber habe das Verwaltungsgericht ein Gutachten im Vergleichswertverfahren unter Zugrundelegung der Widmung „Grünland-Ländliches Gebiet“ beauftragt und Vergleichswerte für „reine“ Grünlandflächen ohne Aussicht auf kurz- oder mittelfristige Umwidmungen in Bauland beauftragt. Dabei habe sich für den Bewertungsstichtag (Anmerkung: gemeint ist der Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens) ein Quadratmeterpreis von € 31,-- ergeben.

7 Insbesondere unter Berufung auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2019/05/0104, ging das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht davon aus, dass bei der Ermittlung der Höhe der Ersatzleistung zunächst festzustellen sei, wann die Baulinie, die die Abtretungsverpflichtung nach § 17 Abs. 4 BO auslöse, festgesetzt worden sei. Dieser Zeitpunkt könne erst nach Auflösung der Bundesstraße liegen. Sodann sei der „volle Grundwert“, den die abzutretenden Flächen unmittelbar zuvor gehabt hätten, zu ermitteln. Auch die Judikatur des Obersten Gerichtshofes (OGH) zu § 7 Abs. 2 Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz und § 18 Abs. 1 Bundesstraßengesetz 1971 gehe bei der Ermittlung der Enteignungsentschädigung von der Qualität des Grundstückes aus, die es besessen habe, bevor die eingeleitete Planung ihre werterhöhende Funktion habe wirksam werden lassen. Eine Vorwirkung der Enteignung im Sinne einer Wertminderung sei ebenso wenig zu berücksichtigen. Daher sei verfahrensgegenständlich die Widmung heranzuziehen, die die Grundfläche unmittelbar vor Schaffung der Baulinie mit PD 8154 gehabt habe, somit entsprechend dem davor geltenden PD 7702, worin die Widmung „Grünland-Ländliches Gebiet“ ausgewiesen sei. Eine Berücksichtigung der Tatsache, dass die bevorstehende Umwidmung des Grünlandes in Bauland unmittelbar vor dem Gemeinderatsbeschluss bereits bekannt gewesen sei, habe bei der Bewertung im Hinblick auf die Judikatur des OGH nicht zu erfolgen. Allerdings sei eine „Valorisierung“ des Wertes, den die Flächen unter Berücksichtigung der Widmung „Grünland-Ländliches Gebiet“ unmittelbar vor der Festsetzung der Baulinie im Jahr 2016 gehabt hätten, vorzunehmen. Es solle nämlich keine Besserstellung des nach § 50 BO zur Abtretung Verpflichteten gegenüber anderen Abtretungsverpflichteten, die die Flächen in natura abtreten müssten, eintreten. Abzustellen sei darauf, wie viel für den Erwerb der abzutretenden Grundflächen zu zahlen wäre; diesen Wert müsse der Abtretungsverpflichtete als Geldleistung erbringen. Daher sei ausgehend von der vor Festsetzung der Baulinie bestehenden Widmung „Grünland-Ländliches Gebiet“ im Wege der Vergleichswertmethode zum Stichtag ein Quadratmeterpreis von € 31,-- ermittelt worden, was für eine Fläche von 658 m2 eine Gesamtersatzleistung von € 20.398,-- ergebe.

8 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Amtsrevisionswerbers. Zur Zulässigkeit der Revision wird unter anderem vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2019/05/0104, einen unzulässigen Schluss gezogen und eine vom Verwaltungsgerichtshof bisher nicht geklärte Rechtsfrage falsch beurteilt. In dem genannten Erkenntnis stelle der Verwaltungsgerichtshof nämlich explizit auf die Nutzungsmöglichkeit ohne Festlegung als Verkehrsfläche ab, nicht jedoch auf jene ohne die Widmung als Bauland. Der Frage, auf welchen Bewertungsgrundlagen die Ermittlung des Verkehrswerts durch den Sachverständigen aufzubauen habe (Grünland mit oder ohne Berücksichtigung der zukünftigen Widmung als Bauland oder auf der Widmung Bauland etc.) komme grundsätzliche Bedeutung zu. Der Revisionswerber vertrete die Ansicht, dass der volle Grundwert nicht im reinen Grünlandpreis zu liegen habe. In der Folge wird in der Zulässigkeitsbegründung näher ausgeführt, warum von der Widmung „Bauland“ unter Außerachtlassung der Ausweisung als Verkehrsfläche auszugehen sei und die Frage aufgeworfen, ob für den Fall, dass der Verwaltungsgerichtshof dieser Ansicht nicht folge, die vom Verwaltungsgericht vertretene Ansicht, die bevorstehende Baulandwidmung sei bei der Wertermittlung nicht zu berücksichtigen, „haltbar“ sei.

9 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zurück-, in eventu abzuweisen sowie der mitbeteiligten Partei den Schriftsatzaufwand in gesetzlicher Höhe zuzusprechen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Die Revision ist in Anbetracht der aufgeworfenen Fragen der Bemessung der Ersatzleistung zulässig.

11 In der Revision wird im Wesentlichen ausgeführt, dass Verkehrsflächen nach der BO im selben Widmungsgebiet wie die angrenzenden Grundflächen lägen. Die Festlegung der Baulinie führe dazu, dass eine im Bauland befindliche Verkehrsfläche entstehe, die vom angrenzenden Bauland durch eben diese Baulinie abgegrenzt werde. Die Bemessung der Ersatzleistung folge somit unmittelbar aus der Baulandwidmung der Verkehrsfläche selbst (und nicht unter „Orientierung“ an der Nachbarliegenschaft). Wenn daher nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auf diejenige fiktive Nutzungsmöglichkeit der betroffenen Grundfläche abzustellen sei, die sich ergeben hätte, wenn die Festlegung als Verkehrsfläche nicht erfolgt wäre, folge daraus, dass es sich hierbei um exakt jene Nutzungsmöglichkeit handle, die auch der benachbarten, nach Festsetzung der Verkehrsfläche mit der Abtretungsverpflichtung belasteten Baulandfläche zukomme. Die völlige Außerachtlassung der Baulandwidmung, die im gleichen Plandokument ausgewiesen werde wie die maßgebliche Baulinie, sei unsachlich. Denn je nachdem, ob nach den Bestimmungen der §§ 2, 4 und 5 BO neue Flächenwidmungspläne und Bebauungspläne nacheinander oder in einem Rechtsakt verordnet würden, ergäbe sich nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtes im gegenständlichen Fall zunächst eine unterschiedliche „Stichtagswidmung“. In der jüngsten Behördenpraxis würde das jeweils in Geltung stehende PD als jenes angesehen, durch das die maßgebliche Baulinienfestsetzung erfolge, da in den einschlägigen Plandokumenten sämtliche im Planungsgebiet enthaltenen Baulinien auch bei gleichbleibendem Verlauf rot dargestellt und damit neuerlich festgesetzt würden. Wertungswidersprüche ergäben sich in diesem Zusammenhang aber daraus, dass Abtretungsverpflichtungen in mehrfach überarbeiteten Gebieten nach der Baulandwidmung zu bemessen wären, und jene in seit erstmaliger Festlegung von Bauland nicht mehr überarbeiteten Gebieten nach der zuvor (womöglich als Grünland) ausgewiesenen Widmung. Genau letzterer Fall liege gegenständlich vor. Wäre demgegenüber davon auszugehen, dass mit „Festsetzung der Baulinie, die die Abtretungsverpflichtung nach § 17 Abs. 4 BO auslöse“, nur jene Festsetzung gemeint sei, mit der die Baulinie auch tatsächlich geändert werde (und im Zuge eines neuen Bebauungsplans belassene oder an derselben Stelle wie zuvor festgesetzte Baulinien die Verpflichtung nicht neuerlich „auslösten“), so wäre im Zuge einer am Ende eines solchen Prozesses erfolgenden Bauplatzschaffung bzw. Grundabteilung bei Ausgangswidmung Grünland an jenen Stellen, an denen der Verlauf der Baulinie seit ihrer erstmaligen Festsetzung unverändert geblieben sei, abstrakt auf die Grünlandwidmung abzustellen, hingegen hätte für jene Bereiche, deren Baulinienverlauf zwischenzeitlich - wenn auch nur geringfügig - angepasst worden sei, die Wertermittlung auf Basis von Bauland zu erfolgen. Dies erscheine nicht sachgerecht.

12 Auch die BO normiere, wie die Raumordnungsgesetze anderer Bundesländer, eine klare Trennung von Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen und sehe die zweistufige Planung als Grundsatz vor (Verweis auf Moritz, BauO für Wien6 [2019] Anm zu § 5 Abs 8). Auch bei Zusammenfassung von Flächenwidmungs- und Bebauungsplan in einem Plan sei daher der Festsetzung der Baulinie gedanklich vorauszusetzen, dass die Widmung Bauland im entsprechenden Plangebiet bereits zuvor existiere, da eine Baulinienfestsetzung nur im Bauland möglich sei. Daraus folge, dass es für die Wertbemessung der Abtretungsverpflichtung keinen Unterschied machen dürfe, ob Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan getrennt oder gemeinsam erlassen würden, da dies sonst gravierende Ungleichbehandlungen von im Wesentlichen gleichgelagerten Sachverhalten zur Folge hätte.

13 Der Verwaltungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom , Ro 2018/05/0008, lediglich ausgeführt, dass nach der BO die Festlegung als Verkehrsfläche außer Betracht zu bleiben habe und auf diejenige fiktive Nutzungsmöglichkeit der betroffenen Grundfläche abzustellen sei, die sich ohne ihre Festlegung ergeben hätte. Die vom Verwaltungsgerichtshof darin zitierte Judikatur des OGH verfolge die Zielrichtung, dass sich die jeweils erfolgenden Vorwirkungen der Enteignung weder wertmindernd noch werterhöhend auf die Bemessung der Entschädigung durchschlagen sollten. Der Verwaltungsgerichtshof habe diese Grundsätze insofern angewendet wissen wollen, als die Festsetzung als Verkehrsfläche, die durch Festlegung der Baulinie erfolge, bei der Wertbemessung außer Acht zu lassen sei. Nicht außer Betracht bleiben dürfe hingegen die Widmung als Bauland selbst, denn diese sei nicht Vorwirkung der Festsetzung abzutretender Verkehrsflächen, sondern Grundvoraussetzung für eine solche. Sollte der Verwaltungsgerichtshof dem nicht folgen, so müsse jedenfalls die unmittelbar bevorstehende Umwidmung berücksichtigt werden. Bei der (diesfalls zukünftigen) Baulandwidmung handle es sich nicht um eine außer Acht zu lassende Vorwirkung der Enteignung, sondern um eine zu berücksichtigende zukünftige wirtschaftliche Verwendungsmöglichkeit. Danach orientiere sich der Verkehrswert. Schließlich sei als Bewertungsstichtag jener Zeitpunkt heranzuziehen, an dem sich die Aufschließungsvorteile und die Kostenbeitragspflicht erstmals gegenübergestanden seien.

14 Die maßgeblichen Bestimmungen der Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930, in der aufgrund der Übergangsbestimmung des Art. III der Bauordnungsnovelle 2021 weiterhin anzuwendenden Fassung vor LGBl. Nr. 70/2021, lauten (auszugsweise):

Inhalt der Bebauungspläne

§ 5.

(1) Die Bebauungspläne haben darzustellen, ob bzw. in welcher Weise die von den Flächenwidmungsplänen erfaßten Grundflächen und die darüber- oder darunterliegenden Räume bebaut werden dürfen bzw. welche Rechte und Verpflichtungen sich für die Eigentümer (Miteigentümer) der Grundflächen aus den Bebauungsbestimmungen ergeben.

(2) Die Bebauungspläne haben zu enthalten:

a) Die Widmungen der Grundflächen und der darüber- oder darunterliegenden Räume;

b) die Fluchtlinien;

c) für Verkehrsflächen die Höhenlagen und die Breiten sowie die insbesondere durch Mindestmaße festgelegte Ausgestaltung der Querschnitte.

[...]

(6) In den Bebauungsplänen können folgende Fluchtlinien festgesetzt werden:

a) Baulinien, das sind die Grenzen der im Bauland gelegenen öffentlichen Verkehrsflächen (Wege, Gassen, Straßen und Plätze) gegen alle übrigen Grundflächen des anliegenden Baulandes; sie geben das Recht, an ihnen Fenster und vor ihnen Anschlüsse an die in den Verkehrsflächen liegenden Straßenkanäle und öffentlichen Versorgungsleitungen und die nach § 83 Abs. 1 zulässigen Vorbauten herzustellen sowie Ein- und Ausgänge und Ein- und Ausfahrten anzuordnen, wenn der Bebauungsplan nicht anderes bestimmt;

[...]

(8) Die Flächenwidmungspläne und die Bebauungspläne können für dieselben Plangebiete in einem Plan zusammengefaßt werden.

[...]

5. Teil

Anliegerleistungen

Ersatzleistung für Grundabtretungen zu Verkehrsflächen; Kostenersatz

§ 50. (1) In den Fällen des § 10 Abs. 1 lit. b und c besteht die Verpflichtung zur Entrichtung einer Ersatzleistung in der Höhe des vollen Grundwertes, wenn von den Anrainern unentgeltlich abzutretende (§§ 17 Abs. 1 und 4 und 18) Grundflächen bereits im Eigentum der Gemeinde stehen.

[...]

Kostenersatz

§ 55. (1) Die gemäß § 17 Abs. 7 und 8, § 50 und § 54 Abs. 5 und 8 zu entrichtenden Ersatzleistungen und Kostenersätze sind durch Bescheid festzusetzen und innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Bescheides zu entrichten.

[...]

6. Teil

Entschädigungen

Entschädigungsgrundsätze

§ 57. (1) Für Beschränkungen und Entziehungen des Eigentums wird nur insofern Entschädigung gewährt, als sie in diesem Gesetz vorgesehen ist.

(2) Die bei Enteignungen zu leistende Entschädigung hat den Ersatz aller dem Enteigneten und den an enteigneten Grundflächen dinglich Berechtigten durch die Enteignung verursachten vermögensrechtlichen Nachteile zu umfassen.

(3) Bei Ermittlung der Entschädigung für Grundflächen und deren Zugehör ist in einem eigenen Verfahren der Wert (§ 305 ABGB) nach Zeit, Lage, Beschaffenheit und jenem Nutzen festzustellen, den jedermann bei vernünftigem Gebrauch erzielen kann.

(4) Bei der Ermittlung haben unberücksichtigt zu bleiben:

a) Bauwerke, die unbefugt errichtet worden sind und Bauwerke, die gegen Widerruf bewilligt worden sind, wenn der Widerruf rechtswirksam ausgesprochen worden ist;

b) vorschriftswidrige Benützungen eines Bauwerkes;

c) werterhöhende Veränderungen, die nach der Einleitung des Enteignungsverfahrens vorgenommen worden sind;

d) die Auszeichnung einer Grundfläche für öffentliche Zwecke;

e) die besonderen Verhältnisse des Enteignungsgegners, seine besondere Vorliebe für den zu enteignenden Gegenstand und der erhoffte Gewinn.

(5) Wird eine Liegenschaft oder ein dingliches Recht durch Enteignung oder Abtretung nur zum Teil in Anspruch genommen oder belastet, ist bei der Ermittlung der Entschädigung auch auf die Verminderung des Wertes, die der restliche Teil erleidet, Rücksicht zu nehmen. Umgekehrt sind bei Enteignung oder Abtretung von Teilen einer Liegenschaft allfällige Wertsteigerungen, die für den verbleibenden Teil aus der Durchführung der Enteignung oder der Abtretung entstehen, bei Bemessung der Entschädigung zu berücksichtigen.

(6) Die Entschädigung ist in Geld zu leisten. Durch Vergleich kann eine andere als die ermittelte Entschädigung und eine andere Art der Leistung der Entschädigung als in Geld vereinbart werden; in diesem Falle entfällt eine bescheidmäßige Festsetzung der Entschädigung.“

15 Vorweg ist festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht lediglich über die Höhe der nach § 50 BO zu entrichtenden Ersatzleistung abzusprechen hatte. Ausschließlich die Berechnung der Höhe der Ersatzleistung ist somit auch Gegenstand der vorliegenden Entscheidung.

16 Das Verwaltungsgericht ging davon aus, die Bewertung der Grundfläche, für die eine Ersatzleistung vorzuschreiben ist, sei anhand der unmittelbar vor der Festsetzung der Baulinie vorgelegenen Widmung, somit der Widmung „Grünland-Ländliches Gebiet“, vorzunehmen.

17 Die Amtsrevision hält dem entgegen, dass die Widmung „unmittelbar vor der Festsetzung der Baulinie“ bereits die Widmung „Bauland“ gewesen sei, weil die Erlassung eines Bebauungsplans (in welchem Baulinien festgesetzt werden könnten) das Bestehen einer Widmung bereits voraussetze. Auch im Fall einer gleichzeitigen Erlassung von Flächenwidmungs- und Bebauungsplan sei dem Zeitpunkt der Festsetzung der Baulinie die Festlegung der Widmung bereits gedanklich vorauszusetzen. Daraus folge, dass die mit dem aktuellen PD verordnete Widmung auch bei der Bewertung heranzuziehen sei.

18 Unstrittig ist, dass mit dem PD 8154, das vom Gemeinderat am  beschlossen worden war, erstmals die Ausweisung als Bauland für die von der Abtretungsverpflichtung betroffene Liegenschaft der mitbeteiligten Partei und damit die Baulinie gegenüber jenen Ersatzflächen, auf die sich die verfahrensgegenständliche Ersatzleistungsverpflichtung bezieht, geschaffen wurde. Unstrittig ist weiters, dass davor die mit dem PD 7702 (Gemeinderatsbeschluss vom ) festgelegte Widmung „Grünland-Ländliches Gebiet“ - wirksam war.

19 § 50 BO umschreibt die Höhe der zu entrichtenden Ersatzleistung mit dem „vollen Grundwert“. Der in der BO verwendete Begriff des „vollen Grundwertes“ ist grundsätzlich mit dem Verkehrswert gleichzusetzen (vgl. , unter Hinweis auf ). Er ist gemäß § 57 Abs. 3 BO nach Zeit, Lage, Beschaffenheit und jenem Nutzen festzustellen, den jedermann bei vernünftigem Gebrauch erzielen kann (vgl. wiederum ; vgl. auch den direkten Verweis in § 17 Abs. 4a BO „…in der Höhe des vollen Grundwertes (§ 57 Abs. 3)“ zur Abtretungsverpflichtung hinsichtlich im Eigentum eines Dritten stehender Grundflächen).

20 Ausgangspunkt hat auch für die Bemessung der Ersatzleistung in Geld die Erfüllung der Abtretungsverpflichtung in natura zu sein. Es kommt daher auf den Wert der abzutretenden Flächen an, nicht aber auf den Wert irgendwelcher anderer Grundflächen, insbesondere auch nicht der angrenzenden Bauplätze. Für die Höhe der Geldleistung ist ausschlaggebend, wieviel für den Erwerb der abzutretenden Grundflächen zu zahlen wäre; diesen Wert muss der Abtretungsverpflichtete nunmehr als Geldleistung im Sinne des § 50 BO erbringen (vgl. , unter Hinweis auf ).

21 Bei der Ermittlung des Wertes der abzutretenden Grundfläche hat die Festsetzung als Verkehrsfläche der Gemeinde, die ja die Anliegerverpflichtungen erst auslöst, außer Betracht zu bleiben (vgl. wiederum ; , Ro 2018/05/0008). Dies wird aus der Entschädigungsrechtsprechung des OGH abgeleitet, wonach Vorwirkungen der Enteignung, etwa die Verfügung einer Bausperre oder die Widmung als Verkehrsfläche und die dadurch bewirkte Wertminderung der enteigneten Fläche bei der Bemessung der Enteignungsentschädigung grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind (vgl. die Judikaturhinweise in ).

22 Es ist somit auf diejenige fiktive Nutzungsmöglichkeit (nur) der betroffenen Grundfläche abzustellen, die sich ergeben hätte, wenn die Festlegung als Verkehrsfläche nicht erfolgt wäre (vgl. wiederum ; , Ra 2019/05/0104), wobei auch die Lage und Beschaffenheit (vgl. § 57 Abs. 3 BO) der Grundfläche einzufließen hat.

23 Der Verwaltungsgerichtshof hat zu einem gleich gelagerten Sachverhalt in seinem Erkenntnis vom , Ra 2019/05/0104, zur Vorgangsweise des Außerachtlassens der Festsetzung als Verkehrsfläche ausgesprochen, dass zunächst festzustellen ist, wann die Baulinie, die die Abtretungsverpflichtung nach § 17 Abs. 4 BO auslöst, festgesetzt wurde, und sodann der „volle Grundwert“, den die abzutretenden Flächen „unmittelbar“ zuvor hatten, zu ermitteln ist.

24 Das Verwaltungsgericht leitet aus der Bezugnahme auf den „unmittelbar“ vor der Festsetzung der Baulinie liegenden Zeitpunkt ab, dass der Wertermittlung jene Widmung zugrunde zu legen sei, die der mit dem PD 8154 erfolgten Umwidmung in Bauland unmittelbar vorangegangen sei. Dies sei verfahrensgegenständlich die mit dem PD 7702 festgelegte Widmung „Grünland-Ländliches Gebiet“ gewesen.

25 Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof in dem oben zitierten Erkenntnis vom , Ra 2019/05/0104, - worauf der Amtsrevisionswerber zutreffend hinweist - nicht auf die vor der Ausweisung als Bauland geltende Widmung abgestellt, sondern lediglich ausgeführt, wie beim Außerachtlassen der Festsetzung der abzutretenden Flächen als Verkehrsfläche vorzugehen ist und welche Grundstücksqualität der Ermittlung des Verkehrswertes zugrunde zu legen ist. Wie sich aus § 5 Abs. 6 lit. a BO ergibt, sind Baulinien die Grenzen der im Bauland gelegenen öffentlichen Verkehrsflächen gegen alle übrigen Grundflächen des anliegenden Baulandes. Sie können in den Bebauungsplänen festgesetzt werden. Baulinien finden sich demnach ausschließlich im Bauland, sie setzen die Flächenwidmung „Bauland“ voraus. Daran ändert auch der Umstand, dass die Flächenwidmungs- und die Bebauungspläne gemäß § 5 Abs. 8 BO für dieselben Plangebiete in einem Plan zusammengefasst werden können, nichts, weil ein Bebauungsplan, der gleichzeitig mit einem Flächenwidmungsplan beschlossen und kundgemacht wird, auf der Grundlage eben dieses Flächenwidmungsplans ergeht (vgl. Moritz, BauO für Wien6 [2019] Anm zu § 5 Abs 8).

26 Wenn daher ein Flächenwidmungs- und ein Bebauungsplan in einem Plandokument zusammengefasst werden und sich daraus für eine bestimmte Grundfläche die Flächenwidmung Bauland und deren - im Bebauungsplan vorzunehmende - Abgrenzung zu einer öffentlichen Verkehrsfläche mittels Baulinie ergibt, so unterliegt es keinem Zweifel, dass „unmittelbar“ vor Festsetzung der Baulinie, also in einer juristischen Sekunde davor, die Widmung Bauland bereits vorlag.

27 Da nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die fiktive Nutzungsmöglichkeit der betroffenen Grundfläche abzustellen ist, die sich ergeben hätte, wenn die Festlegung als Verkehrsfläche - und damit die Festlegung der Baulinie, vgl. § 5 Abs. 6 lit. a BO - nicht erfolgt wäre (vgl. oben Rn 22), ist daher im gegenständlichen Fall bei der Bewertung der abzutretenden Grundfläche von der Widmung Bauland auszugehen.

28 Vor diesem Hintergrund erweist sich die Außerachtlassung dieses Widmungsaktes in Bauland und der Rückgriff auf die davor geltende Widmung „Grünland-Ländliches Gebiet“ als rechtswidrig.

29 Nach der anhand der dargestellten Grundsätze vorzunehmenden Ermittlung der Qualität der zu bewertenden Grundflächen ist in weiterer Folge deren Preis zu bestimmen, wobei hierfür als maßgeblicher Zeitpunkt jener der Genehmigung der Grundabteilung anzunehmen ist (vgl. , zu § 50 BO aF; vgl. etwa auch , sowie , wonach einander an diesem Tag Aufschließungsvorteile und Kostenbeitragspflicht gegenüberstehen).

30 Das angefochtene Erkenntnis war auf Grund der obigen Darlegungen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
BauO Wr §17 Abs4a
BauO Wr §5 Abs6 lita
BauO Wr §5 Abs8
BauO Wr §50
BauO Wr §55
BauO Wr §57 Abs3
BauRallg
Schlagworte
Planung Widmung BauRallg3
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023050001.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
TAAAF-46206