VwGH 07.08.2023, Ra 2023/03/0144
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG eröffnet einer zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Person die Möglichkeit, sich anstelle des urkundlichen Nachweises lediglich auf die erteilte Vollmacht zu berufen. Das bedeutet nicht, dass die Berufung auf die erteilte Vollmacht nach § 10 Abs. 1 AVG das Vorliegen einer - auch im Innenverhältnis wirksam zustande gekommenen - Vollmacht ersetzen kann; es entfällt lediglich die Pflicht des urkundlichen Nachweises eines zustande gekommenen Bevollmächtigungsverhältnisses. Treten Zweifel über den Inhalt und Umfang sowie über den Bestand einer Vertretungsbefugnis auf, so ist die Behörde (bzw das Verwaltungsgericht) nach § 10 Abs. 2 AVG (iVm § 17 VwGVG) befugt, sich Klarheit darüber zu verschaffen und die Vollmacht nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/08/0074 E RS 1 |
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RS 2 | Bestehen konkrete Zweifel, ob der betreffende Parteienvertreter tatsächlich bevollmächtigt war, so hat die Behörde von Amts wegen entsprechende Ermittlungen vorzunehmen (; , 95/17/0384); nichts anderes gilt für das VwG. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/07/0476 B RS 2 |
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RS 3 | Eine Eingabe [hier: Beschwerde] ist bis zum Nachweis der Bevollmächtigung nicht dem (behaupteten) Machtgeber, sondern dem einschreitenden Vertreter zuzurechnen, sofern dieser eine für die Bevollmächtigung geeignete Person ist (vgl. E , 2000/03/0336). Wird der Aufforderung zum Nachweis der Bevollmächtigung nicht Rechnung getragen, ist die Beschwerde zurückzuweisen. Adressat des Zurückweisungsbeschlusses ist derjenige, der als (behaupteter) Verteter eingeschritten ist. Der (behauptete) Machtgeber ist dem Verfahren vor dem VwG nicht als Partei beizuziehen. Er ist auch nicht berechtigt, den an den Vertreter gerichteten Zurückweisungsbeschluss zu bekämpfen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2016/02/0198 B RS 1 (hier: nur der erste Satz) |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer sowie die Hofräte Mag. Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der B KG in W, vertreten durch Mag. Elisabeth Gößler und Mag. Lukas Mimler, Rechtsanwälte in 3150 Wilhelmsburg, Fleschplatz 2, Top 6, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-1228/001-2023, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer Angelegenheit nach dem Epidemiegesetz 1950 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt St. Pölten), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Antrag des N M (im Folgenden: Antragsteller), vertreten durch die nunmehrige Revisionswerberin, auf Vergütung für den Verdienstentgang gemäß § 32 Epidemiegesetz 1950 für den Zeitraum bis als unbegründet abgewiesen.
2 Dagegen erhob die Revisionswerberin - eine Steuerberatungsgesellschaft - im Namen des Antragstellers Beschwerde an das Verwaltungsgericht und berief sich dabei ausdrücklich gemäß § 77 Abs. 11 Wirtschaftstreuhandberufsgesetz 2017 (WTBG 2017) auf die ihr erteilte Bevollmächtigung einschließlich Zustellbevollmächtigung.
3 Das Verwaltungsgericht forderte die Revisionswerberin daraufhin gemäß § 10 Abs. 2 iVm § 13 Abs. 3 AVG auf, innerhalb von zwei Wochen eine schriftliche Vollmacht des Antragstellers vorzulegen, widrigenfalls die Beschwerde zurückgewiesen werden müsste. Die Revisionswerberin kam dieser Aufforderung nicht nach.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht die - als Beschwerde der Revisionswerberin bezeichnete - Beschwerde gegen den Bescheid vom als unzulässig zurück und sprach aus, dass eine Revision gegen diesen Beschluss nicht zulässig sei.
5 Begründend erwog es nach Darlegung des oben dargestellten Verfahrensganges, dass die belangte Behörde (ohne nähere Prüfung) davon ausgegangen sei, dass die Revisionswerberin als Vertreterin des Antragstellers eingeschritten sei. Sie habe den angefochtenen Bescheid entsprechend adressiert und auch seinem Inhalt nach über einen Antrag des Antragstellers (und nicht der Revisionswerberin) abgesprochen. Es könne daher nur der Antragsteller beschwerdelegitimiert sein.
Auch das Verwaltungsgericht sei zunächst davon ausgegangen, dass die Revisionswerberin die Beschwerde namens des Antragstellers erhoben habe, zumal diese eine - nach § 77 Abs. 11 WTBG 2017 bzw. § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG grundsätzlich zulässige - Berufung auf die der Revisionswerberin erteilte Vollmacht enthalten habe.
Auf Grund näher dargestellter Umstände seien beim Verwaltungsgericht jedoch Zweifel über Bestand und Umfang einer Vollmacht in Bezug auf die Revisionswerberin entstanden, sodass die Aufforderung erfolgt sei, die betreffende Vollmacht vorzulegen.
Weil die Revisionswerberin diesem Auftrag bis zuletzt nicht nachgekommen sei, sei ihr die Beschwerde ad personam zuzurechnen und diese mangels Beschwerdelegitimation mit Beschluss als unzulässig zurückzuweisen gewesen.
6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit darauf stützt, dass das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 77 Abs. 11 WTBG 2017 abgewichen sei sowie aktenwidrig angenommen habe, die Revisionswerberin sei selbst die Beschwerdeführerin gewesen.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revision bringt dazu zunächst eine Abweichung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis vom , Ra 2020/15/0013, vor. Darin hat der Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf seine Vorjudikatur ausgesprochen: Beruft sich ein Berufsberechtigter iSd WTBG 2017 im beruflichen Verkehr auf die ihm erteilte Bevollmächtigung, so ersetzt diese Berufung den urkundlichen Nachweis (§ 77 Abs. 11 WTBG 2017). Berufsrechtliche Vorschriften, wonach die Berufung auf eine erteilte Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis ersetzt, gelten auch im Anwendungsbereich der BAO. Eine allgemeine Vertretungsbefugnis schließt eine Zustellungsbevollmächtigung mit ein. Dies gilt auch, wenn sich ein Vertreter auf die ihm erteilte Vollmacht beruft.
9 Eine Abweichung von dieser Rechtsprechung liegt nicht vor: Zunächst ist klarzustellen, dass das Verwaltungsgericht im vorliegenden Verfahren als subsidiäre Verfahrensordnung nicht die BAO, sondern gemäß § 17 VwGVG das AVG anzuwenden hatte. Dabei sieht § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG allerdings ohnehin vor, dass die Berufung einer zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Person auf die ihr erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis ersetzt (vgl. zur Anwendung auf Steuerberatungsgesellschaften etwa ).
10 Das Verwaltungsgericht hat entsprechend dieser Rechtslage ausdrücklich anerkannt, dass sich die Revisionswerberin nach § 77 Abs. 11 WTBG 2017 bzw. § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG auf eine ihr erteilte Vollmacht berufen kann und dies im vorliegenden Fall auch getan hat. Es hatte jedoch Zweifel an Bestand und Umfang dieser Vollmacht, sodass sein Vorgehen der diesbezüglichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entspricht:
11 § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG eröffnet einer zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Person die Möglichkeit, sich anstelle des urkundlichen Nachweises lediglich auf die erteilte Vollmacht zu berufen. Das bedeutet nicht, dass die Berufung auf die erteilte Vollmacht nach § 10 Abs. 1 AVG das Vorliegen einer - auch im Innenverhältnis wirksam zustande gekommenen - Vollmacht ersetzen kann; es entfällt lediglich die Pflicht des urkundlichen Nachweises eines zustande gekommenen Bevollmächtigungsverhältnisses. Treten Zweifel über den Inhalt und Umfang sowie über den Bestand einer Vertretungsbefugnis auf, so ist die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) nach § 10 Abs. 2 AVG (in Verbindung mit § 17 VwGVG) befugt, sich Klarheit darüber zu verschaffen und die Vollmacht nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen. Bestehen konkrete Zweifel, ob der betreffende Parteienvertreter tatsächlich bevollmächtigt war, so hat die Behörde von Amts wegen entsprechende Ermittlungen vorzunehmen; nichts anderes gilt für das Verwaltungsgericht (vgl. , mwN; im Hinblick auf eine Steuerberatungsgesellschaft insbesondere ).
12 In der Revision wird das Vorliegen eines solchen Zweifelsfalls nicht in Abrede gestellt; im Übrigen handelte es sich bei dieser Annahme um eine grundsätzlich nicht revisible Entscheidung im Einzelfall (vgl. erneut ).
13 Die Zulässigkeit der Revision wird weiters damit begründet, dass das Verwaltungsgericht aktenwidrig angenommen habe, die Revisionswerberin sei selbst Beschwerdeführerin gewesen. Das Verwaltungsgericht habe zwar Zweifel über die bestehende Vollmacht gehabt, jedoch offenbar nie über „die Rolle der Verfahrensparteien an sich“ (also jene des Antragstellers als Beschwerdeführer und jene der Revisionswerberin als Beschwerdeführervertreterin).
14 Auch damit zeigt die Revision keine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes auf: Das Verwaltungsgericht ist ausdrücklich und im Einklang mit der Aktenlage davon ausgegangen, dass die Revisionswerberin die Beschwerde im Namen des Antragstellers eingebracht hat. Da der Bestand der Vollmacht trotz des ergangenen Mängelbehebungsauftrages nicht nachgewiesen wurde, hat es die Beschwerde aber letztlich der Revisionswerberin zugerechnet und - weil dieser keine Parteistellung im Vergütungsverfahren zukam - zurückgewiesen.
15 Dies entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach eine Eingabe bis zum - hier nicht erfolgten - Nachweis der Bevollmächtigung nicht dem (behaupteten) Machtgeber, sondern dem einschreitenden Vertreter zuzurechnen ist, sofern dieser eine für die Bevollmächtigung geeignete Person ist (vgl. , mwN).
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Beginn Vertretungsbefugnis Vollmachtserteilung Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang Vertretungsbefugter Zurechnung |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023030144.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
IAAAF-46198