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VwGH 27.03.2024, Ra 2023/02/0197

VwGH 27.03.2024, Ra 2023/02/0197

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
RS 1
Ein Akt der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt liegt dann vor, wenn ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen einen individuell bestimmten Adressaten einen Befehl erteilt oder Zwang ausübt und damit unmittelbar - das heißt ohne vorangegangenen Bescheid - in subjektive Rechte des Betroffenen eingreift. Eine Maßnahmenbeschwerde an das VwG kann sich demnach auch nur gegen die Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt durch Verwaltungsbehörden oder durch Organe in ihrem Dienst richten (). Akte anderer Staatsfunktionen (Gesetzgebung oder Gerichtsbarkeit) sind grundsätzlich keine tauglichen Beschwerdegegenstände.
Normen
RS 2
Ein verfahrensleitender Beschluss des VwG auf Ausschluss der Öffentlichkeit stellt keinen tauglichen Beschwerdegegenstand für eine Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG dar. Ein - allenfalls - fehlerhafter Ausschluss der Öffentlichkeit durch ein VwG kann allein deshalb nicht mit einer dafür nicht gedachten Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG bekämpft werden.
Normen
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
32005D0370 AarhusKonvention Art9 Abs3
RS 3
Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention verpflichtet die Mitgliedstaaten in Verbindung mit Art. 47 GRC dazu, für Mitglieder der Öffentlichkeit im Sinn dieser Bestimmung der Aarhus-Konvention einen wirksamen gerichtlichen Schutz der durch das Recht der Union garantierten Rechte, insbesondere der Vorschriften des Umweltrechts, zu gewährleisten (vgl. , 0082, mwN). In diesem Zusammenhang kommt es entscheidend darauf an, ob im jeweiligen Fall "(auch) der Schutz von Normen des Unionsumweltrechts auf dem Spiel [steht]" (vgl. bis 0080, mwN). Insoweit in der Zulässigkeitsbegründung (lediglich) auf die Bestimmungen der FFH-Richtlinie (insbesondere Art. 6 Abs. 3 dieser Richtlinie) hingewiesen wird, verkennen die Revisionswerber, dass die in Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie normierte (Natur)Verträglichkeitsprüfung nicht im SchiffahrtsG 1997, sondern in § 10 NÖ NatSchG 2000 umgesetzt wurde (vgl. dazu , Pkt. 2.2.2.; vgl. auch § 37 Abs. 1 Z 1 NÖ NatSchG 2000) und demnach keinen Prüfgegenstand des Bewilligungsverfahrens nach §§ 47ff SchiffahrtsG 1997 bildet. Ausgehend davon vermögen die Revisionswerber auch nicht aufzuzeigen, dass die Bestimmungen der FFH-Richtlinie im Verfahren nach dem SchiffahrtsG 1997 unmittelbar anwendbar wären.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2022/03/0168 B RS 4 (hier nur der erste Satz)
Normen
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
32005D0370 AarhusKonvention
32005D0370 AarhusKonvention Art9 Abs3
62009CJ0240 Lesoochranarske zoskupenie VORAB
RS 4
Nach dem , ist das nationale Verfahrensrecht in Bezug auf die Voraussetzungen, die für die Einleitung eines verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Überprüfungsverfahrens vorliegen müssen, so auszulegen, dass einer Umweltschutzvereinigung die Möglichkeit offen steht, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist und die möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten.

Entscheidungstext

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

Ra 2023/02/0198

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Andrés, über die Revision 1. des U in W und 2. der P GmbH in L, vertreten durch Dr. Josef Unterweger, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Buchfeldgasse 19a, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom , Zl. LVwG-960040/4/Fi/FS/ - 960041/2, betreffend Zurückweisung einer Maßnahmenbeschwerde, den Beschluss

Spruch

gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien betreffend die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch den Ausschluss der Öffentlichkeit aus einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am als unzulässig zurück und erklärte eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

2 Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, beim Verwaltungsgericht habe am eine öffentliche mündliche Verhandlung in einem Verfahren gegen eine dritte Person betreffend ein Tierhaltungsverbot und eine erfolgte Tierabnahme stattgefunden. An dieser öffentlichen mündlichen Verhandlung hätten der Erstrevisionswerber und J.S. jeweils als Vertreter der Zweitrevisionswerberin teilgenommen. Die genannten Personen seien weder persönlich als Parteien, noch als Zeugen oder Parteienvertreter an dem betreffenden Verfahren beteiligt. Im Zuge dieser Verhandlung sei von der zuständigen Richterin ein Beschluss auf Ausschluss der Öffentlichkeit gefasst worden, woraufhin u.a. der Erstrevisionswerber den Verhandlungssaal hätte verlassen müssen. In der Folge hätten die revisionswerbenden Parteien die vorliegende Maßnahmenbeschwerde erhoben.

Die Unzulässigkeit der Maßnahmenbeschwerde begründete das Verwaltungsgericht zusammengefasst damit, dass es sich beim Ausschluss der Öffentlichkeit um einen Akt der Gerichtsbarkeit handle, der nicht mittels Maßnahmenbeschwerde bekämpft werden könne.

3 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Die revisionswerbenden Parteien bringen zur Zulässigkeit der Revision vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ob - ausnahmsweise - eine Legitimation zur Erhebung einer Maßnahmenbeschwerde gegen eine Entscheidung eines der Gerichtsbarkeit zurechenbaren Organs zu bejahen sei, wenn die von der Entscheidung betroffenen Personen ansonsten keine Möglichkeit hätten, den Verstoß gegen grundlegende Verfahrensvorschriften zu relevieren. Die revisionswerbenden Parteien würden weder Parteistellung in dem Verfahren betreffend die Verhängung eines Tierhaltungsverbotes geltend machen, noch die Enderledigung in diesem Verfahren anfechten. Die revisionswerbenden Parteien seien jedoch in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht auf Teilnahme an der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom verletzt. Der Ausschluss der Öffentlichkeit sei bereits nach innerstaatlichem Recht unzulässig, die Zulässigkeit der Maßnahmenbeschwerde lasse sich jedoch auch aus der Aarhus-Konvention ableiten. Die zweitrevisionswerbende Partei sei eine Umweltschutzorganisation mit Tätigkeitsschwerpunkt im Tierschutz, die erstrevisionswerbende Partei sei deren rechtsfreundlicher Vertreter. Verhandlungsgegenstand vor dem Verwaltungsgericht sei die Abnahme von Tieren und ein Tierhaltungsverbot in Folge massivster Tierwohlverletzungen gewesen. Es handle sich um eine Umweltsache im Sinne der Aarhus-Konvention. Die revisionswerbenden Parteien seien sowohl „Öffentlichkeit“ als auch „betroffene Öffentlichkeit“ im Sinne des Art. 2 Z 4 und 5 Aarhus-Konvention. Das Interesse der revisionswerbenden Parteien am Verfahren sei offenkundig. Im Lichte der Rechtsprechung des EuGH (Verweis auf Lesoochranarske zoskupenie VLK [„Slowakischer Braunbär“], C-240/09) judiziere nunmehr auch der Verwaltungsgerichthof, dass Umweltschutzorganisationen Zugang zu Gerichten haben müssten, um Umweltschutzvorschriften geltend zu machen (Verweis auf ).

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein Akt der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dann vor, wenn ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen einen individuell bestimmten Adressaten einen Befehl erteilt oder Zwang ausübt und damit unmittelbar - das heißt ohne vorangegangenen Bescheid - in subjektive Rechte des Betroffenen eingreift.

9 Eine Maßnahmenbeschwerde an das Verwaltungsgericht kann sich demnach auch nur gegen die Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt durch Verwaltungsbehörden oder durch Organe in ihrem Dienst richten (vgl. ). Akte anderer Staatsfunktionen (Gesetzgebung oder Gerichtsbarkeit) sind grundsätzlich keine tauglichen Beschwerdegegenstände (vgl. etwa Eisenberger in: Eisenberger/Ennöckl/Helm, Die Maßnahmenbeschwerde2 [2016], S. 8f).

10 Gemäß § 25 Abs. 2 VwGVG erfolgt der Ausschluss der Öffentlichkeit durch verfahrensleitenden Beschluss entweder von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei oder eines Zeugen.

11 Wie die revisionswerbenden Parteien in der Zulässigkeitsbegründung selbst ausführen, stellt ein verfahrensleitender Beschluss des Verwaltungsgerichts auf Ausschluss der Öffentlichkeit daher keinen tauglichen Beschwerdegegenstand für eine Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG dar.

12 Daran ändert auch der Hinweis der Revision, Art. 6 EMRK verbürge das Recht auf Öffentlichkeit nicht nur für die Parteien und Beteiligten des Verfahrens, nichts. Ein - allenfalls - fehlerhafter Ausschluss der Öffentlichkeit durch ein Verwaltungsgericht kann allein deshalb nicht mit einer dafür nicht gedachten Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG bekämpft werden.

13 Auch Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention, der in Verbindung mit Art 47 GRC die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, für Mitglieder der Öffentlichkeit im Sinn dieser Bestimmung einen wirksamen gerichtlichen Schutz der durch das Recht der Union garantierten Rechte, insbesondere der Vorschriften des Umweltrechts, zu gewährleisten (vgl.  bis 0082, mwN), führt zu keinem anderen Ergebnis. Dass durch den gegenständlichen Beschluss derartige Rechte in Frage gestellt wären, zeigt die Revision schon deshalb nicht auf, weil sie nicht einmal darlegt, dass im vorliegenden Fall auch der Schutz von Normen des Unionsumweltrechts auf dem Spiel steht (vgl. etwa , mwN).

14 Das von der Revision zitierte , ist für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. Danach ist das nationale Verfahrensrecht in Bezug auf die Voraussetzungen, die für die Einleitung eines verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Überprüfungsverfahrens vorliegen müssen, so auszulegen, dass einer Umweltschutzvereinigung die Möglichkeit offen steht, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist und die möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten. Ein solcher Fall liegt hier aber jedenfalls nicht vor.

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §25 Abs2
VwGVG 2014 §9 Abs1
VwGVG 2014 §9 Abs2 Z4
VwGVG 2014 §9 Abs4
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
32005D0370 AarhusKonvention
32005D0370 AarhusKonvention Art9 Abs3
62009CJ0240 Lesoochranarske zoskupenie VORAB
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023020197.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
ZAAAF-46188