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VwGH 24.10.2023, Ra 2023/02/0178

VwGH 24.10.2023, Ra 2023/02/0178

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
AIFMG 2013 §2 Abs1 Z1
AIFMG 2013 §2 Abs1 Z1 lita
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg
RS 1
Voraussetzung für das Vorliegen eines Alternativen Investmentfonds (AIF) ist zunächst, dass ein Organismus für gemeinsame Anlagen von einer Anzahl von Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren. Erst wenn überhaupt eine Anlagestrategie festgelegt wurde, um das eingesammelte Kapital zum Nutzen der Anleger zu investieren, stellt sich die Frage, ob das eingesammelte Kapital unmittelbar der operativen Tätigkeit dient, weil ansonsten bereits aus dem erstgenannten Grund kein AIF vorliegt.
Normen
AIFMG 2013 §2 Abs1
AIFMG 2013 §2 Abs1 Z1 lita
EURallg
VwGG §42 Abs2 Z1
32010R1095 ÄnderungsV Beschluss Nr. 716/2009/EG Art16 Abs3
32011L0061 AIFMG-RL Art4
32011L0061 AIFMG-RL Art4 Abs1 lita subliti
RS 2
Durch § 2 Abs. 1 AIFMG 2013 werden die Definitionen gemäß Art. 4 der Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010 (AIFMD) umgesetzt (RV 2401 BlgNR 24. GP 12). Den dazu von der European Securities ans Markets Authority (ESMA) herausgegebenen Leitlinien zu Schlüsselbegriffen der Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFMD) vom , ESMA/2013/611, hinsichtlich derer die FMA gemäß Art. 16 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 ihre Compliance bestätigt hat, lässt sich zum Begriff der "festgelegten Anlagestrategie" entnehmen, dass ein Organismus als ein Organismus mit einer festgelegten Anlagestrategie im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. a und i der AIFMD angesehen werden sollte, der eine Strategie in Bezug darauf verfolgt, wie das im Organismus gebündelte Kapital im Hinblick auf die Erzielung einer Gemeinschaftsrendite für die Anleger, bei denen das Kapital beschafft wurde, verwaltet werden soll. Zudem definiert die ESMA in den Leitlinien einige Faktoren, die einzeln oder kumulativ auf das Vorhandensein einer solchen Strategie hinweisen könnten: Die Anlagestrategie ist bestimmt und festgelegt, spätestens zu dem Zeitpunkt, wenn die Verpflichtungen der Anleger gegenüber dem Organismus für sie verbindlich werden; die Anlagestrategie wird in einem Dokument dargelegt, das Bestandteil der Vertragsbedingungen bzw. der Satzung des Organismus ist bzw. auf das darin Bezug genommen wird; der Organismus bzw. die juristische Person, die den Organismus verwaltet, unterliegt gegenüber den Anlegern einer (wie auch immer entstandenen) von ihnen rechtlich durchsetzbaren Verpflichtung, sich nach der Anlagestrategie zu richten, einschließlich aller daran vorgenommenen Änderungen; die Anlagestrategie umfasst auch Anlagerichtlinien mit Verweis auf alle oder einzelne der nachstehend genannten Kriterien: Anlage in bestimmte Kategorien von Vermögenswerten bzw. gemäß Einschränkungen bezüglich der Anlageaufteilung; Verfolgung bestimmter Strategien; Anlage in bestimmten geografischen Gebieten; Einhaltung von Einschränkungen bezüglich von Hebelfinanzierungen; Einhaltung von Mindesthaltezeiten oder Einhaltung von anderen Einschränkungen zur Risikosteuerung. Für das Vorliegen einer Anlagestrategie spricht demnach, wenn die Anlagestrategie in einem Dokument festgelegt wurde und/oder von den Anlegern gegenüber dem Organismus bzw. der juristischen Person rechtlich durchsetzbar ist. Zudem soll eine Anlagestrategie auch Anlagerichtlinien enthalten, die alle oder zumindest einzelne der in den Leitlinien genannten Vorgaben aufweisen.
Normen
AIFMG 2013 §2 Abs1 Z1
AIFMG 2013 §2 Abs1 Z1 lita
EURallg
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg
32011L0061 AIFMG-RL Art4 Abs1 lita
32011L0061 AIFMG-RL Art4 Abs1 lita subliti
RS 3
Unter einer festgelegten Anlagestrategie ist die fixe Vorgabe eines Handlungsspielraumes zu verstehen, nach dem sich der Alternative Investmentfonds Manager (AIFM) bei der Vermögensverwaltung zu orientieren hat. Die Anlagestrategie kann sowohl in einer Gesellschaftssatzung, Vertragsunterlagen, aber auch in Werbeprospekten oder auf einer Website vorgegeben werden. Sie muss aber derart definiert sein, dass sich ein Anleger gegenüber dem AIFM verbindlich darauf stützen und die Einhaltung dieser Anlagestrategie fordern und durchsetzen kann. Durch ihre Anlagestrategie unterscheiden sich der Alternative Investmentfonds (AIF) von gewöhnlichen Unternehmen. Selbst eine relativ allgemein gehaltene Anlagestrategie eines AIF enthält gewöhnlich klarere Vorgaben als der Gesellschaftsvertrag von Unternehmen, bei denen der Gesellschaftszweck bzw. die Geschäftsaktivität meist vergleichsweise abstrakt gefasst ist. Die Anlagestrategie geht damit weit über die allgemeine Unternehmensstrategie und den abstrakten Unternehmensgegenstand hinaus. Sie beschränkt den Handlungsspielraum des Managements bei Veranlagungsentscheidungen, welcher diesem durch die Satzung und den Unternehmensgegenstand eingeräumt wird. Dass das angesammelte Kapital irgendeinem näher definierten Zweck zugeführt werden soll, reicht nicht aus, um bereits von einer Anlagestrategie im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 1 AIFMG 2013 auszugehen. Insbesondere dann nicht, wenn es sich dabei lediglich um den Zweck der "allgemeinen Unternehmensfinanzierung" handelt.
Normen
AIFMG 2013 §2 Abs1
AIFMG 2013 §2 Abs1 Z1
AIFMG 2013 §2 Abs1 Z1 lita
EURallg
VwGG §42 Abs2 Z1
32011L0061 AIFMG-RL
32011L0061 AIFMG-RL Art4 Abs1 lita
RS 4
Da durch die Definition des § 2 Abs. 1 AIFMG 2013 lediglich die Richtlinie 2011/61/EU umgesetzt wird, ist mit Blick auf eine unionsrechtskonforme Interpretation dieser Bestimmung nicht nur die Richtlinie, sondern sind auch die Leitlinien der ESMA zu beachten, wollte man dem nationalen Gesetzgeber nicht unterstellen, er hätte den von der Richtlinie definierten Anwendungsbereich eingeschränkt, indem er sämtliche operative Tätigkeiten einschließlich finanzieller Dienstleistungen davon ausgenommen hätte. Ausgehend von den Leitlinien der ESMA (ESMA/2013/611) ist ein Organismus dann kein AlF, wenn er einen allgemein-kommerziellen oder -industriellen Zweck verfolgt. Unter allgemein-kommerziellem oder industriellem Zweck verstehen die Leitlinien "den Zweck der Verfolgung einer Geschäftsstrategie, die sich u.a. durch Merkmale auszeichnet wie die überwiegende Ausübung (i) einer kommerziellen Tätigkeit einschließlich Kauf, Verkauf und/oder Austausch von Waren oder Gütern und/oder Verkehr mit (Erbringung von) nicht-finanziellen Dienstleistungen oder (ii) einer industriellen Tätigkeit einschließlich der Produktion von Waren oder der Errichtung von Immobilien oder (iii) einer Kombination daraus. Die Frage, ob eine operative Tätigkeit iSd § 2 Abs. 1 lit. a AIFMG 2013 gegeben ist, ist in diesem Lichte zu interpretieren und fallbezogen zu prüfen.
Normen
AVG §17
AVG §17 Abs4
AVG §45 Abs3
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §7 Abs1
RS 5
Die Verweigerung der Akteneinsicht im Zuge eines anhängigen Verfahrens stellt gleichgültig, ob die Einsicht in die Akten des anhängigen oder eines anderen Verfahrens begehrt wird, im Hinblick auf § 17 Abs. 4 AVG immer eine Verfahrensanordnung dar, die der Partei des anhängigen Verfahrens Anlass geben kann, dieses als mangelhaft zu bekämpfen, die aber nicht gesondert angefochten werden kann. Die Verweigerung der Akteneinsicht im Zuge eines anhängigen Verfahrens stellt auch dann eine bloße Verfahrensanordnung dar, wenn sie in die äußere Form eines Bescheides gekleidet ist (). Da die Verweigerung der Akteneinsicht als Verfahrensanordnung nicht gesondert anfechtbar ist, erweist sich die teilweise Stattgabe der Beschwerde gegen jenen Spruchpunkt des Bescheides, mit dem der Antrag auf Akteneinsicht abgewiesen wird, als rechtswidrig.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der Finanzmarktaufsichtsbehörde in 1090 Wien, Otto-Wagner-Platz 5, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W158 2240383-2/25E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AIFMG (mitbeteiligte Partei: L GmbH, vertreten durch die Helml Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Volksfeststraße 15), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antragnicht stattgegeben.

Begründung

1 Mit Bescheid der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom wurde der mitbeteiligten Partei aufgetragen, die unerlaubte Verwaltung eines bestimmten alternativen Investmentfonds gemäß § 2 Abs. 1 Z 2 Alternative Investmentfonds Manager-Gesetz - AIFMG zu unterlassen, wobei die zu unterlassende Tätigkeit näher beschrieben wurde (Spruchpunkt 1.) Dies sei der Finanzmarktaufsichtsbehörde binnen sechs Wochen ab Zustellung dieses Bescheides durch Vorlage geeigneter Unterlagen nachzuweisen (Spruchpunkt 2.). Bei Nichtbefolgung werde über die beteiligte Partei eine Zwangsstrafe i.H.v. € 10.000,-- verhängt (Spruchpunkt 3.). Der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Akteneinsicht in den gesamten Akt eines Verfahrens der Finanzmarktaufsichtsbehörde wurde abgewiesen (Spruchpunkt 4.). Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen (Spruchpunkt 5.).

2 Mit Beschluss vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen Spruchpunkt 5. (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) ab. Die dagegen erhobene Revision der mitbeteiligten Partei wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2021/02/0120, zurückgewiesen.

3 Mit Erkenntnis vom gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen die Spruchpunkte 1. bis 3. statt und behob diese Spruchpunkte ersatzlos. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt 4. wurde teilweise stattgegeben und festgestellt, dass die Finanzmarktaufsichtsbehörde die Akteneinsicht in näher genannte Aktenteile zu Unrecht geweigert habe. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

4 Gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts hat die Finanzmarktaufsichtsbehörde eine außerordentliche Amtsrevision erhoben, welche sie mit dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden hat.

5 Zur Begründung ihres Antrags auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung führte die Finanzmarktaufsichtsbehörde zusammengefasst aus, dass einerseits keine zwingenden öffentlichen Interessen vorlägen, welche gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der außerordentlichen Revision sprächen. Solche würden nur etwa dann angenommen, wenn mit dem Aufschub eine Gefahr für die Gesundheit und das Leben von Menschen, zum Teil auch deren Eigentum, verbunden wäre, oder etwa die Gefährdung der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches und des Abgabenanspruches als solche sowie die Gefährdung der Versorgungslage breiter Bevölkerungsteile zu erkennen sei. Demgegenüber würden die von der Amtspartei zu vertretenden öffentlichen Interessen unverhältnismäßig beeinträchtigt. Solche seien die Pflicht der Finanzmarktaufsichtsbehörde zur Wahrung des Vertrauens in den Kapitalmarkt und der Stabilität des Finanzmarktes. Dem Vertrauen in den Kapitalmarkt werde vom österreichischen Gesetzgeber wie auch jenem der Europäischen Union sowie seitens der höchsten Gerichte ein besonderes öffentliches Interesse bescheinigt. Der Verwaltungsgerichtshof vertrete in Fällen, in denen es um Einleger- und Anlegerschutz gehe, zudem, dass das Vertrauen in die Funktion des Kapitalmarktes derart schwer gewichtet sei, dass es als „absolut öffentliches Interesse“ aufzufassen sei. Zwar spiele sich das gegenständliche Verfahren nicht in Bereich des Bankwesens ab, dennoch sei die Gefährdung zwingender öffentlicher Interessen schon dann anzunehmen, wenn „mögliche“ Nachteile für Kunden bestünden, und andererseits weise die Rechtsprechung aus, dass auch der Gläubigerschutzschutz als zwingendes öffentliches Interesse zu qualifizieren sei. Die unerlaubte Verwaltung eines alternativen Investmentfonds weise besondere Gefahren für den Anlegerschutz auf. Aus der von der mitbeteiligten Partei nach wie vor ausgeübten, aus Sicht der Finanzmarktaufsichtsbehörde unerlaubten Verwaltung eines alternativen Investmentfonds seien Nachteile für den kollektiven Schutz von Kunden und Anlegern sowie ein Verlust des Vertrauens in den Finanz- bzw. Kapitalmarkt zu befürchten, weshalb ein die Schwelle der Unverhältnismäßigkeit übersteigender Nachteil für das öffentliche Wohl aus Sicht der Finanzmarktaufsichtsbehörde jedenfalls zu bejahen sei; dies auch dann, wenn Anleger bzw. Kunden oder das Vertrauen in den Kapitalmarkt bislang noch nicht unmittelbar ge- bzw. beschädigt worden sei. Zudem seien die Auswirkungen des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts auf die aufsichtliche Praxis und dem Interesse an der generellen unionsrechtlich gebotenen Aufsicht über AIF bzw. AIFM zu berücksichtigen.

6 Die mitbeteiligte Partei gab eine Stellungnahme zum Antrag der Finanzmarktaufsichtsbehörde ab.

7 Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat - ab Vorlage der Revision durch das Verwaltungsgericht - der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zu zuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung des durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

8 Um die vom Gesetzgeber geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können, ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. VwGH [verstärkter Senat] , 2680/80, VwSlg. 10381 A) erforderlich, dass der Revisionswerber schon in seinem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darlegt, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteile ergibt, es sei denn, dass sich nach Lage des Falles die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ohne weiteres erkennen lassen.

9 Nach den bisher im gesamten Verfahren, wie etwa auch im Revisionsverfahren zu Ra 2021/02/0120 betreffend die Abweisung einer der Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung, unbestrittenen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts, welche sich mit den Feststellungen der Finanzmarktaufsichtsbehörde in ihrem Bescheid vom decken, vertreibt die mitbeteiligte Partei die fraglichen Genussrechte seit dem nicht mehr, was sie auch im Amtsblatt der Wiener Zeitung veröffentlicht hat.

10 Davon ausgehend ist nicht erkennbar, dass die von der Finanzmarktaufsichtsbehörde ins Treffen geführte Gefahr, die für die Finanzmarktstabilität und den Anleger- sowie Kundenschutz sowie für das Vertrauen in einen funktionierenden Kapitalmarkt durch den Vertrieb der Genussrechte bestünden, überhaupt noch gegeben sein könnte. Somit ist es der Finanzmarktaufsichtsbehörde nicht gelungen, eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der von ihr zu vertretenden öffentlichen Interessen darzulegen, weshalb die Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht kommt.

11 Soweit die Finanzmarktaufsichtsbehörde ihre Ausführungen der Sache nach auf eine angenommene Rechtswidrigkeit der in Revision angezogenen Entscheidung stützt, ist zudem darauf hinzuweisen, dass im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht zu beurteilen ist.

Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungsdatum:

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

Ra 2023/02/0177 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Andrés, über die Revision der Finanzmarktaufsichtsbehörde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W158 2240383-2/25E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AIFMG (mitbeteiligte Partei: L GmbH in W, vertreten durch die ALIANT Helml Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Volksfeststraße 15; weitere Partei: Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Partei ist eine im Bereich Prozessfinanzierung tätige Gesellschaft.

2 Mit Verfahrensanordnung vom teilte die Finanzmarktaufsichtsbehörde der mitbeteiligten Partei mit, dass der Verdacht der unerlaubten Verwaltung eines Alternativen Investmentfonds (AIF) im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 1 Alternative Investmentfonds Manager-Gesetz (AIFMG) durch die mitbeteiligte Partei bestehe und forderte die mitbeteiligte Partei zur Herstellung des rechtskonformen Zustands durch Unterlassung der Verwaltung eines AIF auf.

3 Mit Schreiben vom beantragte die mitbeteiligte Partei Akteneinsicht in einen „vollständigen“ näher bezeichneten Akt der Finanzmarktaufsichtsbehörde.

4 Mit Bescheid der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom wurde der mitbeteiligten Partei aufgetragen, die unerlaubte Verwaltung eines AIF gemäß § 2 Abs. 1 Z 2 AIFMG zu unterlassen. Dies durch Unterlassung der Verwaltung des Genussrechtskapitals, das durch die Emission von unverbrieften und nachrangigen Genussrechten mit einer Laufzeit bis zum laut Kapitalmarktprospekt vom über das öffentliche Angebot von Genussrechten eingesammelt wurde (Spruchpunkt 1.). Dies sei der Finanzmarktaufsichtsbehörde binnen sechs Wochen ab Zustellung dieses Bescheides durch Vorlage geeigneter Unterlagen nachzuweisen (Spruchpunkt 2.). Bei Nichtbefolgung der Spruchpunkte 1. und 2. werde über die mitbeteiligte Partei eine Zwangsstrafe in Höhe von jeweils € 10.000,-- verhängt werden (Spruchpunkt 3.). Der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Akteneinsicht in den gesamten Akt eines Verfahrens der Finanzmarktaufsichtsbehörde wurde abgewiesen (Spruchpunkt 4.). Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen (Spruchpunkt 5.).

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen die Spruchpunkte 1. bis 3. statt und behob diese Spruchpunkte ersatzlos (Spruchpunkt I.). Der Beschwerde gegen Spruchpunkt 4. wurde teilweise stattgegeben und festgestellt, dass die Finanzmarktaufsichtsbehörde die Akteneinsicht in näher genannte Aktenteile zu Unrecht verweigert habe (Spruchpunkt II.). Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

6 Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, die mitbeteiligte Partei verfüge über keine Konzession der Finanzmarktaufsichtsbehörde. Im Kapitalmarktprospekt vom über das öffentliche Angebot von Genussrechten führe die mitbeteiligte Partei aus, dass sie insbesondere in folgenden Bereichen tätig sei:

„- Prozesskostenfinanzierung (aktuell wurden/werden zB über 4.000 Anfragen im Bereich Rückabwicklung von Lebensversicherungen bearbeitet und an kooperierende Rechtsanwälte weitergeleitet)

- (eingeschränkte) Vorabprüfung relevanter Unterlagen und Sammlung/Aufbereitung für die jeweiligen kooperierenden Rechtsanwälte

- Zurverfügungstellung von Kontakten zu Rechtsanwälten / Weiterleitung der Aufträge an die jeweiligen kooperierenden Rechtsanwälte

- Marketingaktivitäten für die Bewerbung des Unternehmens (wie zB Onlinemarketing auf sozialen Medien und Suchmaschinen, Roadshows, klassische Werbekampagnen)

- Aufbau und Ausbildung der selbständigen Vertriebspartner (derzeit über 280 österreichweit)“

Aus den im angefochtenen Erkenntnis auszugsweise und wörtlich wiedergegebenen Genussrechtsbedingungen laut Kapitalmarktprospekt ergibt sich u.a., dass die Genussrechte eine schuldrechtliche Vermögensbeteiligung der Genussrechtsberechtigten an der Emittentin darstellen. Sie werden nicht verbrieft, sind unbesichert sowie nachrangig und gewähren keinen Anteil am Kapital der Emittentin sowie keinerlei Verwaltungsrechte. Der Anspruch der Genussrechtsberechtigten auf Rückzahlung des Genussrechtskapitals umfasst deren Buchwert zuzüglich der bis dahin aufgelaufenen Zinsen, einer Gewinnbeteiligung sowie einer Unternehmenswertbeteiligung und geht den allgemeinen Gläubigern im Rang nach sowie den Gesellschaftern und Eigenkapitalgebern im Rang vor.

Laut Kapitalmarktprospekt - so das Bundesverwaltungsgericht in seiner weiteren Begründung - diene das Genussrechtskapital der direkten operativen Unternehmensfinanzierung. Als Anlageziel werde „allgemeine Unternehmensfinanzierung“ definiert. Ausdrücklich werde festgehalten, dass eine ordentliche Kündigung des Genussrechtsvertrages vor Ende der Laufzeit nicht möglich sei. Die mitbeteiligte Partei als Prozesskostenfinanzierer übernehme die notwendigen Kosten einer (außer-)gerichtlichen Verfolgung privater oder gewerblicher Ansprüche und trage das volle Prozesskostenrisiko der geführten Verfahren. Im Erfolgsfall erhalte die mitbeteiligte Partei einen Teil des erzielten Erlöses in Form einer Beteiligungsquote. Zum Entscheidungszeitpunkt der Finanzmarktaufsichtsbehörde unterstütze die mitbeteiligte Partei Konsumenten bei der Durchsetzung ihrer Rechte, insbesondere gegen Versicherungsunternehmen. Die mitbeteiligte Partei prüfe die eingereichten Fälle eingeschränkt vorab, stelle die relevanten Unterlagen zusammen, bereite diese auf und instruiere die beauftragten Rechtsanwälte. Außerdem bewerbe sie das Unternehmen, bilde ihre Mitarbeiter aus und schaffe Arbeitsmittel an.

In seiner rechtlichen Beurteilung erwog das Bundesverwaltungsgericht, die mitbeteiligte Partei führe zwar aus, keine festgelegte Anlagestrategie zu verfolgen. Betrachte man aber das Kapitalmarktprospekt der mitbeteiligten Partei, werde klargestellt, dass das Kapital den dort genannten Zwecken (Prozesskostenfinanzierung, Investitionen im Bereich Datenverarbeitung, Verwaltung und Administration, Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb, Marketingaktivitäten, Expansion und sonstige Ausgaben) zugeführt werde. Die Gesellschaft sei also keineswegs frei in der Verwendung des Genussrechtskapitals. Den Anlegern werde vielmehr verbindlich und klar offengelegt, zu welchen Zwecken das eingesammelte Kapital verwendet werde und welche Zwecke damit verfolgt werden sollten. Das Kapital sei eindeutig zum Zweck klar definierter Ziele eingesammelt worden. Der zuständige Senat erkenne jedoch auch, dass das eingesammelte Kapital entsprechend dem Kapitalmarktprospekt zur direkten operativen Unternehmensfinanzierung verwendet worden sei, weswegen gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 lit. a AIFMG letztlich kein AIF vorliege. Dass das eingesammelte Kapital von der Gesellschaft nicht (ausschließlich) zu kommerziellen oder industriellen Zwecken eingesammelt worden sei, sei ebenso irrelevant wie die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde, dass die zum Zeitpunkt der Emission geplanten Dienstleistungen, in welche das Genussrechtskapital investiert werden solle, eindeutig „finanzielle Dienstleistungen“ darstellen würden.

7 Dagegen richtet sich die außerordentliche Amtsrevision der Finanzmarktaufsichtsbehörde mit dem Antrag, die Revision für zulässig zu erklären und das angefochtene Erkenntnis dahingehend abzuändern, dass die Beschwerde der mitbeteiligten Partei zur Gänze als unbegründet abgewiesen werde in eventu das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

8 Nach Einleitung des Vorverfahrens erstatte die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichthof hat erwogen:

9 Die Finanzmarktaufsichtsbehörde erachtet ihre Revision gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses im Wesentlichen für zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehle, wie der in § 2 Abs. 1 Z 1 lit. a AIFMG verwendete Ausdruck „ohne dass das eingesammelte Kapital unmittelbar der operativen Tätigkeit dient“, auszulegen sei und das Bundesverwaltungsgericht den Ausdruck entgegen der Judikatur des Verwaltungsgerichthofes nicht unionsrechtskonform ausgelegt bzw. seine Auslegung mangelhaft begründet habe.

10 Die Revision erweist sich zur Klarstellung der Rechtslage als zulässig und berechtigt.

11 Gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 AIFMG ist ein AIF im Sinne dieses Bundesgesetzes jeder Organismus für gemeinsame Anlagen einschließlich seiner Teilfonds, der (a) von einer Anzahl von Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren, ohne dass das eingesammelte Kapital unmittelbar der operativen Tätigkeit dient, und (b) keine Genehmigung gemäß Art. 5 der Richtlinie 2009/65/EG benötigt.

12 Voraussetzung für das Vorliegen eines AIF ist demnach zunächst, dass ein Organismus für gemeinsame Anlagen von einer Anzahl von Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren. Erst wenn überhaupt eine Anlagestrategie festgelegt wurde, um das eingesammelte Kapital zum Nutzen der Anleger zu investieren, stellt sich die Frage, ob das eingesammelte Kapital unmittelbar der operativen Tätigkeit dient, weil ansonsten bereits aus dem erstgenannten Grund kein AIF vorliegt.

13 Durch § 2 Abs. 1 AIFMG werden die Definitionen gemäß Art. 4 der Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010 (AIFMD) umgesetzt (vgl. RV 2401 BlgNR 24. GP 12).

14 Den dazu von der Europäischen Wertpapier- und Aufsichtsbehörde (ESMA) herausgegebenen Leitlinien zu Schlüsselbegriffen der Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFMD) vom , ESMA/2013/611, hinsichtlich derer die Finanzmarktaufsichtsbehörde gemäß Art. 16 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 (ESMA-Verordnung) ihre Compliance bestätigt hat, lässt sich zum Begriff der „festgelegten Anlagestrategie“ entnehmen, dass ein Organismus als ein Organismus mit einer festgelegten Anlagestrategie im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. a und i der AIFMD angesehen werden sollte, der eine Strategie in Bezug darauf verfolgt, wie das im Organismus gebündelte Kapital im Hinblick auf die Erzielung einer Gemeinschaftsrendite für die Anleger, bei denen das Kapital beschafft wurde, verwaltet werden soll. Zudem definiert die ESMA in den Leitlinien, Rz. 20, einige Faktoren, die einzeln oder kumulativ auf das Vorhandensein einer solchen Strategie hinweisen könnten: Die Anlagestrategie ist bestimmt und festgelegt, spätestens zu dem Zeitpunkt, wenn die Verpflichtungen der Anleger gegenüber dem Organismus für sie verbindlich werden; die Anlagestrategie wird in einem Dokument dargelegt, das Bestandteil der Vertragsbedingungen bzw. der Satzung des Organismus ist bzw. auf das darin Bezug genommen wird; der Organismus bzw. die juristische Person, die den Organismus verwaltet, unterliegt gegenüber den Anlegern einer (wie auch immer entstandenen) von ihnen rechtlich durchsetzbaren Verpflichtung, sich nach der Anlagestrategie zu richten, einschließlich aller daran vorgenommenen Änderungen; die Anlagestrategie umfasst auch Anlagerichtlinien mit Verweis auf alle oder einzelne der nachstehend genannten Kriterien: Anlage in bestimmte Kategorien von Vermögenswerten bzw. gemäß Einschränkungen bezüglich der Anlageaufteilung; Verfolgung bestimmter Strategien; Anlage in bestimmten geografischen Gebieten; Einhaltung von Einschränkungen bezüglich von Hebelfinanzierungen; Einhaltung von Mindesthaltezeiten oder Einhaltung von anderen Einschränkungen zur Risikosteuerung.

15 Für das Vorliegen einer Anlagestrategie spricht demnach, wenn die Anlagestrategie in einem Dokument festgelegt wurde und/oder von den Anlegern gegenüber dem Organismus bzw. der juristischen Person rechtlich durchsetzbar ist. Zudem soll eine Anlagestrategie auch Anlagerichtlinien enthalten, die alle oder zumindest einzelne der in den Leitlinien genannten Vorgaben aufweisen.

16 Unter einer festgelegten Anlagestrategie ist demnach die fixe Vorgabe eines Handlungsspielraumes zu verstehen, nach dem sich der Alternative Investmentfonds Manager (AIFM) bei der Vermögensverwaltung zu orientieren hat. Die Anlagestrategie kann sowohl in einer Gesellschaftssatzung, Vertragsunterlagen, aber auch in Werbeprospekten oder auf einer Website vorgegeben werden. Sie muss aber derart definiert sein, dass sich ein Anleger gegenüber dem AIFM verbindlich darauf stützen und die Einhaltung dieser Anlagestrategie fordern und durchsetzen kann (vgl. Tomanek/Wintersberger, Geschäftsmodelle im Anwendungsbereich des AIFMG, in Kirchmayr-Schliesselberger/Klas/Miernicki/Rinderle-Ma/Weilinger [Hrsg.], Kryptowährungen [2019]).

17 Durch ihre Anlagestrategie unterscheiden sich AIF von gewöhnlichen Unternehmen. Selbst eine relativ allgemein gehaltene Anlagestrategie eines AIF enthält gewöhnlich klarere Vorgaben als der Gesellschaftsvertrag von Unternehmen, bei denen der Gesellschaftszweck bzw. die Geschäftsaktivität meist vergleichsweise abstrakt gefasst ist (vgl. Tollmann in Dornseifer/Jesch/Klebeck/Tollmann, AIFM-RL, Art. 4 Rz 29).

18 Die Anlagestrategie geht damit weit über die allgemeine Unternehmensstrategie und den abstrakten Unternehmensgegenstand hinaus. Sie beschränkt den Handlungsspielraum des Managements bei Veranlagungsentscheidungen, welcher diesem durch die Satzung und den Unternehmensgegenstand eingeräumt wird (vgl. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht², § 30 Rz 33).

19 Das Bundesverwaltungsgericht erachtet eine Anlagestrategie fallbezogen als gegeben, weil in dem von der mitbeteiligten Partei veröffentlichten Kapitalmarktprospekt klargestellt werde, dass das Kapital den dort genannten Zwecken (Prozesskostenfinanzierung, Investitionen im Bereich Datenverarbeitung, Verwaltung und Administration, Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb, Marketingaktivitäten, Expansion und sonstige Ausgaben) zugeführt werde.

20 Dass das angesammelte Kapital irgendeinem näher definierten Zweck zugeführt werden soll, reicht nach dem Gesagten jedoch nicht aus, um bereits von einer Anlagestrategie im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 1 AIFMG auszugehen. Insbesondere dann nicht, wenn es sich dabei - wie vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt - lediglich um den Zweck der „allgemeinen Unternehmensfinanzierung“ handelt (vgl. zur Unterscheidung zwischen Unternehmensstrategie und Anlagestrategie auch ESMA, Discussion paper, Key concepts of the Alternative Investment Fund Managers Directive an types of AIFM, ESMA/2012/117, Rz. 31).

21 Hinzu kommt, dass es nach den Feststellungen auch nicht das primäre Ziel der Anlage ist, durch das gesammelte Kapital einen Nutzen für die Gesamtheit der Anleger zu generieren, sondern wurde als Anlageziel die „allgemeine Unternehmensfinanzierung“ festgestellt.

22 Das Bundesverwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall verkannt, dass eine für das Vorliegen eines AIF erforderliche Anlagestrategie nicht mit der allgemeinen Unternehmensstrategie gleichzusetzen ist, und sich infolgedessen nicht mit den oben dargestellten Kriterien für eine Anlagestrategie auseinandergesetzt. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher bereits aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig.

23 Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Bundesverwaltungsgericht daher unter Berücksichtigung der dargestellten Leitlinien mit dem Vorliegen einer Anlagestrategie gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 lit. a AIFMG auseinanderzusetzen haben und anhand der Kriterien, die von der ESMA für das Vorliegen einer Anlagestrategie aufgestellt wurden, unter Wahrung von Parteiengehör entsprechende Feststellungen zu treffen haben, ob fallbezogen diese Voraussetzungen erfüllt sind.

24 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen eine weitere Voraussetzung für die Qualifikation als AlF verneint hat, indem es angenommen hat, der Ausnahmetatbestand der Verwendung des eingesammelten Kapitals zur direkten operativen Unternehmensfinanzierung gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 lit. a AIFMG sei erfüllt.

25 Auch bei dieser Beurteilung ist das Bundesverwaltungsgericht nämlich einem Rechtsirrtum unterlegen, indem es argumentierte, bei der Interpretation des in § 2 Abs. 1 lit. a AIFMG genannten Ausschlusskriteriums der „operativen Tätigkeit“ seien die Leitlinien der ESMA (ESMA/2013/611) nicht heranzuziehen, weil in Art. 4 Abs. 1 lit. a der AIFMD dieses nicht vorkomme und dazu auch in den Leitlinien der ESMA nichts ausgeführt werde. Somit sei mangels weiterer Regelung im AIFMG, was operative Tätigkeiten seien, nach den allgemeinen Interpretationsregeln der § 6 f ABGB der allgemeine Wortsinn (laut Duden „konkrete Maßnahmen zu treffen, sie unmittelbar wirksam werden lassend“) heranzuziehen, weshalb es unerheblich sei, ob es sich dabei um finanzielle oder nicht-finanzielle Dienstleistungen handle.

26 Dieser Rechtsansicht kann nicht gefolgt werden. Da durch die Definition des § 2 Abs. 1 AIFMG lediglich die AIFMD umgesetzt wird (siehe oben Rz 13), ist mit Blick auf eine unionsrechtskonforme Interpretation dieser Bestimmung nicht nur die Richtlinie, sondern sind auch die Leitlinien der ESMA zu beachten, wollte man dem nationalen Gesetzgeber nicht unterstellen, er hätte den von der Richtlinie definierten Anwendungsbereich eingeschränkt, indem er sämtliche operative Tätigkeiten einschließlich finanzieller Dienstleistungen davon ausgenommen hätte.

27 Ausgehend von den Leitlinien der ESMA ist ein Organismus dann kein AlF, wenn er einen allgemein-kommerziellen oder -industriellen Zweck verfolgt (vgl. ESMA/2013/611, Vl. 12). Unter allgemein-kommerziellem oder industriellem Zweck verstehen die Leitlinien „den Zweck der Verfolgung einer Geschäftsstrategie, die sich u.a. durch Merkmale auszeichnet wie die überwiegende Ausübung (i) einer kommerziellen Tätigkeit einschließlich Kauf, Verkauf und/oder Austausch von Waren oder Gütern und/oder Verkehr mit (Erbringung von) nicht-finanziellen Dienstleistungen oder (ii) einer industriellen Tätigkeit einschließlich der Produktion von Waren oder der Errichtung von Immobilien oder (iii) einer Kombination daraus (siehe ESMA/2013/611, II.). Die Frage, ob eine operative Tätigkeit iSd § 2 Abs. 1 lit. a AIFMG gegeben ist, ist in diesem Lichte zu interpretieren und fallbezogen zu prüfen.

28 Soweit sich die Revision zudem gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses wendet und rügt, das Bundesverwaltungsgericht hätte selbst Akteneinsicht gewähren und den aus seiner Sicht vorliegenden Mangel damit sanieren müssen, kommt ihr ebenfalls Berechtigung zu.

29 Mit Spruchpunkt 4. des Bescheids der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom wurde der Antrag der mitbeteiligten Partei vom auf Akteneinsicht in den gesamten Akt eines näher bezeichneten Verfahrens abgewiesen.

30 Dieser Antrag auf Akteneinsicht erfolgte im Zuge des - durch Verfahrensanordnung der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom eingeleiteten - Verfahrens gemäß § 22d FMABG, betreffend die Untersagung der Verwaltung eines AIF.

31 Die Verweigerung der Akteneinsicht im Zuge eines anhängigen Verfahrens stellt gleichgültig, ob die Einsicht in die Akten des anhängigen oder eines anderen Verfahrens begehrt wird, im Hinblick auf § 17 Abs. 4 AVG immer eine Verfahrensanordnung dar, die der Partei des anhängigen Verfahrens Anlass geben kann, dieses als mangelhaft zu bekämpfen, die aber nicht gesondert angefochten werden kann. Die Verweigerung der Akteneinsicht im Zuge eines anhängigen Verfahrens stellt auch dann eine bloße Verfahrensanordnung dar, wenn sie in die äußere Form eines Bescheides gekleidet ist (vgl. zum Ganzen , mwN).

32 Da die Verweigerung der Akteneinsicht als Verfahrensanordnung nicht gesondert anfechtbar war, erweist sich die teilweise Stattgabe der Beschwerde gegen Spruchpunkt 4. des Bescheides der Finanzmarktaufsichtsbehörde vor diesem Hintergrund als rechtswidrig.

33 Das angefochtenen Erkenntnis war daher in vollem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AIFMG 2013 §2 Abs1 Z1
VwGG §30 Abs2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023020178.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
PAAAF-46187