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VwGH 06.07.2023, Ra 2023/02/0073

VwGH 06.07.2023, Ra 2023/02/0073

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssatz


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Normen
RS 1
Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder auf die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch auf die Art, wie diese Tatsachen beschafft wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar. Die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zu Grunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht gerecht. Es liegt somit ein Aufhebungsgrund iSd § 42 Abs 2 Z 3 lit b VwGG vor.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 87/02/0046 E RS 6 (hier nur der erste Satz)

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des B in A, vertreten durch Dr. Roland Mühlschuster, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Eisenhowerstraße 22, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom , LVwG-605289/14/JS, betreffend Übertretung des KFG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen, im Beschwerdeverfahren ergangenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich (Verwaltungsgericht) wurde der Revisionswerber schuldig erachtet, er habe als Zulassungsbesitzer eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges am um 23:19 Uhr an einem konkret angegebenen Tatort nicht dafür Sorge getragen, dass der Zustand des genannten Kraftfahrzeuges den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes entspreche. Dieses sei so ausgerüstet gewesen, dass durch seinen sachgemäßen Betrieb übermäßiger Lärm entstanden sei. Der zulässige Nahfeldpegel von 90 dB (A) sei um 9 dB (A) überschritten worden. Der Revisionswerber habe dadurch § 103 Abs. 1 Z 1 KFG iVm. § 4 Abs. 2 KFG verletzt, weswegen über ihn gemäß § 134 Abs. 1 KFG eine Geldstrafe in der Höhe von € 200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag und 16 Stunden) verhängt sowie ein Kostenbeitrag zum Beschwerdeverfahren festgelegt wurde. Die Revision wurde für unzulässig erklärt.

2 Das Verwaltungsgericht stellte u.a. fest, der Revisionswerber habe im Mai 2021 mehrere Änderungen an seinem PKW wie Tieferlegungsfedern, Leichtmetallfelgen, verbreiterte Radkästen, Ansaugung und einen Austausch-Ladeluftkühler bei einem Ziviltechniker begutachten und in der Folge auch behördlich in der Genehmigungsdatenbank vermerken lassen. Der Standgeräuschpegel von 90 dB (A) sei jedoch in unveränderter Höhe genehmigt geblieben. Im Tatzeitpunkt habe der Standgeräuschpegel 99 dB (A) betragen. Eine Pegelveränderung um + 9 dB (A) sei als eine signifikante Lärmerhöhung hörbar und müsse einer „Fachwerkstätte“ auffallen. Die Pegelerhöhung habe ihre Ursache entweder in einer Manipulation der Fahrzeugsoftware oder sei auf ein Steuerungsgebrechen zurückzuführen, die etwa ein Schließen der Auspuffklappen bei Erreichen der Soll-Drehzahl verhindere. Der Revisionswerber betreibe eine Autowerkstatt.

3 Beweiswürdigend stützte sich das Verwaltungsgericht vor allem auf das Gutachten des Amtssachverständigen, welchem als Beurteilungsgrundlage ein ordnungsgemäß ausgefülltes Messprotokoll, die gültigen Eichscheine des Schallpegelmessers und des Schallkalibrators sowie die glaubwürdigen ergänzenden Zeugenangaben des auf Lärmmessungen spezialisierten Polizeibeamten zum Messvorgang, örtlichen und meteorologischen Messbedingungen zur Verfügung gestanden seien.

4 Rechtlich erachtete das Verwaltungsgericht das objektive Tatbild als erfüllt und sah die Verantwortung des Revisionswerbers zum mangelnden Verschulden als nicht glaubhaft gemacht an, zumal er nach seinen Angaben in der öffentlichen mündlichen Verhandlung auch selbst davon ausgehe, dass sein PKW - je nach Klappenstellung des gewählten Betriebsmodus - einen höheren Standgeräuschpegel als den genehmigten Wert von 90 dB (A) verursachen könne. Ihm sei eine Verletzung seiner Kontroll- und damit Sorgfaltspflicht als Zulassungsbesitzer eines leistungsstarken PKW umso mehr subjektiv vorzuwerfen. Das strafrechtlich geschützte Rechtsgut des Gesundheits- und Umweltschutzes sei bedeutend und die signifikante Pegelerhöhung um 9 dB (A) stelle eine mehr als geringe Intensität der Rechtsgutbeeinträchtigung durch den Revisionswerber dar. Schon diese Umstände stünden einer Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens nach § 45 Abs. 1 Z 4 VStG entgegen.

5 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Der Revisionswerber erachtet die Revision zunächst deshalb als zulässig, weil das Verwaltungsgericht nicht überprüft habe, ob die Geräuschmessung auf einer zertifizierten Prüfstrecke erfolgt sei, ob der Motor des kontrollierten Fahrzeugs auf Betriebstemperatur gewesen sei, ob das Messgerät zumindest 20 cm über dem Boden angebracht gewesen sei und ob die Entfernung des Messgeräts zum Fahrzeug abgemessen worden sei. Diese Punkte gingen aus dem im Akt befindlichen Messprotokoll nicht hervor und es enthalte auch keine Angaben darüber, wie der einzuhaltende 45° Winkel des Mikrofons sichergestellt worden sei. Das Sachverständigengutachten lasse nicht erkennen, wie die Tatsachen beschafft worden seien, auf denen die Einschätzung der Richtigkeit der Lärmmessung fuße. Es sei nicht ausreichend, sich für das Gutachten auf die Aussagen der amtshandelnden Polizeibeamten sowie auf das Messprotokoll zu stützen, welches nicht den Anforderungen des Anhang 9 der Regelung Nr. 51 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) - Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Kraftfahrzeuge mit mindestens vier Rädern hinsichtlich ihrer Geräuschemissionen [2018/798] entspreche (Hinweis auf ).

10 In dem vom Revisionswerber zitierten Erkenntnis gab der von der Berufungsbehörde schriftlich befragte Polizeichefarzt ohne Befundaufnahme und ohne Begutachtung eine schriftliche Äußerung über die Irrelevanz von Diabetes für die Frage der Zumutbarkeit einer Wartezeit ab und stellte fest, dass der dortige Beschwerdeführer nicht insulinpflichtig sei. Eine derartige sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen beschafft wurden, erkennen lässt, erachtete der Verwaltungsgerichtshof mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar.

11 Davon weicht aber der vorliegende Fall wesentlich ab, weil der Amtssachverständige persönlich an der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichtes teilnahm, in der der Verwaltungsstrafakt der belangten Behörde verlesen und erörtert sowie der Revisionswerber und Zeugen befragt wurden. Bereits das in der Verhandlung mündlich erstattete Gutachten des Amtssachverständigen lässt klar erkennen, dass er seinen Befund aus den Zeugenaussagen und dem Messprotokoll erhob. Auch die Beweiswürdigung im angefochtenen Erkenntnis weist darauf hin, dass dem Sachverständigen als Beurteilungsgrundlage das Messprotokoll, die Eichscheine und die Zeugenangaben zur Verfügung standen. Ein Abweichen von dem in der Revision genannten Erkenntnis liegt daher nicht vor.

12 Soweit der Revisionswerber die Richtigkeit des Sachverständigengutachtens anzweifelt, tritt er diesem nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen und zeigt auch nicht die Relevanz der behaupteten Unvollständigkeit des Gutachtens konkret auf (vgl. , mwN).

13 Die Regelung Nr. 51 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) - Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Kraftfahrzeuge mit mindestens vier Rädern hinsichtlich ihrer Geräuschemissionen [2018/798] enthält nur sieben Anhänge (siehe ABl. L 138 vom , S. 2), sodass schon deshalb die Anforderungen an ein Messprotokoll nicht an Anhang 9 leg. cit. gemessen werden können.

14 Der Revisionswerber sieht weiters in der vom Verwaltungsgericht als erfüllt angenommenen subjektiven Tatseite ein Abgehen von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, weil er sein Fahrzeug von einem Ziviltechniker habe begutachten lassen und auch von den Beamten des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung nach der Lärmmessung keine Beanstandungen erfolgt seien.

15 Dem steht entgegen, dass der Ziviltechniker fast ein halbes Jahr vor dem Tatzeitpunkt das Fahrzeug des Revisionswerbers begutachtete und er dabei - laut seinen Angaben im Verhandlungsprotokoll - keine Lärmmessung durchführte. Ebenso sagte der Revisionswerber selbst aus, dass die Beamten des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung keine nochmalige Lärmmessung vornahmen. Das vom Verwaltungsgericht zur Begründung des Verschuldens des Revisionswerbers ausgeführte Argument, der Revisionswerber sei selbst von einem - je nach Klappenstellung - 90 dB (A) übersteigenden Standgeräuschpegel ausgegangen, weshalb ihn als Zulassungsbesitzer eines leistungsstarken PKW die Verletzung seiner Kontrollpflicht vorzuwerfen sei, wird mit den in der Zulässigkeitsbegründung der Revision vorgetragenen Überprüfungen, denen keine Lärmmessung zu Grunde lag, nicht entkräftet.

16 Zuletzt sieht der Revisionswerber noch eine Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, weil das Verwaltungsgericht keine Ermahnung ausgesprochen habe, zumal das tatbildmäßige Verhalten des Revisionswerbers erheblich hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt zurückgeblieben sei und keine bedeutenden Folgen eingetreten seien (Hinweis auf  und 0119).

17 Nach ständiger Rechtsprechung zu § 45 Abs. 1 Z 4 VStG müssen die dort genannten Umstände - geringe Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, geringe Intensität der Beeinträchtigung dieses Rechtsgutes durch die Tat sowie geringes Verschulden - kumulativ vorliegen. Fehlt es an einer der in § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Voraussetzungen für die Einstellung des Strafverfahrens, kommt auch keine Ermahnung nach § 45 Abs. 1 letzter Satz VStG in Frage (vgl. etwa , mwN).

18 Das Verwaltungsgericht hat zutreffend auf die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Gesundheits- und Umweltschutzes sowie auf die mehr als geringe Intensität der Rechtsgutbeeinträchtigung infolge signifikanter Pegelerhöhung hingewiesen und sich dazu auf , berufen. Damit steht das angefochtene Erkenntnis im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

19 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
Schlagworte
Anforderung an ein Gutachten Beweismittel Sachverständigenbeweis Vorliegen eines Gutachtens
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023020073.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
BAAAF-46183