VwGH 21.02.2023, Ra 2023/02/0021
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | Es ist gerade die Aufgabe des Rettungsdienstes, in akuten lebensbedrohlichen Fällen Erste Hilfe zu leisten und mit der hiefür vorgesehenen Ausstattung, unter Verwendung des Einsatzfahrzeuges, den Patienten gegebenenfalls der weiteren Versorgung in einer Klinik zuzuführen (vgl. ). Die Verbringung einer Person in besorgniserregendem Zustand in ein Krankenhaus, ohne die Möglichkeit zu prüfen, ob nicht eine andere Transportgelegenheit, insbesondere ein Rettungsfahrzeug, das als Einsatzfahrzeug nicht an Beschränkungen der Fahrgeschwindigkeit gebunden ist, zur Verfügung steht, vermag keinen Notstand hinsichtlich der Übertretung der Straßenverkehrsordnung zu begründen (vgl. ; ). |
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RS 2 | Die Frage, ob das VwG im vorliegenden Fall zu Recht das Vorliegen von grober Fahrlässigkeit bejaht hat, ist keine Rechtsfrage, der über den konkreten Einzelfall hinausgehende, grundsätzliche Bedeutung iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommt. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2022/02/0194 B RS 4 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter und die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des S in S, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom , 405-4/5053/1/4-2022, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Salzburg), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Salzburg vom wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe am um 22:54 Uhr an einer näher bezeichneten Stelle auf der A1 Westautobahn in Fahrtrichtung Deutschland mit einem dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeug die in diesem Bereich durch Straßenverkehrszeichen kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 69 km/h überschritten, wobei die in Betracht kommende Messtoleranz bereits abgezogen worden sei. Der Revisionswerber habe dadurch § 52 lit. a Z 10a StVO verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 2e StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 2.800,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 23 Tage und 20 Stunden) verhängt sowie ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens in Höhe von € 280,-- festgesetzt wurden.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Salzburg (Verwaltungsgericht) der Beschwerde teilweise Folge und bestätigte den Strafausspruch mit der Maßgabe, dass die Geldstrafe auf € 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 8 Tage) herabgesetzt werde (Spruchpunkt I.). Das Verwaltungsgericht sprach weiters aus, dass der Revisionswerber keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe, setzte den Beitrag zu den Kosten des behördlichen Strafverfahrens mit € 100,-- fest (Spruchpunkt II.) und erklärte eine Revision für unzulässig (Spruchpunkt III.).
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Soweit der Revisionswerber zur Zulässigkeit der Revision zunächst vorbringt, das Verwaltungsgericht habe keinen Abspruch über den Schuldspruch des Straferkenntnisses der Landespolizeidirektion Salzburg vom getätigt, obwohl sich seine Beschwerde sowohl gegen den Schuldspruch als auch gegen den Strafausspruch gewendet habe, ist dem entgegenzuhalten, dass mit dem formulierten Spruch - auch unter Berücksichtigung der Begründung, in der sich das Verwaltungsgericht ausführlich mit der Schuldfrage auseinandersetzte - jedenfalls implizit auch ein Abspruch über den Schuldspruch erfolgte, setzt der Strafausspruch doch die Bestätigung des Schuldspruchs voraus.
7 Der Revisionswerber bringt unter dem Aspekt der Zulässigkeit seiner Revision weiters vor, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht das Vorliegen einer Notstandssituation verneint. Es habe unberücksichtigt gelassen, dass sich der Zustand seines Kleinkindes während der Fahrt verschlechtert habe, weshalb der Revisionswerber die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht bemerkt habe. Zur Frage, ob bei der Beurteilung einer Notstandssituation bei einem Geschwindigkeitsdelikt auf den Zeitpunkt des Wegfahrens oder des Passierens des Verbotszeichens abzustellen sei, fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Das Verwaltungsgericht habe zudem keine Prüfung durchgeführt, ob allenfalls ein entschuldigender Putativnotstand im Sinn des § 10 Abs. 2 Satz 2 StGB vorliege.
8 Unter Notstand im Sinne des § 6 VStG kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, dass er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht (vgl. etwa , mwN). Es gehört zum Wesen des Notstandes, dass die Gefahr zumutbarerweise nicht in anderer Art als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlung zu beheben ist und dass die Zwangslage nicht selbst verschuldet ist (vgl. , mwN; im Zusammenhang mit einem vorgebrachten Putativnotstand ).
9 Auch die irrtümliche Annahme eines Notstandes (Putativnotstand) kann entschuldigen, und zwar dann, wenn der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Notstandes nicht auf Fahrlässigkeit beruhte, dem Beschuldigten also nicht vorwerfbar wäre (vgl. ).
10 Die Beurteilung, ob eine die Strafbarkeit ausschließende Notstandssituation gemäß § 6 VStG vorliegt, hat sich am festgestellten Sachverhalt zu orientieren und bildet damit keine über den jeweiligen Fall hinausgehende, grundsätzliche Rechtsfrage. Der Verwaltungsgerichtshof hat im geltenden Revisionsmodell damit bereits die rechtliche Einordnung sachverhaltsbezogener Fragen im Zusammenhang mit der Annahme der Notstandssituation gemäß § 6 VStG der jeweiligen einzelfallbezogenen Beurteilung durch das Verwaltungsgericht zugeordnet. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung könnte in diesem Zusammenhang nur vorliegen, wenn die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen wäre (vgl. , mwN).
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit der Beurteilung von Notstandssituationen bereits festgehalten, dass es gerade die Aufgabe des Rettungsdienstes ist, in akuten lebensbedrohlichen Fällen Erste Hilfe zu leisten und mit der hiefür vorgesehenen Ausstattung, unter Verwendung des Einsatzfahrzeuges, den Patienten gegebenenfalls der weiteren Versorgung in einer Klinik zuzuführen (vgl. ) und die Verbringung einer Person in besorgniserregendem Zustand in ein Krankenhaus, ohne die Möglichkeit zu prüfen, ob nicht eine andere Transportgelegenheit, insbesondere ein Rettungsfahrzeug, das als Einsatzfahrzeug nicht an Beschränkungen der Fahrgeschwindigkeit gebunden ist, zur Verfügung steht, keinen Notstand hinsichtlich der Übertretung der Straßenverkehrsordnung zu begründen vermag (vgl. ; ).
12 Das Verwaltungsgericht hat das Nichtvorliegen eines Notstandes im Wesentlichen damit begründet, dass der Revisionswerber der von ihm befürchteten Gefahr für Leben und Gesundheit seines Kindes damit hätte begegnen können, dass er auf den bereits verständigten Rettungsdienst gewartet hätte, der ein Eintreffen in 15 bis 20 Minuten mitgeteilt habe. Darüber hinaus verwies es darauf, dass durch die massive Geschwindigkeitsüberschreitung kein nennenswerter Zeitgewinn (maximal drei Minuten bei einer Fahrtzeit von insgesamt 25 bis 30 Minuten) habe gewonnen werden können. Dass diese Beurteilung im Sinn der oben dargestellten Judikatur unvertretbar wäre oder das Verwaltungsgericht von der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen einer Notstandssituation abgewichen wäre, zeigt die Revision mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht auf. Eine vom Revisionswerber vorgebrachte zwischenzeitliche Besserung des Gesundheitszustandes nach Verständigung des Rettungsdienstes vermag an der Vertretbarkeit der Einschätzung des Verwaltungsgerichts nichts zu ändern, zumal der Revisionswerber offenkundig weiterhin vom Erfordernis einer zeitnahen ärztlichen Behandlung ausgegangen ist.
13 Zuletzt macht der Revisionswerber zur Zulässigkeit der Revision geltend, das Verwaltungsgericht habe eine unvertretbare Strafbemessung durchgeführt. Das Verwaltungsgericht habe - neben seiner Unbescholtenheit - das Vorliegen von weiteren Strafmilderungsgründen des § 34 Abs. 1 Z 1, 8 und 11 StGB nicht berücksichtigt bzw. nicht festgestellt, was jedoch zu einer günstigeren Strafbemessung, insbesondere der Anwendung des § 20 VStG geführt hätte. Welche spezialpräventiven Erwägungen das Verwaltungsgericht herangezogen habe, lege das Verwaltungsgericht nicht offen. Dieses habe auch zu Unrecht einen vermehrten Schadstoffausstoß sowie Lärmentwicklung als erhöhte Umweltbelastung bei der Strafzumessung berücksichtigt. Zudem wendet sich der Revisionswerber gegen die Annahme grober Fahrlässigkeit.
14 Bei der Strafbemessung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die nach den vom Gesetzgeber in § 19 VStG festgelegten Kriterien vorzunehmen ist. Vom Verwaltungsgerichtshof ist daher (bloß) zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht von dem ihm eingeräumten Ermessen im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht hat, das heißt, ob die verhängte Strafe unter Bedachtnahme auf die Strafbemessungsgründe vertretbar erscheint (, mwN). Dies vorzubringen ist Aufgabe des jeweiligen Revisionswerbers.
15 Soweit der Revisionswerber vorbringt, er sei bei der Tatbegehung 18 ½ Jahre alt gewesen, was sich bereits aus dem Beschwerdeschriftsatz ergebe, wo auf der ersten Seite das Geburtsdatum des Revisionswerbers angeführt worden sei, ist zu entgegnen, dass sowohl auf dem Beschwerdeschriftsatz als auch auf dem Revisionsschriftsatz in Übereinstimmung mit der Aktenlage das Geburtsdatum des Revisionswerbers mit angeführt ist. Es ergibt sich daher entgegen dem Vorbringen in der Revision ein Alter von 28 ½ Jahren. Entgegen den Ausführungen in der Revision wurde in der mündlichen Verhandlung auch kein Vorbringen in Richtung § 34 Abs. 1 Z 1 StGB erstattet.
16 Dass das Verwaltungsgericht nicht davon ausging, die Übertretung sei unter Umständen begangen worden, die einem Schuldausschließungsgrund nahekommen (§ 19 Abs. 2 VStG in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Z 11 StGB) oder der Revisionswerber sich zur Tat in einem psychischen Ausnahmezustand habe hinreißen lassen (vgl. zu § 34 Abs. 1 Z 8 StGB u.a.), vermag der Verwaltungsgerichtshof unter Bedachtnahme auf die festgestellten Umstände im Einzelfall nicht als unvertretbar zu erkennen.
17 Im Zuge der Strafbemessung wies das Verwaltungsgericht auf die erhebliche Gefährdung der Verkehrssicherheit hin, die mit dem hohen Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung, die immer wieder Ursache schwerer und schwerster Unfälle mit Verletzten und Toten sei, verbunden gewesen sei. Angesichts der relativ niedrigen Höhe der verhängten Strafe und des gravierenden Unrechtsgehalts der Tat gelingt es dem Revisionswerber selbst bei Annahme des Milderungsgrunds des § 34 Abs. 1 Z 8 StGB nicht, eine Unvertretbarkeit der verhängten Strafe aufzuzeigen.
18 Wenn der Revisionswerber bestreitet, dass er die Übertretung grob fahrlässig begangen habe, ist er darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz zur Lösung von Rechtsfragen berufen ist und nicht dazu, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern (vgl. z.B. , mwN). Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall zu Recht das Vorliegen von grober Fahrlässigkeit bejaht hat, ist keine Rechtsfrage, der über den konkreten Einzelfall hinausgehende, grundsätzliche Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zukommt. Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt nämlich in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. , mwN; zu § 6 Abs. 3 StGB vgl. im Übrigen , mwN).
19 Auch der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles eine außerordentliche Milderung der Strafe nach § 20 VStG gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. , mwN). Das Verwaltungsgericht hat die Unbescholtenheit des Revisionswerbers als Milderungsgrund gewertet. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit - auch bei Fehlen von Erschwerungsgründen - für sich genommen noch kein beträchtliches Überwiegen der Milderungsgründe über die Erschwerungsgründe iSd § 20 VStG bewirken kann (vgl. , mwN).
20 Auch sonst ist aus dem Vorbringen des Revisionswerbers nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht die Strafbemessung in unvertretbarer Weise ausgeübt hätte (vgl. etwa ); dies vor dem Hintergrund der Strafdrohung von € 300,-- bis € 5.000,-- und der Begründung des Verwaltungsgerichtes, das sich auch mit der Gefährlichkeit des vom Revisionswerber gesetzten Verhaltens, der Generalprävention und dem Verschulden des Revisionswerbers auseinandergesetzt hat, wobei es die von ihm angenommene grobe Fahrlässigkeit ausdrücklich nicht bei der Strafbemessung berücksichtigte und keinen Umstand als straferschwerend wertete.
21 Inwiefern die über den Revisionswerber verhängte Strafe, die sich ohnehin im unteren Bereich des bis € 5.000,-- reichenden Strafrahmens bewegt, weiter zu reduzieren wäre, stellt die Revision nicht dar, sodass die Revision nicht von der aufgezeigten Rechtsfrage abhängt (vgl. ; zur Berücksichtigung der Spezialprävention bei Geschwindigkeitsübertretungen, die einer Herabsetzung der Geldstrafe entgegensteht, vgl. ).
22 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | B-VG Art133 Abs4 StGB §6 Abs3 StVO 1960 §52 lita Z10a StVO 1960 §99 Abs2e VStG §19 VStG §6 VwGG §34 Abs1 VwGVG 2014 §38 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023020021.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
GAAAF-46177