VwGH 11.04.2022, Ra 2022/18/0055
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Die Veranlassung der Übersetzung vorgelegter fremdsprachiger Urkunden durch das VwG stellt eine (gegebenenfalls amtswegige) Ermittlungsmaßnahme dar, weil sie im Einzelfall der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes dienen kann. Die Frage, ob das VwG im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. , mwN). Von einer solchen grob fehlerhaften Beurteilung ist aber auszugehen, wenn das VwG - wie hier - schon aus prinzipiellen Überlegungen davon ausgeht, zu einer Übersetzung nie verpflichtet zu sein. So hat der VwGH bereits mehrfach erkannt, dass die unterbliebene Übersetzung von vorgelegten fremdsprachigen Urkunden einen Verfahrensmangel darstellen kann, der bei gegebener Relevanz zur Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung führt (vgl. etwa ; , Rn 24, mwN; ; ; ; und ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2020/14/0135 E RS 6 (hier: nur der letzte Satz) |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des M, geboren 1986, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W195 2223723-1/15Z, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.
Begründung
1 In der gegenständlichen Asylangelegenheit verband der Revisionswerber seine Revision mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und brachte im Wesentlichen vor, der sofortige Vollzug der angefochtenen Entscheidung (Abschiebung) wäre für ihn mit einem unverhältnismäßigen Nachteil verbunden.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat zu diesem Antrag keine Stellungnahme abgegeben.
3 Gemäß § 30 Abs. 2 erster Satz VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
4 Letzteres wird im gegenständlichen Antrag geltend gemacht und kann auf der Grundlage des angefochtenen Erkenntnisses nicht von vornherein als unzutreffend angesehen werden. Da keine zwingenden oder zumindest überwiegenden öffentlichen Interessen zu erkennen sind (Interessen anderer Parteien kommen fallbezogen nicht in Betracht), die der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegenstünden, war dem Antrag stattzugeben.
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungsdatum:
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M R, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W195 2223723-1/15Z, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, beantragte am internationalen Schutz. Er brachte zusammengefasst vor, politische Gegner hätten ihn wegen seiner Aktivitäten für die Partei BNP fälschlich mehrerer Straftaten beschuldigt und es werde gegen ihn deshalb ein Strafverfahren geführt. Er könne nicht mehr nach Hause, weil er dort unschuldig ins Gefängnis komme.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
3 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, der Revisionswerber sei entgegen seinem Vorbringen zu keinem Zeitpunkt aufgrund seiner politischen Zugehörigkeit oder anderweitigen Gründen verfolgt oder bedroht worden. Im Zuge von Vor-Ort-Recherchen sei zwar ein gegen ihn geführtes Strafverfahren verifiziert worden. Der Revisionswerber sei jedoch gegen Kaution auf freiem Fuß; einen Haftbefehl gegen ihn gebe es nicht. Es sei nicht glaubhaft, dass das gegen ihn geführte Strafverfahren einen politischen Hintergrund habe und er deswegen im Falle einer Rückkehr sofort festgenommen würde.
4 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache unter anderem geltend macht, das BVwG sei von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung insoweit abgewichen, als es fremdsprachige Unterlagen, die der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung zu seinem Gerichtsverfahren vorgelegt habe, nicht habe übersetzen lassen. Wäre dies geschehen, so hätte sich ergeben, dass das Strafgericht jüngst einen Haftbefehl gegen den Revisionswerber in Aussicht gestellt habe und das zu Unrecht gegen den Revisionswerber geführte Strafverfahren offensichtlich energisch vorantreibe. Im Zusammenhalt mit den getroffenen Länderfeststellungen über menschenrechtswidrige Haftbedingungen drohe dem Revisionswerber wegen der politisch motivierten Strafanzeige sehr wohl eine massive Gefährdung bei Rückkehr in den Herkunftsstaat.
5 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist teilweise zulässig und begründet.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt erkannt, dass die unterbliebene Übersetzung von vorgelegten fremdsprachigen Urkunden einen Verfahrensmangel darstellen kann, der bei gegebener Relevanz zur Aufhebung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung führt (vgl. etwa , mwN).
9 Im gegenständlichen Fall hat der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung vom zum Nachweis seines Fluchtvorbringens, politische Gegner hätten gegen ihn eine fingierte Strafanzeige erstattet, weshalb ihm bei Rückkehr Inhaftierung drohe, ein Konvolut von Unterlagen in bengalischer Sprache vorgelegt und dazu vorgebracht, dass es sich dabei um gerichtliche Schriftstücke handle.
10 Das BVwG hat diese Unterlagen weder übersetzen noch in seine Beweiswürdigung einfließen lassen.
11 Die Revision bringt substantiiert vor, dass eine Übersetzung der Unterlagen zum einen ein wegen der Vorwürfe nach Art. 323, 341 und 379 des bengalischen Strafgesetzbuches geführtes Strafverfahren (Körperverletzung, Freiheitsentziehung und Diebstahl) ergeben hätte und zum anderen, dass das Gericht in Bangladesch das Strafverfahren vorantreibe und die Erlassung eines Haftbefehls unmittelbar bevorstehe. Sie verweist außerdem zu Recht auf die Länderfeststellungen des angefochtenen Erkenntnisses, die von lebensbedrohlichen Haftbedingungen und von unverhältnismäßig langer Untersuchungshaft in Bangladesch zeugen.
12 Ausgehend davon gelingt es der Revision, die Relevanz des aufgezeigten Verfahrensmangels in Bezug auf die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (und die darauf aufbauenden Spruchpunkte) darzulegen. Die Annahme des BVwG, der Revisionswerber werde bei Rückkehr nach Bangladesch trotz des gegen ihn geführten Strafverfahrens nicht inhaftiert werden, weshalb ihm auch keine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte drohe, lässt sich vor dem Hintergrund des dargestellten Revisionsvorbringens nicht ohne Weiteres aufrechterhalten. Das angefochtene Erkenntnis weist insoweit eine (relevante) Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
13 Kein ausreichendes Vorbringen zur Relevanz des geltend gemachten Verfahrensmangels enthält die Revision allerdings in Bezug auf die Nichtgewährung von Asyl, zumal nicht dargetan wird, dass die Übersetzung der vorgelegten Unterlagen zu einer anderen (beweiswürdigenden) Beurteilung des BVwG zur Frage hätte führen können, ob das Strafverfahren den behaupteten politischen Hintergrund habe. Derartiges hat das BVwG in einer (vertretbaren) Beweiswürdigung verneint.
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Nichtgewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie die darauf aufbauenden Spruchpunkte wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
15 In Bezug auf die Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten war die Revision hingegen wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückzuweisen.
16 Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abzusehen.
17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Norm | VwGG §30 Abs2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022180055.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
FAAAF-46160