VwGH 12.06.2024, Ra 2022/16/0086
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Norm | EURallg |
RS 1 | Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes ist die Sicherung der vollen Wirksamkeit des Urteils in der Hauptsache. Hauptsache ist jene, in der die Entscheidung ergeht, deren volle Wirksamkeit durch eine einstweilige Anordnung gesichert werden soll. Ist die endgültige Entscheidung in der Hauptsache bereits ergangen, so kommt auch deren Sicherung im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mehr in Betracht (vgl. , mwN). Ein solches Verfahren stellt sich als gegenstandslos geworden dar. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/14/0139 B RS 1 |
Normen | VwRallg 12010E267 AEUV Art267 |
RS 2 | Der Antrag, der VwGH möge an den EuGH einen Antrag auf Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV zu näher angeführten Rechtsfragen des Unionsrechts stellen, war zurückzuweisen, weil ein Rechtsanspruch auf Einholung einer Vorabentscheidung der Revisionswerberin nicht zukommt (vgl. , mwN). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätin Dr. Reinbacher sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision der C GmbH in M, vertreten durch Mag. Dr. Andreas Schuster, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Liechtensteinstr. 22A/1/12, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7100588/2022, betreffend einen Antrag auf Aussetzung von beabsichtigten Maßnahmen zur Hereinbringung von Abgabenschuldigkeiten nach §§ 57 ff GSpG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Österreich), den Beschluss gefasst:
Spruch
1. Die Revision wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Einholung einer Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV durch den Gerichtshof der Europäischen Union wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin - eine im Bereich der Veranstaltung von Pokerspielen tätige GmbH - stellte mit Schriftsatz vom beim Finanzamt Österreich einen - unmittelbar auf das Unionsrecht gemäß Art. 160 Abs. 2 VerfO-EuGH iVm Art. 279 AEUV iVm § 20a VfGG iVm § 230 Abs. 6 BAO gestützten - Antrag auf Aussetzung aller Maßnahmen, die seitens des Behörde mit einer allfälligen Hereinbringung von Abgabenschuldigkeiten nach den §§ 57 ff Glücksspielgesetz (GSpG) beabsichtigt würden, bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über einen von ihr gestellten Antrag auf Gesetzesprüfung hinsichtlich bestimmter Normen des GSpG.
2 Das Finanzamt wies diesen Antrag mit näherer Begründung als unzulässig zurück. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung ab, woraufhin die Revisionswerberin einen Vorlageantrag stellte.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen - und soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz - zunächst aus, im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Zurückweisungsbescheides sei der Individualantrag der Revisionswerberin an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung bestimmter Normen des GSpG noch unerledigt gewesen, zwischenzeitig habe der Verfassungsgerichtshof allerdings die Behandlung des Antrages mit Beschluss vom , G 161/2021-5, abgelehnt.
5 Die erfolgte Zurückweisung des Antrags durch das Finanzamt sei im Hinblick auf die ergangene höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz zu Recht erfolgt.
6 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union sei Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes die Sicherung der vollen Wirksamkeit des Urteils in der Hauptsache.
7 Der Verwaltungsgerichtshof habe mangels ausdrücklicher Zuständigkeitsregeln zur Bestimmung der Zuständigkeit zur Erlassung einstweiliger Anordnungen im Revisionsverfahren auf die „sachnächste Zuständigkeit“ abgestellt. Als „sachnächstes“ Gericht für die Prüfung der Erlassung einstweiliger Anordnungen sei das Verwaltungsgericht, bei dem auch die Revision einzubringen sei, anzusehen. Demgegenüber sei für das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des § 20a VfGG einschlägig, wonach der Verfassungsgerichtshof unbeschadet des § 85 VfGG in bei ihm anhängigen Rechtssachen durch Beschluss einstweiligen Rechtsschutz zuerkennen könne, wenn dies nach den Vorschriften des Unionsrechts erforderlich sei.
8 Das „Hauptverfahren“, auf das der Antrag an das Finanzamt Bezug genommen habe, sei das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof gewesen. Beim Finanzamt sei im Zeitpunkt der Einbringung des Antrages durch die Revisionswerberin kein Hauptverfahren betreffend die Glücksspielabgabe anhängig gewesen. Die Revisionswerberin habe beim Verfassungsgerichtshof nicht nur den Antrag auf Gesetzesprüfung eingebracht, sondern ausdrücklich auch einstweiligen Rechtsschutz nach § 20a VfGG begehrt. Das Finanzamt sei daher jedenfalls nicht das „sachnächste Gericht“ für eine Entscheidung über den einstweiligen Rechtsschutz für ein Gesetzesprüfungsverfahren. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch die Abgabenbehörde ohne ein „Hauptverfahren“, das in den Zuständigkeitsbereich der Abgabenbehörde falle, komme nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes nicht in Betracht.
9 Überdies liege bereits eine ablehnende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vor, womit die Frist, bis zu der die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes beantragt worden sei, mittlerweile bereits abgelaufen sei. Auch aus diesem Grund käme eine stattgebende Bewilligung des an das Finanzamt gerichteten Antrages nicht mehr in Betracht.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die vom Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde.
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 Zur Zulässigkeit der Revision wird im Wesentlichen vorgebracht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage der Zuständigkeit des Finanzamtes zur Erlassung einstweiliger Vorkehrungen zum Schutz der (unions)rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen des Abgabepflichtigen vor Sicherungsmaßnahmen der Abgabenbehörde nach § 232 Abs. 1 BAO.
15 Mit der Revision verbunden wurde der Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge das Verfahren mit Beschluss unterbrechen und dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV näher angeführte Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen.
16 Der Zweck des Verfahrens des unmittelbar auf Unionsrecht gegründeten vorläufigen Rechtsschutzes ist die Sicherung der vollen Wirksamkeit der Entscheidung in der Hauptsache. Hauptsache ist jene, in der die Entscheidung ergeht, deren volle Wirksamkeit durch eine einstweilige Anordnung gesichert werden soll (vgl. , mwN). Ist die endgültige Entscheidung in der Hauptsache bereits ergangen, so kommt auch deren Sicherung im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mehr in Betracht (vgl. , mwN). Ein solches Verfahren stellt sich als gegenstandslos geworden dar (vgl. ).
17 Die Revisionswerberin hat mit ihrem verfahrenseinleitenden Antrag vorläufigen Rechtsschutz bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über einen von ihr gestellten Antrag auf Gesetzesprüfung gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG (Individualantrag) begehrt. Die „Hauptsache“ im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung - deren Wirksamkeit durch die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes gesichert werden sollte - war demnach das von der Revisionswerberin angestrebte Gesetzesprüfungsverfahren. Da der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , G 161/2021-5, die Behandlung des Antrags der Revisionswerberin abgelehnt hat, ist in dieser Hauptsache - schon vor Ergehen der angefochtenen Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes - eine endgültige Entscheidung ergangen, womit sich die Frage einer Sicherung im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nicht mehr stellte.
18 Durch die Abweisung ihrer Beschwerde mit der angefochtenen Entscheidung nach der endgültigen Erledigung der Hauptsache wurde die Revisionswerberin daher nicht in ihren Rechten verletzt, womit die Klärung der in der Zulässigkeitsbegründung aufgeworfenen Zuständigkeitsfrage entbehrlich ist (vgl. , mwN), weil selbst eine aufhebende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in Bezug auf die angefochtene Entscheidung für das inzwischen beim Verfassungsgerichtshof abgeschlossene Verfahren keine Auswirkungen mehr hätte. Zur Zulässigkeit einer Revision reicht es nicht aus, dass diese eine Rechtsfrage darlegt, sie muss von der Lösung dieser Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG auch „abhängen“, weil der Verwaltungsgerichtshof auf Grund von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zur Lösung abstrakter Rechtsfragen nicht berufen ist (vgl. etwa , mwN).
19 Es ist nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes, in einer Revisionssache zu entscheiden, wenn der Entscheidung nach der Sachlage keine Bedeutung mehr zukommt und letztlich bloß eine Entscheidung über theoretische Rechtsfragen ergehen könnte. Dies gilt auch dann, wenn die einem Revisionsfall zugrundeliegende Rechtsfrage für künftige Verwaltungsverfahren bzw. verwaltungsgerichtliche Verfahren von Interesse sein könnte (vgl. ; Ro 2020/16/0035, mwN).
20 Der Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge an den Gerichtshof der Europäischen Union einen Antrag auf Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV zu näher angeführten Rechtsfragen des Unionsrechts stellen, war ebenfalls zurückzuweisen, weil ein Rechtsanspruch auf Einholung einer Vorabentscheidung der Revisionswerberin nicht zukommt (vgl. erneut , mwN).
21 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
22 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | EURallg VwRallg 12010E267 AEUV Art267 |
Schlagworte | Gemeinschaftsrecht vorläufige Aussetzung der Vollziehung provisorischer Rechtsschutz EURallg6 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2022160086.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
FAAAF-46147