VwGH 19.09.2023, Ra 2022/16/0034
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | VStG §31 Abs2 Z4 VwRallg |
RS 1 | Hinsichtlich des Beginns und des Endes der Fristenhemmung nach § 31 Abs. 2 Z 4 VStG sind einerseits der Zeitpunkt des Einlangens der Beschwerde beim VfGH bzw. der Revision beim VwGH und andererseits der Zeitpunkt der Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses an die belangte Behörde und nicht an den Revisionswerber maßgebend (vgl. ; , Ra 2018/17/0172, jeweils mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2021/17/0092 B RS 1 (hier keine Bezugnahme auf die Beschwerde beim VfGH) |
Normen | B-VG Art133 Abs1 Z1 B-VG Art133 Abs9 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Nov 2012 VStG §31 Abs2 Z4 VwGG §25a Abs5 VwGG §30a Abs6 VwGG §30a Abs7 VwGG §42 Abs2 VwGVG 2014 §38 VwRallg |
RS 2 | Das Verfahren vor dem VwGH beginnt seit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Nov 2012 erst mit der Vorlage der beim VwG eingebrachten Revision an den VwGH und endet mit der Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses des VwGH an das VwG (vgl. ; ; ; ; ). Wird die Beschwerde vom VfGH dem VwGH abgetreten, beginnt die Hemmung der Verjährung mit dem Tag des Einlangens der Beschwerde beim VfGH und endet mit der Zustellung des Abtretungsbeschlusses. Bis zur Vorlage der Revision an den VwGH läuft die Verjährung weiter, um ab dem Tag der Vorlage bis zur Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses des VwGH an das VwG wieder gehemmt zu sein. Die Zeiten, die nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet werden, sind demnach im Falle einer Abtretung für das Verfahren beim Verfassungs- und beim Verwaltungsgerichtshof jeweils getrennt zu berechnen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2021/02/0198 E RS 6 (hier nur der erste Satz) |
Normen | |
RS 3 | Die Aussprüche über Schuld und Strafe sind trennbar (vgl. etwa , mwN). Im Fall der Bestätigung des Ausspruches über die Schuld könnte im folgenden Verfahren nur mehr der Strafausspruch gegenständlich sein, weil hinsichtlich der Schuld, also hinsichtlich der als erwiesen angenommenen Tat und der Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, Teilrechtskraft eingetreten wäre (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2016/08/0082 E RS 8 |
Norm | VwGG §42 Abs3 |
RS 4 | Nach § 42 Abs. 3 VwGG tritt durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses gemäß Abs. 2 die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bzw. Beschlusses befunden hat. Dies gilt auch für die bloß teilweise Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (vgl. dazu etwa , mwN). Die Rechtssache tritt in diesem Fall lediglich in Ansehung der durch den Verwaltungsgerichtshof aufgehobenen Spruchpunkte in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung der angefochtenen Entscheidung befunden hat. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/17/0812 E RS 2 (hier ohne den ersten Satz) |
Normen | VStG §31 Abs2 VStG §45 Abs1 Z2 VwRallg |
RS 5 | Nach Eintritt der Strafbarkeitsverjährung nach § 31 Abs. 2 VStG liegt ein Strafaufhebungsgrund vor. Nach dem in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmenden Eintritt der Strafbarkeitsverjährung hätte das VwG das Straferkenntnis (in dem im zweiten Rechtsgang noch verfahrensgegenständlichen Umfang) jedenfalls aufzuheben und das Verfahren einzustellen gehabt (vgl. ; ; ). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher, den Hofrat Dr. Bodis, die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Mag. M. Mayr, LL.M., als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision der R H, in W, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-S-1803/006-2016, betreffend Übertretung des Glückspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Mistelbach), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird dahingehend abgeändert, dass der Spruch zu lauten hat:
„Das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach vom , M1S2-V-15 22947/5, wird insoweit, als über die Beschwerdeführerin eine Geldstrafe samt Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und ein Kostenbeitrag vorgeschrieben wurde, unbeschadet des in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruchs aufgehoben und das gegen die Beschwerdeführerin wegen Übertretung des § 52 Abs. 1 GSpG geführte Verwaltungsstrafverfahren wird in diesem Umfang gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt.“
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis vom erkannte die belangte Behörde die Revisionswerberin der Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 2 und 4 iVm § 4 Glücksspielgesetz (GSpG) schuldig und verhängte über sie eine Geldstrafe in Höhe von 18.000 € (samt Ersatzfreiheitsstrafe). Der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens wurde gemäß § 64 Abs. 2 VStG mit 1.800 € bestimmt. Die Revisionswerberin habe von bis zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen unternehmerisch zugänglich gemacht, die in der Form von Walzenspielen durchgeführt worden seien.
2 Der gegen das Straferkenntnis vom erhobenen Beschwerde der Revisionswerberin gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) - im ersten Rechtsgang - mit Erkenntnis vom dahingehend Folge, dass es eine (Gesamt-)Geldstrafe in der Höhe von 9.000 € (samt Ersatzfreiheitsstrafe von vier Tagen) verhängte und die Kosten des behördlichen Verfahrens mit 900 € bestimmte.
3 Der gegen diese Entscheidung erhobenen Revision der Revisionswerberin gab der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ra 2018/17/0057-5, Folge und hob die angefochtene Entscheidung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf.
4 Im zweiten Rechtsgang gab das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis vom - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - der Beschwerde der Revisionswerberin insofern Folge, als es die drei zu verhängenden Geldstrafen mit jeweils 3.000 € (samt Ersatzfreiheitsstrafe) neu bemaß und den Beitrag zu den Kosten des behördlichen Verfahrens mit 900 € bestimmte.
5 Der gegen diese Entscheidung erhobenen Revision der Revisionswerberin gab der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ra 2019/17/0115-5, im Umfang des Ausspruches über die verhängte Strafe und den Beitrag zu den Kosten des Verfahrens Folge und hob das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts insoweit wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf. Im Übrigen, somit hinsichtlich des Ausspruches über die Schuld, wies der Verwaltungsgerichtshof die gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom erhobene Revision zurück.
6 Im dritten Rechtsgang gab das Verwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis der Beschwerde der Revisionswerberin insofern statt, als es die drei zu verhängenden Geldstrafen mit jeweils 500 € (samt Ersatzfreiheitsstrafe) neu bemaß und den Beitrag zu den Kosten des behördlichen Verfahrens mit 150 € bestimmte und festhielt, dass die Strafbeträge und die Beiträge zu den Kosten des Verfahrens innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung der Entscheidung zu bezahlen seien. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. Das angefochtene Erkenntnis wurde der Revisionswerberin am zugestellt.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, die das Verwaltungsgericht dem Verwaltungsgerichtshof unter Anschluss der Akten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorlegte.
8 Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein. Die belangte Behörde sah von der Einbringung einer Revisionsbeantwortung ab.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit ua. vor, dass die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 31 Abs. 2 iVm Abs. 1 VStG mit Abschluss der strafbaren Tätigkeit am begonnen habe. Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses sei die Frist auch unter Berücksichtigung ihrer Hemmung während der Zeit der Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und unter Einrechnung einer allfälligen Fristhemmung durch den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , E 945/2016 ua., bereits abgelaufen gewesen.
11 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
12 Gemäß § 31 Abs. 2 VStG erlischt die Strafbarkeit einer Verwaltungsübertretung durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt in dem in § 31 Abs. 1 VStG genannten Zeitpunkt. In die Verjährungsfrist werden die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union nicht eingerechnet (Z 4 leg. cit.).
13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Frist des § 31 Abs. 2 VStG nur dann gewahrt, wenn die Rechtsmittelentscheidung innerhalb der dort genannten Frist gegenüber dem Beschuldigten rechtswirksam erlassen wurde. Hinsichtlich des Beginns und des Endes der Fristenhemmung nach § 31 Abs. 2 Z 4 VStG sind einerseits der Zeitpunkt des Einlangens der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und andererseits der Zeitpunkt der Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses an die belangte Behörde und nicht an die revisionswerbende Partei maßgebend (vgl. , , , jeweils mwN). Das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof beginnt seit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 mit der Vorlage der beim Verwaltungsgericht eingebrachten Revision an den Verwaltungsgerichtshof und endet mit der Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes an das Verwaltungsgericht (vgl. , mwN; ).
14 Durch die Hemmung wird die Verjährungsfrist um so viele Tage verlängert, als der die Hemmung bewirkende Zustand bestanden hat. Mit Ablauf des hemmenden Ereignisses läuft daher die Verjährungsfrist weiter. Sie ist so zu berechnen, als ob sie um die Dauer des Hemmungszeitraumes verlängert worden wäre (vgl. , , mwN).
15 Unter Zugrundelegung des im angefochtenen Erkenntnis festgestellten Abschlusses der strafbaren Tätigkeit am wäre die dreijährige Frist für die Verjährung der Strafbarkeit gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 und 2 VStG am abgelaufen.
16 Auch unter Berücksichtigung einer Hemmung der Verjährungsfrist gemäß § 31 Abs. 2 Z 4 VStG während der Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof im ersten und im zweiten Rechtsgang war die Frist im Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses an die Revisionswerberin am bereits abgelaufen.
17 Die Aussprüche über Schuld und Strafe sind trennbar (vgl. etwa , mwN). Im Fall der Bestätigung des Ausspruches über die Schuld könnte im folgenden Verfahren nur mehr der Strafausspruch gegenständlich sein, weil hinsichtlich der Schuld, also hinsichtlich der als erwiesen angenommenen Tat und der Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, Teilrechtskraft eingetreten wäre (vgl. , , mwN).
18 Bei einer bloß teilweisen Aufhebung tritt die Rechtssache lediglich in Ansehung der durch den Verwaltungsgerichtshof aufgehobenen Spruchpunkte in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung der angefochtenen Entscheidung befunden hat (, , mwN).
19 Hinsichtlich der Frage der Schuld, somit hinsichtlich der als erwiesen angenommenen Tat und der Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, war aufgrund des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts vom im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung bereits Teilrechtskraft eingetreten. Aufgrund der ex tunc Wirkung der Aufhebung des Ausspruches über die Strafe mit dem hg. Erkenntnis vom lag im Ausspruch über die Strafe noch keine Teilrechtskraft vor. Nach Eintritt der Strafbarkeitsverjährung nach § 31 Abs. 2 VStG liegt jedoch ein Strafaufhebungsgrund vor (vgl. Weilguni in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 [2017], Rz 14).
20 Nach dem in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmenden Eintritt der Strafbarkeitsverjährung hätte das VwG das Straferkenntnis (in dem im zweiten Rechtsgang noch verfahrensgegenständlichen Umfang) jedenfalls aufzuheben und das Verfahren einzustellen gehabt (vgl. ; ; ). Die Aufhebung des Straferkenntnisses und die Einstellung des Verfahrens sind auf die Verhängung einer Strafe und die darauf aufbauenden Aussprüche beschränkt, weil die Schuldfrage infolge der bereits eingetretenen Teilrechtskraft nicht mehr Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war.
21 Da die Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses an die Revisionswerberin betreffend den Tatzeitraum von bis am , jedoch nach Ablauf der in § 31 Abs. 2 VStG geregelten Frist von drei Jahren und damit nach Eintritt der Strafbarkeitsverjährung erfolgte, erweist sich das angefochtene Erkenntnis aufgrund der bereits eingetretenen Strafbarkeitsverjährung als rechtswidrig. Auf das übrigen Revisionsvorbringen war daher nicht mehr einzugehen.
22 Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt (vgl. etwa , mwN). Das angefochtene Erkenntnis war daher dahingehend abzuändern, dass das vor dem Verwaltungsgericht angefochtene Straferkenntnis im Umfang seines Ausspruches über die verhängte Strafe und über den Beitrag zu den Kosten des Verfahrens ersatzlos zu beheben ist und das gegen die Revisionswerberin geführte Verwaltungsstrafverfahren in diesem Umfang gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt wird. Der gegen die Revisionswerberin ergangene, rechtskräftige Schuldspruch bleibt davon unberührt.
23 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Normen | AVG §59 Abs1 AVG §68 Abs1 B-VG Art133 Abs1 Z1 B-VG Art133 Abs9 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Nov 2012 VStG §24 VStG §31 Abs2 VStG §31 Abs2 Z4 VStG §44a Z1 VStG §44a Z2 VStG §45 Abs1 Z2 VwGG §25a Abs5 VwGG §30a Abs6 VwGG §30a Abs7 VwGG §42 Abs2 VwGG §42 Abs3 VwGVG 2014 §27 VwGVG 2014 §38 VwRallg |
Schlagworte | Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6 Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Trennbarkeit gesonderter Abspruch |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022160034.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAF-46132