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VwGH 13.06.2023, Ra 2022/16/0033

VwGH 13.06.2023, Ra 2022/16/0033

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
StGB §33 Z2
VStG §19
VStG §19 Abs2
VStG §55 Abs2
RS 1
Gemäß § 55 Abs. 2 VStG dürfen getilgte Verwaltungsstrafen bei der Strafbemessung im Verwaltungsstrafverfahren nicht berücksichtigt werden. Getilgte Straftaten dürfen nicht mehr gemäß § 33 Z 2 StGB iVm § 19 Abs. 2 VStG als erschwerend oder die Straftat qualifizierend gewertet werden (vgl. , , , , jeweils mwN).
Normen
AVG §66 Abs4
VStG §19
VStG §55 Abs1
VStG §55 Abs2
VwGVG 2014 §28
RS 2
Die Berufungsbehörde hat allenfalls auch erst während des

Berufungsverfahrens eingetretene Umstände bei der

Strafbemessung wahrzunehmen (Hinweis E , 81/04/0100).

Dies gilt auch für den Ablauf der Tilgungsfrist hinsichtlich

einer Vorstrafe (Hinweis E , 2035/77).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 90/19/0586 E RS 1 (hier auch in Bezug auf das VwG)
Normen
VStG §19
VStG §55 Abs2
RS 3
Ist seit dem ersten Rechtsgang zwischenzeitlich eine Tilgung

verschiedener Vorstrafen eingetreten, so dürfen diese bei der

Strafbemessung im zweiten Rechtsgang nicht mehr berücksichtigt

werden (Hinweis E , 89/03/0113); dies bedeutet

allerdings keine Verpflichtung der Beh, im Hinblick auf die

"Reduktion" der Vorstrafen die Herabsetzung der verhängten

Strafen in einem bestimmten Verhältnis vorzunehmen. Für die

Rechtmäßigkeit der Strafbemessung ist vielmehr nur

entscheidend, ob die Beh das ihr eingeräumte Ermessen

überschritten hat oder nicht.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 92/18/0082 E RS 2 (hier nur bis zum Strichpunkt)

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie den Hofrat Mag. Straßegger und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des M D in U (Tschechische Republik), vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das am 25. Februar mündlich verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich, LVwG-S-1467/002-2017, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Gmünd), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmünd vom wurde der Revisionswerber als gemäß § 9 VStG nach außen vertretungsbefugtes Organ einer näher bezeichneten Gesellschaft der zweifachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 Glücksspielgesetz (GSpG) im Zeitraum von bis schuldig erkannt. Es wurden über ihn zwei Geldstrafen in der Höhe von je 10.000 € (samt Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt. Die Kosten des Strafverfahrens wurden mit 2.000 € bestimmt.

2 Mit Erkenntnis vom gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) der vom Revisionswerber dagegen erhobenen Beschwerde unter Neubemessung der Ersatzfreiheitsstrafe statt (Spruchpunkt 1.). Des Weiteren sprach das Verwaltungsgericht aus, dass unter Beibehaltung der Kostenbeitragsbestimmung des behördlichen Strafverfahrens dem Revisionswerber für das verwaltungsgerichtliche Verfahren kein Kostenbeitrag zur Last falle (Spruchpunkt 2.). Das Verwaltungsgericht wies einen in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag ab (Spruchpunkt 3.) und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei (Spruchpunkt 4.).

3 Mit hg. Erkenntnis vom , Ra 2019/17/0033-6, hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom im Umfang seines Ausspruches über die verhängte Strafe und die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens sowie des Beschwerdeverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf und wies die Revision des Revisionswerbers im Übrigen zurück.

4 Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am  mündlich verkündeten, nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde des Revisionswerbers gegen das Straferkenntnis vom hinsichtlich des Ausspruches über die verhängte Strafe und die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens sowie des Beschwerdeverfahrens mit der Maßgabe, dass „die Strafnorm (§ 44a Z. 3 VStG) § 52 Abs. 2 zweiter Strafsatz GSpG (anstatt § 52 Abs. 1 Z. 1 GSpG)“ zu lauten habe, dahingehend Folge, dass die verhängte Geldstrafe auf 8.000 € (samt Ersatzfreiheitsstrafe) je Glückspielgerät herabgesetzt wurde, setzte die Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG mit 1.600 € neu fest und erklärte die Revision für nicht zulässig.

5 Zur Höhe der verhängten Strafe führte das Verwaltungsgericht aus, dass gegen den Revisionswerber zumindest zwei einschlägige rechtskräftige Verwaltungsstrafvormerkungen im Tatzeitraum vorgelegen hätten. Damit liege ein Fall der „Wiederholung“ im Sinne des § 52 Abs. 2 GSpG vor, sodass der für den Fall der erstmaligen und weiteren Wiederholung vorgesehene zweite Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG hinsichtlich der Übertretung des Abs. 1 Z 1 leg.cit. mit bis zu drei Glückspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenständen zur Anwendung gelange.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet hat. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte - der Sache nach - die Zurückweisung der Revision.

7 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision insbesondere vor, das angefochtene Erkenntnis stehe im Widerspruch zu näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach Verwaltungsstrafen, hinsichtlich derer zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Strafbemessung bereits Tilgung eingetreten sei, bei der Strafbemessung nicht berücksichtigt werden dürften. Die zwei vom Verwaltungsgericht zur Heranziehung des zweiten Strafsatzes des § 52 Abs. 2 GSpG berücksichtigten Verwaltungsstrafen seien zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Strafbemessung bereits getilgt gewesen. Richtigerweise wäre vom Verwaltungsgericht der für den Revisionswerber günstigere erste Strafsatz des § 52 GSpG heranzuziehen gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.

9 Gemäß § 52 Abs. 2 Glücksspielgesetz (GSpG), BGBl. Nr. 620/1989 idF BGBl. I Nr. 13/2014, ist bei Übertretung des Abs. 1 Z 1 GSpG mit bis zu drei Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenständen für jeden Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenstand eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000 Euro bis zu 10.000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 3.000 Euro bis zu 30.000 Euro zu verhängen.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann von einer „Wiederholung“ im Sinn dieser Gesetzesbestimmung nur dann gesprochen werden, wenn zumindest eine einschlägige Vorstrafe vorliegt. Nach dem systematischen Aufbau des Gesetzestextes bestimmt die Einordnung der Vortat, ob ein „Wiederholungsfall“ im Sinn des zweiten Strafsatzes (bei einer Vorstrafe wegen höchstens drei Übertretungen) bzw. vierten Strafsatzes (bei einer Vorstrafe wegen mehr als drei Übertretungen) vorliegt. Der im Fall „der erstmaligen und weiteren Wiederholung“ vorgesehene zweite Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG setzt nach dem systematischen Aufbau des Gesetzestextes die Bestrafung wegen einer Vortat nach dem ersten Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG voraus, bezieht sich das strafsatzbestimmende Kriterium der Wiederholung in diesem Fall doch auf die Übertretung des Abs. 1 Z 1 leg. cit. mit bis zu drei Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenständen. Maßgeblich sind dabei „Vorstrafen“, die im Tatzeitraum bereits formell rechtskräftig waren (vgl. , , mwN).

11 Gemäß § 55 Abs. 2 VStG dürfen getilgte Verwaltungsstrafen bei der Strafbemessung im Verwaltungsstrafverfahren nicht berücksichtigt werden. Getilgte Straftaten dürfen nicht mehr gemäß § 33 Z 2 StGB iVm § 19 Abs. 2 VStG als erschwerend oder die Straftat qualifizierend gewertet werden (vgl. Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 (2017), § 55 Rz 7; , , , , jeweils mwN).

12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Berufungsbehörde (nunmehr: das Verwaltungsgericht) auch während des Berufungsverfahrens eingetretene Umstände bei der Strafbemessung wahrzunehmen. Dies gilt auch für den Ablauf der Tilgungsfrist hinsichtlich einer Vorstrafe (, ). Ist seit dem ersten Rechtsgang zwischenzeitlich eine Tilgung verschiedener Vorstrafen eingetreten, so dürfen diese bei der Strafbemessung im zweiten Rechtsgang nicht mehr berücksichtigt werden (, ).

13 Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass das Verwaltungsgericht bei der Strafbemessung entgegen § 55 Abs. 2 VStG bereits getilgte Verwaltungsstrafen berücksichtigte:

14 Das Verwaltungsgericht zieht zur Begründung, dass aufgrund von „Wiederholungsfällen“ der zweite Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG anzuwenden sei, zunächst das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Güssing zur Zahl BH-GS/03/146000003745/14 heran, mit dem aufgrund der Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 4 iVm § 4 GSpG eine Geldstrafe (samt Ersatzfreiheitsstrafe) über den Revisionswerber verhängt worden war, wobei das Verwaltungsgericht von der Rechtskraft des Straferkenntnisses mit ausging, ohne Feststellungen zu treffen, die eine Beurteilung erlauben, wann das für die Strafbemessung herangezogene Straferkenntnis formell rechtskräftig wurde. Das vom Verwaltungsgericht angenommene Datum der Rechtskraft () wird von der Revision mit dem Vorbringen bestritten, dass das genannte Straferkenntnis bereits mit Zustellung des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland vom , E 018/06/2015.007/018, am an den Revisionswerber formell rechtskräftig wurde. Damit war aber sowohl ausgehend von dem vom Verwaltungsgericht angenommenen, jedoch mangels Feststellungen nicht nachvollziehbaren, als auch von dem von der Revision vorgebrachten Datum der formellen Rechtskraft des Straferkenntnisses im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses am bereits Tilgung der vom Verwaltungsgericht bei der Strafbemessung ersten berücksichtigten Verwaltungsstrafe eingetreten.

15 Soweit die Revision auch das vom Verwaltungsgericht festgestellte Datum der Rechtskraft des zweiten vom Verwaltungsgericht herangezogenen Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung in der Fassung des Erkenntnisses der Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-S-685/001-2015, mit dem aufgrund der Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 4 iVm § 4 GSpG eine Geldstrafe (samt Ersatzfreiheitsstrafe) über den Revisionswerber verhängt worden war, am aufgrund der Zustellung an den Revisionswerber am bestreitet, kommt es darauf nicht an, weil im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses diese Verwaltungsstrafe ebenfalls bereits getilgt war.

16 Die genannten Straferkenntnisse hätten daher vom Verwaltungsgericht bei der Strafbemessung nicht mehr berücksichtigt werden dürfen.

17 Damit hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb das Erkenntnis im Umfang des Ausspruches über die verhängte Strafe sowie des damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden Ausspruches über die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens sowie des Beschwerdeverfahrens gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war (vgl. , mwN).

18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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Normen
AVG §66 Abs4
StGB §33 Z2
VStG §19
VStG §19 Abs2
VStG §55 Abs1
VStG §55 Abs2
VwGVG 2014 §28
Schlagworte
Erschwerende und mildernde Umstände Vorstrafen Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022160033.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
OAAAF-46131