VwGH 19.09.2023, Ra 2022/16/0010
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Nach der durch BGBl. I Nr. 134/2003 in Abs. 5 angefügten lit. e des § 26 UStG 1994 ist im Fall der indirekten Vertretung der Anmelder (idR der Spediteur) dann nicht Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer, wenn ihm ein schriftlicher Auftrag des Vertretenen zur Anwendung der Regelung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG 1994 vorliegt. Die Materialien (325 BlgNR. 22 GP) begründen dies damit, dass im Fall des Abs. 3 Z 2 die gesamte Gebarung auf das Finanzamtskonto übergeht, sodass der Anmelder keine Kontrollmöglichkeit über die Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer mehr hat. Die Schuldnerschaft des Anmelders wird daher gemäß § 26 Abs. 5 lit. e UStG 1994 ausgeschlossen, sofern er nicht schuldhaft bei der unrichtigen Anmeldung mitgewirkt hat. |
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RS 2 | Gemäß § 19 Abs. 5 iVm § 26 Abs. 1 UStG 1994 iVm Art. 201 ZK (nunmehr Art. 77 UZK) ist der Anmelder [der Zollanmeldung] Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer. § 26 Abs. 5 lit. e UStG 1994 bestimmt die Voraussetzungen, unter denen der Anmelder im Falle der indirekten Vertretung nicht Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer wird. |
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RS 3 | Die Option des § 26 Abs. 3 UStG 1994 ist durch eine Erklärung in der Zollanmeldung auszuüben. Dabei genügt der Hinweis, dass der Unternehmer von dieser Regelung Gebrauch machen will. § 26 Abs. 5 lit. e UStG 1994 enthält abgesehen von dem Erfordernis der Schriftlichkeit keine weiteren, insbesondere keine inhaltlichen Anforderungen an die Ausgestaltung eines Auftrages zur Anwendung der Regelung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG 1994. |
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RS 4 | Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich, dass § 26 Abs. 5 lit. e UStG 1994 die Voraussetzungen des Ausschlusses der Schuldnerschaft des indirekten Vertreters eindeutig festlegen muss, damit für den indirekten Vertreter vorhersehbar ist, ob er Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer wird oder nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es Fälle geben kann, in denen die Anwendung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG 1994 - insbesondere im Hinblick auf den in den Materialien zu dieser Bestimmung (325 BlgNR. 22 GP) angesprochenen Verlust des Anmelders über die Kontrollmöglichkeit über die Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer - gerade nicht intendiert ist. Ob ein Auftrag mit diesem Mindestinhalt einer Zollvollmacht oder einer anderen Vereinbarung zu entnehmen ist, ist durch Auslegung der schriftlichen Vereinbarung im Einzelfall zu ermitteln. |
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RS 5 | Gemäß § 914 ABGB ist bei der Auslegung von Verträgen die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Es wäre sohin Sache des Bundesfinanzgerichts gewesen, den Parteiwillen zu erforschen, bevor es die betreffende Vertragsbestimmung als eine Festlegung von persönlicher Weisungsgebundenheit der Gesellschafter-Geschäftsführer interpretiert. Die Angaben der Parteien über ihre Absicht im Rahmen des Vertragsabschlusses zählen zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens, welche gemäß § 167 Abs. 2 BAO bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen sind (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2016/15/0014 E RS 3 (hier ohne den zweiten Satz) |
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RS 6 | Würde man den Zweck, dem Käufer der Waren den Vorsteuerabzug und die Verrechnung über das Finanzamtskonto zu sichern, im Sinne der Parteienabsicht zur Begründung eines Auftrages nach § 26 Abs. 5 lit. e UStG 1994 in Konstellationen ohne Anknüpfungspunkt im Wortlaut genügen lassen, wäre dem Erfordernis des Vorliegens eines schriftlichen Auftrages der Anwendungsbereich entzogen. Dies würde aber dem vom U.I. Srl., C-714/20, hervorgehobenen Grundsatz der Rechtssicherheit in Form von klaren, bestimmten und in ihren Auswirkungen vorhersehbaren Rechtsvorschriften zuwiderlaufen. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma und die Hofrätin Dr. Reinbacher, den Hofrat Dr. Bodis, die Hofrätin Dr. Funk-Leisch sowie den Hofrat Mag. M. Mayr, LL.M., als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Zollamtes Österreich in 1110 Wien, Brehmstraße 14, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts Außenstelle Klagenfurt vom , RV/7200019/2021, betreffend Einfuhrumsatzsteuer (mitbeteiligte Partei: R GmbH & Co. KG (vormals R GmbH) in W, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Zur Vorgeschichte des Revisionsfalls wird zunächst in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2020/16/0141 (im Folgenden: Vorerkenntnis), verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hob damit das im ersten Rechtsgang ergangene Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/72000043/2017, in seinem Spruchpunkt 2. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf und wies die Revision der Mitbeteiligten hinsichtlich des Spruchpunktes 1. zurück.
2 Der Verwaltungsgerichthof sprach im Vorerkenntnis (im Wege eines Verweises gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2020/16/0140) aus, dass bei Erlassen des vor dem Bundesfinanzgericht bekämpften Bescheides vom das Zollamt davon ausgegangen sei, dass die Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG nicht vorgelegen seien. Damit wäre die gesetzliche Fälligkeit der Einfuhrumsatzsteuer nach § 26 Abs. 5 lit. a UStG nicht gegeben gewesen und das Zollamt hätte die Setzung einer Zahlungsfrist (nunmehr nach Art. 108 Abs. 1 UZK) nachzuholen. Diese Festsetzung der Zahlungsfrist erfolgte mit Spruchpunkt II. des vor dem Bundesfinanzgericht bekämpften Bescheides.
3 Die entsprechende Wortfolge bilde einen Teil des Spruches der ausdrücklich als Bescheid bezeichneten Erledigung des Zollamtes. Die Pflichten begründende normative, rechtsgestaltende Kraft dieses Spruchteils liege in der Setzung einer Zahlungsfrist gemäß Art. 222 ZK. Eine solche bescheidmäßige Festsetzung dieser Zahlungsfrist habe mit Beschwerde bekämpft werden können. Der Verwaltungsgerichtshof behob mit dieser Begründung die im Spruchpunkt 2. des Erkenntnisses des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/72000043/2017, erfolgte Zurückweisung der Beschwerde der Mitbeteiligten.
4 Im fortgesetzten Verfahren gab das BFG der Beschwerde der Revisionswerberin mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung Folge, behob den angefochtenen Bescheid - in seinem noch aufrechten Spruchpunkt II. - ersatzlos und erklärte die Revision für nicht zulässig.
5 Das BFG stellte - soweit für den Revisionsfall relevant - fest, die Mitbeteiligte habe im Zeitraum zwischen und als Anmelderin und indirekte Vertreterin des Warenempfängers A.I.S.W in näher genannten Zollmeldungen anlässlich der Überführung von Sonnenblumenöl der D Ltd in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr erklärt, von der Regelung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG Gebrauch machen zu wollen. Entsprechend dieser Erklärung seien die mitgeteilten Zollbeträge am Abgabenkonto des Zollamtes gemäß Art. 221 ZK, und die Einfuhrumsatzsteuer am Abgabenkonto des Finanzamtes verbucht worden. Mit Zollvollmacht vom habe der Warenempfänger A.I.S.W. die Mitbeteiligte als direkte Stellvertreterin beauftragt, die für A.I.S.W. einlangenden Importsendungen zollamtlich abzufertigen, und habe erklärt, als Käufer der Waren zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt zu sein. A.I.S.W. habe die Mitbeteiligte bevollmächtigt, alle Zollmeldungen abzugeben, Zollerklärungen zu stellen und alle mit der Zollabwicklung zusammenhängenden Handlungen vorzunehmen. Die Mitbeteiligte habe in den Zollanmeldungen als Vertretungsverhältnis die indirekte Vertretung erklärt, obwohl sie laut Zollvollmacht vom nur zur direkten Vertretung des A.I.S.W. bevollmächtigt gewesen sei, und erklärt, von der Regelung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG Gebrauch machen zu wollen.
6 Rechtlich folgerte das BFG, es handle sich bei der Zollvollmacht vom um einen schriftlichen Auftrag zur Anwendung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG, zumal es Sinn und Zweck des Geschäftsmodells gewesen sei, die Einfuhrumsatzsteuer nicht beim Zollamt entrichten zu müssen, und der Hinweis auf die Berechtigung zum vollen Vorsteuerabzug hinsichtlich der angemeldeten Waren einen Auftrag zur Anwendung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG impliziere. Zudem sei - im Hinblick auf die Kommentierung in Ruppe/Achatz, UStG5, § 26 Tz 14 - davon auszugehen, dass die Optionsausübung der Regelfall, die Entrichtung beim Zollamt die Ausnahme sei. Die Mitbeteiligte sei daher gemäß § 26 Abs. 5 lit. e letzter Satz UStG nur dann Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer, wenn auch sie als Anmelderin gewusst hätte oder hätte wissen müssen, dass die Angaben unrichtig seien. Wie beweiswürdigend ausgeführt, sei der Mitbeteiligten kein schuldhaftes Verhalten im Sinne des § 26 Abs. 5 lit. e letzter Satz UStG anzulasten, weshalb die Mitbeteiligte nicht Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer sei.
7 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision des Zollamts Österreich legte das BFG dem Verwaltungsgerichtshof unter Anschluss der Akten vor.
8 Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein. Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
10 Die Amtsrevisionswerberin bringt zur Begründung der Zulässigkeit der Revision vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob im Fall einer indirekten Vertretung ein Verzollungsauftrag/eine Zollvollmacht, der/die lediglich einen Hinweis auf eine Vorsteuerabzugsberechtigung des Vertretenen enthalte, schon als Auftrag zur Anwendung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG zu werten sei, und ob bei Verneinung dieser Ansicht ein derartiger schriftlicher Auftrag ausdrücklich § 26 Abs. 3 Z 2 UStG anführen müsse.
11 Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig. Sie ist auch begründet.
Zu den maßgeblichen Rechtsvorschriften
12 § 26 Umsatzsteuergesetz 1994 (UStG) in der Fassung des im Revisionsfall noch anzuwendenden Abgabenänderungsgesetzes 2010, BGBl. I Nr. 34/2010 lautete samt Überschrift:
„Sondervorschriften für die Einfuhrumsatzsteuer
§ 26. (1) Soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, gelten für die Einfuhrumsatzsteuer die Rechtsvorschriften für Zölle sinngemäß; ausgenommen sind die Vorschriften über den aktiven Veredlungsverkehr nach dem Verfahren der Zollrückvergütung und über den passiven Veredlungsverkehr. Eine Erstattung oder ein Erlaß der Einfuhrumsatzsteuer findet in den Fällen der Artikel 235 bis 242 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. Nr. L 302/1) statt, ausgenommen der Antragsteller ist in vollem Umfang zum Vorsteuerabzug berechtigt; diese Einschränkung gilt in den Fällen des Artikels 236 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 nicht, wenn ein ausdrücklicher Antrag auf Erstattung oder Erlaß der Einfuhrumsatzsteuer gestellt wird.
(2) In der Zollanmeldung von einfuhrumsatzsteuerbaren Waren sind auch alle für die Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer maßgeblichen Angaben zu machen und die erforderlichen Unterlagen beizufügen.
(3) 1. Für die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer sind die Zollämter zuständig.
2. Abweichend davon sind für die Einhebung und zwangsweise Einbringung der Einfuhrumsatzsteuer unter folgenden Voraussetzungen die Finanzämter zuständig:
- Die Einfuhrumsatzsteuerschuld ist nach Art. 201 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. Nr. L 302/1) entstanden und es handelt sich um keine nachträgliche Berichtigung,
- der Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist Unternehmer (§ 2), im Inland zur Umsatzsteuer erfasst und die Gegenstände werden für sein Unternehmen eingeführt und
- der Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer erklärt in der Zollanmeldung, dass er von dieser Regelung Gebrauch macht.
(4) Die Abs. 1 bis 3 gelten entsprechend für Gegenstände, die nicht Waren im Sinne des Zollrechts sind und für die keine Zollvorschriften bestehen.
(5) In den Fällen des Abs. 3 Z 2 gilt weiters Folgendes:
a) Die Einfuhrumsatzsteuer wird am 15. des Kalendermonates, der dem Tage der Verbuchung auf dem Abgabenkonto folgt, frühestens am 15. Tag des auf den Voranmeldungszeitraum, in dem die Einfuhrumsatzsteuerschuld entsteht, zweitfolgenden Kalendermonates fällig.
b) Die Gebarung der Einfuhrumsatzsteuer ist mit jener der Umsatzsteuer in laufender Rechnung zusammengefasst zu verbuchen.
c) Einfuhrumsatzsteuerschulden, die in einem Kalendermonat entstanden sind, gelten für die Einhebung und zwangsweise Einbringung als eine Abgabe.
d) Wurde eine unrichtige Zollanmeldung eingereicht, so gilt ein sich daraus ergebender Fehlbetrag an Einfuhrumsatzsteuer als nicht entrichtete Abgabe im Sinne des Finanzstrafgesetzes.
e) Im Falle der indirekten Vertretung ist der Anmelder nicht Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer, wenn dem Anmelder ein schriftlicher Auftrag des Vertretenen zur Anwendung der Regelung des Abs. 3 Z 2 vorliegt. Dies gilt nicht, wenn der Zollanmeldung unrichtige Angaben zugrunde liegen und der Anmelder wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die Angaben unrichtig sind.“
13 Nach der durch BGBl. I Nr. 134/2003 in Abs. 5 angefügten lit. e des § 26 UStG ist im Fall der indirekten Vertretung der Anmelder (idR der Spediteur) dann nicht Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer, wenn ihm ein schriftlicher Auftrag des Vertretenen zur Anwendung der Regelung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG vorliegt. Die Materialien (325 BlgNR. 22 GP) begründen dies damit, dass im Fall des Abs. 3 Z 2 die gesamte Gebarung auf das Finanzamtskonto übergeht, sodass der Anmelder keine Kontrollmöglichkeit über die Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer mehr hat. Die Schuldnerschaft des Anmelders wird daher gemäß § 26 Abs. 5 lit. e UStG ausgeschlossen, sofern er nicht schuldhaft bei der unrichtigen Anmeldung mitgewirkt hat (vgl. Ruppe/Achatz, UStG5, § 26 Tz 13).
Zum Vorliegen eines Auftrages zur Anwendung des § 26 Abs. 5 lit. e UStG
14 Die im Revisionsfall strittige Frage ist, ob die Mitbeteiligte gemäß § 26 Abs. 5 lit. e UStG deshalb nicht Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer wurde, weil ihr im Rahmen der Zollvollmacht vom von A.I.S.W. ein schriftlicher Auftrag zur Anwendung der Regelung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG erteilt worden war.
15 Vorauszuschicken ist, dass Art. 211 der Mehrwertsteuerrichtlinie den Mitgliedstaaten die Festlegung der Einzelheiten der Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer überlässt. Für die Einfuhrumsatzsteuer gelten gemäß § 26 Abs. 1 UStG die Rechtsvorschriften für Zölle sinngemäß. Gemäß Art. 201 Abs. 3 der - auf den Revisionsfall noch anzuwendenden - Verordnung (EWG) des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom , (Zollkodex - ZK) ist der Anmelder Zollschuldner. Im Falle der indirekten Vertretung ist auch die Person Zollschuldner, für deren Rechnung die Zollanmeldung abgegeben wird. Ab dem ersten Mai 2016 war die Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. L 269 vom (Unionszollkodex - UZK) anzuwenden.
16 § 26 Abs. 1 UStG bestimmt für die Einfuhrumsatzsteuer die sinngemäße Anwendung der Rechtsvorschriften für Zölle, sofern im UStG nichts anderes bestimmt ist. Zur Bestimmung des Schuldners der Einfuhrumsatzsteuer enthält das UStG keine eigenständige Regelung, es verweist in § 19 Abs. 5 iVm § 26 insoweit auf das Zollrecht. Gemäß § 19 Abs. 5 iVm § 26 Abs. 1 UStG iVm Art. 201 ZK (nunmehr Art. 77 UZK) ist der Anmelder [der Zollanmeldung] Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer. § 26 Abs. 5 lit. e UStG bestimmt die Voraussetzungen, unter denen der Anmelder im Falle der indirekten Vertretung nicht Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer wird.
17 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat mit Urteil vom , U.I. Srl., C-714/20, zunächst auf seine Rechtsprechung hingewiesen, wonach die Mehrwertsteuer, die auf die Einfuhr von Gegenständen zu erheben ist, nicht zu den Einfuhrabgaben gehört (Rn. 49). Der EuGH legte in diesem Urteil Art. 77 Abs. 3 UZK (vormals: Art. 201 Abs. 3 ZK) dahingehend aus, dass der indirekte Zollvertreter allein nach dieser Bestimmung nur die für die von ihm angemeldeten Waren geschuldeten Zölle und nicht auch die Einfuhrmehrwertsteuer für diese Waren schuldet. In Anbetracht des den Mitgliedstaaten durch Art. 201 der Mehrwertsteuerrichtlinie eingeräumten Ermessens steht es ihnen zwar frei, zur Durchführung dieses Artikels vorzusehen, dass auch die Zollschuldner die Einfuhrmehrwertsteuer schulden und dass insbesondere der indirekte Zollvertreter mit der Person, die ihm eine Vertretungsvollmacht erteilt hat und die er vertritt, gesamtschuldnerisch für die Zahlung dieser Steuer haftet (, Rn. 57). Hiezu ist es unerlässlich, dass die Rechtslage, die sich aus den nationalen Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie ergibt, ausreichend bestimmt und klar ist, um es den betroffenen Einzelnen zu ermöglichen, Kenntnis vom Umfang ihrer Rechte und Pflichten zu erlangen (, Rn. 60, mit Verweis auf das Flachglas Torgau, C-204/09, Rn. 60).
18 Außerdem gebietet es der Grundsatz der Rechtssicherheit u.a., dass Rechtsvorschriften - vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne und Unternehmen haben können - klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen vorhersehbar sein müssen ( U.I. Srl., C-714/20, Rn. 61, mit Hinweis auf Italien/Rat [Fangquoten für Schwertfisch im Mittelmeer], C-611/17, Rn. 111, und vom , Hungeod u. a., C-496/18 und C-497/18, Rn. 93 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Unter diesen Umständen ist es Sache der Mitgliedstaaten, zur Umsetzung von Art. 201 der Mehrwertsteuerrichtlinie unter Wahrung des Grundsatzes der Rechtssicherheit die Person oder die Personen, die die Einfuhrmehrwertsteuer zu entrichten haben, durch hinreichend klare und genaue nationale Rechtsvorschriften zu bestimmen oder anzuerkennen. Daraus folgt, dass eine etwaige Haftung des indirekten Zollvertreters für die Zahlung der von einem Mitgliedstaat vorgesehenen Einfuhrmehrwertsteuer gesamtschuldnerisch mit der Person, die ihm eine Vertretungsvollmacht erteilt hat und die er vertritt, ausdrücklich und eindeutig durch solche nationalen Bestimmungen vorgeschrieben werden muss (, Rn. 62 und 63).
19 Daraus folgt zunächst, dass die Beurteilung, ob in der Zollvollmacht vom auch ein die Schuldnerschaft der Mitbeteiligten für die Einfuhrumsatzsteuer ausschließender Auftrag zur Anwendung der Regelung des § 26 Abs. 5 lit. e UStG enthalten war, anhand der Auslegung dieser nationalen Bestimmung erfolgt.
20 Die Option des § 26 Abs. 3 UStG ist durch eine Erklärung in der Zollanmeldung auszuüben. Dabei genügt der Hinweis, dass der Unternehmer von dieser Regelung Gebrauch machen will (vgl. Ruppe/Achatz, UStG5, § 26 Rz 14). § 26 Abs. 5 lit. e UStG enthält abgesehen von dem Erfordernis der Schriftlichkeit keine weiteren, insbesondere keine inhaltlichen Anforderungen an die Ausgestaltung eines Auftrages zur Anwendung der Regelung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG.
21 Aus der zitierten Rechtsprechung des EuGH ergibt sich, dass § 26 Abs. 5 lit. e UStG die Voraussetzungen des Ausschlusses der Schuldnerschaft des indirekten Vertreters eindeutig festlegen muss, damit für den indirekten Vertreter vorhersehbar ist, ob er Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer wird oder nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es Fälle geben kann, in denen die Anwendung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG - insbesondere im Hinblick auf den in den Materialien zu dieser Bestimmung angesprochenen Verlust des Anmelders über die Kontrollmöglichkeit über die Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer - gerade nicht intendiert ist. Ob ein Auftrag mit diesem Mindestinhalt einer Zollvollmacht oder einer anderen Vereinbarung zu entnehmen ist, ist durch Auslegung der schriftlichen Vereinbarung im Einzelfall zu ermitteln.
22 Gemäß § 914 ABGB ist bei der Auslegung von Verträgen die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Die Angaben der Parteien über ihre Absicht im Rahmen des Vertragsabschlusses zählen zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens, welche gemäß § 167 Abs. 2 BAO bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen sind (vgl. , ).
Zur Auslegung der Zollvollmacht vom
23 Im vorliegenden Fall stützte sich das BFG bei der Auslegung der Zollvollmacht vom auf die darin enthaltene Erklärung von A.I.S.W., als Käufer der Waren zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt zu sein. Zudem sei es Sinn und Zweck des Geschäftsmodells gewesen, die Einfuhrumsatzsteuer nicht beim Zollamt entrichten zu müssen. Es handle sich daher bei der Zollvollmacht vom um einen schriftlichen Auftrag zur Anwendung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG.
24 Diese Auslegung findet jedoch schon im Wortlaut der Zollvollmacht vom keine Deckung. Es trifft zwar zu, dass die Erklärung des Käufers A.I.S.W., zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt zu sein, als Indiz für die Anwendung der Regelung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG verstanden werden kann. Dabei ist aber - worauf das Zollamt in der Revision zu Recht hinweist - zu berücksichtigen, dass die Mitbeteiligte als direkte Stellvertreterin des A.I.S.W. bevollmächtigt wurde. Die Konstellation der Zollanmeldung durch die Mitbeteiligte als indirekte Stellvertreterin und die damit verbundene Konsequenz, dass die Mitbeteiligte als Anmelderin Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer gemäß Art. 201 Abs. 3 ZK iVm § 26 Abs. 1 UStG in der im Revisionsfall maßgeblichen Fassung wurde, ist der Zollvollmacht vom hingegen nicht zu entnehmen. Bei der direkten Vertretung mussten die Parteien aber nicht davon auszugehen, dass die Mitbeteiligte selbst Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer werden würde, weshalb diesem - eindeutigen - Wortlaut die Absicht der Parteien, damit auch die Konstellation des Auftrages zur Anwendung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG im Fall der Anmeldung in indirekter Stellvertretung regeln zu wollen, gerade nicht entnommen werden kann. Soweit die Mitbeteiligte in der Revisionsbeantwortung vorbringt, dass die direkte Vollmacht - als Minus - zivilrechtlich auch die indirekte Stellvertretung umfasst habe, kommt es darauf nicht an, weil die Frage der Reichweite der Vollmacht von der Frage, ob die Zollvollmacht vom auch einen Auftrag zur Anwendung der Regelung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG zum Inhalt hatte, zu trennen ist.
25 Soweit das BFG auf den „Sinn und Zweck des Geschäftsmodells“ verweist und damit die Absicht der Parteien beim Vertragsabschluss anspricht, ist dem entgegen zu halten, dass das angefochtene Erkenntnis keine Feststellungen zur Absicht der Parteien im Zeitpunkt der Erteilung der Zollvollmacht im Hinblick auf den Fall der indirekten Stellvertretung enthält und das BFG auch keine Ermittlungen zu der Frage vornahm, ob die Erteilung eines Auftrages nach § 26 Abs. 5 lit. e UStG bei der Erteilung der Zollvollmacht vom intendiert war. Dass von den Parteien der Zollvollmacht vom beabsichtigt war, die Einfuhrumsatzsteuer nicht beim Zollamt entrichten zu müssen, reicht für die Annahme, der Mitbeteiligten sei ein Auftrag zur Anwendung des § 26 Abs. 3 Z 2 UStG mit der Konsequenz, dass die Mitbeteiligte nicht Schuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer wurde, ohne weitere Anknüpfungspunkte im Wortlaut und ohne Auseinandersetzung mit der Parteiabsicht im Zeitpunkt der Erteilung der Zollvollmacht vom nicht aus. Dieses Ziel hätte sich nämlich im Wege der direkten Stellvertretung auch verwirklichen lassen.
26 Würde man den Zweck, dem Käufer der Waren den Vorsteuerabzug und die Verrechnung über das Finanzamtskonto zu sichern, im Sinne der Parteienabsicht zur Begründung eines Auftrages nach § 26 Abs. 5 lit. e UStG in Konstellationen ohne Anknüpfungspunkt im Wortlaut genügen lassen, wäre dem Erfordernis des Vorliegens eines schriftlichen Auftrages der Anwendungsbereich entzogen. Dies würde aber dem vom EuGH in dem genannten Urteil vom , U.I. Srl., C-714/20, hervorgehobenen Grundsatz der Rechtssicherheit in Form von klaren, bestimmten und in ihren Auswirkungen vorhersehbaren Rechtsvorschriften zuwiderlaufen.
27 Da das angefochtene Erkenntnis schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war, war auf das übrigen Revisionsvorbringen nicht mehr einzugehen.
Wien, am
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Normen | ABGB §914 BAO §167 Abs2 EURallg UStG 1994 §19 Abs5 UStG 1994 §26 Abs1 idF 2010/I/034 UStG 1994 §26 Abs3 idF 2010/I/034 UStG 1994 §26 Abs3 Z2 UStG 1994 §26 Abs3 Z2 idF 2010/I/034 UStG 1994 §26 Abs5 lite UStG 1994 §26 Abs5 lite idF 2003/I/134 UStG 1994 §26 Abs5 lite idF 2010/I/034 VwRallg 31992R2913 ZK 1992 Art201 32013R0952 ZK 2013 Art77 62020CA0714 U. I. Srl VORAB |
Schlagworte | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5 Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022160010.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
PAAAF-46122