VwGH 16.11.2023, Ra 2022/15/0079
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Der VwGH kann die ihm gemäß § 41 VwGG obliegende Gesetzmäßigkeitsprüfung nur vornehmen, wenn die angefochtene Entscheidung die Beurteilung des Vorliegens einer Verletzung der als verletzt geltend gemachten Rechte der Revisionswerber (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG) bzw. einer Rechtswidrigkeit im Rahmen der Anfechtungserklärung (§ 28 Abs. 2 VwGG) auf der Grundlage der Begründung der Entscheidung auch ermöglicht. Lässt die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eine solche Beurteilung gar nicht zu, dann führt ein solcher Begründungsmangel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zwangsläufig schon aus diesem Grund. |
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RS 2 | Von zentraler Bedeutung für die Tragfähigkeit der Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne ihrer Eignung, dem VwGH die ihm aufgetragene Gesetzmäßigkeitskontrolle zu ermöglichen, ist die zusammenhängende Darstellung des vom VwG festgestellten Sachverhaltes. Mit dieser ist nicht etwa die Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens oder des Inhaltes von Aussagen, Urkunden oder gegebenenfalls Sachverständigengutachten gemeint. Gemeint ist mit der zusammenhängenden Sachverhaltsdarstellung als dem zentralen Begründungselement einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Anführung jenes Sachverhaltes, den das VwG als Ergebnis seiner Überlegungen zur Beweiswürdigung als erwiesen annimmt (vgl. ). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Braunau Ried Schärding in 4910 Ried im Innkreis, Friedrich Thurner Straße 7, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts Linz vom , Zl. RV/5100220/2022, betreffend Einkommensteuer 2020 (Arbeitnehmerveranlagung) (mitbeteiligte Partei: H F in H, vertreten durch August Proßegger, Steuerberater in 5122 Hochburg-Ach, Fichtenweg 3), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein österreichischer Staatsbürger, der vom bis zum über einen Hauptwohnsitz in Österreich verfügte und im Jahr 2020 als Grenzgänger in Deutschland arbeitete, machte in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2020 für seine beiden - in Deutschland bei der Mutter lebenden - Kinder, für die er Unterhalt geleistet habe, den Familienbonus Plus geltend.
2 Im Einkommensteuerbescheid vom berücksichtigte das Finanzamt zwar den Unterhaltsabsetzbetrag für beide Kinder für volle zwölf Monate, versagte aber den Familienbonus Plus.
3 Einer dagegen erhobenen Beschwerde, die mit der Nachreichung des Formulars Beih38 (Antrag auf Gewährung einer Ausgleichs-/Differenzzahlung) begründet wurde, gab das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung keine Folge und führte aus, gemäß § 33 Abs. 3a EStG 1988 stehe der Familienbonus Plus nur für ein Kind zu, für das Familienbeihilfe (Ausgleichs-/Differenzzahlung) in Österreich gewährt werde. In der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 werde geregelt, welcher Mitgliedstaat für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen vorrangig zur Gewährung der im jeweiligen Hoheitsgebiet vorgesehenen Familienleistungen verpflichtet sei. Vorrangig müsse grundsätzlich jener Mitgliedstaat die Familienleistungen gewähren, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werde. Im vorliegenden Fall befinde sich der Familienwohnsitz (Kindesmutter und Kinder) in Deutschland und weder der Mitbeteiligte noch die Kindesmutter übe eine Beschäftigung in Österreich aus. Daher könne der Familienbonus Plus für die in Deutschland lebenden Kinder nicht berücksichtigt werden.
4 Der Mitbeteiligte beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (BFG) und brachte im Vorlageantrag ergänzend vor, es liege ein positiver Bescheid über den Bezug von Ausgleichszahlung der Familienbeihilfe für 2020 an die Kindesmutter vor. Somit sei die Voraussetzung für den Familienbonus Plus erfüllt. [Anm: Das Finanzamt hat die der Kindesmutter für das Jahr 2020 zunächst zugesprochene Ausgleichszahlung mit Bescheid vom zurückgefordert und den von der Kindesmutter gestellten Antrag auf Ausgleichszahlung für das Jahr 2021 mit Bescheid vom selben Tag abgewiesen].
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärte wurde, gab das BFG der Beschwerde statt und sprach dem Mitbeteiligten den Familienbonus Plus in voller Höhe zu. Unter der Überschrift „Sachverhalt“ schilderte es den Verfahrensgang und unter der Überschrift „Beweiswürdigung“ führte es aus, dass sich der Sachverhalt aus den dem BFG vorgelegten Akten, dem Vorbringen des Mitbeteiligten und der Amtspartei ergebe. Unter der Überschrift „Rechtslage“ zitierte es bezughabende Gesetzesstellen und führte aus, der Verwaltungsgerichtshof habe in einem dem vorliegenden Fall vergleichbaren Fall ausgesprochen, der Familienbonus Plus sei selbst dann zu gewähren, wenn kein Antrag auf Familienbeihilfe bzw. auf eine Ausgleichszahlung iSd § 4 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) gestellt werde, aber alle inhaltlichen Voraussetzungen für einen Familienbeihilfen- bzw. Ausgleichsanspruch erfüllt seien (Hinweis auf ). Unter der Überschrift „Erwägungen“ stellte das BFG sodann fest, der Mitbeteiligte habe im Beschwerdejahr in Österreich gelebt und als Grenzgänger in Deutschland gearbeitet. Als Grenzgänger unterliege er dem alleinigen Besteuerungsrecht Österreichs, weshalb diese Beschäftigung in verfassungskonformer Interpretation einer in Österreich ausgeübten Beschäftigung gleichzuhalten sei. Es wäre unsachlich dem Mitbeteiligten den Familienbonus Plus vorzuenthalten, der die Einkommensteuer mindere.
6 Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete außerordentliche Revision des Finanzamts bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob der Familienbonus Plus auch ohne Anspruch auf Familienbeihilfe dem Grunde nach zu berücksichtigen sei. Das vom BFG zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes beziehe sich nur auf die Gewährung des Familienbonus Plus ohne „Antrag“ auf Familienbeihilfe, nicht aber auf die Gewährung des Familienbonus Plus ohne Anspruch auf Familienbeihilfe dem Grunde nach. Dem Mitbeteiligten stehe dem Grunde nach kein Anspruch auf Ausgleichs- oder Differenzzahlung zu.
7 Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Die Revision ist zulässig und begründet.
10 Der Verwaltungsgerichtshof kann die ihm gemäß § 41 VwGG obliegende Gesetzmäßigkeitsprüfung nur vornehmen, wenn die angefochtene Entscheidung die Beurteilung des Vorliegens einer Verletzung der als verletzt geltend gemachten Rechte der Revisionswerber (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG) bzw. einer Rechtswidrigkeit im Rahmen der Anfechtungserklärung (§ 28 Abs. 2 VwGG) auf der Grundlage der Begründung der Entscheidung auch ermöglicht. Lässt die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eine solche Beurteilung gar nicht zu, dann führt ein solcher Begründungsmangel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zwangsläufig schon aus diesem Grund.
11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung erkennen lassen, welcher Sachverhalt ihr zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen es die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet. Die Begründung muss dabei in einer Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist (vgl. z.B. , und ).
12 Von zentraler Bedeutung für die Tragfähigkeit der Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne ihrer Eignung, dem Verwaltungsgerichtshof die ihm aufgetragene Gesetzmäßigkeitskontrolle zu ermöglichen, ist die zusammenhängende Darstellung des vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhaltes. Mit dieser ist nicht etwa die Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens oder des Inhaltes von Aussagen, Urkunden oder gegebenenfalls Sachverständigengutachten gemeint. Gemeint ist mit der zusammenhängenden Sachverhaltsdarstellung als dem zentralen Begründungselement einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Anführung jenes Sachverhaltes, den das Verwaltungsgericht als Ergebnis seiner Überlegungen zur Beweiswürdigung als erwiesen annimmt (vgl. zum Vorstehenden nochmals ).
13 Die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung, wonach sich der Sachverhalt aus den dem BFG vorgelegten Akten, dem Vorbringen des Mitbeteiligten und der Amtspartei ergebe, genügen den an eine Begründung gestellten Anforderungen jedenfalls nicht.
14 Das Finanzamt weist im Zulässigkeitsvorbringen der Revision zutreffend darauf hin, dass dem vom BFG für seinen Standpunkt ins Treffen geführten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2021/15/0067, ein Fall zugrunde lag, in dem alle inhaltlichen Voraussetzungen für einen Familienbeihilfen- bzw. Ausgleichsanspruch erfüllt gewesen seien und nur kein Antrag auf Familienbeihilfe bzw. auf eine Ausgleichszahlung iSd § 4 Abs. 2 FLAG 1967 gestellt worden sei. Dass im gegenständlichen Revisionsfall alle gesetzlichen Voraussetzungen für einen Familienbeihilfen- bzw. Ausgleichsanspruch (§§ 2 ff FLAG 1967) erfüllt sind, stellte das BFG - wie bereits ausgeführt - nicht fest. Feststellungen zur Frage, ob der Mitbeteiligte alle Voraussetzungen für die Zuerkennung des Unterhaltsabsetzbetrages (§ 33 Abs. 4 Z 3 EStG 1988) erfüllt, traf das BFG ebenfalls nicht.
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022150079.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAF-46102