VwGH 26.04.2023, Ra 2022/15/0057
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | BAO §295a VwRallg |
RS 1 | § 295a BAO ist nur der Verfahrenstitel zur Durchbrechung der (materiellen) Rechtskraft von vor Eintritt des Ereignisses erlassenen Bescheiden. § 295a BAO ist anwendbar, wenn ein solches Ereignis nachträglich (nach Erlassung des Bescheids) eintritt (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2021/13/0134 E RS 1 |
Normen | BAO §295a VwRallg |
RS 2 | § 295a BAO ist nur der Verfahrenstitel zur Durchbrechung der materiellen Rechtskraft von vor Eintritt des Ereignisses erlassenen Bescheiden. Es ist eine Frage des Inhalts bzw. der Auslegung der materiell-rechtlichen Abgabenvorschriften, welchen Ereignissen Rückwirkung (bezogen auf den Zeitpunkt des Entstehens des Abgabenanspruchs) zukommt (vgl. , sowie Ritz, BAO6, § 295a Tz 3 f und die dort zitierte hg. Judikatur). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/16/0109 E RS 3 (hier ohne den Klammerausdruck) |
Normen | |
RS 3 | Das Gesetz stellt unzweifelhaft auf die Antragstellung der für den Familienbonus Plus Anspruchsberechtigten ab. Haben beide Anspruchsberechtige den Familienbonus Plus beantragt, steht jedem der Berechtigten nur mehr der anteilige Betrag zu. Ein rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO könnte - wie dies die Erläuterungen, durch den Verweis auf einen Antrag nach einem "vorangegangenen Bescheid" ausführen (vgl. 190 BlgNR 26. GP 10) - in einem Fall vorliegen, in welchem nach dem Ergehen des Einkommensteuerbescheides gegenüber dem einen Anspruchsberechtigten der zweite Anspruchsberechtigte ebenfalls einen Antrag auf Familienbonus Plus stellt. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Landeck Reutte in 6500 Landeck, Innstraße 11, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7100930/2022, betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für die Jahre 2019 und 2020 (mitbeteiligte Partei: Dr. R A J N in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Ein Kostenzuspruch findet nicht statt.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte lebte in den Jahren 2019 und 2020 mit seiner Ehefrau sowie vier leiblichen und zwei Pflegekindern in einem gemeinsamen Haushalt. Die Ehefrau des Mitbeteiligten bezog für alle Kinder die Familienbeihilfe. Auf die Geltendmachung des Familienbonus Plus verzichtete sie, weshalb dieser für alle Kinder vom Finanzamt bei der Veranlagung des Mitbeteiligten zur Einkommensteuer 2019 und 2020 (zunächst) auch berücksichtigt worden ist. Der Einkommensteuerbescheid an den Mitbeteiligten für 2019 erging am , jener für 2020 am .
2 Für eines der Pflegekinder wurde auch vom leiblichen Vater, der im Jahr 2019 (12 Monate) und im Jahr 2020 (10 Monate) den gesetzlichen Unterhalt für dieses Pflegekind leistete, jeweils die Hälfte des Familienbonus Plus beantragt, und zwar für 2019 in der am eingereichten Einkommensteuererklärung 2019 und für 2020 in der am eingereichten Einkommensteuererklärung 2020. Die Veranlagung zur Einkommensteuer der Jahre 2019 und 2020 erfolgte erklärungsgemäß.
3 Mit der Begründung, dass der Familienbonus Plus für ein Pflegekind in ein und demselben Zeitraum dem Mitbeteiligten zur Gänze und dem leiblichen Vater des Pflegekindes (für 2019 und für Jänner bis Oktober 2020) jeweils zur Hälfte gewährt worden sei, erließ das Finanzamt gegenüber dem Mitbeteiligten gemäß § 295a BAO geänderte Einkommensteuerbescheide 2019 und 2020 (Ausfertigungsdatum ), in welchen es den Familienbonus Plus für das betreffende Pflegekind zur Gänze nicht mehr berücksichtigte. Das Finanzamt führte aus, der Mitbeteiligte sei nicht anspruchsberechtigt, weil für das Pflegekind der gesetzliche Unterhalt geleistet worden sei und gemäß § 33 Abs. 3a Z 3 lit. b EStG 1988 neben dem Unterhaltszahler nur die Familienbeihilfenbezieherin selbst (also die Ehefrau des Mitbeteiligten) anspruchsberechtigt sein könne.
4 Der Mitbeteiligte brachte gegen die gemäß § 295a BAO geänderten Einkommensteuerbescheide 2019 und 2020 Beschwerde ein.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde statt und hob die angefochtenen (neuen) Einkommensteuerbescheide 2019 und 2020 ersatzlos auf. Zur Begründung führte es aus, es sei eine Frage des Inhaltes bzw. der Auslegung der (materiellrechtlichen) Abgabenvorschriften, welchen Ereignissen (bezogen auf den Zeitpunkt des Entstehens des Abgabenanspruches) Rückwirkung zukomme. Trete ein derartiges Ereignis vor Bescheiderlassung ein, sei es zwingend bereits bei Erlassung des Bescheides zu berücksichtigen. § 295a BAO sei daher nur anwendbar, wenn ein solches Ereignis erst nach Erlassung des Bescheides eintrete. § 295a BAO sei eine reine Verfahrensbestimmung, die nur der Durchbrechung der Rechtskraft von solchen Bescheiden dienen könne, die bereits vor Eintritt des rückwirkenden Ereignisses erlassen worden seien. Der Familienbonus Plus stehe dem leiblichen Vater über Antrag (zur Hälfte) zu. Entscheidend sei nach dem Gesetzeswortlaut des § 33 Abs. 3a EStG 1988 die Antragstellung (Hinweis auf Jakom/Kanduth-Kristen EStG, 2020, § 33 Rz 38). Der leibliche Vater habe den Familienbonus Plus für das Pflegekind in den Erklärungen auf Durchführung der Arbeitnehmerveranlagungen 2019 und 2020 beantragt. Er habe die Steuererklärung 2019 am eingereicht und jene für 2020 am . Die Antragstellung des leiblichen Vaters für das jeweils betroffene Veranlagungsjahr sei vor Erlassung der (ursprünglichen) Einkommensteuerbescheide 2019 und 2020 an den Mitbeteiligten erfolgt. Im vorliegenden Fall mangle es somit an einem Ereignis im Sinne des § 295a BAO, das nach der Erlassung der (ursprünglichen) Einkommensteuerbescheide an den Mitbeteiligten eingetreten sei.
6 Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete außerordentliche Revision des Finanzamts bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es sei ungeklärt, ob für die Frage des Vorliegens eines rückwirkenden Ereignisses auf den Zeitpunkt der Antragstellung in der Steuererklärung oder auf die Gewährung des Familienbonus Plus im Einkommensteuerbescheid abzustellen sei.
7 Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
10 Der mit dem Jahressteuergesetz 2018 (JStG 2018), BGBl. I Nr. 62/2018, eingeführte Abs. 3a des § 33 EStG 1988 - lit. d wurde mit BGBl. I Nr. 96/2020 in Z 3 angefügt - lautet auszugsweise:
„(3a) Für ein Kind, für das Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 gewährt wird und das sich ständig in einem Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhält, steht auf Antrag ein Familienbonus Plus nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zu:
[...]
3. Der Familienbonus Plus ist in der Veranlagung entsprechend der Antragstellung durch den Steuerpflichtigen wie folgt zu berücksichtigen: [...]
[...]
b) Für ein Kind, für das im jeweiligen Monat ein Unterhaltsabsetzbetrag nach Abs. 4 Z 3 zusteht:
- Beim Familienbeihilfenberechtigten oder vom Steuerpflichtigen, dem für das Kind der Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, der nach Z 1 oder Z 2 zustehende Betrag oder
- beim Familienbeihilfenberechtigten und dem Steuerpflichtigen, dem für das Kind der Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, jeweils die Hälfte des nach Z 1 oder Z 2 zustehenden Betrages.
Für einen Monat, für den kein Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, steht dem Unterhaltsverpflichteten kein Familienbonus Plus zu.
c) Die Aufteilung des Familienbonus Plus gemäß lit. a und b ist bei gleichbleibenden Verhältnissen für das gesamte Kalenderjahr einheitlich zu beantragen. Wird von den Anspruchsberechtigten die Berücksichtigung in einer Höhe beantragt, die insgesamt über das nach Z 1 oder Z 2 zustehende Ausmaß hinausgeht, ist jeweils die Hälfte des monatlich zustehenden Betrages zu berücksichtigen.
d) Der Antrag kann zurückgezogen werden. Ein Zurückziehen ist bis fünf Jahre nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides möglich und gilt nach Eintritt der Rechtskraft als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a der Bundesabgabenordnung sowohl für den Zurückziehenden als auch für den anderen Antragsberechtigten gemäß lit. a oder b. Wird der Antrag zurückgezogen, kann der gemäß lit. a oder b andere Antragsberechtigte den ganzen nach Z 1 oder Z 2 zustehenden Betrag beantragen.
[...]
6. In der Steuererklärung ist die Versicherungsnummer (§ 31 ASVG) oder die persönliche Kennnummer der Europäischen Krankenversicherungskarte (§ 31a ASVG) jedes Kindes, für das ein Familienbonus Plus beantragt wird, anzugeben.“
11 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, ist § 295a BAO nur der Verfahrenstitel zur Durchbrechung der materiellen Rechtskraft von vor Eintritt eines rückwirkenden Ereignisses erlassenen Bescheiden. § 295a BAO ist nur anwendbar, wenn ein solches Ereignis nachträglich (nach Erlassung des Bescheids) eintritt (vgl. ; und , 2010/13/0062). Es ist eine Frage des Inhalts bzw. der Auslegung der materiellrechtlichen Abgabenvorschriften, welchen Ereignissen Rückwirkung zukommt (vgl. , mwN).
12 Im Einleitungssatz des § 33 Abs. 3a EStG 1988 wird normiert, dass der Familienbonus Plus nur „auf Antrag“ zusteht. Im Einleitungssatz der Z 3 des § 33 Abs. 3a EStG 1988 ist festgelegt, dass der Familienbonus Plus in der Veranlagung „entsprechend der Antragstellung“ durch den Steuerpflichtigen berücksichtigt wird. Die lit. c des § 33 Abs. 3a Z 3 EStG 1988 ordnet an, dass die Aufteilung des Familienbonus Plus bei gleichbleibenden Verhältnissen für das gesamte Kalenderjahr einheitlich zu beantragen ist und dass jeweils die Hälfte des Familienbonus Plus zu berücksichtigen ist, wenn von den Anspruchsberechtigten insgesamt mehr als der volle Familienbonus beantragt wird. Aus der Z 6 des § 33 Abs. 3a EStG 1988 ergibt sich, welche Angaben in der Steuererklärung in Bezug auf Kinder angeführt sein müssen, für die der Familienbonus Plus beantragt wird.
13 Auch die Erläuterungen (vgl. 190 BlgNR 26. GP 10) nehmen mehrfach auf die „Antragstellung“ auf Familienbonus Plus Bezug und führen beispielsweise aus: „Werden Anträge gestellt, die über das zustehende Ausmaß des Familienbonus Plus hinausgehen, soll es zu einer zwingenden Hälfteaufteilung kommen.“
14 Das Gesetz stellt sohin unzweifelhaft auf die Antragstellung der für den Familienbonus Plus Anspruchsberechtigten ab. Haben beide Anspruchsberechtige den Familienbonus Plus beantragt, steht jedem der Berechtigten nur mehr der anteilige Betrag zu.
15 Ein rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO könnte - wie dies die Erläuterungen, durch den Verweis auf einen Antrag nach einem „vorangegangenen Bescheid“ ausführen (vgl. 190 BlgNR 26. GP 10) - im hier nicht gegebenen Fall vorliegen, in welchem nach dem Ergehen des Einkommensteuerbescheides gegenüber dem einen Anspruchsberechtigten der zweite Anspruchsberechtigte ebenfalls einen Antrag auf Familienbonus Plus stellt.
16 Im gegenständlichen Fall kommt - was das Jahr 2019 betrifft - hinzu, dass die Gewährung des Familienbonus Plus in Bezug auf ein Kind, für welches dem unterhaltspflichtigen Vater für alle Monate der Unterhaltsabsetzbetrag nach § 33 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 zusteht, strittig ist. Die Anspruchsberechtigung für ein Kind, für das der Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, ergibt sich aus der lit. b des § 33 Abs. 3a Z 3 EStG 1988. Demnach kommen als Anspruchsberechtigte für den Familienbonus Plus - wie das Finanzamt im Bescheid vom zutreffend ausgeführt hat - nur die Familienbeihilfenberechtigte, im gegenständlichen Fall die Pflegemutter, und der Unterhaltsverpflichtete, im gegenständlichen Fall der leibliche Vater, in Betracht.
17 Dem Mitbeteiligten räumt § 33 Abs. 3a Z 3 lit. b EStG 1988, unabhängig davon, ob der leibliche Vater (als Unterhaltspflichtiger) den Familienbonus Plus in Anspruch nimmt oder nicht, für Monate, für die ein Unterhaltsabsetzbetrag zusteht keinen Anspruch auf Familienbonus Plus ein. Bei dieser Rechtslage hat es auf den (von vornherein nicht bestehenden) Anspruch des Mitbeteiligten auf Familienbonus Plus keine wie immer geartete Auswirkung, ob der leibliche Vater, dem der Unterhaltsabsetzbetrag zukommt, einen Familienbonus Plus beantragt oder nicht. Ein Antrag des leiblichen Vaters auf den Familienbonus Plus kann daher auch kein rückwirkendes Ereignis in Bezug auf die Einkommensbesteuerung des Mitbeteiligten sein. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich auch aus diesem Grund als nicht gesetzwidrig.
18 Die Revision war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
19 Nach § 48 Abs. 3 Z 2 VwGG gebührt nur der Ersatz des Aufwandes, der für den Mitbeteiligten als obsiegende Partei mit der Einbringung einer Revisionsbeantwortung durch einen Rechtsanwalt (Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer) verbunden war. Ersatz für Schriftsatzaufwand kommt daher dann nicht in Betracht, wenn die Revisionsbeantwortung - wie im Revisionsfall - nicht von einem Rechtsanwalt (Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer) eingebracht wurde.
Wien, am
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Schlagworte | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022150057.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
RAAAF-46088