VwGH 23.03.2023, Ra 2022/15/0050
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | BAO §22 EStG 1988 §94 Z2 EStG 1988 §94a Kapitalertrag Mutter/Tochter-RL 1995 §2 EURallg 31990L0435 Mutter/Tochter-RL |
RS 1 | Liegt eine Erklärung gemäß § 2 der Verordnung, BGBl. Nr. 56/1995, nicht vor oder sind dem zum Abzug Verpflichteten Umstände erkennbar, die Zweifel an der Richtigkeit dieser Erklärung auslösen, ist eine der Mutter-Tochter-Richtlinie entsprechende Entlastung von der Kapitalertragsteuer auf Antrag der Muttergesellschaft durch ein Steuerrückerstattungsverfahren herbeizuführen. |
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RS 2 | Sinn und Zweck der Einschränkung nach § 94 Z 2 EStG 1988 ist die Verhinderung des "Directive Shopping", d.h. der Inanspruchnahme der Mutter-Tochter-Richtlinie durch Steuerpflichtige, denen die Vorteile dieser Richtlinie sonst nicht zustehen würden. EU-"Briefkastengesellschaften", deren man sich für internationale Steuerumgehungsstrategien bedient, sollen damit von den Begünstigungen des § 94 ausgeschlossen werden (vgl. ). |
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RS 3 | Voraussetzung für die Annahme eines Missbrauches im Zusammenhang mit der Mutter-Tochter-Richtlinie durch Zwischenschaltung einer oder mehrerer Gesellschaften ist, dass es durch die (allenfalls auch verzögerte) Ausschüttung von Dividenden zu einer ungerechtfertigten Steuerersparnis kommt, weil der Empfänger der Dividenden bei direkter Beteiligung die KESt-Befreiung nicht in Anspruch nehmen könnte. |
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RS 4 | Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH wird als Missbrauch im Sinn des § 22 BAO eine rechtliche Gestaltung angesehen, die im Hinblick auf die wirtschaftliche Zielsetzung ungewöhnlich und unangemessen ist und nur aufgrund der damit verbundenen Steuerersparnis verständlich wird. Dabei bildet im Allgemeinen nicht ein einziger Rechtsschritt, sondern eine Kette von Rechtshandlungen den Sachverhalt, mit dem die Folge des § 22 Abs 2 BAO (bzw § 44 UmgrStG) verbunden ist. Ein Missbrauch kann also in der dem tatsächlichen Geschehen nicht angemessenen Hintereinanderschaltung mehrerer rechtlicher Schritte bestehen (Hinweis Stoll, BAO-Kommentar, 248). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2002/14/0074 E VwSlg 7989 F/2004 RS 1 (hier keine Bezugnahme auf § 44 UmgrStG) |
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RS 5 | § 22 BAO entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben und der Judikatur des EuGH zur Mutter-Tochter-Richtlinie (vgl. ). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der M Limited in K (Russland), vertreten durch die braunegg palkovits & partner Wirtschaftstreuhand- und Steuerberatungsges.m.b.H. in 1020 Wien, Obere Donaustraße 37, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/4100351/2020, betreffend Anträge auf Rückerstattung der Kapitalertragsteuer 2012 bis 2017, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin ist laut ihrem Vorbringen Gesamtrechtsnachfolgerin einer company limited by shares (Ltd. 1) mit Sitz in L, Zypern. Die Ltd. 1 wurde am mit einem Grundkapital von 1.000 EUR gegründet. Ihre Aktien wurden im April 2007 von einer anderen, gleichfalls auf Zypern situierten Ltd. 2 erworben. Gesellschafter der Ltd. 2 sind zwei auf den Channel Islands bzw. den British Virgin Islands situierte Gesellschaften, drei weitere Gesellschaften in Zypern sowie ein russischer Großinvestor (Herr A). 2019 verlegte die Ltd. 1 ihren Sitz nach Russland, K. Am wurde sie im zypriotischen Firmenbuch gelöscht.
2 Die Ltd. 1 erwarb im Jahr 2007 28.500.001 Stück Aktien einer SE, einer europäischen Gesellschaft mit Sitz in Österreich um insgesamt 1.275.000.040 EUR. Der Aktienerwerb durch die Ltd. 1 war der Kommission der Europäischen Gemeinschaft nach der EG-Fusionskontrollverordnung zu melden, die dagegen keinen Einwand erhob.
3 Zwischen der Ltd. 1 und den Aktionären der SE bestand ein am abgeschlossener Syndikatsvertrag, der unter anderem Verpflichtungen zur Entwicklung des russischen Markts enthielt. Laut Stellungnahme der Übernahmekommission vom ist die Ltd. 1 eine Tochtergesellschaft der BE, die von A kontrolliert wird. Die Ltd. 1 werde daher mittelbar von A beherrscht.
4 Strittig ist, ob für die Ausschüttungen der SE an die Ltd. 1 in den Jahren 2012 bis 2017 die einbehaltene Kapitalertragsteuer rückzuerstatten ist, insbesondere ob die Zwischenschaltung der Ltd. 1 in Zypern eine missbräuchliche Gestaltung darstellt, die nur den Zweck hatte, die Kapitalertragsteuer-Rückerstattung zu erlangen.
5 Zum Verfahren betreffend die Rückerstattung der Kapitalertragsteuer für das Jahr 2008 wird auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2011/15/0080, und vom , Ra 2017/15/0070, verwiesen.
6 Das Finanzamt verwehrte der Revisionswerberin die Rückerstattung der Kapitalertragsteuer für die Jahre 2012 bis 2017 mit der Begründung, dass die Ltd. 1 von in Russland ansässigen (physischen und juristischen) Personen beherrscht worden sei. Den Geschäftsberichten der SE sei zu entnehmen, dass die Ltd. 1 vom russischen Großinvestor kontrolliert werde. Laut „Angaben zu nahestehenden Personen und Unternehmen“ sei sie diesem zuzurechnen. Die Ltd. 1 habe nicht darlegen können, irgendwelche Tätigkeiten auszuführen, z.B. die Beteiligung an SE tatsächlich selbst zu verwalten. Außersteuerliche Gründe für die gewählte Gestaltung seien nicht erkennbar. Auch bei der Ltd. 2 hätten wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe bzw. eine eigene Wirtschaftstätigkeit nicht festgestellt werden können und seien solche auch nicht vorgebracht worden.
7 Die Revisionswerberin erhob Beschwerde, in der sie unter anderem vorbrachte, die Tätigkeit der Ltd. 2 sei das Halten und Verwalten der Beteiligungen. Die damit verbundenen Aufgaben habe die Ltd. 2 an die (konzernmäßig verbundene) Service-Gesellschaft, die Ltd. 3, Zypern, ausgelagert. Diese Management-Gesellschaft verfüge über das für die Verwaltung der Ltd. 2 erforderliche Personal und die erforderliche Substanz. Die Servicegesellschaft erbringe für die Ltd. 2 „sämtliche Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Verwaltung der Beteiligungen an den Tochtergesellschaften“.
8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es stellte fest, dass hinsichtlich Organisation, Ablauf und Tätigkeit gegenüber 2008 keine wesentlichen Änderungen eingetreten seien. Zweck der Ltd. 1 sei im Revisionszeitraum das Halten und Verwalten von Beteiligungen sowie laut Pkt. 3. 4. des Syndikatsvertrages die Erweiterung des russischen Marktes gewesen. Die Revisionswerberin behaupte, die Ltd. 1 habe den Großteil der von ihr zu besorgenden Aufgaben an die Ltd. 3 ausgelagert. Nachweise für eine (fremdüblich vereinbarte und abgewickelte) Auslagerung der von der Ltd. 1 zu erfüllenden Aufgaben seien nicht vorgelegt worden. Nachvollziehbare Unterlagen zur Frage, wer die mit den zuvor angeführten Zwecken verbundenen Aufgaben erfüllt habe, lägen nicht vor. Die Revisionswerberin habe nicht sagen können, wer von der Ltd. 2, der Ltd. 1 und der Ltd. 3 (und ihren Tochtergesellschaften) einzelne Leistungen konkret erbracht habe. Eine „Geschäftsführervergütung“ finde sich unter den Betriebsausgaben 2017, nicht jedoch in den Jahren 2012 bis 2016. Die behauptete unentgeltliche/unterpreisige Erbringung von nicht näher beschriebenen Leistungen der Ltd. 3 an die Ltd. 1 sei nicht nachgewiesen worden. Die Ltd. 1 sei im Revisionszeitraum zur Gänze von A bzw. seinem Konzern wirtschaftlich abhängig gewesen.
9 An der Ltd. 2 seien im Revisionszeitraum neben den drei bereits 2008 beteiligten und mittelbar A zuzurechnenden Gesellschaften (80 %) drei weitere Gesellschafter beteiligt gewesen. Diese Gesellschafter seien nicht als fremde Dritte anzusehen, weil sie dem Konzern von A nahe stünden. Zweck der Ltd. 2 sei im Revisionszeitraum das Halten und Verwalten der Beteiligungen gewesen. Die Ltd. 2 habe die Auslagerung des Großteils der von ihr zu besorgenden Aufgaben an die Ltd. 3 ins Treffen geführt. Nachvollziehbare Unterlagen zur Frage, wer die von der Ltd. 2 zu besorgenden Aufgaben erfüllt habe, lägen nicht vor. Nachweise für eine fremdüblich vereinbarte und abgewickelte Auslagerung der von der Ltd. 2 zu erfüllenden Aufgaben seien nicht vorgelegt worden. Die behauptete unentgeltliche/unterpreisige Erbringung von nicht näher beschriebenen Leistungen der Ltd. 3 (und ihrer Tochtergesellschaften) an die Ltd. 2 sei nicht nachgewiesen worden. Die Ltd. 2 sei zur Gänze von A bzw. seinem Konzern wirtschaftlich abhängig.
10 Gegenstand der Ltd. 3 sei im Revisionszeitraum der einer Kapitalanlage- und Holdinggesellschaft gewesen. Ein Hinweis auf die Funktion der Ltd. 3 als „Servicegesellschaft“ der Ltd. 1 sowie der Ltd. 2 und weiterer Gesellschaften des Konzerns sei aus den vorgelegten Unterlagen nicht ersichtlich. Ebenso gebe es keine Hinweise auf die behauptete Servicefunktion der Tochtergesellschaften der Ltd. 3.
11 Die beherrschende Stellung des nicht KESt-abzugsberechtigten Personenkreises finde sich insbesondere in den Jahresabschlüssen der Ltd. 1, 2 und 3, in den Geschäftsberichten der SE, des Weiteren im Schreiben an die Übernahmekommission vom sowie letztendlich im Vorbringen der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung und im Vorhalteverfahren.
12 Als außersteuerliche wirtschaftliche Gründe für die Gestaltung seien vorgebracht worden: Die Ltd. 1 sei als Special Purpose Vehicle für allfällige Akquisitionen in der Konzernsparte „Construction and Development“ gegründet worden. Durch die Bündelung sei eine professionelle Verwaltung gewährleistet. Für Beteiligungen an EU-Gesellschaften sei eine europäische Holding mit Sitz und Geschäftsleitung in der EU essentiell und absolut Marktstandard; dies insbesondere aus operativen und administrativen Gründen, wie zum Beispiel aufgrund leichterer Umsetzung von Beteiligungserwerben, der erleichterten Erlangung von Finanzierungen im EU-Raum oder der leichteren Erlangung von Genehmigungen im Falle von allfälligen genehmigungspflichtigen Übernahmen im EU-Raum.
13 In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesfinanzgericht aus, die grundsätzliche Anwendbarkeit der Mutter-Tochter-Richtlinie sei unstrittig. Es stelle sich nur die Frage, ob eine missbräuchliche Zwischenschaltung der Ltd. 1 vorliege. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes spreche die Beherrschung einer Gesellschaft durch Personen, denen die Steuerentlastung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, für das Vorliegen missbräuchlicher Rechtsgestaltung, wenn für die Zwischenschaltung einer EU-Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlten und sie keine eigene Wirtschaftstätigkeit entfalte. Es sei daher zu prüfen, ob die Gesellschaft(en) im Revisionszeitraum eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet hätten, ob wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche Gründe für ihre Situierung in Zypern vorlägen, und ob eine Beherrschung durch Personen vorliege, denen die KESt-Rückerstattung nach der Mutter-Tochter-Richtlinie nicht zustände.
14 Zur wirtschaftlichen Tätigkeit der Ltd. 1 führte das Bundesfinanzgericht aus, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass Ltd. 1 das Halten und Verwalten von Beteiligungen, geschweige denn die mit der Erweiterung des russischen Marktes verbundenen Aufgaben selbst besorgt hätte. Wenn die Revisionswerberin darauf hinweise, dass die Ltd. 3 über die für die Besorgung der Aufgaben der Ltd. 1 erforderliche Substanz verfügt habe, so konzediere sie das Fehlen einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit bei der Ltd. 1 mangels entsprechender Substanz. Eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit der Ltd. 1 für den Revisionszeitraum könne nicht bejaht werden. Auch unter Einbeziehung der Ltd. 2 und Ltd. 3 in die Beurteilung könne eine wirtschaftliche Tätigkeit der Ltd. 1 nicht erkannt werden. Eine Auslagerung von Aufgaben sei zwar zulässig und führe per se nicht zu einem Missbrauch. Entscheidungswesentlich sei jedoch die Frage der wirtschaftlichen Tätigkeiten, allenfalls im Wege einer teilweisen Auslagerung der von den Gesellschaften im Rahmen ihres Zwecks zu besorgenden Aufgaben. Die Ltd. 2 behaupte die Auslagerung der von ihr zu besorgenden Aufgaben bzw. eines nicht näher bestimmten Teiles davon an die Ltd. 3. Diesbezüglich fehlten fremdüblich abgeschlossene und abgewickelte Vereinbarungen mit der Ltd. 3. Weder die Ltd. 1 noch die Ltd. 2 hätten nachgewiesen, wer die zu erfüllenden Aufgaben konkret erbracht hat, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Ltd. 2 die Aufgaben der Ltd. 1 besorgt habe, insbesondere jene Aufgaben hinsichtlich der Erweiterung des russischen Marktes. Es sei auch unter Einbeziehung der Ltd. 2 weder eine wirtschaftliche Tätigkeit der Ltd. 1 noch der Ltd. 2 als erwiesen anzunehmen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht durch die Einbeziehung der Ltd. 3. Die Aussage der Revisionswerberin. 1 bzw. der Ltd. 2, dass eine Zuordnung der Leistungen zu den von der Ltd. 3 „originär“ erbrachten bzw. von ihr zugekauften Leistungen „realistischerweise nicht möglich“ sei, zeige deutlich das Fehlen von fremdüblichen Vereinbarungen und ihrer entsprechenden Abwicklung auf. Bei fremdüblicher Vereinbarung und Abwicklung wäre eine entsprechende Zuordnung unzweifelhaft möglich gewesen. Die Angaben zur Ltd. 3 würden sich auf bloße Behauptungen beschränken. Die behauptete unterpreisige bzw. unentgeltliche Leistungserbringung durch die Ltd. 3 finde in den vorgelegten Unterlagen keinen Niederschlag. Zusammengefasst könne eine wirtschaftliche Tätigkeit der Ltd. 1, sei es durch ein eigenes wirtschaftliches Tätigwerden, sei es durch Zukauf der Leistungen (auch über die Ltd. 2) bei der Ltd. 3, nicht bejaht werden.
15 Zu den vorgebrachten außersteuerlichen Gründen führte das Bundesfinanzgericht aus, die Funktion der Ltd. 1 als ein Special Purpose Vehicle sei nicht glaubhaft, weil lediglich 2014 eine weitere Beteiligung an einer Schwestergesellschaft bei gleichbleibender Mutter erworben worden sei. Eine „eigenständige wirtschaftliche Funktion“ der Ltd. 1 oder der Ltd. 2 sowie „diverse wichtige Funktionen innerhalb der Unternehmensgruppe als Holding“ seien angesichts der ungeregelten Erbringung der Aufgaben nicht erkennbar gewesen. Dem Vorbringen zur Ltd. 2, eine europäische Holding mit Sitz und Geschäftsleitung in Zypern sei essentiell und absoluter Marktstandard und Zypern sei ein internationaler Standort, könne beim vorliegenden Sachverhalt nicht gefolgt werden. Auch wenn im Schaubild eine Vielzahl von Firmen aufgelistet seien, so ändere dies nichts daran, dass es, wie dargelegt, an einer entscheidungswesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit der Ltd. 1 und der Ltd. 2 und 3 mangle. Die operativen Gesellschaften mit Ausnahme der SE, seien alle in Russland bzw. Südosteuropa situiert, weshalb sich die Behauptung einer Spartenholding im EU-Raum „aus operativen und administrativen Gründen“ als nicht nachvollziehbar erweise. Der Hinweis auf ein Organigramm und die Behauptung, dass die Arbeiten im Zusammenhang mit den Beteiligungen jedenfalls hätten gemacht werden müssen, reichten nicht als Nachweis für ein faktisches Tätigwerden und die behauptete Auslagerung von Leistungen aus. Auch die weiteren ins Treffen geführten Gründe für die Niederlassung der Gesellschaft(en) in Zypern stellten keine tauglichen wirtschaftlichen bzw. sonst beachtlichen außersteuerlichen Gründe dar.
16 An der Beherrschung der drei Gesellschaften durch A bzw. Person(en) oder Gesellschaften, denen im Falle einer Direkt-Beteiligung an der SE die KESt-Rückerstattung nicht zustände, bestehe kein Zweifel. Die KESt-Rückerstattung sei daher zu Recht verweigert worden.
17 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, es liege eine uneinheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, weil er im Erkenntnis vom , Ro 2018/13/0004, und im Beschluss vom , Ra 2017/15/0070, nahezu gleichgelagerte Sachverhalte unterschiedlich beurteilt habe. Zudem sei das Bundesfinanzgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil ein gleichgelagerter Sachverhalt wie der im Erkenntnis Ro 2018/13/0004 vorliege und dieser anders beurteilt worden sei.
Nach Einleitung des Vorverfahrens erstattete das Finanzamt die Revisionsbeantwortung, in der es die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragte.
18 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
19 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss hat gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu erfolgen.
20 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
21 Gemäß § 94 Z 2 EStG 1988 in der im Revisionszeitraum geltenden Fassungen hat der zum Abzug Verpflichtete insoweit keine Kapitalertragsteuer abzuziehen, als folgende Voraussetzungen vorliegen:
1. Es handelt sich um Gewinnanteile (Dividenden) und sonstige Bezüge aus Aktien, Anteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder an Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und
2. die Körperschaft ist mindestens zu einem Zehntel mittel- oder unmittelbar am Grund- oder Stammkapital beteiligt.
Dies gilt auch für ausländische Körperschaften, die die in der Anlage 2 zu diesem Bundesgesetz vorgesehenen Voraussetzungen des Artikels 2 der Richtlinie 2011/96/EU über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 345 vom S. 8 in der jeweils geltenden Fassung erfüllen, wenn die Beteiligung während eines ununterbrochenen Zeitraumes von mindestens einem Jahr bestanden hat.
22 Nach § 94 Z 2 leg. cit. hat der zum Abzug Verpflichtete die Kapitalertragsteuer jedoch u.a. dann einzubehalten, wenn Gründe vorliegen, wegen derer der Bundesminister für Finanzen dies zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen (§ 22 BAO) durch Verordnung anordnet. § 1 der zur Vorgängerbestimmung § 94a Abs. 2 EStG 1988 ergangenen Verordnung BGBl. Nr. 56/1995 (zur Weitergeltung der VO vgl. Doralt, EStG23, § 94 Tz. 49/1) führt dazu aus, dass eine Unterlassung des Steuerabzugs u.a. dann unzulässig ist, wenn Umstände vorliegen, die für die Annahme eines Missbrauches iSd § 22 der Bundesabgabenordnung sprechen und ein Missbrauch von dem zum Abzug Verpflichteten zu vertreten wäre.
23 Ein Missbrauch iSd § 22 BAO wäre von dem zum Abzug Verpflichteten gemäß § 2 der zitierten Verordnung nur dann nicht zu vertreten, wenn er über eine schriftliche Erklärung der die Kapitalerträge empfangenden Gesellschaft verfügt, aus der hervorgeht, dass
3. die Gesellschaft eine Betätigung entfaltet, die über die bloße Vermögensverwaltung hinausgeht,
4. die Gesellschaft eigene Arbeitskräfte beschäftigt und
5. über eigene Betriebsräumlichkeiten verfügt.
24 Liegt eine solche Erklärung nicht vor oder sind dem zum Abzug Verpflichteten Umstände erkennbar, die Zweifel an der Richtigkeit dieser Erklärung auslösen, ist eine der Mutter-Tochter-Richtlinie entsprechende Entlastung von der Kapitalertragsteuer auf Antrag der Muttergesellschaft durch ein Steuerrückerstattungsverfahren herbeizuführen.
25 Sinn und Zweck der Einschränkung nach § 94 Z 2 EStG 1988 ist die Verhinderung des „Directive Shopping“, d.h. der Inanspruchnahme der Mutter-Tochter-Richtlinie durch Steuerpflichtige, denen die Vorteile dieser Richtlinie sonst nicht zustehen würden. EU-„Briefkastengesellschaften“, deren man sich für internationale Steuerumgehungsstrategien bedient, sollen damit von den Begünstigungen des § 94 ausgeschlossen werden (vgl. ).
26 Voraussetzung für die Annahme eines Missbrauches im Zusammenhang mit der Mutter-Tochter-Richtlinie durch Zwischenschaltung einer oder mehrerer Gesellschaften ist, dass es durch die (allenfalls auch verzögerte) Ausschüttung von Dividenden zu einer ungerechtfertigten Steuerersparnis kommt, weil der Empfänger der Dividenden bei direkter Beteiligung die KESt-Befreiung nicht in Anspruch nehmen könnte.
27 Das Bundesfinanzgericht ist in seinem Erkenntnis zu der Beurteilung gelangt, dass eine solche missbräuchliche Zwischenschaltung der Ltd. 1 vorliegt und damit die Voraussetzungen für eine KESt-Rückerstattung nicht erfüllt waren. Die Ltd. 1 werde von A bzw. seinem russischen Konzern beherrscht, welchem bei direkter Beteiligung keine KESt-Rückerstattung zugekommen wäre.
28 Die Revision bringt vor, es bestehe eine uneinheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 22 BAO, weil der Gerichtshof trotz nahezu gleichgelagertem Sachverhalt im Erkenntnis vom , Ro 2018/13/0004, das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts aufgehoben hatte, im wenige Tage später gefassten Beschluss vom , Ra 2017/15/0070, die Revision aber zurückgewiesen hatte.
29 Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Im seit geltenden Revisionsmodell hat der Verwaltungsgerichtshof bei einer Revision (nur) zu prüfen, ob die in der Zulässigkeitsbegründung geltend gemachte Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt und die Entscheidung über die Revision von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt. Im dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2017/15/0070, zugrundeliegenden Zulässigkeitsvorbringen wurde als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung allein geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung zur Frage, wie der Missbrauchsvorbehalt des Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie zu verstehen sei und ob eine nationale Regelung wie jene des § 22 BAO auf Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie gestützt werden könne. Im Zulässigkeitsvorbringen, das dem Erkenntnis vom , Ro 2018/13/0004, zugrunde lag, wurde eine Abweichung von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie des EuGH und ein Begründungsmangel geltend gemacht. Schon daraus erhellt, dass sich die beiden Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes mit unterschiedlichen Rechtsfragen zu beschäftigen hatten und somit eine uneinheitliche Rechtsprechung nicht vorliegt.
30 Die Revision bringt weiters vor, das Bundesfinanzgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es trotz gleichgelagertem Sachverhalt wie er dem Erkenntnis vom zugrunde gelegen sei, die KESt-Rückerstattung im Revisionsfall nicht gewährt habe.
31 Zu diesem Vorbringen ist zunächst darauf zu verweisen, dass die Frage, ob ein Missbrauch im Sinne des § 22 BAO vorliegt, stets eine Einzelfallbeurteilung darstellt, die aufgrund der jeweiligen Umstände des konkreten Sachverhalts zu treffen ist (vgl. ).
32 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird als Missbrauch im Sinn des § 22 BAO eine rechtliche Gestaltung angesehen, die im Hinblick auf die wirtschaftliche Zielsetzung ungewöhnlich und unangemessen ist und nur aufgrund der damit verbundenen Steuerersparnis verständlich wird. Dabei bildet im Allgemeinen nicht ein einziger Rechtsschritt, sondern eine Kette von Rechtshandlungen den Sachverhalt, mit dem die Folge des § 22 Abs. 2 BAO verbunden ist. Ein Missbrauch kann also in der dem tatsächlichen Geschehen nicht angemessenen Hintereinanderschaltung mehrerer rechtlicher Schritte bestehen (vgl. noch ). § 22 BAO entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben und der Judikatur des EuGH zur Mutter-Tochter-Richtlinie (vgl. ).
33 Wenn die Revision vorbringt, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Einschaltung einer im EU-Raum ansässigen Gesellschaft mit dem Ziel der Gliederung von Beteiligungen nach Regionen stets ein außersteuerlicher Grund wäre, der Missbrauch jedenfalls ausschließe, ist dem entgegenzuhalten, dass sich dies dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Ro 2018/13/0004 nicht entnehmen lässt. Der Verwaltungsgerichtshof ist in diesem Erkenntnis der Ansicht des Bundesfinanzgerichts entgegengetreten, wonach ein wirtschaftlicher Grund für eine Gestaltung nur dann vorliegen könne, wenn das angestrebte wirtschaftliche Ziel nicht anders erreichbar wäre. Diesem Erkenntnis lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem mehrere fremde Dritte ihre Investitionen gebündelt hatten, um getrennt nach geografischen und branchenspezifischen Gesichtspunkten gemeinsame Investitionen im Infrastrukturbereich zu tätigen und damit eine professionelle Verwaltung der Beteiligungen zu gewährleisten.
34 Im Revisionsfall ist das Bundesfinanzgericht davon ausgegangen, dass der gegenständliche Sachverhalt anders gelagert sei. Es hat ausführlich begründet, wieso in der Beteiligung der Minderheitsgesellschafter an der Ltd. 2 keine Beteiligung fremder Dritter erblickt werden könne bzw. es sich bei diesen um bloß zwischengeschaltete funktionslose Gesellschaften handle, deren Beteiligung nur aus steuerlichen Gründen erfolgt sei. Das Bundesfinanzgericht hat sich auch mit den außersteuerlichen Gründen, die von der Revisionswerberin geltend gemacht wurden, auseinandergesetzt und dargelegt, wieso diese im Revisionsfall nicht geeignet seien, den Missbrauchsverdacht zu entkräften. Dagegen wendet sich die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht.
35 Wenn die Revision behauptet, die Muttergesellschaft gehe einer wirtschaftlichen Tätigkeit nach, weshalb die fehlende wirtschaftliche Tätigkeit der Ltd. 1 kompensiert würde, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, ohne die diesbezügliche Beweiswürdigung zu bekämpfen.
36 Das Bundesfinanzgericht hat festgestellt, dass weder die Ltd. 1 noch ihre Muttergesellschaft eine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet haben und keine ausreichende Substanz für die Zwecke der Gesellschaften vorhanden war. Auch die Erbringung der wirtschaftlichen Tätigkeiten durch eine dritte Konzerngesellschaft, worauf sich die Revisionswerberin im Verfahren gestützt hatte, habe nicht nachgewiesen werden können, weil dazu keine tauglichen Unterlagen vorgelegt worden seien. Eine wirtschaftlich sinnvolle Funktion der Ltd. 1 und der Muttergesellschaft konnte seitens der Bundesfinanzgerichts nicht festgestellt werden. Gegen diese Beweiswürdigung wendet sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung nicht.
37 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am
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Normen | BAO §22 BAO §22 Abs2 EStG 1988 §94 Z2 EStG 1988 §94a Kapitalertrag Mutter/Tochter-RL 1995 §2 EURallg 31990L0435 Mutter/Tochter-RL |
Schlagworte | Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022150050.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
NAAAF-46085