VwGH 24.04.2024, Ra 2022/15/0042
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Nach der Rechtsprechung des EuGH erfordert der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass die Mehrwertsteuerbefreiung gewährt wird, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat (vgl. z.B. , Euro Tyre, Rn. 36; ). Nur in zwei Fällen kann nach der Rechtsprechung des EuGH die Nichteinhaltung einer formellen Anforderung den Verlust des Rechts auf Mehrwertsteuerbefreiung nach sich ziehen (vgl. , B2 Energy s.r.o., Rn. 27 und 28) |
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RS 2 | Ob der Steuerpflichtige vom Mehrwertsteuerbetrug wusste oder zumindest hätte wissen müssen, hängt von Tatfragen ab, die die Abgabenbehörde in freier Beweiswürdigung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen hat (vgl. z.B. , VwSlg 8902 F/2014; , Ra 2017/15/0012, jeweils mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/13/0106 B RS 4 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des Finanzamts für Großbetriebe in 1030 Wien, Radetzkystraße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/3100529/2007, betreffend Umsatzsteuer 2002 und 2003 (mitbeteiligte Partei: A GmbH in H, vertreten durch die Woisetschläger Mutschlechner Steuerberatung GmbH in 6130 Schwaz, Wopfnerstraße 5), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Bei der Mitbeteiligten, einer GmbH, die mit Kraftfahrzeugen einer bestimmten Marke handelt, fand aufgrund eines Auskunftsersuchens der niederländischen Steuerverwaltung zunächst eine Nachschau und in weiterer Folge eine Außenprüfung statt, die u.a. die Jahre 2002 und 2003 umfasste. Im Zuge der Nachschau bzw. der Prüfung wurde festgestellt, die Mitbeteiligte habe seit Mai 1997 eine Geschäftsbeziehung zur in den Niederlanden ansässigen X BV unterhalten. Seit November 2002 sei sie zudem in einer Geschäftsbeziehung zur ebenfalls in den Niederlanden etablierten Y BV gestanden. Geschäftsführer der X BV sei AB und Geschäftsführer der Y BV sei BB, der Bruder von AB, gewesen. In den Jahren 2002 und 2003 seien Fahrzeuglieferungen in die Niederlande - auf Initiative der Brüder B - über die niederländische Z BV erfolgt, deren Geschäftsführer CC gewesen sei. Dies mit der Begründung, dass der niederländische Generalimporteur der seitens der Mitbeteiligten vertriebenen Automarke wegen der vielen Fahrzeugimporte aus Österreich Druck auf AB ausgeübt habe.
2 Von Jänner 2002 bis April 2003 seien von den Brüdern B insgesamt siebzig Fahrzeuge telefonisch bestellt worden. Die Kaufanträge für achtunddreißig Fahrzeuge seien von AB, für zehn Fahrzeuge von BB und für vier Fahrzeuge von CC (Geschäftsführer der Z BV) unterfertigt worden. Die verbleibenden achtzehn Kaufanträge seien nicht unterzeichnet worden. Die Rechnungen für die Fahrzeuglieferungen seien von der Mitbeteiligten zunächst auf den Geschäftsführer der Z BV ausgestellt und in weiterer Folge auf die Z BV umgeschrieben worden. Die niederländische Steuerbehörde habe festgestellt, dass die Z BV in ihren Geschäftsunterlagen keine Einkäufe aus Österreich ausgewiesen und gegenüber dem Finanzamt auch keine diesbezüglichen innergemeinschaftlichen Erwerbe erklärt habe. Die tatsächlichen Empfänger der Fahrzeuge seien laut der niederländischen Steuerbehörde die X BV und die Y BV gewesen. Die für die Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Erwerbe erforderlichen Nachweise lägen nicht vor. Sie könnten - so der Standpunkt der Prüfer - nachträglich auch nicht mehr erbracht werden, weshalb die von der Mitbeteiligten steuerfrei belassenen Lieferungen der Umsatzsteuer zu unterziehen seien.
3 Das Finanzamt folgte den Prüfern und erließ für die Jahre 2002 und 2003 diesen Feststellungen entsprechende Umsatzsteuerbescheide.
4 Die Mitbeteiligte erhob gegen die Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2002 und 2003 Berufung (nunmehr Beschwerde) und führte zur Begründung aus, der von den Brüdern B genannte Grund für die Lieferungen über die Z BV sei glaubhaft gewesen und der Geschäftsführer der Mitbeteiligten habe von eventuellen Umsatzsteuerbetrügereien in den Niederlanden nichts gewusst. Die Fahrzeuge seien im Auftrag des Empfängers von Österreich in die Niederlande geliefert worden. Bei einem Reihengeschäft sei es üblich, dass die tatsächliche Warenbewegung vom ersten Unternehmer in der Reihe an den letzten Unternehmer in der Reihe stattfinde und sich der Rechnungsempfänger vom tatsächlichen Empfänger der Waren unterscheide. Alle Fahrzeuge seien in die Niederlande geliefert worden, es lägen sämtliche Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der Lieferungen vor.
5 Nach Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz trug der seinerzeit zuständige unabhängige Finanzsenat dem Finanzamt ergänzende Ermittlungen im Rechtshilfeweg auf. Das in weiterer Folge zuständig gewordene Bundesfinanzgericht (BFG) führte weiters ein Vorhalteverfahren durch.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das BFG der Beschwerde Folge und führte zur Begründung aus, die Mitbeteiligte habe in den Jahren 2002 und 2003 Fahrzeuge im Gesamtbetrag von 939.744 € (2002) bzw. 1,894.740 € (2003) an die Z BV „verkauft“. Die Fahrzeuge seien in den Zusammenfassenden Meldungen der Mitbeteiligten unter Angabe der UID-Nummer der Z BV vollständig erfasst worden. Die tatsächlichen Empfänger der Fahrzeuge, die von zwei niederländischen Transportunternehmen in die Niederlande transportiert worden seien, seien die X BV und die Y BV gewesen. Diese seien in den Niederlanden in einen Umsatzsteuerbetrug verwickelt gewesen, bei dem die Z BV als „Missing Trader“ fungiert habe. Ob der niederländischen Steuerverwaltung dadurch Abgaben entgangen seien bzw. wie hoch der in diesem Zusammenhang entstandene Schaden gewesen sei, sei nicht feststellbar. Zum Zeitpunkt der Lieferungen habe die Mitbeteiligte nichts von den Umsatzsteuerbetrügereien in den Niederlanden gewusst. Erst im Zuge der Ermittlungen, die durch das Auskunftsersuchen der niederländischen Steuerbehörde ausgelöst worden seien, habe sie davon Kenntnis erlangt. Anhaltspunkte dafür, dass die Mitbeteiligte von den in den Niederlanden durch die Geschäftspartner allenfalls vorgenommenen Steuerhinterziehungen hätte wissen müssen, lägen nicht vor.
7 Im Rahmen der abgabenbehördlichen Prüfung sei festgestellt worden, dass die eigentlichen Abnehmer und Geschäftspartner der Mitbeteiligten die X BV und die Y BV gewesen seien. Mit der Z BV seien „Scheingeschäfte“ abgeschlossen worden, um den Vorgaben des niederländischen Generalimporteurs zu entsprechen. Dementsprechend lägen im Revisionsfall keine Reihengeschäfte vor, weshalb diesbezügliche Überlegungen - insbesondere in Zusammenhang mit der Bestimmung der bewegten Lieferung - nicht anzustellen seien.
8 Die in Rede stehenden Fahrzeuge seien in die Niederlande geliefert worden und die tatsächlichen Empfänger der Fahrzeuge stünden fest. Somit seien die materiellen Anforderungen an (steuerfreie) innergemeinschaftliche Lieferungen gegeben, weshalb das BFG lediglich zu prüfen habe, ob der Mitbeteiligten ein „Wissen-Müssen“ vom Abgabenbetrug in den Niederlanden, also mangelnde Gutgläubigkeit, vorwerfbar sei.
9 Nach der Judikatur des EuGH bestehe die Verpflichtung, jene Maßnahmen zu ergreifen, die vernünftigerweise verlangt werden könnten, um sicherzustellen, dass man sich nicht an einer Steuerhinterziehung beteilige (Hinweis auf , Mecsek-Gabona, Rn. 48). Dies gelte insbesondere dann, wenn Anhaltspunkte vorlägen, die „einen Verdacht hinsichtlich des Vorliegens von Unregelmäßigkeiten oder einer Steuerhinterziehung wecken müssen“ (Hinweis auf , Litdana, Rn. 45).
10 Die Mitbeteiligte habe Lieferungen an ein Unternehmen mit zu diesem Zeitpunkt gültiger niederländischer UID-Nummer erbracht und Zusammenfassende Meldungen über die innergemeinschaftlichen Lieferungen erstattet. Der niederländischen Steuerverwaltung seien damit alle Informationen zur Verfügung gestellt worden, um die Erwerbsbesteuerung zu überwachen. Es sei Sache der Steuerbehörden, die erforderlichen Kontrollen durchzuführen, um Unregelmäßigkeiten und Mehrwertsteuerhinterziehungen aufzudecken (Hinweis auf , Mahagében Kft, Rn. 62).
11 Die Tatsache, dass die Lieferungen in der Buchhaltung der Z BV nicht erfasst worden seien, sei der Mitbeteiligten nicht anlastbar und der Umstand, dass die Z BV weder die Bestellerin noch die tatsächliche Abnehmerin der Fahrzeuge gewesen sei, stehe einer Gutgläubigkeit der Mitbeteiligten nicht entgegen, weil dies der mit den Brüdern B vereinbarten Vorgangsweise entsprochen habe. Für ein „Wissen-Müssen“ von einem Umsatzsteuerbetrug fehle es an klaren Anhaltspunkten, weshalb die diesbezüglichen Ausführungen des , Italmoda, im Revisionsfall nicht einschlägig seien.
12 Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete außerordentliche Revision des Finanzamts bringt zu ihrer Zulässigkeit u.a. vor, nach der Rechtsprechung des EuGH sei einem Unternehmen im Rahmen einer innergemeinschaftlichen Lieferung das Recht auf Vorsteuerabzug, auf Mehrwertsteuerbefreiung oder auf Mehrwertsteuererstattung zu versagen, sofern anhand objektiver Umstände nachgewiesen sei, dass dieser Steuerpflichtige gewusst habe oder hätte wissen müssen, dass er sich durch den Umsatz, auf den er sich zur Begründung des betreffenden Rechts berufe, an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt habe (Hinweis auf , Italmoda). Im Urteil vom , C-285/09, R, habe der EuGH weiters ausgesprochen, dass das Unionsrecht den Mitgliedstaaten nicht verwehre, die Ausstellung unrichtiger Rechnungen als Steuerhinterziehung anzusehen und in einem solchen Fall, das Recht auf Mehrwertsteuerbefreiung zu versagen. Auch der Verwaltungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom , Ra 2019/15/0045, entschieden, der im Ausfuhrnachweis „auf Wunsch des Käufers zwecks Reduzierung der afrikanischen Einfuhrabgaben bewusst herabgesetzte Kaufbetrag“, sei als Mitwirkung an einer Steuerumgehung oder zumindest als „Wissen-Müssen“ von einer beabsichtigten Steuerumgehung zu qualifizieren.
13 Das BFG sei im angefochtenen Erkenntnis von Scheingeschäften ausgegangen, die der bewussten Verschleierung der verdeckten Geschäfte gedient hätten. Gleichzeitig habe es der mitbeteiligten Partei Gutgläubigkeit attestiert. Die Schlussfolgerung, dass ein Unternehmer, der bewusst falsche Rechnungen ausstelle und der Finanzverwaltung bewusst falsche Erklärungen übermittle, gutgläubig handle, sei mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen Erfahrungsgut nicht in Einklang zu bringen und verstoße gegen die oben angeführte Rechtsprechung.
14 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
16 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
17 Die Bestimmung des Art. 7 UStG 1994 in der für die Streitjahre geltenden Fassung BGBl. Nr. 756/1996 lautet auszugsweise.
„(1) Eine innergemeinschaftliche Lieferung (Art. 6 Abs. 1) liegt vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen vorliegen:
1. Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet;
2. der Abnehmer ist
a) ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,
b) eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, oder
c) bei der Lieferung eines neuen Fahrzeuges auch jeder andere Erwerber und
3. der Erwerb des Gegenstandes der Lieferung ist beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat steuerbar.
[...]
(3) Die Voraussetzungen der Abs. 1 und 2 müssen vom Unternehmer buchmäßig nachgewiesen sein. Der Bundesminister für Finanzen kann durch Verordnung bestimmen, wie der Unternehmer den Nachweis zu führen hat, daß der Gegenstand in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet worden ist.
(4) Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen nach Abs. 1 nicht vorliegen, so ist die Lieferung dennoch als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. In diesem Fall schuldet der Abnehmer die entgangene Steuer. In Abholfällen hat der Unternehmer die Identität des Abholenden festzuhalten.“
18 Revisionsgegenständlich ist die Frage, ob - wie das BFG im angefochtenen Erkenntnis vermeint - die Kfz-Lieferungen der Mitbeteiligten in die Niederlande gemäß Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 UStG 1994 als innergemeinschaftliche Lieferungen steuerfrei sind. Nach den in der Revision nicht bestrittenen Feststellungen des BFG handelte es sich bei den seitens der Mitbeteiligten in ihren Ausgangsrechnungen und Zusammenfassenden Meldungen dokumentierten Lieferungen an die Z BV um Scheingeschäfte. Tatsächlich seien die Empfänger der revisionsgegenständlichen Lieferungen die X BV und die Y BV gewesen.
19 Wird durch das Scheingeschäft ein anderes Geschäft verdeckt, ist dieses (auch umsatzsteuerrechtlich) maßgeblich (vgl. ). Im Revisionsfall hatte das BFG daher zu prüfen, ob die Mitbeteiligte mit den tatsächlich an die X BV bzw. Y BB erfolgten Lieferungen die Voraussetzungen für deren steuerfreie Behandlung erfüllte.
20 Aus den Feststellungen des BFG ergibt sich, dass die Mitbeteiligte durch die bewusste Angabe eines falschen Empfängers den in Art. 7 UStG 1994 bzw. in der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über den Nachweis der Beförderung oder Versendung und den Buchnachweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, BGBl. Nr. 401/2010, festgehaltenen Formalverpflichtungen im Zusammenhang mit innergemeinschaftlichen Lieferungen nicht nachgekommen ist.
21 Nach der Rechtsprechung des EuGH erfordert der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass die Mehrwertsteuerbefreiung gewährt wird, wenn diese materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat (vgl. z.B. , Euro Tyre, Rn. 36; ).
22 Nur in zwei Fällen kann nach der Rechtsprechung des EuGH die Nichteinhaltung einer formellen Anforderung den Verlust des Rechts auf Mehrwertsteuerbefreiung nach sich ziehen (vgl. , B2 Energy s.r.o., Rn. 27 und 28):
„Erstens kann sich ein Steuerpflichtiger, der sich vorsätzlich an einer das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdenden Steuerhinterziehung beteiligt hat, für die Zwecke der Mehrwertsteuerbefreiung nicht auf den Grundsatz der Steuerneutralität berufen. Es verstößt nämlich nicht gegen das Unionsrecht, von einem Wirtschaftsteilnehmer zu fordern, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt. Sollte der betreffende Steuerpflichtige gewusst haben oder hätte er wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und hat er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um diese zu verhindern, müsste ihm der Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung versagt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Cartrans Spedition, C-495/17, EU:C:2018:887, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zweitens kann der Verstoß gegen eine formelle Anforderung zur Versagung der Mehrwertsteuerbefreiung führen, wenn er den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden (Urteil vom , Cartrans Spedition, C-495/17, EU:C:2018:887, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung). Bereits aus der Voraussetzung, von der die Versagung der Mehrwertsteuerbefreiung abhängig gemacht wird, ergibt sich jedoch, dass die Verwaltung keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen darf, die die Ausübung des Rechts des Steuerpflichtigen auf Befreiung vereiteln können, wenn sie über die Angaben verfügt, die für die Feststellung erforderlich sind, dass die materiellen Anforderungen erfüllt sind (Urteil vom , Plöckl, C-24/15, EU:C:2016:791, Rn. 47) und die Gegenstände insbesondere an einen Steuerpflichtigen geliefert wurden, der als solcher handelt.“
23 Ob der Steuerpflichtige vom Mehrwertsteuerbetrug wusste oder zumindest hätte wissen müssen, hängt von Tatfragen ab, die die Abgabenbehörde in freier Beweiswürdigung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zu beurteilen hat. Diese unterliegt insoweit der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes, als das Ausreichen der Sachverhaltsermittlungen und die Übereinstimmung der behördlichen Überlegungen zur Beweiswürdigung mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut zu prüfen ist (vgl. z.B. ; und , Ra 2014/13/0023, jeweils mwN).
24 Das BFG stellte fest, dass die in den Niederlanden beteiligten Unternehmen bzw. Personen in einen Umsatzsteuerbetrug verwickelt gewesen seien, wobei die Z BV als Missing Trader gedient habe. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Rechtsprechung wäre das BFG demnach gehalten gewesen, zu untersuchen, ob die Mitbeteiligte gewusst hatte oder hätte wissen müssen, dass die von ihr bewirkten Umsätze - das sind die tatsächlichen Lieferungen an die X BV bzw. Y BV - mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers (also der X BV bzw. der Y BV) verknüpft waren.
25 Die vom BFG getroffene Feststellung, die Mitbeteiligte habe von den (geplanten) Umsatzsteuerbetrügereien in den Niederlanden zum Zeitpunkt der Lieferungen der Fahrzeuge nichts gewusst, trägt das angefochtene Erkenntnis nicht, weil schon ein „Wissen-Müssen“ um den Mehrwertsteuerbetrug der Geltendmachung der Steuerbefreiung entgegensteht.
26 Zwar finden sich im angefochtenen Erkenntnis auch Ausführungen zum „Wissen-Müssen“ der Mitbeteiligten um den Mehrwertsteuerbetrug in den Niederlanden und wird dieses ebenfalls verneint. Das BFG stützt sich dabei aber im Wesentlichen darauf, dass die von der Abgabenbehörde aufgezeigten Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit der Abfrage der UID-Nummer der Z BV bzw. deren Geschäftsführer hätten aufgeklärt werden können. Zudem sei der von den tatsächlichen Endabnehmern angegebene Grund für die Zwischenschaltung eines anderen niederländischen Unternehmens unter Berücksichtigung der Gegebenheiten der Automobilbranche durchaus lebensnah und nachvollziehbar.
27 Das BFG hat damit nicht untersucht, ob die mitbeteiligte Partei mit ihren tatsächlich durchgeführten Umsätzen in einer der dargestellten Rechtsprechung entsprechenden Weise an einem Umsatzsteuerbetrug beteiligt war, sondern, ob dies im Hinblick auf die vorgetäuschten Geschäfte der Fall gewesen wäre. Damit hat das BFG die eingangs dargestellte Rechtslage verkannt. Das zeigt sich auch daran, dass das BFG in Bezug auf das fehlende „Wissen-Müssen“ um den Mehrwertsteuerbetrug der Mitbeteiligten ausführt, es „würde das Ausmaß der der Beschwerdeführerin aufzulegenden Verpflichtungen nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts erheblich überschreiten, wenn diese den Transport der Fahrzeuge bis in das Bestimmungsland verfolgen müsste, um festzustellen, an welchen Abnehmer die Fahrzeuge (tatsächlich) geliefert werden“. Die wahren Abnehmer der Lieferungen waren der mitbeteiligten Partei unstrittig bekannt und sie hat zur Verschleierung dieser Abnehmer aktiv beigetragen.
28 Zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz im Allgemeinen nicht berufen. Einer Rechtsfrage des Verfahrensrechts kann nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet, und setzt einen schwerwiegenden Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze voraus (vgl. etwa , mwN). Auch eine solche grobe Fehlerhaftigkeit in der Beurteilung durch das BFG vermag die Revision mit ihren diesbezüglichen Verfahrensrügen aufzuzeigen.
29 Die im angefochtenen Erkenntnis aufgestellte Prämisse, wonach der Grund für die Zwischenschaltung der Z BV lebensnah und nachvollziehbar sei, ergibt sich aus den diesbezüglichen Erwägungen des BFG schon deswegen nicht, weil es an Feststellungen dazu fehlt, ob und inwieweit die Zwischenschaltung der Z BV überhaupt dazu geeignet war, den Generalimporteur über das Vorliegen der hier in Rede stehenden Parallelimporte zu täuschen. Warum zur Täuschung des Generalimporteurs auch eine Täuschung der Abgabenbehörde erforderlich war, indem die Mitbeteiligte bewusst falsche Rechnungen ausgestellt und auch mittels fingierter zusammenfassender Meldungen die wahren Abnehmer der Lieferungen verschleiert und die solcherart bewirkte Täuschung der Abgabenbehörde durch eine spätere „Berichtigung“ der zusammenfassenden Meldungen auch noch qualifiziert hat, ist nicht ersichtlich.
30 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich somit als mit prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am
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Normen | BAO §167 Abs2 UStG 1994 Art6 Abs1 UStG 1994 Art7 UStG 1994 Art7 Abs1 62016CJ0021 Euro Tyre VORAB 62022CJ0676 B2 Energy s.r.o. VORAB |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2022150042.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
SAAAF-46079