VwGH 23.05.2022, Ra 2022/14/0049
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | VwGG §24 Abs1 Z2 VwGG §46 Abs1 VwGG §46 Abs3 VwGG §46 Abs4 VwGG §61 Abs3 |
RS 1 | Mangels näherer Vorschriften im VwGG - § 46 Abs. 3 und 4 VwGG enthält Regelungen betreffend die Wiedereinsetzung nach erfolgter Einbringung der Revision bzw. für den Fall der Versäumung der Revisionsfrist - sind Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision beim VwGH einzubringen; der VwGH hat über diese Anträge zu entscheiden (Hinweis B vom , Ra 2014/01/0070). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2015/19/0222 B RS 1 |
Norm | VwGG §46 Abs1 |
RS 2 | Das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung ist dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, nicht jedoch ein Verschulden anderer Personen (Hinweis B vom , 2005/15/0083). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2015/19/0155 B RS 4 |
Norm | VwGG §46 Abs1 |
RS 3 | Für die richtige Beachtung einer Rechtsmittel- oder Beschwerdefrist ist grundsätzlich immer der Parteienvertreter selbst verantwortlich, der die Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen und die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Angestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen hat. Ein Parteienvertreter, der sich aus welchen Gründen immer auf die Richtigkeit der Fristvormerkungen von Angestellten verlässt, tut dies auf die Gefahr, dass das als ein die Wiedereinsetzung ausschließendes und der von ihm vertretenen Partei zuzurechnendes Verschulden qualifiziert wird. Wohl ist eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, dem Rechtsanwalt nicht zuzumuten, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Um einen solchen rein manipulativen Vorgang handelt es sich jedoch nicht bei der kanzleimäßigen Bestimmung einer Rechtsmittelfrist. Wenn der Parteienvertreter die Rechtmittelfrist damit nicht selbst kalendermäßig konkret bestimmt, sondern diese Bestimmung der Frist seinen Kanzleiangestellten überlässt, so obliegt es ihm im Rahmen der gebotenen Überwachungspflicht jedenfalls, diesen Vorgang bzw. die richtige Eintragung im Kalender zu kontrollieren; (selbst) stichprobenartige Überprüfungen sind im Allgemeinen nicht ausreichend. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. I. Zehetner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über den Antrag des C O, vertreten durch Mag. Philipp Tschernitz, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Glasergasse 2, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , L530 1309578-5/99E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
Begründung
1 Zur Vorgeschichte wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2019/14/0138, verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof wies damit die Revision, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides vom richtete, zurück und hob das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom im Umfang der Abweisung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. (Abweisung des Antrages auf subsidiären Schutz) und III. (Ausweisung nach Nigeria) des bekämpften Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.
2 Mit dem im fortgesetzten Verfahren ergangenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen, der angefochtene Bescheid im Umfang des Spruchpunktes III. aufgehoben und die Angelegenheit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Unter einem wurde ausgesprochen, dass die Erhebung der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
3 Der Antragsteller brachte am einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis vom beim Bundesverwaltungsgericht ein. Dieses leitete den Antrag in sinngemäßer Anwendung des § 6 AVG an den Verwaltungsgerichtshof weiter, wo er am einlangte.
4 Mit verfahrensleitender Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes vom wurde dem Antragsteller zur Kenntnis gebracht, der Verwaltungsgerichtshof gehe davon aus, dass die Verfahrenshilfe nicht innerhalb der sechswöchigen Revisionsfrist, die mit Ablauf des geendet habe, beantragt worden sei und der Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe somit verspätet sein dürfte. Dem Antragsteller wurde die Möglichkeit eingeräumt, zu diesem Umstand binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.
5 Daraufhin brachte der Antragsteller am den vorliegenden Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Verwaltungsgerichtshof ein. Darin wurde zusammengefasst vorgebracht, der langjährigen Mitarbeiterin des Vertreters des Antragstellers, welche sich durch eine besonders sorgfältige und gewissenhafte Arbeitsweise auszeichne, obliege die Leitung der administrativen Tätigkeiten, die für das Funktionieren einer Anwaltskanzlei unerlässlich seien; so unter anderem die Führung des Fristenbuches. Hinsichtlich des Ausfüllens des Verfahrenshilfeformulars sei sie vom Parteienvertreter „penibel eingeschult und auf die rechtliche Relevanz der Antragstellung“ hingewiesen worden. In regelmäßigen Abständen kontrolliere der Parteienvertreter die Tätigkeit seiner Mitarbeiterin und überprüfe unter anderem das Fristenbuch. Er lasse sich stichprobenartig auch die von ihr ausgefüllten Verfahrenshilfeformulare vorlegen. „Vermeidbare Schlampigkeitsfehler“ habe er bei seiner Mitarbeiterin nie wahrnehmen können. Gegenständlich habe die Mitarbeiterin den Ablauf der sechswöchigen Frist zur Einbringung des Verfahrenshilfeantrages irrtümlicherweise mit berechnet. Ihr Fehler sei in der Annahme gelegen, der Feiertag am hemme den Ablauf der Frist um einen Tag. Anders als im Zivilverfahren existiere eine derartige Regelung im Verwaltungsverfahren jedoch nicht. Bei diesem Fehler der Mitarbeiterin habe es sich um einen typischen Flüchtigkeitsfehler gehandelt, welcher trotz höchster anzuwendender Sorgfalt einer Rechtskanzleiassistentin im Tagesablauf bei der Anzahl der anfallenden Fristen grundsätzlich geschehen könne.
6 Gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 VwGG sind Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen, der gemäß § 61 Abs. 3 VwGG über derartige Anträge entscheidet.
7 Mangels näherer Vorschriften im VwGG - § 46 Abs. 3 und 4 VwGG enthält Regelungen betreffend die Wiedereinsetzung nach erfolgter Einbringung der Revision bzw. für den Fall der Versäumung der Revisionsfrist - sind Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Anträge zu entscheiden (vgl. , mwN).
8 Gegenständlich ist von der Verspätung des Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe auszugehen, da dieser erst am beim Verwaltungsgerichtshof eingelangt ist.
9 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Wiedereinsetzung nicht.
10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, nicht jedoch ein Verschulden anderer Personen (vgl. , mwN).
11 Das Verschulden eines Kanzleibediensteten stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder ein unabwendbares Ereignis dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber den Kanzleibediensteten nachgekommen ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Vertreter verstößt demnach auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind. Ein beruflicher rechtskundiger Parteienvertreter hat seine Kanzlei so zu organisieren, dass nach menschlichem Ermessen die Versäumung von Fristen ausgeschlossen ist (vgl. nochmals , mwN).
12 Für die richtige Beachtung einer Rechtsmittel- oder Beschwerdefrist ist grundsätzlich immer der Parteienvertreter selbst verantwortlich, der die Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen und die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Angestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen hat. Ein Parteienvertreter, der sich aus welchen Gründen immer auf die Richtigkeit der Fristvormerkungen von Angestellten verlässt, tut dies auf die Gefahr, dass das als ein die Wiedereinsetzung ausschließendes und der von ihm vertretenen Partei zuzurechnendes Verschulden qualifiziert wird. Wohl ist eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, dem Rechtsanwalt nicht zuzumuten, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Um einen solchen rein manipulativen Vorgang handelt es sich jedoch nicht bei der kanzleimäßigen Bestimmung einer Rechtsmittelfrist. Wenn der Parteienvertreter die Rechtmittelfrist damit nicht selbst kalendermäßig konkret bestimmt, sondern diese Bestimmung der Frist seinen Kanzleiangestellten überlässt, so obliegt es ihm im Rahmen der gebotenen Überwachungspflicht jedenfalls, diesen Vorgang bzw. die richtige Eintragung im Kalender zu kontrollieren (vgl. , mwN).
13 Vor dem Hintergrund der wiedergegebenen Rechtsprechung ist der Parteienvertreter sohin für die richtige Beachtung einer Rechtsmittelfrist grundsätzlich immer selbst verantwortlich. Im vorliegenden Fall hat der Parteienvertreter nach den Darlegungen im Wiedereinsetzungsantrag die Berechnung der Frist zur rechtzeitigen (dh innerhalb der Rechtsmittelfrist) Einbringung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer außerordentlichen Revision nicht selbst vorgenommen, sondern seiner Kanzleimitarbeiterin überlassen. Damit hat er selbst weder auf die richtige Berechnung noch auf die richtige Eintragung des Endes der Frist im konkreten Einzelfall abzielende Maßnahmen gesetzt. Die kalendarische Vormerkung einer Rechtsmittelfrist ist jedoch, wie bereits oben ausgeführt, kein manipulativer Vorgang, (selbst) stichprobenartige Überprüfungen sind im Allgemeinen nicht ausreichend (vgl. erneut , mwN).
14 Die Berufung darauf, dass der Kanzleimitarbeiterin bei der Berechnung der Frist ein „typischer Flüchtigkeitsfehler“ unterlaufen sei, ist im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb nicht zielführend, weil es nicht darauf ankommt, ob der Kanzleimitarbeiterin ein Verschulden bzw. ein den minderen Grad eines Versehens übersteigendes Verschulden an der Versäumung vorzuwerfen ist.
15 Da der einschreitende Parteienvertreter im vorliegenden Fall die Frist nicht selbst berechnet hat und auch kein auf die Überprüfung der Eintragung von richtig ermittelten Fristen gerichtetes (ausreichendes) Kontrollsystem dargetan wurde, kann von einem minderen Grad des Versehens des Parteienvertreters nicht gesprochen werden, weshalb der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Wien, am
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Normen | VwGG §24 Abs1 Z2 VwGG §46 Abs1 VwGG §46 Abs3 VwGG §46 Abs4 VwGG §61 Abs3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140049.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
RAAAF-46049