VwGH 12.09.2023, Ra 2022/13/0116
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | Im Rahmen der Ermessensentscheidung darf durchaus berücksichtigt werden, wenn die Abgabenschuld während der Anhängigkeit eines Rechtsmittelverfahrens nicht betreibbar ist (vgl. ). |
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RS 2 | Eine Vermögenslosigkeit oder das Fehlen von Einkünften des Haftungspflichtigen steht - auch im Zusammenhang mit der Ermessensübung - in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung (vgl. etwa ; , Ra 2020/13/0027; , 2006/15/0089), sodass es für die Ermessensübung keiner Feststellungen zur Einkommens- und Vermögenssituation des Haftungspflichtigen bedarf (vgl. ). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des E in I, vertreten durch Ullmann Geiler & Partner, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 17-19, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/3100516/2022, betreffend Haftung gemäß § 9 iVm § 80 BAO, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Zur Vorgeschichte des Revisionsfalls wird zunächst auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2019/13/0066 (im Folgenden: Vorerkenntnis), verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hob damit das im ersten Rechtsgang ergangene Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/3100753/2016, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf.
2 Der Verwaltungsgerichtshof sprach im Vorerkenntnis aus, dass ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder dem Hervorkommen der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ein Umstand ist, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht lassen darf. Ein solcher Umstand könne jedoch auch lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten sein, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen seien. Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung finde, hänge vom Einzelfall ab. Eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensmissbrauch läge jedoch dann vor, wenn ein solcher Umstand bei der Ermessensentscheidung überhaupt nicht berücksichtigt würde. Da sich das Bundesfinanzgericht mit dieser Frage im Rahmen der Ermessensentscheidung nicht auseinandergesetzt habe, habe es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
3 Im fortgesetzten Verfahren gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde des Revisionswerbers teilweise Folge und nahm den Revisionswerber gemäß § 9 iVm § 80 BAO als Haftungspflichtigen für bei der E GmbH aushaftende Abgabenschuldigkeiten (samt Aussetzungszinsen, Anspruchszinsen und Säumniszuschlägen) iHv insgesamt 109.246,68 € in Anspruch. Weiters sprach das Bundesfinanzgericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
4 Zur Ermessensübung führte das Bundesfinanzgericht aus, der Verwaltungsgerichtshof habe im Vorerkenntnis zum Ausdruck gebracht, dass ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder dem Hervorkommen der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits bei der Ermessensübung zu berücksichtigen sei. In der Haftungssumme seien zum Großteil Abgaben enthalten, hinsichtlich derer der Abgabenanspruch eine lange Zeit vor Geltendmachung der Haftung entstanden sei. Nach deren bescheidmäßiger Festsetzung im Februar 2007 sei hinsichtlich dieser Abgaben auf Antrag der durch den Revisionswerber als Alleingeschäftsführer vertretenen Primärschuldnerin die Aussetzung der Einhebung während eines anhängigen Rechtsmittelverfahrens verfügt worden. Nach Abschluss des Rechtsmittelverfahrens sei im Oktober 2013 der Ablauf der Aussetzung der Einhebung verfügt worden. Nach einer Aufstellung der genauen Daten führte das Bundesfinanzgericht aus, es zeige sich, dass während grob der Hälfte der zwischen dem Entstehen des Abgabenanspruchs und dem Ergehen des Haftungsbescheids verstrichenen Zeit die Einbringung der Abgaben aufgrund der beantragten und verfügten Aussetzung der Einhebung gehemmt und daher unzulässig gewesen sei (§ 230 Abs. 6 BAO). Die Zeitspanne, während der die Aussetzung der Einhebung beantragt und verfügt worden sei, habe daher bei der vom Verwaltungsgerichtshof geforderten Ermessensübung außer Betracht zu bleiben. Hinsichtlich der übrigen verstrichenen Zeit, die bei einzelnen Abgaben bis zu acht Jahre betrage, erscheine eine pauschale Kürzung der Haftungssumme um 20 % angemessen. Die persönlichen Verhältnisse des Haftungspflichtigen könnten entgegen dem Beschwerdevorbringen bei der Haftungsinanspruchnahme außer Betracht bleiben (Hinweis auf ).
5 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, die das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt hat.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Zur Zulässigkeit der Revision wird zunächst vorgebracht, es fehle Rechtsprechung zum Ermessensgrund der „Unbilligkeit angesichts lang verstrichener Zeit“ im Zusammenhang mit der Frage, ob Aussetzungsperioden, wie es das Bundesfinanzgericht ausführe, tatsächlich „von der Ermessensausübung auszuklammern“ seien.
10 Das Bundesfinanzgericht hat im angefochtenen Erkenntnis unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes den langen Zeitabstand zwischen dem Entstehen des Abgabenanspruchs und dem Ergehen des Haftungsbescheids bei der Ermessensübung berücksichtigt, indem es eine pauschale Kürzung der Haftungssumme um 20 % vorgenommen hat. Dass dem Bundesfinanzgericht damit bei seiner Ermessensübung, die anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls vorzunehmen ist (vgl. etwa ), ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender Fehler unterlaufen wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom , Ra 2021/13/0132, zum Ausdruck gebracht, dass im Rahmen der Ermessensentscheidung durchaus berücksichtigt werden darf, wenn die Abgabenschuld während der Anhängigkeit eines Rechtsmittelverfahrens nicht betreibbar ist.
11 In der Revision wird zu deren Zulässigkeit weiters vorgebracht, der Verwaltungsgerichtshof lehne die Einbeziehung persönlicher Verhältnisse im Zuge der Ermessensentscheidung nur dann ab, wenn nicht ausgeschlossen sei, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben führen könnten. Aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Revisionswerbers könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass Vermögen oder Einkünfte zutage treten würden, die an der Einbringlichkeit etwas ändern könnten. Das Bundesfinanzgericht hätte daher die persönlichen Verhältnisse des Revisionswerbers nicht unberücksichtigt lassen dürfen.
12 Dem ist die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegen zu halten, wonach eine Vermögenslosigkeit oder das Fehlen von Einkünften des Haftungspflichtigen - auch im Zusammenhang mit der Ermessensübung - in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung steht (vgl. etwa ; , Ra 2020/13/0027; , 2006/15/0089), sodass es für die Ermessensübung keiner Feststellungen zur Einkommens- und Vermögenssituation des Haftungspflichtigen bedarf (vgl. ).
13 Soweit in diesem Zusammenhang gerügt wird, das Bundesfinanzgericht habe dem Revisionswerber keine Gelegenheit gegeben, seine aktuelle persönliche Situation darzulegen, wird somit ein relevanter Verfahrensfehler nicht aufgezeigt.
14 In der Revision werden insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
15 Damit erübrigte sich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den Antrag, der außerordentlichen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Ermessen VwRallg8 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022130116.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
TAAAF-46044