VwGH 28.06.2022, Ra 2022/13/0016
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Eine sachliche Unbilligkeit ist - unbeschadet der in § 3 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl. II Nr. 435/2005, beispielsweise aufgezählten und hier nicht in Betracht kommenden Fälle - nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. z.B. ; , 2006/15/0337, mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/15/0014 B RS 2 |
Norm | |
RS 2 | Eine Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO setzt die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung voraus; eine solche kann grundsätzlich nicht damit begründet werden, dass die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgt ist. Vielmehr muss die behauptete Unbilligkeit in Umständen liegen, die die Entrichtung der Abgabe selbst betreffen. Im Nachsichtsverfahren können daher nicht Einwände nachgeholt werden, die im Festsetzungsverfahren geltend zu machen gewesen wären (vgl. zusammenfassend mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Stoll, BAO, 2436). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2003/13/0062 E RS 1 |
Norm | |
RS 3 | Eine allfällige Rechtswidrigkeit eines Abgabenbescheides ist mit den von der Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen gegen diesen Bescheid zu bekämpfen; das gilt auch für eine potentielle Verfassungswidrigkeit der zugrundeliegenden Rechtsvorschriften. Ein Nachsichtsverfahren ersetzt daher weder ein Rechtsmittelverfahren noch ein Beschwerdeverfahren oder ein Revisionsverfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes (vgl. bis 0081, mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/13/0098 B RS 3 (hier nur der letzte Satz) |
Norm | |
RS 4 | Ob der Teil der betroffenen Rechtsunterworfenen größer oder kleiner ist, ist für die Frage, ob Unbilligkeit vorliegt, nicht entscheidend (vgl. ). |
Normen | BAO §236 VwGG §13 Abs1 Z1 |
RS 5 | Ein Abgehen des VwGH von seiner bisherigen Rechtsprechung durch einen verstärkten Senat (bei unveränderter Rechtslage) führt nicht dazu, dass sämtliche auf der bisherigen Rechtsprechung beruhenden Abgabenvorschreibungen als unbillig anzusehen wären (vgl. , 0202, ÖStZB 1990, 27; , 91/15/0008; , 91/15/0105; , 98/13/0073). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Zollamts Österreich, Zollstelle Graz in 8010 Graz, Conrad von Hötzendorf-Straße 14-18, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/2200004/2020, betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO (Altlastenbeitrag) (mitbeteiligte Partei: Z GmbH in P, vertreten durch die Eisenberger & Offenbeck Rechtsanwalts GmbH in 8010 Graz, Muchargasse 30), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom setzte das Zollamt den Altlastenbeitrag für das zweite Quartal 2009 mit 280.263 € fest; abzüglich des im Wege der Selbstberechnung bereits erklärten und entrichteten Altlastenbeitrags in der Höhe von 42.840 € resultiere eine Nachforderung in der Höhe von 237.423 €. Der Nachforderungsbetrag resultiere gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 ALSAG aus einer „Überlagerung“ von 2.729 Tonnen.
2 Die mitbeteiligte Partei erhob gegen diesen Bescheid Berufung.
3 Mit Eingabe vom beantragte die mitbeteiligte Partei die Feststellung, dass die von ihr vom bis Ende Juli 2009 vorgenommene Überlagerung von 2.729 Tonnen sonstiger Abfälle in einer von ihr betriebenen Anlage nicht der ALSAG-Beitragspflicht unterliege. Die mitbeteiligte Partei begründete diesen Antrag insbesondere damit, eine konsenswidrige Lagerung sei lediglich während weniger Wochen erfolgt. Mit Bescheid des Zollamts vom sei - abgesehen von dem im Wege der Selbstberechnung bereits erklärten und entrichteten Altlastenbeitrag - ein Altlastenbeitrag im Hinblick darauf festgesetzt worden, dass keine zulässige Zwischenlagerung bzw. Bereithaltung von Abfällen und somit der Ausnahmetatbestand des § 3 Abs. 1 Z 1 lit. b ALSAG nicht vorliege. Die Entscheidung des Zollamts sei mit Berufung bekämpft worden, die vom Zollamt mit Berufungsvorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen worden sei. Das Zollamt habe sich auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes gestützt; demnach sei lediglich eine zulässige Zwischenlagerung vom Ausnahmetatbestand des § 3 Abs. 1 Z 1 lit. b ALSAG umfasst. Die mitbeteiligte Partei habe gegen „die Berufungsvorentscheidung“ fristgerecht „Beschwerde“ erhoben. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes, auf die sich das Zollamt gestützt habe, verstoße - wie sodann unter Hinweise auf den Gesetzeswortlaut, die Gesetzessystematik, den Willen des historischen Gesetzgebers und Sinn und Zweck der Regelung näher ausgeführt wurde - gegen grundlegende Auslegungsgrundsätze; es liege auch keine planwidrige Lücke vor. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei zudem grundrechtlich bedenklich.
4 Mit Bescheid vom stellte die Bezirksverwaltungsbehörde fest, dass die vom bis Ende Juli 2009 von der mitbeteiligten Partei vorgenommene Überlagerung von 2.729 Tonnen verschiedener Abfälle der ALSAG-Beitragspflicht unterliege.
5 Die mitbeteiligte Partei erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Darin kritisierte sie neuerlich die „bedenkliche“ Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.
6 Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom wurde diese Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
7 Die mitbeteiligte Partei erhob gegen dieses Erkenntnis (außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
8 Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2015/07/0041, wurde die Revision als unbegründet abgewiesen. In der Begründung wurde zunächst ausgeführt, die Revision sei zulässig, weil die in der Revision genannte Frage (ob trotz Vorliegens sämtlicher Genehmigungen für eine Abfallzwischenlagerung auch nur bei einem Auflagenverstoß eine Beitragspflicht nach dem ALSAG gegeben sein könne) noch nicht beantwortet worden sei. Unter Verweis (u.a.) auf die Erkenntnisse vom , 2010/07/0218, und vom , 2013/07/0269, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, auch das Lagern (oder Zwischenlagern) in einer kürzeren als der in § 3 Abs. 1 Z 1 lit. b ALSAG genannten Zeitdauer unterliege der Altlastenbeitragspflicht, wenn nicht alle hiefür erforderlichen behördlichen Bewilligungen (Anzeigen oder Nichtuntersagungen) vorgelegen sind. Es könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe eine Verwendung oder Behandlung von Abfällen (wozu auch deren Lagerung zu zählen sei), die der Rechtsordnung widerspreche, privilegieren wollen, indem er sie von der Beitragspflicht ausgenommen habe. Diese Grundsätze träfen auch auf jene Fälle zu, in denen - wie hier - zwar eine abfallwirtschaftsrechtliche Bewilligung erteilt worden sei, vom Bewilligungsinhaber jedoch entsprechende Bescheidauflagen nicht eingehalten worden seien, was dazu geführt habe, dass eine Abfallüberlagerung erfolgt sei. Auch in diesem Fall liege eine der Rechtsordnung widersprechende Lagerung vor, der das Privileg des § 3 Abs. 1 Z 1 lit. b ALSAG nicht zukomme.
9 Nach Vorliegen dieser Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zog die mitbeteiligte Partei die Beschwerde gegen den Bescheid des Zollamts vom zurück. Die mit diesem Bescheid vorgeschriebenen Abgaben wurden in Raten entrichtet (letzte Rate am ).
10 Mit Eingabe vom beantragte die mitbeteiligte Partei die Nachsicht des mit Bescheid des Zollamts vom festgesetzten Altlastensanierungsbeitrags gemäß § 236 BAO. Sie machte darin - jeweils mit näherer Begründung - persönliche und sachliche Unbilligkeit geltend. Zur sachlichen Unbilligkeit wurde insbesondere geltend gemacht, es liege ein Fall einer nicht gewollten Doppelbesteuerung vor, da der Ausnahmetatbestand des § 3 Abs. 2 Z 2 ALSAG nicht berücksichtigt worden sei. Für die Abfälle, für welche eine Beitragspflicht (nach der nunmehrigen Rechtsprechung zu Unrecht) wegen „Überlagerns“ angenommen worden sei, seien bereits Altlastenbeiträge im Hinblick auf die Verwertung dieser Abfälle entrichtet worden. Im vorliegenden Fall sei auch von Anfang an geplant gewesen, die auf den Grundstücken der abfallrechtlich genehmigten Abfallbehandlungsanlage zwischengelagerten Abfälle schnellstmöglich zu verwerten, was auch nachweislich erfolgt sei. Der mitbeteiligten Partei sei nicht erkennbar gewesen, dass der Tatbestand des § 3 Abs. 1 Z 1 lit. b ALSAG erfüllt sein könnte. Dass auch die geringfügige „Überlagerung“ zu einer Beitragspflicht führen könnte, sei für die mitbeteiligte Partei ausgeschlossen gewesen. Die Festsetzung und Einhebung eines derart hohen Altlastenbeitrages für einen gesetzlich nicht normierten Beitragstatbestand sei ein vom Gesetzgeber offensichtlich nicht beabsichtigtes Ergebnis, mit dem auch nicht habe gerechnet werden müssen, da noch nicht einmal die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit (damals) von einer derartigen Abgabenschuldigkeit ausgegangen sei. Wäre das Entstehen der Altlastenbeitragspflicht gemäß § 3 Abs. 1 Z 1 lit. b ALSAG für die mitbeteiligte Partei offensichtlich gewesen, wäre die der Abgabe zugrundeliegende geringfügig auflagenwidrige Zwischenlagerung auch nicht in dieser Weise durchgeführt worden. Dieses ungewöhnliche Entstehen der Abgabenschuld habe zu einem massiven und für die mitbeteiligte Partei nicht vorhersehbaren Vermögenseingriff geführt. Es bestehe auch kein öffentliches Interesse an der Einbringung einer Abgabe, wenn die Abgabenforderung - obgleich rechtskräftig festgesetzt - materiell nicht berechtigt war. Die besondere Unbilligkeit im konkreten Fall werde auch dadurch deutlich, dass einzig der mitbeteiligten Partei ausschließlich aufgrund eines geringfügigen Auflageverstoßes - bei Vorliegen aller Genehmigungen - ein Altlastenbeitrag in Höhe von nahezu 250.000 € vorgeschrieben worden sei.
11 Mit Bescheid vom wies das Zollamt diesen Antrag ab.
12 Die mitbeteiligte Partei erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.
13 Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Zollamt die Beschwerde als unbegründet ab. Die mitbeteiligte Partei beantragte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.
14 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge. Es sprach aus, dass der Altlastenbeitrag in Höhe von 237.423 € durch Abschreibung nachgesehen werde. Weiters erklärte es eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG als nicht zulässig.
15 Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, eine Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO könne persönlicher oder sachlicher Natur sein. Eine persönliche Unbilligkeit liege - wie näher begründet wird - nicht vor. Betreffend sachliche Unbilligkeit sei es zwar zutreffend, dass die Einhebung von Abgaben nicht allein wegen einer Änderung der Rechtsprechung unbillig sei. Solche Änderungen seien Auswirkungen der allgemeinen Rechtslage.
16 Im verfahrensgegenständlichen Fall seien jedoch besondere Umstände hinzugetreten.
17 Nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 1 Z 1 lit. b ALSAG habe der Gesetzgeber eine Beitragspflicht (u.a.) für das mehr als einjährige Lagern von Abfällen zur Beseitigung und für das mehr als dreijährige Lagern von Abfällen zur Verwertung vorgesehen. Er habe dabei nicht auf erforderliche behördliche Bewilligungen oder auf die Einhaltung dieser Bewilligungen abgestellt. Entgegen dem Wortlaut dieser Bestimmung sei die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bis zum Erkenntnis des verstärkten Senats auch in seiner Folgejudikatur (fünf Erkenntnisse und drei Beschlüsse) davon ausgegangen, dass auch bei nicht mehr als einjährigem oder nicht mehr als dreijährigem Lagern eine Beitragspflicht bestehe, wenn nicht alle hierfür erforderlichen behördlichen Bewilligungen vorgelegen seien.
18 Das Bundesfinanzgericht könne nicht abschließend beurteilen, ob - wie von der mitbeteiligten Partei vorgebracht - die dem Nachsichtsantrag zugrundeliegende Abgabenvorschreibung der einzige Fall sei, in dem es bei Verletzung einer Bewilligungsauflage zu einer Beitragsvorschreibung gekommen sei. Es habe sich hiebei aber um den ersten (und auch einzigen) Fall gehandelt, in dem der Verwaltungsgerichtshof diese Frage zu beantworten gehabt habe.
19 Es sei auch zu berücksichtigen, dass die mitbeteiligte Partei nicht nur im Beschwerdeverfahren gegen den Abgabenbescheid, sondern auch im Feststellungsverfahren nach § 10 ALSAG die Abgabenvorschreibung und die Feststellung der Bezirksverwaltungsbehörde genau mit den Argumenten bekämpft habe, die der verstärkte Senat seiner (geänderten) Rechtsansicht zugrunde gelegt habe, dass nämlich § 3 Abs. 1 Z 1 lit. b ALSAG für kürzere Zwischenlagerungen eine Beitragspflicht nicht normiere. Die mitbeteiligte Partei sei gegen die Abgabenvorschreibung nicht nur mit den zutreffenden Argumenten vorgegangen, die mitbeteiligte Partei habe auch die Vorschreibung der Abgaben mit den ihr zustehenden Rechtsmitteln bekämpft und im Feststellungsverfahren gemäß § 10 ALSAG sogar Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben. Dass sie dort mit den zutreffenden Argumenten nicht habe durchdringen können und nach Ergehen des Erkenntnisses im Feststellungsverfahren die Beschwerde gegen den Abgabenbescheid zurückgenommen habe, könne der mitbeteiligten Partei nicht vorgeworfen werden. Auch wenn die Beschwerde gegen den Abgabenbescheid nicht zurückgenommen worden wäre, wäre das Bundesfinanzgericht im Beschwerdeverfahren gegen den Abgabenbescheid an die Entscheidung (Vorfrage) im Feststellungsverfahren gebunden gewesen.
20 Die vorstehenden Erwägungen sowie der Umstand, dass für eine kurzfristige Überlagerung Altlastenbeiträge in der Höhe von 237.423 € nachgefordert worden seien, seien besondere Umstände, die eine sachliche Unbilligkeit begründeten.
21 Liege eine Unbilligkeit vor, so liege die Bewilligung der Nachsicht im Ermessen der Abgabenbehörde oder des Bundesfinanzgerichts.
22 Ein öffentliches Interesse an der Einbringung der Abgabe sei zu verneinen, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Abgabennachforderung (obgleich rechtskräftig festgesetzt) materiell nicht berechtigt gewesen sei. Zu berücksichtigen sei auch, dass die mitbeteiligte Partei (obwohl sie von der Unrichtigkeit der Abgabenvorschreibung überzeugt gewesen sei und diese mit allen ihr zustehenden Möglichkeiten bekämpft habe) die Abgaben entrichtet habe. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sei der Altlastenbeitrag in der Höhe von 237.423 € nachzusehen gewesen.
23 Die Beantwortung der Frage, ob im konkreten Fall eine Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO vorliege und dem Nachsichtsantrag stattzugeben sei, gehe in ihrer Bedeutung nicht über den Einzelfall hinaus und vermöge sohin auch keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuwerfen. Eine Revision sei daher nicht zulässig.
24 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision der belangten Behörde (Zollamt). Zur Zulässigkeit wird ausgeführt, das angefochtene Erkenntnis widerspreche der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach Judikaturänderungen keine unbillige Härte des Einzelfalls begründeten. Der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof „nur“ im vorliegenden Fall der mitbeteiligten Partei darüber zu entscheiden gehabt habe, ob auch der Verstoß gegen eine abfallrechtliche Bewilligung die Beitragspflicht zur Folge habe, ändere nichts daran, dass die seinerzeit geltende Rechtslage auf sämtliche Normunterworfene in gleichen bzw. ähnlichen Sachverhaltskonstellationen zur Anwendung gekommen sei. Auf eine zu Unrecht erfolgte Abgabenfestsetzung könne eine Abgabennachsicht nicht gestützt werden. Allenfalls liege zu diesen Fragen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht vor.
25 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
26 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
27 Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Diese Bestimmung findet nach § 236 Abs. 2 BAO auf bereits entrichtete Abgaben sinngemäß Anwendung.
28 Eine sachliche Unbilligkeit ist - unbeschadet der in § 3 der Verordnung BGBl. II Nr. 453/2005 beispielsweise aufgezählten Fälle - nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. , mwN).
29 Eine Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO setzt die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung voraus; eine solche kann grundsätzlich nicht damit begründet werden, dass die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgt ist. Vielmehr muss die behauptete Unbilligkeit in Umständen liegen, die die Entrichtung der Abgabe selbst betreffen. Im Nachsichtsverfahren können daher nicht Einwände nachgeholt werden, die im Festsetzungsverfahren geltend zu machen gewesen wären (vgl. neuerlich , mwN). Insbesondere kann ein Nachsichtsverfahren auch weder ein Rechtsmittelverfahren noch ein Beschwerdeverfahren oder ein Revisionsverfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts ersetzen (vgl. ).
30 Ob der Teil der betroffenen Rechtsunterworfenen größer oder kleiner ist, ist für die Frage, ob Unbilligkeit vorliegt, nicht entscheidend (vgl. ); es kann daher offen bleiben, ob der vorliegende Fall der einzige war, bei dem die Beitragspflicht auf den Verstoß gegen eine Bescheidauflage gestützt wurde.
31 Auch ein Abgehen des Verwaltungsgerichtshofes von seiner bisherigen Rechtsprechung durch einen verstärkten Senat (bei unveränderter Rechtslage) führt nicht dazu, dass sämtliche auf der bisherigen Rechtsprechung beruhenden Abgabenvorschreibungen als unbillig anzusehen wären (vgl. , 0202, ÖStZB 1990, 27; , 91/15/0008; , 91/15/0105; , 98/13/0073; vgl. dazu auch Stoll, BAO-Kommentar, 2440).
32 Die Beitragspflicht beruhte im vorliegenden Fall auf einer - inzwischen wieder aufgegebenen - Rechtsauslegung, die erst mit dem Erkenntnis vom , 2010/07/0218 (vgl. dazu die Schilderung in , Rz 18), also nach der Verwirklichung des für die (angenommene) Beitragspflicht maßgeblichen Sachverhalts entwickelt wurde.
33 Wenn die mitbeteiligte Partei in diesem Zusammenhang darauf verweist, es sei ihr daher nicht möglich gewesen, ihr Verhalten auf diese (damalige) Rechtsansicht auszurichten, zeigt sie damit keine besonderen Umstände auf, zumal sie nicht behauptet, dass sie zu dieser Rechtsfrage bei der zuständigen Behörde Auskünfte eingeholt hätte (vgl. dazu etwa , mwN).
34 Die Beitragsbelastung erweist sich somit im vorliegenden Fall lediglich als eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage.
35 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022130016.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
FAAAF-46001