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VwGH 28.02.2023, Ra 2022/11/0126

VwGH 28.02.2023, Ra 2022/11/0126

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §52
VOG 1972 §1 Abs1
VwGVG 2014 §24
RS 1
Es ist nicht die Aufgabe von Gutachtern, hinsichtlich der Tathandlungen nach § 1 Abs. 1 VOG 1972 eine Beweiswürdigung vorzunehmen oder bestimmte Tathandlungen festzustellen; vielmehr sind die konkreten Tathandlungen von der Behörde bzw. vom VwG den Gutachtern als Ausgangsprämisse für die Gutachtenserstellung vorzugeben (). Gegebenenfalls kann diese (die Tathandlungen betreffende) Vorgabe an einen Gutachter erst nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie nach Würdigung der diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse erfolgen, sodass nicht nur in vielen Fällen eine gutachterliche Beurteilung der Kausalität erst nach einer mündlichen Verhandlung ergehen, sondern zwecks Erörterung von schriftlichen Gutachten zu dieser Frage auch die Durchführung eines weiteren Verhandlungstermins geboten sein kann.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2021/11/0171 E RS 3 (hier: nur der erste Satz)
Normen
KOVG 1957 §18 Abs2
VOG 1972 §1
VOG 1972 §2 Z7
RS 2
Bei der Annahme der (anspruchserzeugenden) Kausalität einer Ursache bei Vorliegen mehrerer möglicher Ursachen ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verbrechen und der vorgebrachten Gesundheitsbeeinträchtigung nicht schon dann auszuschließen, wenn eine weitere Ursache für die Gesundheitsbeeinträchtigung in Betracht kommt, solange das Verbrechen als mitwirkende Ursache nicht erheblich in den Hintergrund tritt (vgl. ).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2019/11/0147 E RS 1

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des S P in W, vertreten durch die Lansky, Ganzger, Goeth, Frankl & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Biberstraße 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W166 2208124-2/20E, betreffend Hilfeleistung nach dem Verbrechensopfergesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht, in Bestätigung eines Bescheides der belangten Behörde vom , den Antrag des Revisionswerbers auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form von Ersatz des Verdienstentganges und Kostenübernahme durch psychotherapeutische Krankenbehandlung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der (im Jahr 1963 geborene) Revisionswerber habe seinen Antrag vom (zusammengefasst) darauf gestützt, dass er in den Jahren 1976 bis 1979 in einem näher bezeichneten Heim untergebracht gewesen sei und dort verbale, physische, psychische und sexuelle Gewalt erlitten habe.

3 Der Revisionswerber habe ein nervenfachärztliches Sachverständigengutachten von Dr. S vom , einen Befund der klinischen und Gesundheitspsychologin Mag. B vom , einen ambulanten Patientenbrief des AKH vom , einen psychologischen Befund der klinischen Psychologin Dr. SL vom Mai 2015, einen psychiatrischen Befund von Univ.-Prof. Dr. St. vom und einen ambulanten Patientenbrief vom , jeweils mit näher genannten Diagnosen, vorgelegt.

4 Im Rahmen einer ausführlichen Darlegung des Verfahrensgangs gab das Verwaltungsgericht das Sachverständigengutachten Dris. P, eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie, vom sowie zwei Ergänzungsgutachten vom und vom vollständig wörtlich wieder. Die Ergänzungsgutachten waren in Erwiderung auf Stellungnahmen des Revisionswerbers im Rahmen des Parteiengehörs ergangen.

5 Als entscheidungswesentlichen Sachverhalt stellte das Verwaltungsgericht fest, der (am geborene) Revisionswerber habe bis zu seiner Heimunterbringung im August 1976 mit seiner Mutter und seiner Großmutter im gemeinsamen Haushalt gelebt. Von August 1976 bis 1979 sei der Revisionswerber in einem näher bezeichneten Kinderheim untergebracht gewesen. Der Revisionswerber habe eine enge Beziehung zu seiner Großmutter gehabt, welche im Jahr 1999 gestorben sei.

6 Der Revisionswerber sei während seines Aufenthaltes im Heim Opfer von physischer und psychischer Gewalt geworden, welche er in Form von Schlägen mit der Hand und Gegenständen, Knien auf Schottergrund oder in Hockestellung, Lern-, Schreib-, Rechen- und Arbeitsstrafen, einer Schweigepflicht, verbalen Demütigungen und sexuellem Missbrauch erlebt habe.

7 Er leide an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, paranoiden und dissozialen Anteilen. Die vorliegende psychische Gesundheitsschädigung sei nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auf die Misshandlungen im Heim zurückzuführen und sei daher akausal.

8 Auch die vorliegenden physischen Gesundheitsschädigungen (degenerative Veränderungen des rechten Kniegelenks mit Meniskusläsion, degenerative Veränderungen am Stütz- und Bewegungsorgan, COPD, Diabetes mellitus II, Hypertonie und Thyreopathie) seien akausal.

9 Der Revisionswerber habe vom Weissen Ring und von der Stiftung Opferschutz der Katholischen Kirche eine Opferentschädigung erhalten. Er beziehe eine Heimopferrente.

10 Er habe die Pflichtschule und eine Lehre als Elektriker abgeschlossen und sei von 1985 bis 1994 in wechselnden Beschäftigungsverhältnissen gestanden. Seit dem Jahr 2014 sei er in dauernder Berufsunfähigkeitspension.

11 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, die festgestellten Tathandlungen ergäben sich aus den Angaben des Revisionswerbers, welche vor dem Hintergrund von Anschuldigungen weiterer Personen, welche in diesem Heim untergebracht gewesen seien, glaubhaft seien.

12 Die festgestellte psychische Gesundheitsschädigung (kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, paranoiden und dissozialen Anteilen) ergebe sich aus dem Gutachten Dris. P und dessen Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht. In der Verhandlung habe Dr. P ausgeführt, dass eine Persönlichkeitsstörung schon zu Beginn der Pubertät, in etwa um das 12. Lebensjahr, nachweisbar sei und sich schon im Kleinkindalter entwickeln könne.

13 Im Folgenden wurden im angefochtenen Erkenntnis Ausführungen aus Gutachten und Ergänzungsgutachten Dris. P sowie dessen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu den vom Revisionswerber vorgelegten Befunden und Gutachten wiedergegeben. Das vom Revisionswerber vorgelegte Gutachten Dris. S vom enthalte die Diagnose „Komplexe posttraumatische Belastungsstörung aufgrund von Extrembelastung in Kindheit und Jugend“. Dazu habe Dris. P ausgeführt, diese Diagnose habe nicht übernommen werden können, da daraus nicht a priori das Verbrechen als einzige Belastung isoliert werden könne. Dr. P habe ausgeführt, dass für die Diagnose einer anhaltenden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung „eine weitgehende Objektivierbarkeit der angeschuldigten Ereignisse Voraussetzung sei, und auch in den Unterlagen nicht durchgängig aufscheine, insbesondere auch im Hinblick auf die Gutachten der PVA“. In der mündlichen Verhandlung habe Dr. P ausgeführt, wenn man von einer PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) ausgehe, müsse zuerst festgestellt werden, dass überhaupt eine akute Belastungsstörung vorliege, dann könne daraus eine PTBS werden und daraus eine anhaltende Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung. Allein der Umstand einer psychischen Belastung rechtfertige nicht die Annahme einer kausal bedingten psychischen Erkrankung, insbesondere dann nicht, wenn andere psychische belastende Faktoren ebenso evident seien. Neben der Heimunterbringung an sich mit der Trennung von Familie und Freunden müssten auch die Lebensumstände „aus jüngerer Vergangenheit“ berücksichtigt werden, wie Langzeitarbeitslosigkeit, schwere körperliche Erkrankungen sowie eine anhaltend prekäre finanzielle Lage. Aus fachärztlicher Sicht sei es im vorliegenden Fall bei einer Vielzahl an Belastungen nicht möglich, diese einzelnen Episoden voneinander abzugrenzen, zumal auch zu den traumatisierenden Erlebnissen ein Abstand von ungefähr 40 Jahren bestehe. Auch zur Frage der Gewichtung der sexuellen Übergriffe habe Dr. P in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die einzelnen Faktoren nicht gewichtet werden könnten.

14 Der fachärztliche Sachverständige Dr. P habe in der mündlichen Verhandlung ausführlich zu den Einwendungen des Revisionswerbers Stellung genommen und seine gutachterlichen Ausführungen bestätigt. Bereits in seinem Gutachten vom habe er festgehalten, dass die Misshandlungen zwar möglicherweise einen Einfluss auf den derzeitigen psychischen Leidenszustand hätten, jedoch nicht als wesentliche Ursache dafür anzusehen seien. Aus fachärztlicher Sicht sei davon auszugehen, dass höchstwahrscheinlich auch ohne die angeschuldigten Ereignisse die gesundheitlichen Schädigungen vorlägen.

15 Der Revisionswerber habe im Hinblick darauf, dass in dem von ihm vorgelegten Gutachten von Dr. S vom eine andere Diagnose gestellt worden sei, die Einholung eines weiteren fachärztlichen Gutachtens beantragt. Dieses Gutachten sei jedoch in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert worden. Das vom Verwaltungsgericht eingeholte Gutachten und die Ergänzungsgutachten Dris. P seien richtig, vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei und würden ergänzt um dessen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung der Entscheidung zu Grunde gelegt.

16 Ausgehend von der fehlenden Kausalität der Misshandlungen im Heim für die vorliegende psychische Gesundheitsschädigung seien die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz nicht gegeben.

17 Mit Beschluss vom , E 1088/2022-6, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

18 Gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

19 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht habe sich nicht hinreichend mit einander widersprechenden Gutachten auseinandergesetzt und das Vorbringen des Revisionswerbers unberücksichtigt gelassen.

20 Die Revision ist aus diesen Gründen zulässig. Sie ist auch begründet.

21 Zu den vom Verwaltungsgericht bei Prüfung eines Antrags auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz zu setzenden Schritten (insbesondere konkrete Feststellungen zu den Tathandlungen, eine rechtliche Qualifikation dieser Handlungen unter dem Gesichtspunkt des § 1 Abs. 1 VOG sowie die Kausalitätsprüfung) wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Punkte I.1. bis I.3. des hg. Erkenntnisses vom , Ra 2021/11/0171, verwiesen.

22 Den dort genannten Anforderungen entspricht das angefochtene Erkenntnis schon deswegen nicht, weil das Verwaltungsgericht nur feststellte, der Revisionswerber sei während seiner Unterbringung im Heim Opfer von physischer und psychischer Gewalt geworden, welche er in Form von Schlägen mit der Hand und Gegenständen, Knien auf Schottergrund oder in Hockestellung, Lern-, Schreib-, Rechen- und Arbeitsstrafen, einer Schweigepflicht, verbalen Demütigungen und sexuellem Missbrauch erlebt habe. Wenngleich damit zwar zu einigen Tathandlungen konkrete Feststellungen über die Art der anspruchsbegründenden Handlungen getroffen wurden, ist dies nicht hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs der Fall. Solche Feststellungen fehlen überdies hinsichtlich Beginn, Dauer und Häufigkeit der potentiell für die Gesundheitsschädigung des Revisionswerbers kausalen Handlungen (vgl. auch ).

23 Im angefochtenen Erkenntnis fehlt auch eine rechtliche Qualifikation der vom Verwaltungsgericht (wie dargelegt: nicht hinreichend konkret) festgestellten Tathandlungen im Hinblick auf § 1 Abs. 1 VOG (vgl. neuerlich VwGH Ra 2021/11/0171, Rn. 31; VwGH Ra 2021/11/0054, Rn. 54).

24 Das Verwaltungsgericht trifft die Verpflichtung, im Rahmen der Begründung seiner Entscheidung ein Gutachten eines Sachverständigen auf seine Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit hin zu prüfen, weshalb es gehalten ist, sich im Rahmen der Begründung seiner Entscheidung mit dem Gutachten auseinander zu setzen und dieses entsprechend zu würdigen (vgl. etwa , mwN).

25 Diesen Vorgaben genügt das angefochtene Erkenntnis nicht, weil es im Rahmen der Beweiswürdigung im Wesentlichen die Ausführungen Dris. P in dessen Gutachten, in den Ergänzungsgutachten und in der mündlichen Verhandlung bloß wiedergibt und diese pauschal als richtig, vollständig und schlüssig beurteilt. Das Verwaltungsgericht legt aber nicht hinsichtlich der einzelnen entscheidungserheblichen Feststellungen (betreffend die festgestellten Gesundheitsschädigungen und die Kausalität der - wie dargelegt: nicht hinreichend konkret - festgestellten Tathandlungen) dar, welche Gründe es im Einzelnen in Ausübung seiner freien Beweiswürdigung bewogen haben, bestimmten Ausführungen des Sachverständigen Dr. P folgend diesen und nicht einen anderen Sachverhalt festzustellen (vgl. allgemein zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung etwa ; , Ra 2020/11/0179).

26 Dies gilt insbesondere für die beweiswürdigende Auseinandersetzung mit dem neuropsychiatrischen Befund im Gutachten von Dr. S vom , der Revisionswerber leide an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund von Extrembelastungen in Kindheit und Jugend. Damit wird das Verwaltungsgericht aber auch den Grundsätzen einer nachvollziehbaren beweiswürdigenden Beurteilung einander widersprechender Gutachten (vgl. dazu etwa , mwN; , Ra 2020/11/0197) nicht gerecht.

27 Dies betrifft auch jene Ausführungen im Gutachten Dris. P, die (im ambulanten Patientenbrief des AKH von Univ.-Prof. Dr. W gestellte) Diagnose einer anhaltenden Persönlichkeits(ver)änderung nach Extrembelastung werde deshalb nicht übernommen, da für diese Diagnose „eine weitgehend Objektivierbarkeit der angeschuldigten Ereignisse Voraussetzung ist“. Es ist nämlich von vornherein nicht die Aufgabe von Gutachtern, hinsichtlich der Tathandlungen eine Beweiswürdigung vorzunehmen oder bestimmte Tathandlungen festzustellen; vielmehr sind die konkreten Tathandlungen von der Behörde bzw. vom Verwaltungsgericht den Gutachtern als Ausgangsprämisse für die Gutachtenserstellung vorzugeben (vgl. VwGH Ra 2021/11/0171, Rn. 29, mwN).

28 Das vom Verwaltungsgericht zu Grunde gelegte Gutachten Dris. P ist auch insoweit unschlüssig, als es zwar die Heimunterbringung als negativen Einflussfaktor für die psychische Entwicklung des Revisionswerbers wertet. Warum die im unmittelbaren Anschluss an die Heimunterbringung erlittenen Misshandlungen aber nur „möglicherweise“, und auch nicht wesentlich, einen Einfluss auf die Leidenszuständige des Revisionswerbers gehabt haben sollen, wird darin nicht nachvollziehbar dargelegt (vgl. zu einer ähnlichen Argumentation in einem Sachverständigengutachten VwGH Ra 2021/11/0171, Rn. 48 f.).

29 Weiters ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum Verbrechensopfergesetz betreffend die Annahme der (anspruchserzeugenden) Kausalität einer Ursache bei Vorliegen mehrerer möglicher Ursachen ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verbrechen und der vorgebrachten Gesundheitsbeeinträchtigung nicht schon dann auszuschließen, wenn eine weitere Ursache für die Gesundheitsbeeinträchtigung in Betracht kommt, solange das Verbrechen als mitwirkende Ursache nicht erheblich in den Hintergrund tritt (vgl. abermals VwGH Ra 2021/11/0171, Rn. 34, mwN).

30 Der Sachverständige Dr. P führte in seinem Gutachten vom und in der mündlichen Verhandlung aus, dass neben den Misshandlungen im Heim auch der Umstand der Heimunterbringung sowie die Lebensumstände aus jüngerer Vergangenheit (wie etwa physische Leiden, Langzeitarbeitslosigkeit) bei der Frage zu berücksichtigen seien, ob die Misshandlungen im Heim für die von ihm diagnostizierte Gesundheitsschädigung kausal seien, wobei die einzelnen Belastungen wie etwa die sexuellen Übergriffe nicht „individuiert“ bzw. gewichtet werden könnten.

31 Das Verwaltungsgericht hat diese Ausführungen des Gutachters offenkundig für die - rechtliche (vgl. VwGH Ra 2021/11/0171, Rn. 32) - Beurteilung übernommen, ob ein Kausalzusammenhang mit der für das Verbrechensopfergesetz erforderlichen Wahrscheinlichkeit zwischen der Gesundheitsschädigung und den Handlungen iSd. § 1 Abs. 1 VOG besteht. Damit ist es aber von der oben dargelegten Rechtsprechung zur Kausalität weiterer Ursachen für die Gesundheitsbeeinträchtigung abgewichen und hat sein Erkenntnis dadurch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

32 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen vorrangig wahrzunehmender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

33 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff. VwGG und § 11 Abs. 2 VOG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §52
KOVG 1957 §18 Abs2
VOG 1972 §1
VOG 1972 §1 Abs1
VOG 1972 §2 Z7
VwGVG 2014 §24
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverständiger Aufgaben
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022110126.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
CAAAF-45980