VwGH 23.03.2023, Ra 2022/10/0160
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | Die Behauptung beruflicher Überlastung reicht nicht hin, um einen Wiedereinsetzungsantrag zu begründen (vgl. z.B. ; , 2011/08/0358; , Ra 2019/14/0604). Gleiches gilt für sonstige (außergewöhnliche) Belastungen, etwa durch Studium, Wohnungssuche, Arbeitssuche oder familiäre Probleme (vgl. z.B. ; , 94/12/0354). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2022/13/0082 B RS 1 |
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RS 2 | Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers gesteckt wird, sodass den Antragsteller die Obliegenheit trifft, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat (vgl. E , 2013/11/0243; E , 2002/10/0223; E , 96/21/0574). Auf nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist geltend gemachte Wiedereinsetzungsgründe und neue, den Wiedereinsetzungsgrund untermauernde Argumente ist daher nicht einzugehen (vgl. E , 2012/07/0222). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2016/12/0026 B RS 1 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Stoisser, über die Revision der P R in W, vertreten durch den Erwachsenenvertreter J G, dieser vertreten durch die Appiano & Kramer Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Bösendorferstraße 7, gegen das am mündlich verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, Zl. VGW-141/V/002/13776/2021-10, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Mindestsicherungsangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien wurde - im Beschwerdeverfahren - der Antrag der Revisionswerberin vom auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gemäß § 71 AVG abgewiesen und ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
2 Der Antrag der Revisionswerberin vom auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war wie folgt begründet worden:
„Corona-bedingt sowie aufgrund umfangreichen Geschäftsanfalles war der Erwachsenenvertreter zum Zeitpunkt der Zustellung Ende März 2021 total überlastet. Das trifft auch auf seine das Sekretariat führende Mitarbeiterin A[...] W[...] zu.
Daher ist es ausnahmsweise dazu gekommen, dass der zugestellte RSB-Brief in einem Stapel von Kurrenzien und laufender Post gelandet ist.
Der Erwachsenenvertreter hat dies bei Aufarbeitung der Unterlagen erst am um ca. 8:00 früh wahrgenommen und sogleich seine ausgewiesene Rechtsvertretung verständigt.
...
Diesfalls trifft jedoch weder mich noch meine Rechtsvertretung ein grobes Verschulden, sondern ein minderer Grad des Versehens.
Den Erwachsenenvertreter selbst, weil er wegen einmaliger Überlastung ein Zustellstück übersehen hat.
Dies ist bislang noch nie vorgekommen und es wird die eingehende Post sonst stets ordnungsgemäß abgearbeitet und es werden sämtliche Fristen eingehalten. Das Versehen ist Corona-bedingt sowie sonstiger Arbeitsüberlastung zuzuordnen und unterfällt daher bloß leichter Fahrlässigkeit.“
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, aus der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG sohin (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe. Eine wesentliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn die Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von der Lösung dieser Rechtsfrage „abhängt“. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In der Revision muss daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGG konkret dargetan werden, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. ; , Ra 2021/10/0194; , Ra 2020/10/0081).
7 In der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zunächst geltend gemacht, die Revision sei zulässig, weil im angefochtenen Erkenntnis „lediglich mittels Pauschalverweises auf Judikatur des VwGH Bezug genommen“ werde, die teilweise nicht anwendbar sei. Dazu wird der Standpunkt eingenommen, die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Belegstellen bezögen sich auf Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vor der Novelle (des § 71 AVG) BGBl. 1990/357. Im Weiteren wird unter Hinweis auf zwei Judikate des Verwaltungsgerichtshofes (; , 95/19/0520) eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung - offenbar - darin gesehen, dass von dieser Judikatur abgewichen worden sei bzw. mit Blick darauf, dass diese Judikate zu berufsmäßigen Parteienvertretern ergangen seien, im Revisionsfall, der einen Erwachsenenvertreter betreffe, ein vom Verwaltungsgerichtshof „zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit aufzugreifender grober Rechtsfehler“ des Verwaltungsgerichtes vorliege.
8 Mit diesem Vorbringen wird allerdings keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG, von deren Lösung das Schicksal der vorliegenden Revision abhängt, aufgezeigt:
9 Die Behauptung beruflicher Überlastung reicht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht hin, um einen Wiedereinsetzungsantrag zu begründen (vgl. , mit Verweis auf ; , 2011/08/0358; , 2001/11/0175; siehe weiters ; , 2007/09/0003, 0004; , 99/10/0009). Gleiches gilt für sonstige (außergewöhnliche) Belastungen, etwa durch Studium, Wohnungssuche, Arbeitssuche oder familiäre Probleme (vgl. nochmals , mit Verweis auf ; , 91/16/0046). Diese - in der Revision unerwähnt gelassene - Judikatur bezieht sich keineswegs nur auf berufsmäßige Parteienvertreter (vgl. etwa die Entscheidungen Ra 2022/13/0082; Ra 2021/20/0004; 2007/09/0003, 0004; , 99/10/0009). Das oben wiedergegebene Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag reicht demnach nicht aus, um einen Wiedereinsetzungsantrag erfolgreich zu begründen, zumal das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nur in jenem Rahmen zu untersuchen ist, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers abgesteckt wird. Den Antragsteller trifft somit die Obliegenheit, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat. Auf nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist geltend gemachte Wiedereinsetzungsgründe und neue, den Wiedereinsetzungsgrund untermauernde Argumente ist daher nicht einzugehen (vgl. , mit Verweis auf , mwN).
10 Im Übrigen ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach - wird eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend gemacht - der Revisionswerber konkret darzulegen hat, dass der der gegenständlich angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt jenem der von ihm ins Treffen geführten hg. Entscheidungen gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hat und es damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Dabei reicht es nicht aus, bloß Rechtssätze zu verschiedenen hg. Erkenntnissen wiederzugeben oder hg. Entscheidungen nach Datum und Geschäftszahl zu nennen, ohne auf konkrete Abweichungen von dieser Rechtsprechung hinzuweisen (vgl. , 0006; , Ra 2022/03/0040; , Ra 2020/07/0075, 0076). Eine derartige Darlegung im Hinblick auf die von der Revisionswerberin ins Treffen geführten Entscheidungen (97/20/0307; 95/19/0520) und das hier erstattete Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag wurde jedoch nicht vorgenommen.
11 Soweit in der Zulässigkeitsbegründung auch geltend gemacht wird, die Revision sei zulässig, weil „Vergessen und Versehen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als wiedereinsetzungsfähig“ gelten würden bzw. weil die grundsätzliche Rechtsfrage zu klären sei, „welche Betrachtungsweise zur Beurteilung des Vorliegens des minderen Grades des Versehens in den Fällen des sog. ‚Vergessens‘ anzuwenden“ sei, so wird nicht dargetan, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängen sollte. Wie bereits ausgeführt, reicht nämlich die - von der Revisionswerberin im Wiedereinsetzungsantrag allein geltend gemachte - Behauptung einer (beruflichen) Überlastung nicht hin, um einen Wiedereinsetzungsantrag erfolgreich zu begründen. Gleiches gilt für die in der Zulässigkeitsbegründung angesprochene Frage, ob an einen Erwachsenenvertreter „erhöhte Organisationsanforderungen“ zu stellen seien.
12 Soweit in der Zulässigkeitsbegründung schließlich behauptet wird, das Verwaltungsgericht weiche von der „vom VwGH selbst eingeforderte[n] Maßstäblichkeit zu den zivilrechtlichen Bestimmungen“ ab, weil „zivilgerichtlich ein wesentlich milderer Maßstab zur Beurteilung des Vorliegens des minderen Grades des Versehen angewendet“ würde, so wird schon nicht dargelegt, von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Verwaltungsgericht insofern abgewichen sein soll. Der Verweis der Revision auf „zivilgerichtliche“ Rechtsprechung zu § 146 ZPO (konkret hervorgehoben werden allerdings ausschließlich Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes zu dieser Bestimmung) vermag im Übrigen das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG, also ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, nicht darzutun (vgl. zum Verweis auf Rechtsprechung des OGH etwa , mit Verweis auf ; , Ra 2016/08/0113; siehe zum behaupteten Abweichen von der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes , mwN).
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022100160.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
MAAAF-45968