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VwGH 01.09.2022, Ra 2022/09/0038

VwGH 01.09.2022, Ra 2022/09/0038

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AVG §56
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art130 Abs2
EpidemieG 1950 §7
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
RS 1
Eine Absonderung nach § 7 EpidemieG 1950 erfolgt zwar grundsätzlich mit Bescheid; die mündliche Anordnung einer Absonderung kann im Einzelfall jedoch als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren sein (vgl. ).
Normen
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art130 Abs2
EpidemieG 1950 §10
EpidemieG 1950 §11
EpidemieG 1950 §12
EpidemieG 1950 §13
EpidemieG 1950 §14
EpidemieG 1950 §43 Abs3
EpidemieG 1950 §5 Abs1
EpidemieG 1950 §7
EpidemieG 1950 §8
EpidemieG 1950 §9
RS 2
Nach § 43 Abs. 3 EpidemieG 1950 sind in (sonstigen) Fällen dringender Gefahr die in § 5 Abs. 1 EpidemieG1950 bezeichneten Erhebungen und die in den §§ 7 bis 14 EpidemieG 1950 bezeichneten Vorkehrungen auch sofort an Ort und Stelle von den zuständigen, im öffentlichen Sanitätsdienste stehenden Ärzten zu treffen. Diese als zur Setzung verfahrensfreier Verwaltungsakte zu verstehende Ermächtigung hat jedoch zur Voraussetzung, dass es sich - sofern nicht eine der ausdrücklich aufgezählten Erkrankungen vorliegt - um einen Fall "dringender Gefahr" handelt, also Gefahr im Verzug gegeben ist. Ferner hat die Maßnahme von einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt gesetzt zu werden und dies muss "an Ort und Stelle" erfolgen. Diese drei Voraussetzungen sind kumulativ erforderlich.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2021/09/0173 E RS 4
Normen
RS 3
Sofern weder ein Bescheid noch ein Vollstreckungsakt vorliegt, ist die mündliche Äußerung eines Verwaltungsorgans nur dann als Befehl zu werten, wenn sie nach den Umständen des Falles hinreichend deutlich als normative Anordnung zu erkennen ist.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2015/03/0048 E RS 2
Normen
RS 4
Wenn dem Adressaten der behördlichen Aufforderung "lediglich" eine strafrechtliche Sanktion droht, liegt kein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor (vgl. ).
Normen
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art130 Abs2
EpidemieG 1950 §10
EpidemieG 1950 §11
EpidemieG 1950 §12
EpidemieG 1950 §13
EpidemieG 1950 §14
EpidemieG 1950 §32
EpidemieG 1950 §43
EpidemieG 1950 §7
EpidemieG 1950 §7a
EpidemieG 1950 §8
EpidemieG 1950 §9
VwGG §42 Abs2 Z1
RS 5
Findet die Quarantäneanordnung des Arztes "an Ort und Stelle" statt, so ist nicht von Vorneherein ausgeschlossen, dass von diesem Arzt ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gesetzt wird, der grundsätzlich einen Entschädigungsanspruch gemäß § 32 EpidemieG 1950 auslösen kann. Dafür ist zunächst zu klären, ob es sich bei dem betreffenden Arzt um einen solchen handelt, der im "öffentlichen Sanitätsdienst" steht, weil nur solche gemäß § 43 EpidemieG 1950 zur Setzung der in den §§ 7 bis 14 EpidemieG 1950 "bezeichneten Vorkehrungen" - worunter also auch die Absonderungsmaßnahmen fallen - befugt sind.
Normen
AVG §37
AVG §39 Abs2
VwGVG 2014 §17
RS 6
Nach § 37 AVG ist es der Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben (vgl. etwa ; , 2013/12/0218). Nach § 39 Abs. 2 erster Satz AVG hat die Behörde dabei (soweit die Verwaltungsvorschriften nichts anderes anordnen) von Amts wegen vorzugehen und unter Beobachtung der weiteren einschlägigen Vorschriften des AVG den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen. Der dort normierte Grundsatz der Amtswegigkeit beherrscht das Ermittlungsverfahren. Die Behörde hat danach von sich aus den vollständigen und wahren entscheidungsrelevanten Sachverhalt durch Aufnahme aller nötigen Beweise festzustellen, ohne in tatsächlicher Hinsicht an das Parteienvorbringen gebunden zu sein (vgl. etwa ).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2018/03/0021 E RS 3 (hier ohne den ersten Satz)
Normen
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art130 Abs2
EpidemieG 1950 §43 Abs3
EpidemieG 1950 §7
VwGG §42 Abs2 Z1
RS 7
Ein Arzt ist dann als "im öffentlichen Sanitätsdienst stehend" zu qualifizieren, wenn er die berufsrechtlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Arztberufs erfüllt, organisatorisch der Gesundheitsbehörde zugeordnet und entsprechend beschäftigt ist, hoheitliche Aufgaben der Gesundheitsbehörde erfüllt, zu deren Erfüllung diese Gesundheitsbehörde gesetzlich verpflichtet ist und dessen Verhalten (aufgrund des Bestellungsaktes) der Gesundheitsbehörde zurechenbar ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der tätig gewordene Arzt als ein solcher zu qualifizieren, der im "öffentlichen Santitätsdienst" steht.
Normen
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art130 Abs2
EpidemieG 1950 §43 Abs3
EpidemieG 1950 §7
VwGG §42 Abs2 Z1
RS 8
Aus der Aussage des einschreitenden Arztes, der Arbeitnehmer dürfe sich zu Einkäufen und zum Aufsuchen der Apotheke vom Quarantäneort entfernen, kann nicht geschlossen werden, dass a) keine dringende Gefahr und b) keine Absonderungsmaßnahme vorliegt. Die Tatsache, dass der Arbeitnehmer den Quarantäneort zum - kurzfristigen - Aufsuchen der Apotheke und zum Einkaufen verlassen durfte, steht dem Vorliegen einer dringenden Gefahr nicht entgegen.
Normen
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art130 Abs2
EFZG §3
EpidemieG 1950 §17
EpidemieG 1950 §32 Abs1
EpidemieG 1950 §32 Abs1 Z1
EpidemieG 1950 §32 Abs1 Z3
EpidemieG 1950 §43 Abs3
EpidemieG 1950 §7
EpidemieG 1950 §7 Abs1
EpidemieG 1950 §7 Abs1a
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg
RS 9
Gemäß § 7 EpidemieG 1950 kann es sowohl zu Absonderungen ieS als auch zu Verkehrsbeschränkungen kommen, die von der zuständigen Behörde oder gemäß § 43 Abs. 3 EpidemieG 1950 von einem für die Behörde tätig werdenden Arzt als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt individuell gegen eine konkrete Person gesetzt werden. Beide Maßnahmen (vgl. § 7 Abs. 1a legcit. "Absonderungsmaßnahmen") werden vom Gesetzgeber unter dem Begriff der "Absonderung Kranker" iwS verwendet. Liegt nun eine solche Maßnahme gemäß § 7 EpidemieG 1950 vor - also eine Absonderung ieS oder eine Verkehrsbeschränkung einer individuellen Person aufgrund einer Absonderungsmaßnahme iwS - kommt bei Vorliegen aller Anspruchsvoraussetzungen ein Ersatzanspruch gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 EpidemieG 1950 in Betracht. Dazu zählt insbesondere, dass es dieser Person aufgrund der Absonderungsmaßnahme gemäß § 7 EpidemieG 1950 u.a. untersagt sein muss, ihrer Erwerbstätigkeit weiterhin nachzugehen. So hat der Gesetzgeber lediglich einen eigenen Ersatzanspruch gemäß § 17 iVm § 32 Abs. 1 Z 3 EpidemieG 1950 für Personen normiert, denen "nur" die Ausübung der Erwerbsausübung untersagt wird. Dem Arbeitnehmer war in seiner Quarantäne das Verlassen seines Wohnbereiches mit zwei Ausnahmen (Aufsuchen der Apotheke und Einkaufen) untersagt, weshalb ihm die Ausübung seiner Erwerbstätigkeit nicht möglich war. Bei einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitnehmer besteht kein Vergütungsanspruch gemäß § 32 Abs. 1 legcit. (vgl. ). Eine individuelle behördliche mehrtägige Absonderung nach dem EpidemieG 1950 kann nicht als eine "Familienangelegenheit" iSd. 3. Teiles des Kollektivvertrages für Bedienstete der Österreichischen PostA AG gesehen werden; dies umso mehr als eine solche Entgeltfortzahlung je nach Anlass nur für ein oder zwei Arbeitstage besteht.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision der A AG in B, vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gauermanngasse 2, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW-109/020/4125/2021-7, betreffend Ansprüche nach dem Epidemiegesetz 1950 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1.1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Antrag der revisionswerbenden Partei vom auf Zuerkennung einer Vergütung gemäß § 32 Epidemiegesetz 1950 (EpiG) für das einem näher bezeichneten, privatrechtlich beschäftigten Arbeitnehmer während seiner Absonderung vom bis fortbezahlte Entgelt abgewiesen.

2 1.2. Begründend führte die belangte Behörde aus, der betreffende Arbeitnehmer habe sich nach dem Vorbringen der revisionswerbenden Partei im beantragten Zeitraum in Quarantäne befunden, weil dessen Ehefrau und sein Kind aufgrund von Symptomen „in Quarantäne gestellt“ worden seien. Eine von der belangten Behörde verfügte Absonderung dieses Arbeitnehmers gemäß § 7 Abs. 1a EpiG habe die revisionswerbende Partei nicht vorlegen können. Wann eine Vergütung für durch Behinderung des Erwerbes entstandene Vermögensnachteile zu leisten sei, sei in § 32 Abs. 1 EpiG taxativ angeführt. Da von der belangten Behörde keine Absonderung des Arbeitnehmers für den antragsgegenständlichen Zeitraum gemäß § 7 Abs. 1a EpiG verfügt worden sei, sei der Antrag der revisionswerbenden Partei abzuweisen gewesen.

3 2.1. Mit nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung verkündetem Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der revisionswerbenden Partei als unbegründet ab und sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

4 2.2. Der revisionswerbenden Partei wurde die Verhandlungsschrift vom Verwaltungsgericht nachweislich zugestellt und sie darauf hingewiesen, dass sie das Recht habe, binnen zweier Wochen eine Ausfertigung „des Erkenntnisses“ gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG zu beantragen. Insgesamt betraf das Schreiben des Verwaltungsgerichtes sechs verschiedene Verfahren mit sechs Erkenntnissen zu sechs verschiedenen Geschäftszahlen. Die Zustellung dieses Schreibens erfolgte per E-Mail, wobei das Verwaltungsgericht in der Betreffzeile des E-Mails lediglich die erste Geschäftszahl unter Beifügung „u.a.“ anführte. Innerhalb dieser Frist beantragte die revisionswerbende Partei in Beantwortung dieses E-Mails ebenfalls per E-Mail die Ausfertigung „des Erkenntnisses“. In der Folge wurde die Vertreterin der revisionswerbenden Partei telefonisch gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgefordert, bekannt zu geben, für welche der sechs Rechtssachen eine schriftliche Ausfertigung beantragt worden sei.

5 Innerhalb der gesetzten Frist gab die revisionswerbende Partei - erneut per E-Mail in Beantwortung des E-Mails des Verwaltungsgerichtes - bekannt, dass sich der Antrag u.a. auf die Geschäftszahl des nunmehrigen Revisionsverfahrens beziehe.

6 Vor dem Hintergrund dieses Sachverhaltes hat die revisionswerbende Partei mit hinreichender Deutlichkeit innerhalb der Frist zu verstehen gegeben, dass sie eine Ausfertigung des Erkenntnisses vom , VGW-109/020/4125, begehrt. Anders als in dem dem Beschluss vom , Ra 2020/17/0091, zugrundeliegenden Verfahren hat die revisionswerbende Partei gerade nicht nur zu einer Geschäftszahl die Ausfertigung beantragt, enthielt ihr E-Mail doch - dem E-Mail des Verwaltungsgerichtes folgend - den Zusatz „u.a.“.

7 Das Verwaltungsgericht war daher gehalten, eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses zu erstellen, sodass die vorliegende Revision nicht nach § 25a Abs. 4a VwGG unzulässig ist.

8 2.3. Begründend stellte das Verwaltungsgericht zunächst - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - fest, nach der Kontaktierung der „Gesundheits-Hotline 1450“ sei von einem Arzt ein Test durchgeführt und dem betreffenden Arbeitnehmer von diesem Arzt mitgeteilt worden, dass er sich für zehn Tage in Quarantäne zu begeben habe. Der Arzt habe dies als „leichtere Quarantäne“ bezeichnet, bei der dem Arbeitnehmer „das Aufsuchen der Apotheke und Einkaufen für diese Zeit gestattet war“. Der Arbeitnehmer sei vom bis der Arbeit ferngeblieben.

9 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, § 32 Abs. 1 Z 1 EpiG stelle ausschließlich auf behördlich-hoheitliche Absonderungsanordnungen ab, die im Wege von Bescheiden - ein Absonderungsbescheid sei gegenständlich unbestritten nicht erlassen worden - oder Akten unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergingen. Nach „“ habe die als zur Setzung verfahrensfreier Verwaltungsakte zu verstehende Ermächtigung des § 43 Abs. 3 EpiG zur Voraussetzung, dass es sich um einen Fall „dringender Gefahr“ handle, also Gefahr im Verzug gegeben sei. Ferner habe die Maßnahme von einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt gesetzt zu werden und müsse dies an Ort und Stelle erfolgen. Diese drei Voraussetzungen seien kumulativ zu erfüllen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes befreie die Offizialmaxime die Partei nicht von einer sie treffenden Mitwirkungspflicht. Diese sei u.a. dadurch verletzt worden, als keine Spezifizierung dahingehend erfolgt sei, um welchen konkreten Arzt es sich gehandelt habe, sodass nicht habe geprüft werden können, ob es sich bei dieser Person tatsächlich um einen im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt gehandelt habe. Fehle es an einer entsprechenden Bestellung, falle bereits eine wesentliche Voraussetzung weg. Unter Bedachtnahme auf die Zeugenaussage des betroffenen Arbeitnehmers sei auch nicht davon auszugehen, dass ein Fall „dringender Gefahr“, also Gefahr im Verzug gegeben gewesen sei, habe doch der Arzt von „leichterer Quarantäne“ gesprochen, bei welcher dem Arbeitnehmer das Aufsuchen der Apotheke und Einkaufen für diese Zeit gestattet gewesen sei. Eine solche Einschränkung sei im Übrigen im Sinne der Verordnung des Ministers des Innern im Einvernehmen mit dem Minister für Kultus und Unterricht vom , betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger und die Bezeichnung von Häusern und Wohnungen, RGBl. Nr. 39/1915 idF BGBl. II Nr. 21/2020, keine nach § 32 Abs. 1 Z 1 EpiG geforderte Absonderung, sondern eine nicht vergütungsfähige sonstige Verkehrsbeschränkung. Da somit weder ein Bescheid erlassen worden sei noch ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt unter Inanspruchnahme der Ermächtigung des § 43 Abs. 3 EpiG vorliege, liege keine behördliche Absonderungsanordnung als notwendige Grundlage einer Vergütung nach § 32 Abs. 1 Z 1 iVm. § 32 Abs. 3 EpiG vor.

10 3.1. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich nunmehr die vorliegende außerordentliche Revision.

11 3.2. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und brachte zusammengefasst vor, ein Vergütungsanspruch gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 EpiG bestehe nur bei Absonderungsmaßnahmen nicht aber bei - wie hier vorliegend - Verkehrsbeschränkungen. Überdies hätte der Arbeitnehmer der revisionswerbenden Partei einen Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts gemäß § 8 Abs. 3 AngG bzw. § 1154 Abs. 5 ABGB gehabt, sodass kein Verdienstentgang eingetreten sei. Nach dem Kollektivvertrag für Bedienstete der A sei bei Familienangelegenheiten ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgeltes für ein bis zwei Tage gegeben. Bei „behördlich angeordnete[n] Absonderungen“ müsse dies auch in einem höheren zeitlichen Ausmaß an Arbeitstagen gelten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Die Revision erweist sich mit ihrem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe in Ansehung der Klärung der Frage, ob im vorliegenden Fall ein Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt von einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt gesetzt wurde, seine amtswegige Ermittlungspflicht verletzt, als zulässig. Sie ist auch begründet.

13 Das Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl. Nr. 186/1950, lautet in der zum Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichtes maßgeblichen Fassung d.h. insbesondere vor der Novelle BGBl. I Nr. 89/2022 - auszugsweise wie folgt:

„Erhebungen über das Auftreten einer Krankheit

§ 5. (1) Über jede Anzeige sowie über jeden Verdacht des Auftretens einer anzeigepflichtigen Krankheit haben die zuständigen Behörden durch die ihnen zur Verfügung stehenden Ärzte unverzüglich die zur Feststellung der Krankheit und der Infektionsquelle erforderlichen Erhebungen und Untersuchungen einzuleiten. Kranke, Krankheitsverdächtige und Ansteckungsverdächtige sind verpflichtet, den zuständigen Behörden die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und sich den notwendigen ärztlichen Untersuchungen sowie der Entnahme von Untersuchungsmaterial zu unterziehen. Zum Zwecke der Feststellung von Krankheitskeimen sind hiebei nach Möglichkeit fachliche Untersuchungsanstalten in Anspruch zu nehmen.

(2) [...]

[...]

Absonderung Kranker.

§ 7. (1) Durch Verordnung werden jene anzeigepflichtigen Krankheiten bezeichnet, bei denen für kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen Absonderungsmaßnahmen verfügt werden können.

(1a) Zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach Abs. 1 angeführten anzeigepflichtigen Krankheit können kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen abgesondert oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann.

(2) Kann eine zweckentsprechende Absonderung im Sinne der getroffenen Anordnungen in der Wohnung des Kranken nicht erfolgen oder wird die Absonderung unterlassen, so ist die Unterbringung des Kranken in einer Krankenanstalt oder einem anderen geeigneten Raume durchzuführen, falls die Überführung ohne Gefährdung des Kranken erfolgen kann.

(3) Zum Zwecke der Absonderung sind, wo es mit Rücksicht auf die örtlichen Verhältnisse geboten erscheint, geeignete Räume und zulässig erkannte Transportmittel rechtzeitig bereitzustellen, beziehungsweise transportable, mit den nötigen Einrichtungen und Personal ausgestattete Barackenspitäler einzurichten.

(4) Abgesehen von den Fällen der Absonderung eines Kranken im Sinne des Abs. 2 kann die Überführung aus der Wohnung, in der er sich befindet, nur mit behördlicher Genehmigung und unter genauer Beobachtung der hiebei von der Behörde anzuordnenden Vorsichtsmaßregeln erfolgen.

(5) Diese Genehmigung ist nur dann zu erteilen, wenn eine Gefährdung öffentlicher Rücksichten hiedurch nicht zu besorgen steht und der Kranke entweder in eine zur Aufnahme solcher Kranker bestimmte Anstalt gebracht werden soll oder die Überführung nach der Sachlage unbedingt geboten erscheint.

[...]

Überwachung bestimmter Personen.

§ 17. (1) Personen, die als Träger von Krankheitskeimen einer anzeigepflichtigen Krankheit anzusehen sind, können einer besonderen sanitätspolizeilichen Beobachtung oder Überwachung unterworfen werden. Sie dürfen nach näherer Anordnung der Bezirksverwaltungsbehörde (Gesundheitsamt) nicht bei der Gewinnung oder Behandlung von Lebensmitteln in einer Weise tätig sein, welche die Gefahr mit sich bringt, daß Krankheitskeime auf andere Personen oder auf Lebensmittel übertragen werden. Für diese Personen kann eine besondere Meldepflicht, die periodische ärztliche Untersuchung sowie erforderlichenfalls die Desinfektion und Absonderung in ihrer Wohnung angeordnet werden; ist die Absonderung in der Wohnung in zweckmäßiger Weise nicht durchführbar, so kann die Absonderung und Verpflegung in eigenen Räumen verfügt werden.

(2) Bezieht sich der Ansteckungsverdacht auf die Übertragung des Flecktyphus, der Blattern, der Asiatischen Cholera oder der Pest, so ist die sanitätspolizeiliche Beobachtung und Überwachung der ansteckungsverdächtigen Person im Sinne des vorhergehenden Absatzes jedenfalls durchzuführen.

(3) Für Personen, die sich berufsmäßig mit der Krankenbehandlung, der Krankenpflege oder Leichenbesorgung beschäftigen, und für Hebammen ist die Beobachtung besonderer Vorsichten anzuordnen. Für solche Personen können Verkehrs- und Berufsbeschränkungen sowie Schutzmaßnahmen, insbesondere Schutzimpfungen, angeordnet werden.

(4) Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, kann die Bezirksverwaltungsbehörde im Einzelfall für bestimmte gefährdete Personen die Durchführung von Schutzimpfungen oder die Gabe von Prophylaktika anordnen.

(5) Für Absonderungen gemäß Abs. 1 gilt § 7a sinngemäß.

[...]

Vergütung für den Verdienstentgang.

§ 32. (1) Natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften des Handelsrechtes ist wegen der durch die Behinderung ihres Erwerbes entstandenen Vermögensnachteile dann eine Vergütung zu leisten, wenn und soweit

1. sie gemäß §§ 7 oder 17 abgesondert worden sind, oder

[...]

und dadurch ein Verdienstentgang eingetreten ist.

[...]

Behördliche Kompetenzen.

§ 43. (1) [...]

(3) Beim Auftreten von Scharlach, Diphtherie, Abdominaltyphus, Paratyphus, Flecktyphus, Blattern, Asiatischer Cholera, Pest, Ägyptischer Augenentzündung, Wutkrankheit, Bißverletzungen durch wutkranke oder wutverdächtige Tiere sowie in sonstigen Fällen dringender Gefahr sind die im § 5 Abs. 1 bezeichneten Erhebungen und die in den §§ 7 bis 14 bezeichneten Vorkehrungen auch sofort an Ort und Stelle von den zuständigen, im öffentlichen Sanitätsdienste stehenden Ärzten zu treffen.

(4) Die Einleitung, Durchführung und Sicherstellung sämtlicher in diesem Gesetze vorgeschriebener Erhebungen und Vorkehrungen zur Verhütung und Bekämpfung anzeigepflichtiger Krankheiten beziehungsweise die Überwachung und Förderung der in erster Linie von den zuständigen Sanitätsorganen getroffenen Vorkehrungen sind Aufgabe der Bezirksverwaltungsbehörde.

...

Besondere Befugnisse der Sanitätsbehörden und ihrer Organe.

§ 44. (1) Die zur Untersuchung eines Krankheitsfalles im Sinne des § 43 Abs. 3 oder auf Grund behördlicher Verfügung berufenen Ärzte sind nach Verständigung des Haushaltungsvorstandes oder der mit der Leitung der Pflege eines Kranken betrauten Person zum Zutritte zum Kranken oder zur Leiche und zur Vornahme der behufs Feststellung der Krankheit erforderlichen Untersuchungen berechtigt. Hiebei ist nach Möglichkeit im Einvernehmen mit dem behandelnden Arzte vorzugehen.

(2) Den zur Vornahme der Desinfektion oder zu sonstigen Vorkehrungen im Sinne dieses Gesetzes behördlich abgeordneten Organen darf der Zutritt in Grundstücke, Häuser und sonstige Anlagen, insbesondere in ansteckungsverdächtige Räume und zu ansteckungsverdächtigen Gegenständen sowie die Vornahme der erforderlichen Maßnahmen und der zur Desinfektion oder Vernichtung erforderlichen Verfügungen über Gegenstände und Räume nicht verwehrt werden.

(3) [...]“

14 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, erfolgt eine Absonderung nach § 7 EpiG zwar grundsätzlich mit Bescheid; die mündliche Anordnung einer Absonderung kann im Einzelfall jedoch als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren sein (so ).

15 Nach § 43 Abs. 3 EpiG sind in (sonstigen) Fällen dringender Gefahr die in § 5 Abs. 1 EpiG bezeichneten Erhebungen und die in den §§ 7 bis 14 EpiG bezeichneten Vorkehrungen auch sofort an Ort und Stelle von den zuständigen, im öffentlichen Sanitätsdienste stehenden Ärzten zu treffen.

16 Diese als zur Setzung verfahrensfreier Verwaltungsakte zu verstehende Ermächtigung hat - wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls im vorgenannten Erkenntnis vom ausgesprochen hat - zur Voraussetzung, dass es sich - sofern nicht eine der ausdrücklich aufgezählten Erkrankungen vorliegt - um einen Fall „dringender Gefahr“ handelt, also Gefahr im Verzug gegeben ist. Ferner hat die Maßnahme von einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt gesetzt zu werden und dies muss „an Ort und Stelle“ erfolgen. Diese drei erforderlichen Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.

17 Dabei liegt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dann vor, wenn ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen einen individuell bestimmten Adressaten einen Befehl erteilt oder Zwang ausübt und damit unmittelbar - d.h. ohne vorangegangenen Bescheid - in subjektive Rechte des Betroffenen eingreift (vgl. jüngst , wmN).

18 Das ist im Allgemeinen dann der Fall, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwangs bei Nichtbefolgung eines Befehls droht. Es muss ein Verhalten vorliegen, das als Ausübung von „Zwangsgewalt“, zumindest aber als - spezifisch verstandene - Ausübung von „Befehlsgewalt“ gedeutet werden kann. Als unverzichtbares Merkmal eines Verwaltungsakts in der Form eines Befehls gilt, dass dem Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht wird. Liegt kein ausdrücklicher Befolgungsanspruch vor, so kommt es darauf an, ob bei objektiver Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel des Betroffenen bei Beurteilung des behördlichen Vorgehens in seiner Gesamtheit der Eindruck entstehen musste, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung mit ihrer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen ist (; , Ra 2016/11/0014).

19 Sofern weder ein Bescheid noch ein Vollstreckungsakt vorliegt, ist die mündliche Äußerung eines Verwaltungsorgans nur dann als Befehl zu werten, wenn sie nach den Umständen des Falles hinreichend deutlich als normative Anordnung zu erkennen ist. Werden keine Zwangsmaßnahmen gesetzt oder angedroht oder müssen diese nicht zwangsläufig erwartet werden, so liegt keine vor den Verwaltungsgerichten bekämpfbare Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor (; , 2003/11/0175).

20 Wenn dem Adressaten der behördlichen Aufforderung „lediglich“ eine strafrechtliche Sanktion droht, liegt ebensowenig ein solcher Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor (vgl. erneut ).

21 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass nach Auftreten von Symptomen bei der Ehefrau des Arbeitnehmers der revisionswerbenden Partei und Kontaktierung der Gesundheitshotline 1450 von einem Arzt ein Test durchgeführt und für die Ehefrau eine vierzehntägige sowie für den Arbeitnehmer eine zehntägige Quarantäne angeordnet worden sei, wobei der Arbeitnehmer das Verlassen der Wohnung zum Aufsuchen der Apotheke und zum Einkaufen gestattet worden sei.

22 Die Anordnung des Arztes fand also „an Ort und Stelle“ statt. In einem solchen Fall ist - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , Ra 2021/09/0173, festgehalten hat - nicht von Vorneherein ausgeschlossen, dass von diesem Arzt ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gesetzt wurde, der grundsätzlich einen Entschädigungsanspruch gemäß § 32 EpiG auslösen kann.

23 Dafür ist zunächst zu klären, ob es sich bei dem betreffenden Arzt um einen solchen handelt, der im „öffentlichen Sanitätsdienst“ steht, weil nur solche gemäß § 43 EpiG zur Setzung der in den §§ 7 bis 14 EpiG „bezeichneten Vorkehrungen“ - worunter also auch die Absonderungsmaßnahmen fallen - befugt sind.

24 Nach § 39 Abs. 2 erster Satz AVG hat die Behörde bei der Durchführung des Ermittlungsverfahrens (soweit die Verwaltungsvorschriften nichts anderes anordnen) von Amts wegen vorzugehen und unter Beobachtung der weiteren einschlägigen Vorschriften des AVG den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen. Der dort normierte Grundsatz der Amtswegigkeit beherrscht das Ermittlungsverfahren. Die Behörde hat danach von sich aus den vollständigen und wahren entscheidungsrelevanten Sachverhalt durch Aufnahme aller nötigen Beweise festzustellen, ohne in tatsächlicher Hinsicht an das Parteienvorbringen gebunden zu sein (vgl. etwa , mwN).

25 Dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Verwaltungsverfahrens korrespondiert freilich die Pflicht der Parteien, an der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken. Das Offizialprinzip entbindet die Parteien nicht davon, durch ein substantiiertes Vorbringen zur Ermittlung des Sachverhalts beizutragen, wenn es einer solchen Mitwirkung bedarf. Dort, wo es der Behörde nicht möglich ist, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ohne Mitwirkung der Partei festzustellen, ist von einer Mitwirkungspflicht der Partei auszugehen, was insbesondere bei Informationen betreffend betriebsbezogene bzw. personenbezogene Umstände der Fall ist, über die allein die Partei verfügt (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa ). Solches ist hier nicht ersichtlich.

26 Das Verwaltungsgericht wäre daher im vorliegenden Fall aufgrund der Aussage des Arbeitnehmers der revisionswerbenden Partei gehalten gewesen, amtswegige Ermittlungen hinsichtlich des eingeschrittenen Arztes - unter Einbeziehung der an und für sich für die Angelegenheiten des EpiG zuständigen Gesundheitsbehörde - zu tätigen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Arzt dann als „im öffentlichen Sanitätsdienst stehend“ zu qualifizieren ist, wenn er die berufsrechtlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Arztberufs erfüllt, organisatorisch der Gesundheitsbehörde zugeordnet und entsprechend beschäftigt ist, hoheitliche Aufgaben der Gesundheitsbehörde erfüllt, zu deren Erfüllung diese Gesundheitsbehörde gesetzlich verpflichtet ist und dessen Verhalten (aufgrund des Bestellungsaktes) der Gesundheitsbehörde zurechenbar ist (vgl. dazu näher: Hummelbrunner, „Wer ist ein im öffentlichen Sanitätsdienst stehender Arzt?“, RdM 2018/5, 167 ff).

27 Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der tätig gewordene Arzt als ein solcher zu qualifizieren, der im „öffentlichen Santitätsdienst“ steht.

28 Anders als das Verwaltungsgericht vermeint, war es daher angehalten, dies näher zu ermitteln, weil aus der Aussage dieses Arztes, der Arbeitnehmer dürfe sich zu Einkäufen und zum Aufsuchen der Apotheke vom Quarantäneort entfernen, nicht geschlossen werden kann, dass a) keine dringende Gefahr und b) keine Absonderungsmaßnahme vorliegt:

29 Das Vorliegen einer dringenden Gefahr ist gemäß § 43 Abs. 3 EpiG vom zuständigen, im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt zu beurteilen, der erforderlichenfalls die in den §§ 7 bis 14 EpiG bezeichneten „Vorkehrungen“ zu treffen hat. Im vorliegenden Fall ist dabei zu berücksichtigen, dass die Ehefrau des Arbeitnehmers aufgrund des Kontakts mit einer infizierten Person in Quarantäne und während ihrer Quarantäne Symptome der Erkrankung entwickelt hat. Vor dem Hintergrund dieses Sachverhaltes ist nicht zu erkennen, weshalb keine dringende Gefahr vorgelegen sein sollte, die ein Einschreiten eines im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arztes hätte gebieten können. Die Tatsache, dass der Arbeitnehmer den Quarantäneort zum - kurzfristigen - Aufsuchen der Apotheke und zum Einkaufen verlassen durfte, steht dem Vorliegen einer dringenden Gefahr nicht entgegen.

30 Das Verwaltungsgericht war darüber hinaus der Ansicht, der Arbeitnehmer sei nicht gemäß § 7 EpiG abgesondert, sondern nur verkehrsbeschränkt worden, was jedoch einen Ersatzanspruch gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 EpiG ausschließe.

31 Unter der Überschrift „Absonderung Kranker“ normiert § 7 Abs. 1 EpiG, dass durch Verordnung jene anzeigepflichtigen Krankheiten bezeichnet werden, bei denen für ansteckungsverdächtige Personen Absonderungsmaßnahmen verfügt werden dürfen; gemäß § 4 der Verordnung des Ministers des Innern im Einvernehmen mit dem Minister für Kultus und Unterricht vom , betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger und die Bezeichnung von Häusern und Wohnungen, RGBl. Nr. 39/1915 idF BGBl. II Nr. 21/2020, zählte dazu eine Infektion mit „SARS-COV-2“. Dabei sind die Krankheitsverdächtigen abzusondern oder „nach den Umständen des Falles lediglich bestimmten Verkehrsbeschränkungen“ zu unterwerfen. Gemäß § 7 Abs. 1a EpiG können zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in der Verordnung angeführten anzeigepflichtigen Krankheit ansteckungsverdächtige Personen abgesondert oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann. Festgehalten wird daher, dass es gemäß § 7 EpiG sowohl zu Absonderungen ieS als auch zu Verkehrsbeschränkungen kommen kann, die von der zuständigen Behörde oder gemäß § 43 Abs. 3 EpiG von einem für die Behörde tätig werdenden Arzt als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt individuell gegen eine konkrete Person gesetzt werden. Beide Maßnahmen (vgl. § 7 Abs. 1a leg. cit. „Absonderungsmaßnahmen“) werden vom Gesetzgeber unter dem Begriff der „Absonderung Kranker“ iwS verwendet. Liegt nun eine solche Maßnahme gemäß § 7 EpiG vor - also eine Absonderung ieS oder eine Verkehrsbeschränkung einer individuellen Person aufgrund einer Absonderungsmaßnahme iwS - kommt bei Vorliegen aller Anspruchsvoraussetzungen ein Ersatzanspruch gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 EpiG in Betracht. Dazu zählt insbesondere, dass es dieser Person aufgrund der Absonderungsmaßnahme gemäß § 7 EpiG u.a. untersagt sein muss, ihrer Erwerbstätigkeit weiterhin nachzugehen. So hat der Gesetzgeber lediglich einen eigenen Ersatzanspruch gemäß § 17 iVm § 32 Abs. 1 Z 3 EpiG für Personen normiert, denen „nur“ die Ausübung der Erwerbsausübung untersagt wird. Dem Arbeitnehmer der revisionswerbenden Partei war in seiner Quarantäne das Verlassen seines Wohnbereiches mit zwei Ausnahmen untersagt, weshalb ihm die Ausübung seiner Erwerbstätigkeit nicht möglich war.

32 Sofern die belangte Behörde in ihrer Revisionsbeantwortung die Auffassung, vertritt, der Verwaltungsgerichtshof habe im Beschluss vom , Ra 2021/09/0235, festgestellt, dass bei einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitnehmer kein Vergütungsanspruch gemäß § 32 Abs. 1 EpiG bestehe, ist zunächst auszuführen, dass dies ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 32 EpiG idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 89/2022 ist (vgl. z.B. bereits ; aus der mit der Judikatur übereinstimmenden hL z.B. Schnabl, COVID-19: Der Absonderungsbescheid und seine [arbeits]rechtlichen Folgen, ZAS 2022/03, 154 ff).

33 Anders als die belangte Behörde vermeint, kann eine individuelle behördliche mehrtägige Absonderung nach dem EpiG nicht als eine „Familienangelegenheit“ im Sinne des 3. Teiles des Kollektivvertrages für Bedienstete der A AG gesehen werden; dies umso mehr als eine solche Entgeltfortzahlung je nach Anlass nur für ein oder zwei Arbeitstage besteht.

34 Indem das Verwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage von der Ermittlung des vollständigen Sachverhaltes Abstand nahm und Feststellungen unterließ, die zur Beurteilung der Frage, ob im vorliegenden Fall durch einen im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gesetzt wurde, notwendig gewesen wären, belastete es sein Erkenntnis mit sekundären Feststellungsmängeln, weshalb das angefochtene Erkenntnis aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war (vgl. , mwN).

35 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

36 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf die bereits vor dem Verwaltungsgericht durchgeführte Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §37
AVG §39 Abs2
AVG §56
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art130 Abs2
B-VG Art132 Abs2
EFZG §3
EpidemieG 1950 §10
EpidemieG 1950 §11
EpidemieG 1950 §12
EpidemieG 1950 §13
EpidemieG 1950 §14
EpidemieG 1950 §17
EpidemieG 1950 §32
EpidemieG 1950 §32 Abs1
EpidemieG 1950 §32 Abs1 Z1
EpidemieG 1950 §32 Abs1 Z3
EpidemieG 1950 §43
EpidemieG 1950 §43 Abs3
EpidemieG 1950 §5 Abs1
EpidemieG 1950 §7
EpidemieG 1950 §7 Abs1
EpidemieG 1950 §7 Abs1a
EpidemieG 1950 §7a
EpidemieG 1950 §8
EpidemieG 1950 §9
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwRallg
Schlagworte
Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive Bescheide Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensbestimmungen
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022090038.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
EAAAF-45949