VwGH 12.06.2023, Ra 2022/08/0151
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | VwGG §33 Abs1 VwGG §55 VwGG §58 Abs2 |
RS 1 | Eine (echte) Klaglosstellung iSd. § 33 Abs. 1 VwGG liegt nur dann vor, wenn eine formelle Aufhebung der beim VwGH angefochtenen Entscheidung vorgenommen wurde. Das ist nicht der Fall, wenn damit nicht das in Revision gezogene Erkenntnis formell aufgehoben, sondern ihm lediglich materiell derogiert wurde. In solchen Konstellationen ist die Revision wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses unter sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen. Die Kostenentscheidung ist jedoch mangels formeller Klaglosstellung nicht nach § 55 VwGG, sondern nach § 58 Abs. 2 VwGG zu treffen (vgl. ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2020/21/0444 B RS 1 |
Norm | AVG §69 Abs1 Z2 |
RS 2 | Hat die Partei eine Tatsache oder ein Beweismittel im Verwaltungsverfahren nicht geltend gemacht, obwohl ihr dies bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit möglich gewesen wäre, liegt ein ihr zuzurechnendes Verschulden vor, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/06/0102 E RS 2 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, in der Revisionssache des K W in H, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W156 2257107-1/6E, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens in einer Angelegenheit der Feststellung von Schwerarbeitszeiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Pensionsversicherungsanstalt), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
Ein Kostenzuspruch findet nicht statt.
Begründung
1 Mit Bescheid vom wies die Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Revisionswerbers auf Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von bis ab. Der Bescheid blieb unbekämpft.
2 Am beantragte der Revisionswerber die Wiederaufnahme des mit Bescheid vom abgeschlossenen Verfahrens. Dazu brachte er zusammengefasst vor, in einem Verfahren bezüglich Schwerarbeitszeiten des Revisionswerbers im Zeitraum nach dem seien Unterlagen - nämlich Dienstpläne und Arbeitszeitaufzeichnungen - hervorgekommen, aus denen sich nunmehr das Vorliegen von Zeiten der Schwerarbeit auch von bis ergebe. Diese Unterlagen seien ohne Verschulden des Revisionswerbers im Verfahren, das dem Bescheid vom vorangegangen sei, nicht berücksichtigt worden.
3 Mit Bescheid vom wies die Pensionsversicherungsanstalt den Wiederaufnahmeantrag des Revisionswerbers ab.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.
6 Mit Schriftsatz erklärte der Revisionswerber, er sei hinsichtlich des Revisionsverfahrens in Hinblick auf das zwischenzeitig ergangene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W156 2259898-1/5E, klaglos gestellt. Er beantrage, ihm den Kostenersatz, der in der Revision verzeichnet worden sei, zuzuerkennen.
7 Mit dem vom Revisionswerber genannten Erkenntnis vom hat das Bundesverwaltungsgericht - in Stattgabe einer Beschwerde gegen einen Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt - dem Antrag des Revisionswerbers auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 247a ASVG in Hinblick auf den Bescheid vom Folge gegeben und der Pensionsversicherungsanstalt die Erlassung eines neuen Feststellungsbescheides über das Vorliegen von Schwerarbeitszeiten des Revisionswerbers im Zeitraum von bis aufgetragen.
8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine (echte) Klaglosstellung im Sinne des § 33 Abs. 1 VwGG nur dann vor, wenn eine formelle Aufhebung der beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Entscheidung vorgenommen wurde. In Fällen, in denen das in Revision gezogene Erkenntnis dagegen nicht formell aufgehoben, sondern ihm etwa lediglich materiell derogiert wurde, geht der Verwaltungsgerichtshof zwar davon aus, dass die Revision wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses unter sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen ist, die Kostenentscheidung ist jedoch mangels formeller Klaglosstellung nicht nach § 55 VwGG, sondern nach § 58 Abs. 2 VwGG zu treffen (vgl. zum Ganzen etwa , mwN).
9 Im vorliegenden Fall wurde durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich des Bescheids vom eine rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 247a ASVG angeordnet. Eine (formelle) Aufhebung des - den Antrag des Revisionswerbers auf Wiederaufnahme nach § 69 AVG betreffenden - in Revision gezogenen Erkenntnisses vom ist dagegen nicht erfolgt. Es liegt daher wohl im Sinn der dargestellten Judikatur eine Gegenstandslosigkeit der Revision wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses, nicht aber eine (echte) Klaglosstellung vor.
10 Es ist somit gemäß § 58 Abs. 2 VwGG für die Kostenentscheidung hypothetisch zu prüfen, ob die vorliegende außerordentliche Revision bei einer inhaltlichen Behandlung Erfolg gehabt hätte. Das ist jedoch aus folgenden Gründen nicht der Fall:
11 Das Bundesverwaltungsgericht hat die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme im Wesentlichen darauf gegründet, dass den Revisionswerber im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG an der unterbliebenen Vorlage der Unterlagen, auf die sich der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stütze, im wiederaufzunehmenden Verfahren ein Verschulden getroffen habe. Zur Begründung ihrer Zulässigkeit wendet sich die Revision (ausschließlich) gegen diese Beurteilung.
12 Es trifft aber im Sinn der Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zu, dass das Wiederaufnahmeverfahren nicht den Zweck hat, allfällige Versäumnisse einer Partei in einem Ermittlungsverfahren oder die Unterlassung der Erhebung eines Rechtsmittels im Wege über eine Wiederaufnahme eines Verfahrens zu sanieren. Hat die Partei eine Tatsache oder ein Beweismittel im Verwaltungsverfahren nicht geltend gemacht, obwohl ihr dies bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit möglich gewesen wäre, liegt ein ihr zuzurechnendes Verschulden vor, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (vgl. etwa , mwN).
13 Die Revision vermag nicht darzulegen, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, der Revisionswerber hätte bei gehöriger Aufmerksamkeit die Dienstpläne und Arbeitszeitaufzeichnungen, auf die er seinen Antrag auf Wiederaufnahme gründete, bereits im Verfahren vorlegen können, das dem Bescheid vom vorausgegangen war, unvertretbar gewesen wäre.
14 Ein Zuspruch von Kosten hat daher nach § 58 Abs. 2 VwGG zu unterbleiben.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022080151.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
GAAAF-45944