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VwGH 15.12.2023, Ra 2022/08/0136

VwGH 15.12.2023, Ra 2022/08/0136

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
ASVG §4 Abs4
VwRallg
RS 1
Eine persönliche Arbeitspflicht ist für eine Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 4 ASVG nicht Voraussetzung; vielmehr genügt dafür nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 4 ASVG, dass die Dienstleistungen "im Wesentlichen persönlich" erbracht werden.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2022/08/0115 B RS 1
Normen
ASVG §4 Abs2
ASVG §4 Abs4
RS 2
Der freie Dienstvertrag im Sinn des § 4 Abs. 4 ASVG unterscheidet sich vom abhängigen (echten) Dienstverhältnis im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG durch die persönliche Unabhängigkeit des Dienstnehmers vom Dienstgeber. Gegenstand des freien Dienstvertrags sind also Dienstleistungen, die nicht in persönlicher Abhängigkeit geleistet werden (vgl. etwa ; , 2012/15/0204).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2017/08/0119 B RS 3

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der B A in U, vertreten durch Dr. Michael Tröthandl und Mag. Christina Juritsch, Rechtsanwälte in 2500 Baden, Theaterplatz 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-S-1722/001-2021, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Baden), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen, im Beschwerdeweg ergangenen Erkenntnis wurde die Revisionswerberin gemäß § 111 Abs. 1 Z 1 iVm § 33 Abs. 1 und 2 ASVG bestraft, weil sie es als Geschäftsführerin und somit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der A GmbH zu verantworten habe, dass die genannte Gesellschaft als Dienstgeberin den P, bei welchem es sich um eine in der Krankenversicherung gemäß § 4 Abs. 4 ASVG pflichtversicherte Person handle, am um 11:10 Uhr beschäftigt habe, obwohl dieser nicht vor Arbeitsantritt bei der Österreichischen Gesundheitskasse zur Pflichtversicherung angemeldet worden sei.

2 Zur Qualifikation des P als freier Dienstnehmer iSd. § 4 Abs. 4 ASVG stützte sich das Verwaltungsgericht auf die folgenden Feststellungen:

3 P sei (ebenso wie die Revisionswerberin, bei der es sich um seine Ehefrau handle) zu 50 % Gesellschafter der A GmbH. Alleinige handelsrechtliche Geschäftsführerin sei die Revisionswerberin. Die faktische Leitung des Unternehmens liege bei P, der auch alle Weisungen und Arbeitsaufträge an die Mitarbeiter erteile. Die Rolle der Revisionswerberin bestehe in der „rechtlichen Außenvertretung“. P erhalte für seine Tätigkeit von der A GmbH monatlich gleichbleibend und ohne schriftlichen Vertrag € 2.000,-- und sei dafür „bei der GSVG“ zur Sozialversicherung angemeldet.

4 Bei der Tätigkeit des P handle es sich dem zeitlichen Umfang nach im Wesentlichen um eine Vollzeittätigkeit, wobei das Gehalt für die von ihm ausgeübte faktische Unternehmensleitung entrichtet werde. Feste Anwesenheitspflichten, konkrete Vorgaben über seine Zeiteinteilung, Arbeitsaufträge seitens der Geschäftsführerin sowie Sanktionen bei Verstoß gegen Vorgaben gebe es in der Praxis nicht. Alle wesentlichen Arbeitsmittel - Büro, Computer, Telefon, Auto - würden ihm von der A GmbH zur Verfügung gestellt. Er habe keine weitere berufliche Tätigkeit außer jener für die A GmbH. Er könne die Leitungsfunktion der Gesellschaft nicht delegieren und treffe zB auch im Urlaubsfall alle wesentlichen Entscheidungen; Mitarbeiter würden im Wesentlichen nur Teilaufgaben bzw. kurze Vertretungen wahrnehmen, ohne dass damit eine echte Stellvertretung in der Leitung des Unternehmens verbunden wäre. P habe für seine eigene von ihm so bezeichnete Konsulententätigkeit keine Gewerbeberechtigung inne. Im Rahmen des Gesellschaftsvertrags bestünden keine Vereinbarungen über Sonderrechte, die einem der beiden Gesellschafter über ihre 50/50-Anteile hinaus eine beherrschende Stellung einräumen würden. Keiner der Gesellschafter habe eine beherrschende Stellung; Beschlüsse könnten zwar verhindert werden, aber nicht allein - gegen den Willen des anderen - durchgesetzt.

5 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht dazu aus, dass die Zuordnung zur Pflichtversicherung nach GSVG einerseits und nach ASVG andererseits im Wege der Abgrenzung zwischen § 2 GSVG und der Rechtsfigur des „freien Dienstnehmers“ nach § 4 Abs. 4 ASVG zu treffen sei. Diesbezüglich sei darauf zu verweisen, dass der Beschäftigte für die Ausübung der Leitungsfunktion bei der A GmbH ein festes Entgelt beziehe, seine Dienstleistung - eben die Ausübung dieser Leitungsfunktion - im Wesentlichen persönlich erbringe und alle Betriebsmittel ihm von der A GmbH zur Verfügung gestellt würden (seine Fertigkeiten und Kenntnisse seien dabei nicht zu berücksichtigen; Hinweis auf ). Es bestehe im Ergebnis jedenfalls wirtschaftliche Abhängigkeit von der Dienstgeberin und die Kriterien des § 4 Abs. 4 ASVG seien erfüllt, weil der Beschäftigte selbst keinerlei wirtschaftliches Risiko im Rahmen der Beschäftigung trage, da ihm diese mit einem festen Entgelt abgegolten werde.

6 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Landesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Die Revisionswerberin erblickt entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darin, dass das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei und dass zur Frage, „ob ein faktischer Geschäftsführer sozialversicherungsrechtlich wie ein gesellschaftsrechtlicher Geschäftsführer zu behandeln ist“, Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle.

12 Soweit in der Revision unter Hinweis auf die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach es eine „feste Anwesenheitspflicht, konkrete Vorgaben über seine Zeiteinteilung, Arbeitsaufträge seitens der Geschäftsführerin sowie Sanktionen bei Verstoß gegen Vorgaben ... in der Praxis nicht [gibt]“, vorgebracht wird, dass„eine Arbeitspflicht des [P] gegenüber der [B] GmbH“ nicht bestehe, ist dem zu erwidern, dass weder die zitierten Feststellungen noch deren von der Revisionswerberin ins Treffen geführte Konsequenz, dass eine „persönliche Abhängigkeit“ des P verneint worden sei, dessen (persönliche) Arbeitspflicht widerlegen. In diesem Zusammenhang tritt die Revisionswerberin zudem den Feststellungen nicht entgegen, dass es sich bei der Tätigkeit von P „dem zeitlichen Umfang nach im Wesentlichen um eine Vollzeittätigkeit“ handle, „das Gehalt für die ... ausgeübte faktische Unternehmensleitung entrichtet“ werde, er „die Leitungsfunktion der Gesellschaft nicht delegieren“ könne und „zB auch im Urlaubsfall alle wesentlichen Entscheidungen“ treffe. Zudem hat das Verwaltungsgericht in der Beweiswürdigung ausgeführt, dass zwischen der faktischen Leitungstätigkeit des P und dem festen Entgelt von 2.000,- EUR monatlich „ein synallagmatisches Austauschverhältnis“ bestehe und in der rechtlichen Würdigung festgehalten, dass P „seine Dienstleistung - eben die Ausübung dieser Leitungsfunktion - im Wesentlichen persönlich erbringt“. Eine „persönliche Arbeitspflicht“ ist im Übrigen für eine Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 4 ASVG nicht Voraussetzung; vielmehr genügt dafür nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 4 ASVG, dass die Dienstleistungen „im Wesentlichen persönlich“ erbracht werden (vgl. , mwN).

13 Mit dem Vorbringen der Zulässigkeitsbegründung, dass aufgrund der Annahmen des Verwaltungsgerichts, dass „eine persönliche Abhängigkeit des [P] verneint werden“ müsse und diesem „kraft Gesellschafterstellung ein maßgebender Einfluss auf die Gestion des Unternehmens“ zukomme (was auch dann zutreffe, „wenn er kraft Gesetzes oder kraft Gesellschaftsvertrags bestimmte Weisungen an die Geschäftsführung herbeiführen oder zumindest persönliche Weisungen der Generalversammlung an ihn verhindern“ könne) und wonach im Fall des P „ein Beschäftigungsverhältnis in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit zu verneinen“ sei, verkennt die Revisionswerberin, dass die Subsumtion unter den hier einschlägigen Tatbestand des § 4 Abs. 4 ASVG gerade nicht auf ein „Beschäftigungsverhältnis in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit“ abstellt. Gerade durch die in der Zulässigkeitsbegründung als Argument ins Treffen geführte persönliche Unabhängigkeit des Dienstnehmers vom Dienstgeber unterscheidet sich das freie Dienstverhältnis vom abhängigen, echten Dienstverhältnis im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG. Gegenstand des freien Dienstvertrags sind Dienstleistungen, die nicht in persönlicher Abhängigkeit erbracht werden (vgl. etwa ; , 2012/15/0204; , Ra 2017/08/0119). Mit dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2013/08/0185, wurde die Beschwerde gegen einen Bescheid betreffend die Qualifikation eines Geschäftsführers als freier Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs. 4 ASVG abgewiesen. Das angefochtene Erkenntnis nimmt ebenfalls eine solche Qualifikation vor; die behauptete Abweichung von dem Erkenntnis zeigt das Zulässigkeitsvorbringen nicht auf. Auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 4 Abs. 4 ASVG geht die Revision nicht ein und zeigt auch sonst nicht auf, inwiefern es unvertretbar sein soll, das Beschäftigungsverhältnis des P, (welcher „de facto“ Leistungen eines Geschäftsführers erbringt und nicht handelsrechtlicher Geschäftsführer, jedoch zu 50 % Gesellschafter ist) als freies Dienstverhältnis iSd. § 4 Abs. 4 ASVG zu qualifizieren. Es wird auch nicht erläutert, inwiefern aus der Gleichstellung des faktischen Geschäftsführers mit einem handelsrechtlichen Geschäftsführer ein anderes Ergebnis zu folgen hätte.

14 In der Revision wird keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
ASVG §4 Abs2
ASVG §4 Abs4
VwRallg
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Dienstnehmer Begriff Persönliche Abhängigkeit
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022080136.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
CAAAF-45941