VwGH 21.02.2024, Ra 2022/08/0124
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | AVG §4 Abs4 |
RS 1 | Bei der Beurteilung, ob im Sinn von § 4 Abs. 4 ASVG wesentliche eigene Betriebsmittel vorliegen, ist zu untersuchen, ob sich der freie Dienstnehmer mit Betriebsmitteln eine eigene betriebliche Infrastruktur geschaffen hat. Dabei kommt es weder auf die Notwendigkeit oder Unerlässlichkeit der Verwendung eines Betriebsmittels, noch auf den Betriebsgegenstand jenes Unternehmens an, für welches der freie Dienstnehmer tätig wird (vgl. grundlegend bis 0225, mit näheren Ausführungen zum Begriff der "wesentlichen eigenen Betriebsmittel" nach § 4 Abs. 4 ASVG; sowie aus der ständigen Judikatur etwa ). |
Norm | AVG §4 Abs4 |
RS 2 | Das Vorliegen wesentlicher eigener Betriebsmittel ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn der freie Dienstnehmer (wie - abgesehen von der persönlichen Abhängigkeit - ein echter Arbeitnehmer) nur innerhalb und unter Verwendung der betrieblichen Struktur des Auftraggebers tätig ist (vgl. bis 225). |
Norm | ASVG §4 Abs4 |
RS 3 | Im Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0223, VwSlg 17359 A/2008, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass bei der Beurteilung der Verfügung über wesentliche Betriebsmittel im Sinn des § 4 Abs. 4 ASVG zu untersuchen ist, ob sich der freie Dienstnehmer mit Betriebsmitteln eine eigene betriebliche Infrastruktur geschaffen hat. Dabei ist es in erster Linie in der Ingerenz eines (potentiellen) freien Dienstnehmers gelegen, ob er über eine unternehmerische Struktur verfügen möchte oder nicht, ob er also seine Tätigkeit grundsätzlich eher arbeitnehmerähnlich (d.h. keine Tätigkeit für den "Markt", sondern im Wesentlichen für einen Auftraggeber oder doch eine überschaubare Zahl von Auftraggebern, ohne eigene betriebliche Struktur, gegen gesonderte Abgeltung von Aufwendungen, wie zB durch Kilometergelder, Ersatz von Telefonkosten etc.) ausführen möchte oder ob er eher unternehmerisch tätig sein und das entsprechende wirtschaftliche Risiko tragen will (d.h. zB - losgelöst vom konkreten Auftrag - spezifische Betriebsmittel anschafft, werbend am Markt auftritt, auch sonst über eine gewisse unternehmerische Infrastruktur verfügt und seine Spesen in die dem Auftraggeber verrechneten Honorare selbst einkalkuliert). Auch in Fällen, in denen eine unternehmerische Organisation bestimmten Ausmaßes nicht klar zutage tritt, ist ein Betriebsmittel grundsätzlich dann für eine Tätigkeit wesentlich, wenn es sich nicht bloß um ein geringwertiges Wirtschaftsgut handelt und wenn es der freie Dienstnehmer entweder durch Aufnahme in das Betriebsvermögen (und die damit einhergehende steuerliche Verwertung als Betriebsmittel) der Schaffung einer unternehmerischen Struktur gewidmet hat oder wenn es seiner Art nach von vornherein in erster Linie der in Rede stehenden betrieblichen Tätigkeit zu dienen bestimmt ist. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2012/08/0163 E RS 1 |
Normen | |
RS 4 | Wenn eine an sich erlaubte Tätigkeit lediglich in einer (arbeits)rechtlich verbotenen Weise ausgeübt wird, so ist die Sozialversicherungspflicht der Beschäftigung davon nicht berührt (zur Versicherungspflicht trotz nichtigen Vertrages vgl E , 92/08/0213, VwSlg 14216 A/1995; zur Versicherungspflicht bei unerlaubter Beschäftigung vgl E , 91/08/0125, VwSlg 13529 A/1991). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 97/08/0169 E RS 4 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des W - Verein in W, vertreten durch die Doschek Rechtsanwalts GmbH in 1030 Wien, Reisnerstraße 29/7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W151 2249758-1/15E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse; mitbeteiligte Parteien: 1. Mag. V A in W, 2. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 3. Pensionsversicherungsanstalt; weitere Partei: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Erstmitbeteiligte ist eine Musiktherapeutin nach dem Musiktherapiegesetz (MuthG). Sie war für den Revisionswerber - einen Verein, dessen Zweck insbesondere die sozialpädagogische Betreuung von hilfsbedürftigen Personen ist - als Musiktherapeutin tätig.
2 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis stellte das Bundesverwaltungsgericht - in Bestätigung eines Bescheides der Österreichischen Gesundheitskasse vom - fest, dass die Erstmitbeteiligte aufgrund ihrer Beschäftigung beim Revisionswerber ab „bis laufend“ nach § 4 Abs. 1 Z 14 iVm. Abs. 4 ASVG der Pflichtversicherung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung und gemäß § 1 Abs. 1 lit. a iVm. Abs. 8 AlVG der Arbeitslosenversicherung unterlegen sei. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.
3 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, die Erstmitbeteiligte sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum ausschließlich für den Revisionswerber als Musiktherapeutin tätig gewesen, wobei das Honorar nach Stunden abgerechnet worden sei. Ihre Tätigkeit habe sie sonst nicht am Markt angeboten. Einen eigenen Internetauftritt oder eigene Orte zur Ausübung der Tätigkeit habe sie nicht gehabt. Die benötigten Räumlichkeiten seien ihr - ebenso wie Trommeln und Schlaginstrumente - vom Revisionswerber zur Verfügung gestellt worden. Darüber hinaus habe die Erstmitbeteiligte für die Tätigkeit weitere Instrumente (Gitarre, E-Gitarre, Keyboard, Bluetooth Musikbox) aus ihrem „Privatvermögen“ verwendet. Ebenso wie diese Instrumente habe die Mitbeteiligte auch einen eigenen Computer, ein Apple iPad, Noten und Fachbücher neben anderen Zwecken auch für ihre Tätigkeit als Musiktherapeutin eingesetzt. Diese Gegenstände seien von der Mitbeteiligten steuerlich nicht als Betriebsvermögen behandelt worden. Ein Mobiltelefon im Wert von € 24,98 habe die Erstmitbeteiligte ausschließlich für ihre Tätigkeit als Musiktherapeutin verwendet.
4 In rechtlicher Hinsicht erachtete das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen einer Pflichtversicherung als freie Dienstnehmerin nach § 4 Abs. 4 ASVG als gegeben. Die Erstmitbeteiligte habe über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel im Sinn dieser Bestimmung verfügt. Eine eigene betriebliche Infrastruktur habe sie sich mit eigenen Betriebsmitteln nicht geschaffen. Hinsichtlich der - nicht bloß geringwertigen - Betriebsmittel, die die Mitbeteiligte aus ihrem Privatvermögen für ihre Tätigkeit beim Revisionswerber verwendet habe, sei nicht dargetan worden, dass diese für diese Tätigkeit angeschafft bzw. von der Erstmitbeteiligten in das Betriebsvermögen übernommen worden wären.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst geltend, das Bundesverwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Erstmitbeteiligte über keine eigenen wesentlichen Betriebsmittel verfügt habe. Der Nutzung der Räumlichkeiten des Revisionswerbers sei bei der Tätigkeit einer Musiktherapeutin nicht dieselbe Bedeutung zuzumessen, wie dies etwa bei einer Aerobic Trainerin (Hinweis auf ) der Fall sei. Es könne auch nicht darauf ankommen, ob eine Musiktherapeutin die verwendeten Betriebsmittel auch privat verwende.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung, ob im Sinn von § 4 Abs. 4 ASVG wesentliche eigene Betriebsmittel vorliegen, zu untersuchen, ob sich der freie Dienstnehmer mit Betriebsmitteln eine eigene betriebliche Infrastruktur geschaffen hat. Dabei kommt es weder auf die Notwendigkeit oder Unerlässlichkeit der Verwendung eines Betriebsmittels, noch auf den Betriebsgegenstand jenes Unternehmens an, für welches der freie Dienstnehmer tätig wird (vgl. grundlegend bis 0225, mit näheren Ausführungen zum Begriff der „wesentlichen eigenen Betriebsmittel“ nach § 4 Abs. 4 ASVG; sowie aus der ständigen Judikatur etwa ).
10 Das Vorliegen wesentlicher eigener Betriebsmittel ist somit jedenfalls dann zu verneinen, wenn der freie Dienstnehmer (wie - abgesehen von der persönlichen Abhängigkeit - ein echter Arbeitnehmer) nur innerhalb und unter Verwendung der betrieblichen Struktur des Auftraggebers tätig ist (vgl. nochmals bis 225). Im Übrigen ist es in der eigenen Ingerenz eines Dienstnehmers gelegen, ob er über eine unternehmerische Struktur verfügen möchte oder nicht, ob er also seine Tätigkeit grundsätzlich eher arbeitnehmerähnlich (d.h. keine Tätigkeit für den „Markt“, sondern im Wesentlichen für einen Auftraggeber oder doch eine überschaubare Zahl von Auftraggebern, ohne eigene betriebliche Struktur, gegen gesonderte Abgeltung von Aufwendungen, wie zB durch Kilometergelder, Ersatz von Telefonkosten etc.) ausführen möchte oder ob er eher unternehmerisch tätig sein und das entsprechende wirtschaftliche Risiko tragen will (d.h. zB - losgelöst vom konkreten Auftrag - spezifische Betriebsmittel anschafft, werbend am Markt auftritt, auch sonst über eine gewisse unternehmerische Infrastruktur verfügt und seine Spesen in die dem Auftraggeber verrechneten Honorare selbst einkalkuliert). Auch in Fällen, in denen eine eigene unternehmerische Organisation bestimmten Ausmaßes nicht klar zutage tritt, ist ein Betriebsmittel grundsätzlich dann für eine Tätigkeit wesentlich, wenn es sich nicht bloß um ein geringwertiges Wirtschaftsgut handelt und wenn es der freie Dienstnehmer entweder durch Aufnahme in das Betriebsvermögen (und die damit einhergehende steuerliche Verwertung als Betriebsmittel) der Schaffung einer unternehmerischen Struktur gewidmet hat oder wenn es seiner Art nach von vornherein in erster Linie der in Rede stehenden betrieblichen Tätigkeit zu dienen bestimmt ist (vgl. , mwN).
11 Die Revision tritt den Feststellungen nicht entgegen, dass die Räumlichkeiten für die Ausübung der Tätigkeit als Musiktherapeutin sowie die Schlaginstrumente vom Revisionswerber zur Verfügung gestellt und die weiteren - nicht bloß geringwertigen (§ 13 EStG 1988) - Betriebsmittel, die von der Erstmitbeteiligten verwendet wurden (weitere Musikinstrumente, PC, iPad), für private Zwecke angeschafft und nicht als Betriebsvermögen gewidmet waren. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Gesamtbetrachtung (vgl. dazu nochmals ) des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Erstmitbeteiligte über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel im Sinn von § 4 Abs. 4 ASVG verfügt habe, zumindest nicht als unvertretbar.
12 Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung macht die Revision im Weiteren geltend, es fehle Rechtsprechung dazu, ob § 6 Abs. 4 MuthG dem Eintreten einer Pflichtversicherung nach dem ASVG entgegenstehe. In dieser Bestimmung sei ausdrücklich geregelt, unter welchen Umständen Arbeitsverhältnisse als Musiktherapeutin begründet werden könnten. Ein Verein - wie der Revisionswerber - könne danach kein Arbeitgeber sein.
13 Nach der insoweit angesprochenen Bestimmung des § 6 Abs. 4 MuthG ist die berufsmäßige Ausübung der Musiktherapie im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nur zu einem Träger einer Krankenanstalt, einem Pflegeheim, einer Behinderteneinrichtung oder einer vergleichbaren Einrichtung zulässig.
14 Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit zutreffend auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs hingewiesen, wonach die Sozialversicherungspflicht einer Beschäftigung davon nicht berührt ist, dass eine an sich erlaubte Tätigkeit lediglich in einer (arbeits)rechtlich verbotenen Weise ausgeübt wird (vgl. ; , 97/08/0169; jeweils mwN). Ausgehend davon bedurfte es zur Beurteilung des Eintritts der Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 4 ASVG keiner Auseinandersetzung damit, ob das Eingehen des freien Dienstverhältnisses der Erstmitbeteiligten mit dem Revisionswerber als Dienstgeber nach § 6 Abs. 4 MuthG zulässig war.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2022080124.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
LAAAF-45938