VwGH 30.08.2022, Ra 2022/08/0115
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Normen | ASVG §4 Abs4 VwRallg |
RS 1 | Eine persönliche Arbeitspflicht ist für eine Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 4 ASVG nicht Voraussetzung; vielmehr genügt dafür nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 4 ASVG, dass die Dienstleistungen "im Wesentlichen persönlich" erbracht werden. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der A GmbH in W, vertreten durch die Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in 1070 Wien, Mariahilferstraße 88a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W164 2218716-1/15E, W164 2220934-1/11E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse; mitbeteiligte Partei: E M F, vertreten durch die Krist Bubits Rechtsanwälte OG in 2340 Mödling, Kaiserin Elisabeth-Straße 2), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse (im Folgenden: GKK; nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse) stellte mit Bescheid vom fest, dass die Mitbeteiligte auf Grund ihrer Beschäftigung als Fitness-Trainerin in einem von der revisionswerbenden Partei betriebenen Fitnessstudio in näher bezeichneten Zeiträumen der Jahre 2011 bis 2015 der Vollversicherungspflicht nach § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG sowie in weiteren näher bezeichneten Zeiträumen derselben Jahre der Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung gemäß § 7 Z 3 lit. a ASVG unterlegen sei.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis entschied das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die dagegen von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde, indem es den Bescheid der GKK dahingehend abänderte, dass statt der Vollversicherungspflicht nach § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG die Vollversicherungspflicht nach § 4 Abs. 4 ASVG festgestellt und der Zeitraum der Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung eingeschränkt wurde.
3 Das Bundesverwaltungsgericht stellte im Wesentlichen fest, dass die revisionswerbende Partei ein Sportstudio mit Fitnessbereich, Sportsälen und dem Angebot von Trainingseinheiten geführt habe. Sie habe einerseits angestellte Trainerinnen und Trainer beschäftigt, die nach einem Stundenplan teilweise auch im Fitnessbereich und an der Rezeption eingesetzt worden seien, und andererseits „externe“ Trainerinnen und Trainer. Kundinnen und Kunden hätten bei der revisionswerbenden Partei Einzelkarten oder Zehnerblocks für die im Studio angebotenen Trainingseinheiten erwerben können. Die Mitbeteiligte und die Geschäftsführerin der revisionswerbenden Partei hätten im Jahr 2011 vereinbart, dass erstere bei der revisionswerbenden Partei Kurse anbieten solle. Man habe sich auf drei Kurse geeinigt, zwei am Dienstag Vormittag in den Räumlichkeiten der revisionswerbenden Partei und einen am Mittwoch Vormittag im Freien (Nordic Walking), jeweils mit einer Mindestteilnehmerzahl von drei Personen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kurse seien stets Kundinnen und Kunden der revisionswerbenden Partei gewesen. Weder eine Kontaktaufnahme der Mitbeteiligten mit dem Studio vor oder nach der Trainingseinheit noch eine laufende Berichtspflicht über die Arbeit sei vorgeschrieben gewesen. Die Mitbeteiligte habe den Ablauf des Unterrichts selbst konzipiert. Sie habe ihre eigene Musik mitgebracht, weiters Pilatesbälle, Pilatesringe, Pilatesrollen, Therabänder sowie Nordic Walking Stecken, und habe darüber hinaus Kleingeräte benutzt, die im Studio vorhanden gewesen seien. Sie habe für jede Trainingseinheit € 20,-- nach Legung einer „etwa monatlichen“ Honorarnote erhalten. Im Verhinderungsfall habe die Mitbeteiligte entweder eine Vertretung bekannt gegeben oder mitgeteilt, dass sie keine Vertretung habe. Im letztgenannten Fall habe die Geschäftsführerin der revisionswerbenden Partei entschieden, entweder eine der angestellten Trainerinnen für die Kurseinheit einzusetzen oder die Einheit ausfallen zu lassen. Im Fall einer Vertretung habe die Mitbeteiligte ihren Stundensatz von € 20,-- an die Vertretung weitergegeben. Sie habe sich tatsächlich nur im Verhinderungsfall vertreten lassen, andere Gründe seien kein Anlass für eine Vertretung gewesen. Urlaube habe die Mitbeteiligte mehrere Wochen im Vorhinein bekannt gegeben. Sie habe drei weitere Auftraggeberinnen gehabt und eine Einnahmen-Ausgabenrechnung geführt.
4 Im Rahmen der Beweiswürdigung erklärte das Bundesverwaltungsgericht, dass die Aussagen der Mitbeteiligten und der Geschäftsführerin der revisionswerbenden Partei den Feststellungen zugrunde gelegt worden seien. Eine neuerliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung der von der revisionswerbenden Partei beantragten Zeugin U.N. - einer Mitarbeiterin der revisionswerbenden Partei - erscheine nicht geboten, zumal kein spezielles noch zu klärendes Beweisthema angegeben worden sei.
5 Was das Entgelt betreffe, so hätten die Mitbeteiligte und die Geschäftsführerin der revisionswerbenden Partei übereinstimmend angegeben, dass die Mitbeteiligte unabhängig von der Teilnehmerinnenzahl € 20,-- pro tatsächlich abgehaltenem Kurs erhalten habe. Nicht überzeugt habe die Behauptung, die Mitbeteiligte wäre von sich aus nicht bereit gewesen, bei weniger als drei Teilnehmenden den Unterricht abzuhalten, da sich dies für sie nicht gerechnet hätte, habe sich doch das Festlegen einer Mindestteilnehmerzahl nur auf die Kalkulation der revisionswerbenden Partei, nicht aber auf jene der Mitbeteiligten auswirken können. Das Argument, im vereinbarten Entgelt sei die Raummiete bereits abgezogen worden, sei erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden und überzeuge nicht: Unstrittig habe die Mitbeteiligte nämlich für alle abgehaltenen Stunden, also auch für die im Freien stattfindenden Nordic-Walking-Einheiten, € 20,-- pro Stunde erhalten. Befragt zu ihren Eintragungen in die Einnahmen-Ausgabenrechnung habe die Mitbeteiligte ferner eingeräumt, keine Mietkosten verbucht zu haben.
6 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Tätigkeit der Mitbeteiligten kein Werkvertrag, sondern ein Dienstvertrag zugrunde gelegen sei. Eine Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG wurde vom Bundesverwaltungsgericht verneint. Der Mitbeteiligten sei zwar kein generelles Vertretungsrecht zugekommen, sodass eine persönliche Arbeitspflicht zu bejahen gewesen sei. Allerdings hätten in einer Gesamtbetrachtung die Merkmale persönlicher Abhängigkeit nicht überwogen. So habe sich die revisionswerbende Partei keine Kontrollmöglichkeiten über die Mitbeteiligte gesichert, und diese sei insgesamt nicht an Ordnungsvorschriften über das arbeitsbezogene Verhalten gebunden gewesen. Die Bindung an Arbeitszeit und Arbeitsort habe sich aus den übernommenen Aufgaben ergeben und sei nicht ohne weiteres als Merkmal der persönlichen Abhängigkeit zu werten. Auch habe die Mitbeteiligte kein monatliches Fixum erhalten.
7 Es sei jedoch eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Mitbeteiligten und folglich die Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 4 ASVG zu bejahen gewesen. Die Mitbeteiligte habe ihre Tätigkeit für eine „überschaubare Zahl von Auftraggebern“ verrichtet. Sie habe selbst keine Werbung am freien Markt betrieben. Ihre Spesen habe sie nicht in die der revisionswerbenden Partei verrechneten Honorarnoten einkalkuliert. Sie habe über gewisse eigene Betriebsmittel verfügt. Entscheidende Bedeutung sei jedoch für die Durchführung der Indoor-Sportkurse den von der revisionswerbenden Partei zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten und für alle Kurse dem Kundenstock der revisionswerbenden Partei zugekommen. Die Mitbeteiligte sei im Rahmen der verfahrensgegenständlichen Tätigkeit auf die von der revisionswerbenden Partei zur Verfügung gestellten Betriebsmittel angewiesen gewesen. Sie verfüge in einer Gesamtbetrachtung über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel.
8 Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes nach § 4 Abs. 4 lit. a bis d ASVG seien nicht gegeben. Insbesondere habe die Mitbeteiligte keine einschlägige Gewerbeberechtigung gehabt.
9 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
10 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Unter diesem Gesichtspunkt macht die Revision zunächst geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, indem es von der beantragten Einvernahme der Zeugin U.N. abgesehen habe. Eine hinreichende Darstellung der Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels lässt sich der Revision aber - selbst unter Einbeziehung der Revisionsgründe - nicht entnehmen. Es werden zwar die strittigen Sachverhaltselemente angeführt - die konkrete Honorargestaltung, die Anwesenheit der Mitbeteiligten zu Beginn der anberaumten Kurse unabhängig von der Zahl der Anmeldungen und schließlich die Frage der Bereitschaft, für weniger als drei Teilnehmende einen Kurs abzuhalten -, aber ohne darzulegen, welche Aussagen die beantragte Zeugin zu diesen Punkten hätte machen können und inwieweit darauf beruhende Feststellungen zu einem anderen Ergebnis hinsichtlich der Pflichtversicherung der Mitbeteiligten nach § 4 Abs. 4 ASVG hätten führen können.
14 Im Hinblick auf eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision in Abrede gestellt, dass die Mitbeteiligte eine persönliche Arbeitspflicht getroffen habe. Eine solche ist aber für eine Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 4 ASVG nicht Voraussetzung; vielmehr genügt dafür nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 4 ASVG, dass die Dienstleistungen „im Wesentlichen persönlich“ erbracht werden. Dass dies der Fall war, folgt aus den unbestrittenen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts zur regelmäßigen Abhaltung der Kurse durch die Mitbeteiligte selbst und zur Vertretung nur im Verhinderungsfall.
15 Soweit die Revision in der weiteren Zulässigkeitsbegründung die wirtschaftliche Abhängigkeit der Mitbeteiligten bestreitet, ist ihr zu erwidern, dass es dafür - anders als von ihr unterstellt - auf den „Anteil des bei der Revisionswerberin ins Verdienen gebrachten Einkommens in der Zusammenschau mit dem Gesamteinkommen“ der Mitbeteiligten nicht ankommt. Maßgeblich ist nach § 4 Abs. 4 ASVG vielmehr, ob sie für ihre Tätigkeit über wesentliche eigene Betriebsmittel verfügt hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die Nutzung von Räumen, Fitnessgeräten und insbesondere auch des Kundenstocks der revisionswerbenden Partei in jedenfalls nicht unvertretbarer Weise verneint (vgl. dazu, dass auch ein Kundenstock zu den wesentlichen Betriebsmitteln zählen kann, ).
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | ASVG §4 Abs4 VwRallg |
Schlagworte | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022080115.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
RAAAF-45936