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VwGH 22.06.2022, Ra 2022/08/0074

VwGH 22.06.2022, Ra 2022/08/0074

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
ABGB §1332
AVG §13 Abs1
AVG §71 Abs1 Z1
RS 1
Bei Übermittlung von Unterlagen bei fristgebundenen Eingaben mit E-Mail besteht eine Pflicht zur Kontrolle des tatsächlichen Einlangens. Aus dem Unterbleiben einer solchen Kontrolle kann auf einen nicht mehr bloß minderen Grad des Versehens an einer Fristversäumnis geschlossen werden (vgl. , mwN).
Norm
AVG §71 Abs1 Z1
RS 2
Führt das Fehlverhalten anderer Personen, etwa das von Angestellten, zu einer Fristversäumung, so ist zu prüfen, ob der Vertreter der Partei (bzw. die Partei) selbst dadurch ein schuldhaftes Verhalten gesetzt hat, dass er (bzw. sie) eine ihm (ihr) auferlegte Sorgfaltspflicht außer Acht gelassen hat (vgl. B , Ro 2014/15/0009).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2013/07/0102 E RS 6
Norm
AVG §71 Abs1 Z1
RS 3
Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers gesteckt wird, sodass den Antragsteller die Obliegenheit trifft, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat (vgl. E , 2013/11/0243; E , 2002/10/0223; E , 96/21/0574). Auf nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist geltend gemachte Wiedereinsetzungsgründe und neue, den Wiedereinsetzungsgrund untermauernde Argumente ist daher nicht einzugehen (vgl. E , 2012/07/0222).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2016/12/0026 B RS 1

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des P G in T, vertreten durch die Jirovec & Partner Rechtsanwalts-GmbH in 1010 Wien, Bauernmarkt 24, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W178 2233205-1/2E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Angelegenheit der Beitragshaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom verpflichtete die Wiener Gebietskrankenkasse den Revisionswerber als Geschäftsführer einer GmbH gemäß § 67 Abs. 10 ASVG iVm. § 58 Abs. 5 ASVG, offene Beiträge samt Nebengebühren von € 63.536,22 zuzüglich Verzugszinsen zu zahlen. Binnen offener Frist wurde gegen diesen Bescheid keine Beschwerde erhoben.

2 Mit Schriftsatz vom beantragte der Revisionswerber die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist. Er habe den gegenständlichen Bescheid am  mit E-Mail an seinen Rechtsvertreter übermittelt. Unter einem habe er seinen langjährigen Mitarbeiter WH beauftragt, bei seinem Rechtsvertreter anzurufen, um telefonisch die Einbringung eines Rechtsmittels mit dem Rechtsvertreter zu besprechen. Sein E-Mail vom sei bei seinem Rechtsvertreter niemals eingelangt; „offensichtlich“ sei es „im Spam-Ordner gelandet“. WH habe die Kontaktaufnahme mit dem Rechtsvertreter vergessen. Das sei für den Revisionswerber nicht vorhersehbar gewesen. WH habe sich in der Vergangenheit nämlich als verlässlich erwiesen. An seiner Tätigkeit, zu der auch der Kontakt mit dem Rechtsvertreter - einem Steuerberater - im Zuge der Abwicklung der Verrechnung von Dienstnehmern und der Überweisung von Sozialversicherungsbeiträgen gehört habe, habe es niemals Grund zur Beanstandung gegeben. Davon, dass keine Beschwerde eingebracht worden sei, habe der Revisionswerber erst durch den Vollzug der Fahrnisexekution am Kenntnis erlangt.

3 Die Österreichische Gesundheitskasse wies den Antrag des Revisionswerbers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Bescheid vom ab. Der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde gab die Österreichische Gesundheitskasse mit Beschwerdevorentscheidung vom  nicht Folge. Der Revisionswerber stellte einen Vorlageantrag.

4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab. Es sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

5 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, das Vorbringen des Revisionswerbers sei nicht geeignet, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu begründen, weil das Verschulden des Revisionswerbers an der Versäumung der Beschwerdefrist nicht mehr als minderer Grad des Versehens anzusehen sei. Den Revisionswerber habe eine Kontrollpflicht hinsichtlich des Einlangens des E-Mails bei seinem Rechtsvertreter, der zuvor mit der Rechtssache nicht befasst gewesen sei, getroffen. WH sei zwar nicht Vertreter des Revisionswerbers gewesen, sodass ihm dessen Verhalten auch nicht unmittelbar zurechenbar sei. Der Revisionswerber hätte die Erfüllung des dem WH erteilten Auftrages aber durch entsprechende Nachfrage überprüfen müssen. Auch ausgehend von seinem Vorbringen habe der Revisionswerber sich jedoch weder bei seinem Rechtsvertreter hinsichtlich des Einlangens des anzufechtenden Bescheides und der Erhebung eines Rechtsmittels erkundigt noch WH auf die Erfüllung des erteilten Auftrages angesprochen.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die - nach Ablehnung der Behandlung und Abtretung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde () ausgeführte - außerordentliche Revision.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Zur Zulässigkeit der Revision wird geltend gemacht, der Revisionswerber habe sich auf WH, der sich in der Vergangenheit als zuverlässig erwiesen habe, verlassen können. Die Pflichten zur Überwachung und Kontrolle von Hilfskräften dürften nicht überdehnt werden. Es sei daher ein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht worden.

11 Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden der Partei zur Versäumung geführt hat, grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes obliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. etwa ).

12 Das Verwaltungsgericht hat zutreffend auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hingewiesen, wonach bei Übermittlung von Unterlagen bei fristgebundenen Eingaben mit E-Mail eine Pflicht zur Kontrolle des tatsächlichen Einlangens besteht und aus dem Unterbleiben einer solchen Kontrolle auf einen nicht mehr bloß minderen Grad des Versehens an einer Fristversäumnis geschlossen werden kann (vgl. , mwN). Dies ist insofern auf den vorliegenden Fall zu übertragen, als der Revisionswerber zur Kontrolle verpflichtet war, ob das von ihm an seinen Rechtsvertreter übermittelte E-Mail vom - mit der damit übersandten Ausfertigung des Bescheides vom  - tatsächlich bei seinem Rechtsvertreter einlangte. Dem Vorbringen des Revisionswerbers im Wiedereinsetzungsantrag ist im Übrigen nicht zu entnehmen, dass sein E-Mail vom bereits einen konkreten Auftrag zur Erhebung einer Beschwerde enthalten hätte. Nach seinen Ausführungen war hinsichtlich der Beschwerde noch eine Besprechung mit dem Rechtsvertreter erforderlich. Die Aufgabe, das Einlangen des E-Mails bei seinem Rechtsvertreter zu kontrollieren und den Auftrag zur Erhebung einer Beschwerde konkret zu erteilen, hat der Revisionswerber nach seinem Vorbringen an den Angestellten WH delegiert.

13 Führt das Fehlverhalten anderer Personen, etwa das von Angestellten, zu einer Fristversäumung, so ist zu prüfen, ob der Vertreter der Partei bzw. die Partei selbst dadurch ein schuldhaftes Verhalten gesetzt hat, dass er (bzw. sie) eine ihm (ihr) auferlegte Sorgfaltspflicht außer Acht gelassen hat (vgl. etwa , mwN). Wer einen Wiedereinsetzungsantrag auf das Verhalten einer solchen Hilfsperson stützt, hat somit durch ein substantiiertes Vorbringen darzulegen, aus welchen Gründen ihn selbst kein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden trifft, etwa dass und in welcher Weise der Wiedereinsetzungswerber die erforderliche Kontrolle ausgeübt hat (vgl. , mwN).

14 Nach dem Vorbringen des Revisionswerbers hat WH sich in der Vergangenheit zwar als zuverlässig erwiesen und hat mit seinem Rechtsvertreter - einem Steuerberater - Kontakt im Zuge der Abwicklung der Verrechnung von Dienstnehmern und der Überweisung von Sozialversicherungsbeiträgen gehabt. Dem Vorbringen ist aber nicht zu entnehmen, dass zu den Aufgaben des WH in der Vergangenheit auch Angelegenheiten in Zusammenhang mit der Abwicklung von gerichtlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Verfahren gehört hätten und er mit den einzuhaltenden Fristen vertraut gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund ist die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, es sei nicht mehr als minderer Grad des Versehens anzusehen, dass der Revisionswerber eine Kontrolle der Erfüllung der dem WH erteilten Aufträge - etwa durch eine Nachfrage - unterlassen habe, jedenfalls vertretbar (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation , mwN).

15 Unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit wird in der Revision weiters vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht hätte dem Revisionswerber die Konkretisierung seines Vorbringens ermöglichen, eine mündliche Verhandlung durchführen und den Revisionswerber und den WH einvernehmen müssen.

16 Mit diesem Vorbringen übersieht die Revision, dass das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nur in jenem Rahmen zu untersuchen ist, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers gesteckt wird. Den Antragsteller trifft somit die Obliegenheit, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat. Auf nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist geltend gemachte Wiedereinsetzungsgründe und neue, den Wiedereinsetzungsgrund untermauernde Argumente ist daher nicht einzugehen (vgl. zum Ganzen , mwN). Vor dem Hintergrund, dass die Antragsbehauptungen den Rahmen für die Untersuchung der Frage, ob ein Wiedereinsetzungsgrund gegeben ist, abstecken, bedurfte es auch der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht (vgl. zuletzt , mwN). Die Revision vermag somit schon aus diesen Gründen keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens des Bundesverwaltungsgerichts aufzuzeigen.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
ABGB §1332
AVG §13 Abs1
AVG §71 Abs1 Z1
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022080074.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
NAAAF-45933