VwGH 30.08.2022, Ra 2022/08/0067
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | § 21 Abs. 1 AlVG 1977 trifft zum einen (im ersten Satz) eine Anordnung zu dem Zeitraum, hinsichtlich dessen die beim Dachverband der Sozialversicherungsträger gespeicherten Beitragsgrundlagen zur Bemessung des Arbeitslosengeldes maßgeblich sind (nämlich in der Regel jenen der "letzten zwölf ... Kalendermonate") und zum anderen (im zweiten Satz) Regelungen über die Aufwertung solcher Beitragsgrundlagen, wenn sie "aus dem vorvorigen oder einem noch früheren Kalenderjahr" stammen, sowie darüber hinaus (im dritten bis sechsten Satz) noch weitere Vorschriften. Die Anordnung des § 21 Abs. 8 AlVG 1977, wonach zur Bemessung des Arbeitslosengeldes älterer Arbeitsloser "abweichend von Abs. 1 ein für die Bemessung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes herangezogenes monatliches Bruttoentgelt auch bei weiteren Ansprüchen auf Arbeitslosengeld so lange für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes heranzuziehen [ist], bis ein höheres monatliches Bruttoentgelt vorliegt", trifft materiell nur hinsichtlich der ersterwähnten Anordnung des § 21 Abs. 1 AlVG 1977 eine abweichende Regelung. Folglich lässt diese Regelung die sonstigen in § 21 Abs. 1 AlVG 1977 enthaltenen Anordnungen unberührt. |
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RS 2 | Aus dem Wortlaut und der Genese des - auf die Novelle BGBl. Nr. 179/1999 zurückgehenden - § 21 Abs. 8 AlVG 1977 (vgl. den der zitierten Novelle zugrunde liegenden IA 1145/A 20. GP) ergibt sich klar, dass diese Regelung auf die Wahrung der auf einer früher erzielten höheren Beitragsgrundlage beruhenden Ansprüche abzielt. Dass die Regelung dabei grundsätzlich auf das Entgelt selbst (und nicht die bei der früheren Anspruchsberechnung durch die in § 21 Abs. 3 AlVG 1977 normierte Deckelung errechnete Summe) abstellt, ergibt sich zum einen bereits aus der Wendung "abweichend von Abs. 1" sowie daraus, dass die Regelung beim "monatlichen Bruttoentgelt" ansetzt, welches - der Sache nach - Gegenstand der Regelung des § 21 Abs. 1 AlVG 1977 ist. Auf der Ebene des nach Abs. 1 leg.cit. zu ermittelnden Betrags kommt die (in Abs. 3 normierte) Deckelung noch gar nicht in Betracht. Erst daran anknüpfend (sohin in einem zweiten Schritt) erfolgt die konkrete Berechnung des "Grundbetrags des Arbeitslosengelds" gemäß § 21 Abs. 3 AlVG 1977. Nach ihrem Wortlaut knüpft diese Bestimmung an das "nach Abs. 1 oder Abs. 2 ermittelte monatliche Bruttoeinkommen" bloß an. Soweit daher gemäß § 21 Abs. 8 AlVG 1977 für einen älteren Arbeitslosen ein von den allgemeinen Bestimmungen des Abs. 1 "abweichend" ermittelter Betrag in Frage kommt, wird dadurch Abweichendes auf der - einer Berechnung nach Abs. 3 vorgelagerten - Stufe der Ermittlung gemäß dem Abs. 1 des § 21 AlVG 1977 geregelt. Auch der Wortlaut des § 21 Abs. 3 AlVG 1977 spricht (in Zusammenschau mit der Terminologie des § 21 Abs. 8 AlVG 1977) für diese Deutung, zumal nach diesem Wortlaut bei der Berechnung des Grundbetrags das (gemäß Abs. 1 ermittelte) Bruttoeinkommen "herangezogen" wird, während der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Anwendung der Deckelungsregelung des § 21 Abs. 3 letzter Satz AlVG 1977 das Verb "berücksichtigen" verwendet. Die Wahrungsbestimmung des § 21 Abs. 8 AlVG 1977 regelt sohin den Schutz eines früheren höheren Einkommens in der Weise, dass sie ausdrücklich auf das für die Bemessung des Grundbetrags "herangezogene" (nicht aber auf das nach der Deckelungsregelung davon höchstens "berücksichtigte") Bruttoentgelt Bezug nimmt. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Cede und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des Mag. R L in W, vertreten durch Mag. Jürgen M. Krauskopf, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 60, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W255 2248966-1/5E, betreffend Feststellung der Höhe des Arbeitslosengeldes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Austria Campus), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber hat sein 45. Lebensjahr vollendet und bezog von bis Arbeitslosengeld und von bis Notstandshilfe. Der Revisionswerber wies im Jahr 2014 Jahresbeitragsgrundlagen in der Höhe von € 54.360,- auf (woraus sich gemäß § 21 Abs. 1 AlVG ein monatliches Bruttoeinkommen von € 4.530,- errechnete). Als Bemessungsgrundlage des Arbeitslosengeldes zog das Arbeitsmarktservice (AMS) die damals relevante Höchstbemessungsgrundlage nach dem AlVG in der Höhe von brutto € 4.440,- heran.
2 Der Revisionswerber stand vom bis in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis. In der Zeit vom bis war er aufgrund des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung weiter pflichtversichert.
3 Der Revisionswerber beantragte zuletzt am die Zuerkennung von Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom stellte das Arbeitsmarktservice Wien Austria Campus (AMS) fest, dass dem Revisionswerber vorläufig ab dem Arbeitslosengeld in der Höhe von täglich € 53,01 gebühre. Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom ab.
4 In seiner Beschwerde brachte der Revisionswerber vor, es sei „unstrittig“, dass auf die Bemessung der Höhe seines Arbeitslosengeldes die Bestimmung des § 21 Abs. 8 AlVG anzuwenden und zur Ermittlung des Grundbetrages seines Arbeitslosengeldes jenes „Einkommen“ heranzuziehen sei, das schon Grundlage seines Leistungsanspruchs im Jahr 2016 gewesen sei. Für die von der Behörde vertretene Ansicht, dass aufgrund jenes Einkommens „nunmehr auch die damalige (Höchst)bemessungsgrundlage - unaufgewertet - Anwendung fände“, biete das Gesetz keine Grundlage (Hinweis auf ). Vielmehr sei das damalige Einkommen auf den Zeitpunkt der jetzigen Antragstellung aufzuwerten und anhand des Ergebnisses der Grundbetrag nach aktueller Gesetzeslage (und somit unter Beachtung derzeitiger Wertgrenzen) neu zu ermitteln. Daraus ergebe sich ein Einkommen, das nicht nur die seinerzeitige, sondern auch die aktuelle ASVG-Höchstbeitragsgrundlage übersteige.
5 Mit dem (nach Einbringung eines Vorlageantrags durch den Revisionswerber ergangenen) angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ab.
6 Zur Begründung hielt es fest, dass der Revisionswerber, der das 45. Lebensjahr vollendet habe, bereits von bis Arbeitslosengeld und von bis Notstandshilfe bezogen habe. Das für die letzte Bemessung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes des Revisionswerbers herangezogene monatliche Bruttoentgelt habe € 4.440,00 betragen. Dieser Betrag entspreche „der für das Jahr 2016 geltenden“ Höchstbemessungsgrundlage nach dem AlVG (Anmerkung durch den Verwaltungsgerichtshof: Gemeint wohl die nach § 21 Abs. 3 letzter Satz AlVG für im Jahr 2016 geltend gemachte Ansprüche vorgesehene Deckelung des monatlichen Einkommens durch die drei Jahre vor der Geltendmachung [hier sohin im Jahr 2013] maßgebliche Höchstbeitragsgrundlage). Dieser Betrag sei herangezogen worden, weil der Revisionswerber für das (gemäß § 21 Abs. 1 [in der Fassung vor der Novelle durch BGBl. I Nr. 100/2018] infolge Antragstellung im Jänner 2016 relevante) Jahr 2014 gespeicherte Jahresbeitragsgrundlagen in der Höhe von € 54.360,- aufgewiesen habe, was umgelegt auf einen Monat € 4.530,- betrage und somit den Wert von € 4.440,- überstiegen hätte.
7 Da die aktuelle (gemeint: Die auf Basis der infolge des Antrags vom relevanten Kalendermonate gespeicherten Beitragsgrundlagen ermittelte) Bemessungsgrundlage (von € 3.032,80) niedriger sei als diese „geschützte“ Bemessungsgrundlage, sei gemäß § 21 Abs. 8 AlVG die „geschützte“ Bemessungsgrundlage in der Höhe von € 4.440,00 zur Berechnung heranzuziehen. Gemäß § 21 Abs. 3 AlVG gebührten als Grundbetrag des Arbeitslosengeldes täglich 55 vH des täglichen Nettoeinkommens, kaufmännisch gerundet auf einen Cent. Zur Ermittlung des täglichen Nettoeinkommens sei das nach Abs. 1 oder Abs. 2 ermittelte monatliche Bruttoeinkommen um die zum Zeitpunkt der Geltendmachung für einen alleinstehenden Angestellten maßgeblichen sozialen Abgaben und die maßgebliche Einkommensteuer unter Berücksichtigung der ohne Antrag gebührenden Freibeträge zu vermindern und sodann mit zwölf zu vervielfachen und durch 365 zu teilen. Daraus ergebe sich folgende Berechnung:
„Bruttoeinkommen gemäß § 21 Abs. 1 AlVG:€ 4.440,00
abzüglich sozialer Abgaben gem. § 21 Abs. 3 AlVG: € 798,18
abzüglich Einkommensteuer gem. § 21 Abs. 3 AlVG:€ 710,10
ergibt netto: € 2.931,72
davon 55%:€ 1.612,44
das sind täglich (x 12/365)€ 53,01 (= Grundbetrag)“
8 Für die in der Beschwerde des Revisionswerbers vertretene Auffassung, dass die „geschützte“ Bemessungsgrundlage aus 2016 mit dem Aufwertungsfaktor gemäß § 108 Abs. 4 ASVG zu erhöhen sei, bestehe keine rechtliche Grundlage. § 21 Abs. 1 AlVG normiere ausdrücklich die Anwendung der Aufwertungsfaktoren gemäß § 108 Abs. 4 ASVG im Hinblick auf monatliche Beitragsgrundlagen, die bezogen auf den Zeitpunkt der Geltendmachung aus dem vorvorigen oder einem noch früheren Kalenderjahr stammten und zwar im Hinblick auf die Festsetzung des Grundbetrages. Im Unterschied dazu sei die Anwendung der Aufwertungsfaktoren gemäß § 108 Abs. 4 ASVG bei Anwendung von § 21 Abs. 8 AlVG „gerade nicht normiert“. Der Revisionswerber profitiere insofern von der Anwendung des § 21 Abs. 8 AlVG, als in seinem Fall die höhere „geschützte“ Bemessungsgrundlage von 2016 herangezogen werde. Eine „doppelte“ Begünstigung in der Form, dass diese „geschützte“ Bemessungsgrundlage nicht nur herangezogen, sondern zusätzlich mit den Aufwertungsfaktoren zu vervielfältigen sei, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen.
9 Soweit sich der Revisionswerber auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2000/08/0089, beziehe, sei ihm das „aktuellere Erkenntnis“ vom , 2011/08/0363, entgegenzuhalten, was näher ausgeführt wird.
10 Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts liege der eindeutige Schutzzweck des § 21 Abs. 8 AlVG darin, dass bei einer Person, die das 45. Lebensjahr überschritten habe, gemäß dieser Bestimmung, abweichend von Abs. 1 und 2 leg.cit. das monatliche Bruttoentgelt auch bei weiteren Ansprüchen auf Arbeitslosengeld so lang für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes heranzuziehen sei, bis ein höheres monatliches Bruttoentgelt vorliege (Hinweis auf Sdoutz/Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz, § 21, Rz 477). Dieser „Günstigkeitsvergleich“ diene dem Schutz älterer Personen vor sozialversicherungsrechtlichen Nachteilen bei Aufnahme einer geringer entlohnten Beschäftigung. Die durch den „Günstigkeitsvergleich“ entstehenden Mehrkosten würden „im Sinne des Gesetzgebers und der Judikatur zurecht von der Gemeinschaft (der Arbeitslosenversicherten) getragen“. Eine zusätzlich zu tragende Aufwertung gemäß § 108 Abs. 4 ASVG würde jedoch „einseitig zu Lasten der Gemeinschaft der Arbeitslosenversicherten gehen“, weil der höheren Bemessungsgrundlage keine entsprechenden Beitragsleistungen gegenüberstünden.
11 Wie sich aus § 108a Abs. 2 ASVG ergebe, bestimme sich die Aufwertungszahl zusammengefasst aus Beiträgen der Pflichtversicherten. Auch dies spreche dafür, dass bei Anwendung von § 21 Abs. 8 AlVG keine „Valorisierung“ vorzunehmen sei.
12 Der Verwaltungsgerichtshof habe dies in ähnlichem Zusammenhang bereits angesprochen: So sei die Einbeziehung der Bemessungsgrundlagen, die den Überbrückungshilfen zu Grunde lägen, in den Bemessungsgrundlagenschutz nach dem AlVG nicht möglich, weil dies einseitig zu Lasten der Gemeinschaft der Arbeitslosenversicherten ginge, weil der höheren Bemessungsgrundlage keine entsprechenden Beitragsleistungen gegenüberstünden (Hinweis auf ).
13 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
14 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem das AMS eine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen:
15 Der Revisionswerber begründet die Zulässigkeit der Revision im Sinne von Art. 133 Abs. 4 B-VG wie folgt:
16 Zur Frage, was „das ‚für die Bemessung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes herangezogene monatliche Bruttoentgelt‘ im Sinne des § 21 Abs. 8 AlVG“ sei, liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. Vorliegend habe der für das Jahr 2014 relevante „Verdienst“ des Revisionswerbers monatlich brutto € 5.450,- betragen, 14 Mal pro Jahr. Daraus ergebe sich eine ASVG-Beitragsgrundlage von € 4.530,- monatlich, weil das die damalige Höchstbeitragsgrundlage gewesen sei. Hieraus wiederum habe sich gemäß § 21 Abs. 1 AlVG in Verbindung mit § 108 Abs. 4 ASVG im Jahr 2016 eine „AlVG Bemessungsgrundlage für die Ermittlung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes von € 4.400,-“ ergeben, was gemäß § 21 Abs. 3 AlVG konsequenterweise ebenso die damalige Höchstbemessungsgrundlage gewesen sei. Der Sinn des § 21 Abs. 8 AlVG liege im Werterhalt des Arbeitslosengeldes für Ansprüche nach Erreichen des 45. Lebensjahres, um ältere Arbeitslose auch zur Aufnahme geringer entlohnter Stellen zu motivieren und ihnen die Angst vor neuerlicher Arbeitslosigkeit zu nehmen (Hinweis auf ). Das AMS habe nicht das seinerzeitige Entgelt (und auch nicht die seinerzeitige ASVG Beitragsgrundlage), sondern die „damalige ‚geschützte‘ AlVG-Bemessungsgrundlage für die nunmehrige Festsetzung des Arbeitslosengeldes herangezogen. Diese Vorgangsweise finde weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung Deckung, weil § 21 Abs. 8 AlVG klar normiere, dass es auf das „einst erzielte Bruttoentgelt“ ankomme, nicht auf eine „hieraus einst ermittelte Bemessungsgrundlage“.
17 Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung erblickt die Revision auch darin, dass das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche. Dieser habe im Erkenntnis vom , 2000/08/0089, ausgeführt, dass dem Wortlaut des § 21 Abs. 8 AlVG nicht zu entnehmen sei, dass diese Bestimmung nur der Erhaltung einer bestimmten Lohnklasse diene, sondern dass für den Anspruch auf Arbeitslosengeld das für den früheren Anspruch „herangezogene Entgelt“ so lang heranzuziehen sei, bis sich ein höheres maßgebliches Entgelt ergebe. Dafür, dass bloß die Höhe des früheren Arbeitslosengeldes gewahrt bleibe oder eine frühere Lohnklasse heranzuziehen sei, finde sich in dieser Bestimmung kein Hinweis.
18 Im Übrigen sei die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes uneinheitlich. Während der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis vom aufgrund einer „Tiefenbefassung“ mit der Rechtslage und dem Willen des Gesetzgebers zu einer „nachvollziehbaren Begründung einer Bejahung der Aufwertung“ auch im Anwendungsbereich des § 21 Abs. 8 AlVG gelangt sei, habe er in dem von der belangten Behörde und vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnis vom , 2011/08/0363, betreffend einen „komplizierteren, anders gelagerten“ Sachverhalt „lapidar in einem Nebensatz ausgesprochen“, dass im Übrigen „der eindeutige Wortlaut des § 21 Abs. 8 AlVG für eine Aufwertung keinen Raum“ biete. Diese Entscheidung sei jedoch vereinzelt geblieben und ein „entsprechender Rechtssatz“ sei nicht auffindbar. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes „zur Frage der Aufwertung gemäß § 21 Abs. 1 iVm. § 108 Abs. 4 ASVG im Anwendungsbereich des § 21 Abs. 8 AlVG“ sei daher uneinheitlich.
19 Die Revision ist im Hinblick auf die Rechtsfrage des heranzuziehenden monatlichen Bruttoentgelts für die Bemessung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes bei Anwendung des § 21 Abs. 8 AlVG zur Klärung der Rechtslage zulässig. Sie ist auch begründet.
20 § 21 AlVG, BGBl. Nr. 609/1977, in der Fassung BGBl. I Nr. 100/2018, hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
„Bemessung des Arbeitslosengeldes
§ 21. (1) Für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes ist das Entgelt der letzten zwölf zum Zeitpunkt der Geltendmachung nach Ablauf der Berichtigungsfrist gemäß § 34 Abs. 4 ASVG liegenden Kalendermonate aus den beim Dachverband der Sozialversicherungsträger (Dachverband) gespeicherten Beitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem laufenden Entgelt, mangels solcher aus anderen gespeicherten Beitragsgrundlagen heranzuziehen. Monatliche Beitragsgrundlagen, die bezogen auf den Zeitpunkt der Geltendmachung aus dem vorvorigen oder einem noch früheren Kalenderjahr stammen, sind mit den Aufwertungsfaktoren gemäß § 108 Abs. 4 ASVG der betreffenden Jahre aufzuwerten. Sonderzahlungen im Sinne der gesetzlichen Sozialversicherung (§ 49 ASVG) sind pauschal durch Hinzurechnung eines Sechstels zu den jeweiligen Beitragsgrundlagen aus laufendem Entgelt zu berücksichtigen. Durch Teilung des Entgelts der gesamten Beitragsgrundlagen (einschließlich Sonderzahlungen) durch zwölf ergibt sich das monatliche Bruttoeinkommen. Beitragsgrundlagen, die Zeiten einer gemäß § 1 Abs. 2 lit. e von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausgenommenen krankenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit enthalten, gelten als Beitragsgrundlagen aus arbeitslosenversicherungspflichtigem Entgelt. Für Personen, die gemäß § 3 versichert waren, sind die entsprechenden Beitragsgrundlagen in der Arbeitslosenversicherung heranzuziehen.
...
(2) Liegen zum Zeitpunkt der Geltendmachung weniger als zwölf nach Ablauf der Berichtigungsfrist gemäß § 34 Abs. 4 ASVG liegende Kalendermonate, jedoch mindestens sechs derartige Kalendermonate vor, so ist für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes das Entgelt dieser Kalendermonate heranzuziehen und durch die Anzahl der Kalendermonate zu teilen. Liegen Beitragsgrundlagen für weniger als sechs derartige Kalendermonate vor, so ist für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes das Entgelt der vorliegenden Kalendermonate heranzuziehen und durch die Anzahl der Kalendermonate zu teilen. Im Übrigen ist Abs. 1 entsprechend anzuwenden. Abs. 1 letzter Satz ist nicht anzuwenden, wenn andernfalls keine Beitragsgrundlagen für eine Bemessung herangezogen werden könnten. Liegen ausschließlich Teile von Kalendermonaten vor, für die eine Beitragsgrundlage gespeichert ist, so ist das (gegebenenfalls aufgewertete) laufende Entgelt in diesen bis zu zwölf letzten Kalendermonaten durch die Zahl der Versicherungstage mit laufendem Entgelt zu teilen und mit 30 zu vervielfachen sowie die sich ergebende Summe um ein Sechstel zu erhöhen.
...
(3) Als Grundbetrag des Arbeitslosengeldes gebühren täglich 55 vH des täglichen Nettoeinkommens, kaufmännisch gerundet auf einen Cent. Zur Ermittlung des täglichen Nettoeinkommens ist das nach Abs. 1 oder Abs. 2 ermittelte monatliche Bruttoeinkommen um die zum Zeitpunkt der Geltendmachung für einen alleinstehenden Angestellten maßgeblichen sozialen Abgaben und die maßgebliche Einkommensteuer unter Berücksichtigung der ohne Antrag gebührenden Freibeträge zu vermindern und sodann mit zwölf zu vervielfachen und durch 365 zu teilen. Das monatliche Einkommen ist nur bis zu der drei Jahre vor der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes für den Arbeitslosenversicherungsbeitrag maßgeblichen Höchstbeitragsgrundlage (§ 2 Abs. 1 AMPFG) zu berücksichtigen.
(4) Das tägliche Arbeitslosengeld gebührt einschließlich eines allenfalls erforderlichen Ergänzungsbetrages mindestens in der Höhe eines Dreißigstels des Betrages, der dem Richtsatz gemäß § 293 Abs. 1 lit. a lit. bb ASVG entspricht, soweit dadurch die Obergrenzen gemäß Abs. 5 nicht überschritten werden, kaufmännisch gerundet auf einen Cent.
(5) Das tägliche Arbeitslosengeld gebührt Arbeitslosen mit Anspruch auf Familienzuschläge höchstens in der Höhe von 80 vH des täglichen Nettoeinkommens, kaufmännisch gerundet auf einen Cent. Das tägliche Arbeitslosengeld gebührt Arbeitslosen ohne Anspruch auf Familienzuschläge höchstens in der Höhe von 60 vH des täglichen Nettoeinkommens, kaufmännisch gerundet auf einen Cent.
...
(8) Hat ein Arbeitsloser das 45. Lebensjahr vollendet, so ist abweichend von Abs. 1 ein für die Bemessung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes herangezogenes monatliches Bruttoentgelt auch bei weiteren Ansprüchen auf Arbeitslosengeld so lange für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes heranzuziehen, bis ein höheres monatliches Bruttoentgelt vorliegt.“
21 Strittig ist, ob, bei der Anwendung von § 21 Abs. 8 AlVG das bereits einmal für die Bemessung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes herangezogene, auch bei weiteren Ansprüchen auf Arbeitslosengeld heranzuziehende monatliche Bruttoentgelt einer Valorisierung mit den Aufwertungsfaktoren gemäß § 108 Abs. 4 ASVG der/des betreffenden Jahre/s zu unterziehen ist.
22 Weder das zur Untermauerung der von der Revision vertretenen These ins Treffen geführte () noch das vom Bundesverwaltungsgericht zur Begründung der gegenteiligen Ansicht herangezogene Erkenntnis () ist zur aktuell geltenden Fassung des § 21 AlVG ergangen. Vielmehr lagen diesen Entscheidungen zwei jeweils unterschiedliche, nicht mehr aktuelle Rechtslagen zugrunde, sodass weder eine uneinheitliche Rechtsprechung gegeben ist noch einer der beiden Auslegungsansätze ohne Weiteres auf den vorliegenden Fall zu übertragen ist.
23 § 21 Abs. 1 AlVG trifft zum einen (im ersten Satz) eine Anordnung zu dem Zeitraum, hinsichtlich dessen die beim Dachverband der Sozialversicherungsträger gespeicherten Beitragsgrundlagen zur Bemessung des Arbeitslosengeldes maßgeblich sind (nämlich in der Regel jenen der „letzten zwölf ... Kalendermonate“) und zum anderen (im zweiten Satz) Regelungen über die Aufwertung solcher Beitragsgrundlagen, wenn sie „aus dem vorvorigen oder einem noch früheren Kalenderjahr“ stammen, sowie darüber hinaus (im dritten bis sechsten Satz) noch weitere Vorschriften.
24 Die Anordnung des § 21 Abs. 8 AlVG, wonach zur Bemessung des Arbeitslosengeldes älterer Arbeitsloser „abweichend von Abs. 1 ein für die Bemessung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes herangezogenes monatliches Bruttoentgelt auch bei weiteren Ansprüchen auf Arbeitslosengeld so lange für die Festsetzung des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes heranzuziehen [ist], bis ein höheres monatliches Bruttoentgelt vorliegt“, trifft materiell nur hinsichtlich der ersterwähnten Anordnung des § 21 Abs. 1 AlVG eine abweichende Regelung. Folglich lässt diese Regelung die sonstigen in § 21 Abs. 1 AlVG enthaltenen Anordnungen unberührt.
25 Daraus folgt, dass - entgegen der im angefochtenen Erkenntnis vertretenen Ansicht - die Beitragsgrundlagen, die bei der Zuerkennung von Arbeitslosengeld an den Revisionswerber im Jahr 2016 für die Bemessung dieses Arbeitslosengeldes herangezogen wurden, und gemäß § 21 Abs. 8 AlVG (abweichend von der nach Abs. 1 erster Satz gebotenen Heranziehung der Beitragsgrundlagen der letzten zwölf Monate) aufgrund eines Günstigkeitsvergleichs gegebenenfalls weiter heranzuziehen sind, gemäß § 21 Abs. 1 zweiter Satz AlVG aufzuwerten sind.
26 Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht die Rechtslage insofern unzutreffend ausgelegt, als es bei der Anwendung des § 21 Abs. 8 AlVG als „geschütztes“ (und nach der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auslegung des § 21 Abs. 8 AlVG nicht gemäß § 108 Abs. 4 ASVG aufzuwertendes) monatliches Bruttoentgelt den Betrag von € 4.440,- veranschlagt hat, bei dem es sich aber nicht um das bei der Zuerkennung von Arbeitslosengeld an den Revisionswerber im Jahr 2016 „herangezogene monatliche Bruttoentgelt“ gemäß § 21 Abs. 1 AlVG handelt (sohin um keinen „abweichend von Abs. 1“ ermittelten Betrag), sondern um das anhand der damaligen Berechnung des Grundbetrags nach Abs. 3 leg.cit. „berücksichtige“ Bruttoeinkommen (dh. jenes, welches erst im Wege der Deckelung durch die in Abs. 3 leg.cit. normierte Höchstgrenze gemäß dem damals für das Jahr 2013 maßgeblichen Wert von € 4.440,- errechnet wurde). Aus dem Wortlaut und der Genese des - auf die Novelle BGBl. Nr. 179/1999 zurückgehenden - § 21 Abs. 8 AlVG (vgl. den der zitierten Novelle zugrunde liegenden IA 1145/A 20. GP) ergibt sich klar, dass diese Regelung auf die Wahrung der auf einer früher erzielten höheren Beitragsgrundlage beruhenden Ansprüche abzielt. Dass die Regelung dabei grundsätzlich auf das Entgelt selbst (und nicht die bei der früheren Anspruchsberechnung durch die in § 21 Abs. 3 AlVG normierte Deckelung errechnete Summe) abstellt, ergibt sich zum einen bereits aus der Wendung „abweichend von Abs. 1“ sowie daraus, dass die Regelung beim „monatlichen Bruttoentgelt“ ansetzt, welches - der Sache nach - Gegenstand der Regelung des § 21 Abs. 1 AlVG ist. Auf der Ebene des nach Abs. 1 leg.cit. zu ermittelnden Betrags kommt die (in Abs. 3 normierte) Deckelung noch gar nicht in Betracht. Erst daran anknüpfend (sohin in einem zweiten Schritt) erfolgt die konkrete Berechnung des „Grundbetrags des Arbeitslosengelds“ gemäß § 21 Abs. 3 AlVG. Nach ihrem Wortlaut knüpft diese Bestimmung an das „nach Abs. 1 oder Abs. 2 ermittelte monatliche Bruttoeinkommen“ bloß an. Soweit daher gemäß § 21 Abs. 8 AlVG für einen älteren Arbeitslosen ein von den allgemeinen Bestimmungen des Abs. 1 „abweichend“ ermittelter Betrag in Frage kommt, wird dadurch Abweichendes auf der - einer Berechnung nach Abs. 3 vorgelagerten - Stufe der Ermittlung gemäß dem Abs. 1 des § 21 AlVG geregelt. Auch der Wortlaut des § 21 Abs. 3 AlVG spricht (in Zusammenschau mit der Terminologie des § 21 Abs. 8 AlVG) für diese Deutung, zumal nach diesem Wortlaut bei der Berechnung des Grundbetrags das (gemäß Abs. 1 ermittelte) Bruttoeinkommen „herangezogen“ wird, während der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Anwendung der Deckelungsregelung des § 21 Abs. 3 letzter Satz das Verb „berücksichtigen“ verwendet. Die Wahrungsbestimmung des § 21 Abs. 8 AlVG regelt sohin den Schutz eines früheren höheren Einkommens in der Weise, dass sie ausdrücklich auf das für die Bemessung des Grundbetrags „herangezogene“ (nicht aber auf das nach der Deckelungsregelung davon höchstens „berücksichtigte“) Bruttoentgelt Bezug nimmt.
27 Das angefochtene Erkenntnis war daher aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
28 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Schlagworte | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022080067.L00 |
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TAAAF-45931