VwGH 20.12.2023, Ra 2022/08/0032
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | AVG §18 Abs4 E-GovG 2004 §19 |
RS 1 | Gemäß § 18 Abs. 4 zweiter Satz AVG müssen Ausfertigungen in Form von elektronischen Dokumenten mit einer Amtssignatur versehen sein; Ausfertigungen in Form von Ausdrucken von mit einer Amtssignatur versehenen elektronischen Dokumenten oder von Kopien solcher Ausdrucke brauchen keine weiteren Voraussetzungen erfüllen. Solche Ausfertigungen brauchen daher keine über die Amtssignatur im Sinn des § 19 E-GovG hinausgehenden Daten aufweisen; eine Fertigungsklausel und insbesondere den Namen des Genehmigenden brauchen solche Ausfertigungen nicht aufweisen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2019/16/0140 E RS 1 |
Normen | |
RS 2 | Für die Geltendmachung einer Haftung des Geschäftsführers gem § 67 Abs 10 ASVG wegen eines Meldeverstoßes ist zunächst von der Behörde festzustellen, welche Umstände zu welchem Zeitpunkt iSd §§ 33 ff ASVG hätten gemeldet werden müssen und dass diese Meldungen unterblieben sind. Erst wenn dies feststeht, liegt es beim Meldepflichtigen darzutun, dass ihn aus bestimmten Gründen kein Verschulden an der Unterlassung der Meldungen trifft. Das für eine solche Haftung erforderliche Verschulden kann dem Geschäftsführer erst dann und nur insoweit angelastet werden, als er demnach verpflichtet gewesen wäre, bestimmte konkret zu bezeichnende Meldungen zu erstatten, und das Wissen um diese Meldepflicht entweder als vom Grundwissen des Geschäftsführers einer GmbH umfasst anzusehen oder das Nichtwissen von ihm zu vertreten wäre (Hinweise E , 2001/08/0069, und E , 2002/08/0145). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2001/08/0126 E RS 1 (hier unter zusätzlicher Bezugnahme auf das VwG) |
Normen | |
RS 3 | Durch das Nichtbestreiten einer Forderung durch den Gemeinschuldner im Insolvenzverfahren erhält die konkursinterne Forderungsfeststellung auch konkursexterne Wirkungen nach §§ 60 f IO; der Gläubiger erhält ein Entscheidungssurrogat über seine Forderung (vgl. näher , mwN). Diese Wirkung bezieht sich auf die Beziehung zwischen den Personen, die von der Wirkung der Eintragung erfasst werden, also auf den Schuldner und die Konkursgläubiger (vgl. ; RIS-Justiz RS0041131 [T 7], RS0064720 [T 7]). |
Normen | |
RS 4 | Bei der ÖGK handelt es sich nach § 32 Abs. 1 ASVG um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die selbst Rechtspersönlichkeit hat. Sie ist als Selbstverwaltungskörper organisiert; ihre Tätigkeit (Vollzug der Sozialversicherungsgesetze) wird als Selbstverwaltung angesehen (vgl. , mwN). Davon ausgehend ist die ÖGK - und nicht der Bund - Rechtsträger im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG. (hier: Ein Kostenersatz käme nur durch sie in Betracht. Der auf Zuerkennung von Aufwandersatz durch den Bund gerichtete Antrag des Revisionswerbers war daher abzuweisen [vgl. , mwN)].) |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des Dr. J S in W, vertreten durch Mag. Thomas Reisch, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dominikanerbastei 17/7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W156 2242378-1/15E, betreffend Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse, Landesstelle Burgenland), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Kostenersatzbegehren des Revisionswerbers wird abgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber war von Mai bis Dezember 2015 Geschäftsführer der P GmbH. Über das Vermögen dieses Unternehmens wurde am das Konkursverfahren eröffnet. Im Jänner 2019 wurde der Konkurs nach der Schlussverteilung geschlossen. Die P GmbH wurde wegen Vermögenslosigkeit gemäß § 40 FBG gelöscht.
2 Mit Bescheid vom verpflichtete die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 10 ASVG, Beitragsschulden der P GmbH aus dem Zeitraum von Mai bis Dezember 2015 samt Nebengebühren von € 59.833,80 zuzüglich Verzugszinsen ab von 3,38 % p.a. aus € 51.614,08 zu bezahlen. Die Begründung der ÖGK erschöpfte sich darin auszuführen, die insolvente P GmbH schulde „aus den Beiträgen Mai 2015 bis inklusive Dezember 2015 und Meldeverstößen € 105.014,34“, wobei der Versuch der Einbringung nicht erfolgreich gewesen sowie nun nicht mehr möglich sei. Vertreter juristischer Personen treffe eine Haftung für die Beiträge, soweit diese infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht hereingebracht werden könnten.
3 In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde beantragte der Revisionswerber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und brachte insbesondere vor, die Höhe des zur Haftung vorgeschriebenen Betrages sei nicht nachvollziehbar. Die Forderung sei aber auch dem Grunde nach nicht berechtigt. Die rückständigen Beiträge hätten ihre Grundlage (nach den dem Revisionswerber vorliegenden Informationen) in einer veränderten kollektivvertraglichen Einstufung der für die P GmbH tätigen Arbeiter. Die Arbeiterkammer habe insoweit im Jahr 2015 Forderungen erhoben, denen die P GmbH entgegengetreten sei. Im Zuge des Insolvenzverfahrens habe die Masseverwalterin diese Forderungen - offenbar ohne jegliche weitere Überprüfung - anerkannt. Eine schuldhafte Verletzung von Meldepflichten könne dem Revisionswerber insoweit nicht vorgeworfen werden.
4 Mit der Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erstattete die ÖGK in Entgegnung der Ausführungen in der Beschwerde eine Stellungnahme, in der sie darauf verwies, dass eine sich aufgrund von Verstößen gegen Meldevorschriften ergebende Haftung eines Vertreters einer juristischen Person nicht dadurch aufgehoben werde, dass die Höhe der Beiträge erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens festgestellt würde. Zur Höhe der Beiträge der Beschäftigten der P GmbH sei kein Bescheid ergangen, weil dies von der Masseverwalterin im Insolvenzverfahren nicht verlangt worden sei. Hinsichtlich des Vorliegens der dem Revisionswerber vorzuwerfenden Meldeverstöße sei auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den die Vertreter juristischer Personen treffenden Erkundigungspflichten zu verweisen.
5 Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Revisionswerber die Stellungnahme der ÖGK und trug ihm auf, Unterlagen vorzulegen, durch die belegt werde, dass „auch bei korrekter Meldung die Sozialversicherungsbeiträge uneinbringlich gewesen wären“ bzw. anzugeben, aus welchen Gründen ihn an „der nicht rechtzeitigen Entrichtung“ kein Verschulden treffe.
6 Der Revisionswerber brachte darauf vor, für sämtliche Dienstnehmer seien die laufenden Sozialversicherungsbeiträge im maßgeblichen Zeitraum von Mai bis Dezember 2015 ordnungsgemäß entrichtet worden. Erst im Zuge des Insolvenzverfahrens sei - ohne dass der Revisionswerber damit befasst worden sei - zu Unrecht festgestellt worden, dass der Kollektivvertrag für Handelsarbeiter anwendbar gewesen wäre. Ihn treffe insoweit kein Verschulden an einer unterbliebenen Meldung, wobei auch nicht einsichtig sei, welche Unterlagen dazu noch von ihm vorzulegen wären. Die sich aufgrund der anderen kollektivvertraglichen Einstufung ergebenden Beiträge wären aber ohnehin bei der P GmbH nicht mehr einbringlich gewesen. Im Weiteren wandte er nunmehr ein, dass es sich bei dem Haftungsbescheid vom um einen Nicht-Bescheid gehandelt habe, weil daraus die den Bescheid genehmigende Person nicht hervorgehe.
7 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
8 Das Bundesverwaltungsgericht stellte nach Wiedergabe des Verfahrensganges fest, im Rahmen einer gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben (GPLA) bei der P GmbH seien „Meldeverstöße aufgrund unrichtiger kollektivvertraglicher Einstufungen“ von Dienstnehmerinnen und Dienstnehmern festgestellt worden. Es seien „Beitragsanteile in Höhe von gesamt € 59.833,80 zuzüglich Verzugszinsen ab dem in der gesetzlichen Höhe ausgehend von einem Betrag von 51.614,08 Euro ausstehend“. Die offenen Beiträge setzten sich aus für das Jahr 2015 offenen Dienstnehmeranteilen (offensichtlich gemeint: auf Dienstnehmer der P GmbH entfallende Beitragsanteile zur gesetzlichen Sozialversicherung) zusammen, die sich abzüglich IEF-Zahlungen (offensichtlich gemeint: Zahlungen der IEF Service GmbH) und der im Insolvenzverfahren aufgrund einer Verteilungsquote von 1,48851% geleisteten Zahlungen im Mai auf € 363,33, im Juni auf € 722,26, im Juli auf € 678,74, im August auf € 522,33, im September auf € 335,30, im Oktober auf € 249,16, im November auf € 282,25 und im Dezember auf € 165,63 beliefen. Dazu hätten sich „Meldeverstöße in Höhe von € 57.695,04“ durch IEF-Zahlungen und Quotenzahlungen auf einen „Betrag“ von € 48.259,08 verringert. Die Masseverwalterin habe im Insolvenzverfahren Forderungen der ÖGK von € 167.493,26 anerkannt, worin auch die „hier gegenständlichen Nachverrechnungen“ beinhaltet gewesen seien.
9 Vom Revisionswerber seien keine Unterlagen vorgelegt worden, aus denen ersichtlich sei, dass von Mai bis Dezember 2015 „überhaupt keine liquiden Mittel mehr vorhanden“ gewesen oder die Forderungen des Sozialversicherungsträgers und anderer Gläubiger von der P GmbH gleich behandelt worden wären. Es könne daher nicht festgestellt werden, dass schon vor der Konkurseröffnung eine allgemeine Zahlungseinstellung stattgefunden hätte. Auch „Nachweise, dass der [Revisionswerber] Meldeverstöße nicht zu verantworten“ gehabt hätte, seien nicht beigebracht worden.
10 Im Zuge seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, die Ausfertigung des Bescheides der ÖGK vom sei im Sinn des § 18 Abs. 4 AVG mit einer - den formalen Voraussetzungen entsprechenden - Amtssignatur versehen. Der Bescheid sei von einer Sachbearbeiterin vorbereitet und durch den zuständigen (approbationsbefugten) Abteilungsleiter genehmigt worden. Es treffe daher nicht zu, dass es sich um einen Nicht-Bescheid gehandelt hätte.
11 Die festgestellten offenen Forderungen seien vom Revisionswerber „nicht substantiiert bestritten“ worden. Im Insolvenzverfahren der P GmbH seien die von der ÖGK angemeldeten Forderungen - soweit ersichtlich - auch nicht bestritten worden. Damit seien die Forderungen als festgestellt anzusehen, wobei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Hinweis auf ) im Sinn von § 60 Abs. 2 IO aus der Feststellung der Forderung im Konkurs durch das Nichtbestreiten durch den Gemeinschuldner auch konkursexterne Wirkungen abzuleiten seien, die im Wesentlichen einer rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheidung über diese Forderung entsprächen.
12 Eine schuldhafte Pflichtverletzung, die eine Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG begründe, sei schon dann zu bejahen, wenn der Vertreter keine Gründe dafür anzugeben vermöge, dass ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung, für die Entrichtung der Beiträge zu sorgen, unmöglich gewesen wäre. Zu den einem Geschäftsführer einer GmbH auferlegten Pflichten gehörten insbesondere Melde- und Auskunftspflichten sowie die Verpflichtung zur Abfuhr von einbehaltenen Dienstnehmerbeiträgen. Im vorliegenden Fall seien die aushaftenden Beitragsschulden uneinbringlich und stünden der Höhe nach fest. Die Meldeverstöße seien im Rahmen einer „Insolvenzprüfung“ festgestellt worden. Die „Nichtmeldung der Sozialversicherungsbeiträge“ durch den Revisionswerber sei rechtswidrig gewesen. Es gehöre zum Grundwissen eines Geschäftsführers, die gebührenden Entgelte festzustellen und dem Sozialversicherungsträger zu melden. Den Revisionswerber habe eine Behauptungs- und Beweislast dafür getroffen, dass ihn kein Verschulden treffe. Er habe keine Beweismittel vorgelegt, aufgrund derer eine Beurteilung möglich sei, „ob er als Geschäftsführer gegen die ihm auferlegten Pflichten verstoßen“ habe. Dazu sei darauf hinzuweisen, dass einen Meldepflichtigen, der nicht über alle zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen notwendigen Kenntnisse verfüge, eine Erkundigungspflicht treffe, in deren Rahmen er gehalten sei, sich über die Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung bei der Behörde bzw. bei einer zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Person oder Stelle Gewissheit zu verschaffen. Der Revisionswerber habe aber nicht dargelegt, dass er sich mit allen für die richtige kollektivvertragliche Einstufung der Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer maßgeblichen Umständen auseinandergesetzt habe. Es sei daher von seiner Haftung auszugehen.
13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
14 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof hat die ÖGK eine Revisionsbeantwortung eingebracht, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragte.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
16 Die Revision macht unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit zunächst geltend, die Ausfertigung des Bescheides der ÖGK vom enthalte keinen Hinweis auf den Namen des Genehmigenden und keine Unterschrift. Die auf dem Bescheid ersichtliche Bildmarke werde unter der am Bescheid zur Amtssignatur angegebenen Internetadresse (www.sozialversicherung.at/amtssignatur) nicht wiedergegeben. Es liege daher kein wirksamer Bescheid vor.
17 Gemäß § 19 Abs. 3 erster Satz E-Government-Gesetz (E-GovG) ist die Amtssignatur im Dokument durch eine Bildmarke, die der Verantwortliche des öffentlichen Bereichs im Internet als die seine gesichert veröffentlicht hat, sowie durch einen Hinweis im Dokument, dass dieses amtssigniert wurde, darzustellen.
18 Die Ausfertigung des Bescheides der ÖGK vom enthält unstrittig neben dem Hinweis, dass der Bescheid amtssigniert wurde, die Bildmarke der ÖGK. Die Bildmarke stimmt mit der überein, die von der ÖGK am in den amtlichen Verlautbarungen der österreichischen Sozialversicherung (avsv Nr. 34/2004) veröffentlicht wurde. Die Verlautbarung ist im Internet - nämlich im Rechtsinformationssystem des Bundes (www.ris.bka.gv.at/Avsv/) - abrufbar. Der Pflicht zur Veröffentlichung der Bildmarke nach 19 Abs. 3 erster Satz E-GovG wurde daher Genüge getan.
19 Davon ausgehend entspricht die Ausfertigung des Bescheides aber § 18 Abs. 4 zweiter Satz AVG. Nach dieser Bestimmung müssen Ausfertigungen in Form von elektronischen Dokumenten mit einer Amtssignatur versehen sein; Ausfertigungen in Form von Ausdrucken von mit einer Amtssignatur versehenen elektronischen Dokumenten oder von Kopien solcher Ausdrucke brauchen keine weiteren Voraussetzungen erfüllen. Der Verwaltungsgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass solche Ausfertigungen daher keine über die Amtssignatur im Sinn des § 19 E-GovG hinausgehenden Daten enthalten müssen; eine Fertigungsklausel und insbesondere den Namen des Genehmigenden müssen solche Ausfertigungen nicht aufweisen (vgl. , mwN).
20 Im Weiteren macht die Revision unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit insbesondere eine Verletzung von Begründungspflichten durch das Bundesverwaltungsgericht und eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht der Verwaltungsgerichte geltend.
21 Insoweit erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.
22 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an Form und Inhalt eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses erfordert die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gemäß § 29 VwGVG (iVm. §§ 58 und 60 AVG) in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt - wobei die bloße Zitierung von Beweisergebnissen (etwa von Zeugenaussagen) nicht hinreichend ist -, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche es im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Erkenntnisses geführt haben. Die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen sohin erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung und drittens in der rechtlichen Beurteilung (vgl. etwa ; , Ra 2021/08/0010; jeweils mwN).
23 Das Verwaltungsgericht hat neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. nochmals etwa VwGH Ra 2020/08/0170, mwN).
24 Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht. Der Revision ist insoweit zunächst zuzustimmen, dass - auch vor dem Hintergrund der ausdrücklichen Bestreitung durch den Revisionswerber - eine eindeutige und nachvollziehbare Darstellung der Beiträge zur Sozialversicherung - ihrer Art und ihrer Höhe nach -, hinsichtlich derer der Revisionswerber zur Haftung herangezogen werden soll, sowie der vorgeschriebenen Verzugszinsen fehlt (vgl. zu einer diesen Anforderungen entsprechenden Darstellung etwa ).
25 Auch hinsichtlich der Gründe, aus denen die Haftung des Revisionswerbers nach § 67 Abs. 10 ASVG abgeleitet wird, bleiben die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes undeutlich und lassen aus den im Folgenden dargelegten Gründen eine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Revisionswerbers vermissen:
26 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Revisionswerber vorgebracht hat, die laufenden Sozialversicherungsbeiträge für die Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer der P GmbH seien - ausgehend von der Höhe der Entgelte nach der angenommenen dienst- und kollektivvertraglichen Einstufung - während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer von Mai bis Dezember 2015 vollständig beglichen worden. Die Diskrepanz zu den offenen Beiträgen ergebe sich lediglich daraus, dass im Zuge des Insolvenzverfahrens eine andere kollektivvertragliche Einstufung der Beschäftigten angenommen worden sei.
27 Ob dies zutrifft und die offenen Beiträge tatsächlich zur Gänze - oder allenfalls zu einem bestimmten Teil - ihren Grund in einer anderen kollektivvertraglichen Einstufung haben, wird im angefochtenen Erkenntnis - wie auch im Bescheid der ÖGK vom - nicht ausdrücklich offengelegt. Das Bundesverwaltungsgericht ist aber erkennbar von einem solchen Grund der offenen Beiträge ausgegangen, soweit es festgestellt hat, bei einer GPLA der P GmbH seien „Meldeverstöße aufgrund unrichtiger kollektivvertraglicher Einstufungen“ von Dienstnehmerinnen und Dienstnehmern festgestellt worden. Im Zuge der rechtlichen Beurteilung hat das Bundesverwaltungsgericht dem Revisionswerber Meldeverstöße vorgeworfen und ihm insoweit nach einem allgemeinen Zitat von Rechtssätzen zu Erkundigungspflichten von Meldepflichtigen vorgehalten, er habe nicht dargelegt, dass er sich „mit allen Momenten der ordnungsgemäßen richtigen kollektivvertraglichen Einstufung“ auseinandergesetzt und „diesbezügliche Ermittlungen getätigt“ hätte.
28 In einer im Akt befindlichen Niederschrift vom der - unter Teilnahme der Masseverwalterin im Insolvenzverfahren durchgeführten - Schlussbesprechung der GPLA wurde in Übereinstimmung damit festgehalten, dass eine Neuberechnung der Beiträge der Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer der P GmbH ausgehend davon durchzuführen sei, dass die im Betrieb beschäftigten Arbeiter als landwirtschaftliche Hilfsarbeiter entlohnt worden seien, tatsächlich aber der Kollektivvertrag für Handelsarbeiter anzuwenden gewesen wäre.
29 Es trifft zu, dass zu den den Vertretern juristischer Personen auferlegten Pflichten, deren schuldhafte Verletzung zu einer Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG führen kann, insbesondere die Meldepflichten nach dem ASVG gehören (vgl. etwa , mwN). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Geltendmachung der Haftung eines Vertreters gemäß § 67 Abs. 10 ASVG wegen eines Meldeverstoßes allerdings zunächst von der Behörde bzw. im Beschwerdeverfahren vom Verwaltungsgericht festzustellen, welche Umstände zu welchem Zeitpunkt im Sinn der §§ 33 ff ASVG hätten gemeldet werden müssen und dass diese Meldungen unterblieben sind. Wenn dies feststeht, liegt es beim Meldepflichtigen darzutun, dass ihn aus bestimmten Gründen kein Verschulden an der Unterlassung der Meldung trifft. Das für eine solche Haftung erforderliche Verschulden kann dem Vertreter erst dann und nur insoweit angelastet werden, als er verpflichtet gewesen wäre, bestimmte konkret zu bezeichnende Meldungen zu erstatten, und das Wissen um die Meldepflicht als von seinem Grundwissen umfasst anzusehen oder das Nichtwissen von ihm zu vertreten wäre (vgl. etwa , mwN).
30 Im vorliegenden Fall käme vor dem dargestellten Hintergrund als Grund für die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG somit in Betracht, dass von der P GmbH in schuldhafter Verletzung der den Revisionswerber als Geschäftsführer der P GmbH treffenden Verpflichtungen nach §§ 33 ff ASVG die Beschäftigten mit Entgelten angemeldet wurden, die unter denen lagen, auf die sie nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag Anspruch gehabt hätten, und daher auch zu geringe Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt wurden. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch Feststellungen, die im Sinn der dargestellten Rechtsprechung die Beurteilung des Bestehens der Haftung ermöglichen, nicht getroffen. Dabei ist zu beachten, dass der Revisionswerber nicht nur der Annahme, es treffe ihn an einer unrichtigen Meldung ein Verschulden, entgegengetreten ist, sondern auch ausdrücklich bestritten hat, dass die kollektivvertragliche Einstufung der Beschäftigten der P GmbH überhaupt unrichtig gewesen wäre und er insoweit eine Meldepflicht verletzt hätte.
31 Ein Bescheid hinsichtlich der Höhe der gegenständlichen Beiträge der Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer der P GmbH wurde unstrittig nicht erlassen. Es trifft zu, dass durch das Nichtbestreiten einer Forderung durch den Gemeinschuldner im Insolvenzverfahren die konkursinterne Forderungsfeststellung auch konkursexterne Wirkungen nach §§ 60 f IO erhält; der Gläubiger erhält ein Entscheidungssurrogat über seine Forderung (vgl. näher , mwN). Diese Wirkung bezieht sich auf die Beziehung zwischen den Personen, die von der Wirkung der Eintragung erfasst werden, also auf den Schuldner und die Konkursgläubiger (vgl. ; RIS-Justiz RS0041131 [T 7], RS0064720 [T 7]); hier also die ÖGK und die P GmbH. Sollte das Bundesverwaltungsgericht - wie allerdings ohnehin auch nicht eindeutig ausgeführt wurde - davon ausgegangen sein, dass aus diesem Grund auch bereits das Vorliegen einer Verletzung der Meldepflichten durch den Revisionswerber feststünde, trifft dies jedenfalls nicht zu.
32 Um im Sinn der Rechtsprechung darzustellen, welche Umstände zu welchem Zeitpunkt im Sinn der §§ 33 ff ASVG gemeldet hätten werden müssen bzw. ob der Revisionswerber tatsächlich - entgegen seiner Bestreitung -schuldhaft die ihn als Geschäftsführer treffenden Meldepflichten verletzt hat, wären daher in einem ersten Schritt Feststellungen zu treffen gewesen, die eine Beurteilung erlauben, welcher Kollektivvertrag im Sinn der §§ 8 ff ArbVG für den Betrieb der P GmbH zur Anwendung kam bzw. ob die kollektivvertragliche Einstufung der Beschäftigten tatsächlich unrichtig erfolgte. Dazu wären aufgrund eines vom Bundesverwaltungsgericht auch amtswegig - etwa durch Beischaffung der Ergebnisse der GPLA zur P GmbH sowie Einvernahme von Zeugen und Parteien bzw. sonstige Urkunden - durchzuführenden Beweisverfahrens insbesondere Feststellungen zum Betrieb der P GmbH und zur Tätigkeit der Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer dieses Unternehmens im verfahrensgegenständlichen Zeitraum zu treffen und aufgrund dieser Feststellungen die rechtliche Beurteilung der kollektivvertraglichen Einstufung und damit der Entgelte, auf die ein Anspruch bestand, vorzunehmen gewesen. Für den Fall einer sich ergebenden Verletzung der Meldepflichten wäre in einem weiteren Schritt im Sinn der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa , mwN) zu beurteilen gewesen, ob den Revisionswerber ein Verschulden am Meldeverstoß getroffen hat (vgl. insoweit zu den Voraussetzungen der Haftung in Folge unrichtiger Einstufung von Beschäftigten auch ).
33 Ausgehend davon ist die Revision ebenso damit im Recht, dass das Verwaltungsgericht in der vorliegenden - „civil rights“ im Sinn des Art. 6 Abs. 1 EMRK betreffenden (vgl. , mwN) - Rechtssache unter Beachtung des insoweit gestellten Antrages des Revisionswerbers nach § 24 Abs. 4 VwGVG nicht von einer Verhandlung hätte absehen dürfen. Insoweit ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach es im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts gehört, dem auch in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer - bei der Geltendmachung von „civil rights“ in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden - mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa , mwN).
34 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
35 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte im Revisionsverfahren gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
36 Gemäß § 47 Abs. 5 VwGG hat für den Aufwandersatz der Rechtsträger aufzukommen, in dessen Namen die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren gehandelt hat.
37 In der Revision wird vorliegend ausdrücklich die Zuerkennung von Aufwandersatz durch den Bund „als Rechtsträger der belangten Behörde“ beantragt.
38 Bei der ÖGK handelt es sich nach § 32 Abs. 1 ASVG um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die selbst Rechtspersönlichkeit hat. Sie ist als Selbstverwaltungskörper organisiert; ihre Tätigkeit (Vollzug der Sozialversicherungsgesetze) wird als Selbstverwaltung angesehen (vgl. , mwN).
39 Davon ausgehend ist die ÖGK - und nicht der Bund - Rechtsträger im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG und käme ein Kostenersatz nur durch sie in Betracht. Der auf Zuerkennung von Aufwandersatz durch den Bund gerichtete Antrag des Revisionswerbers war daher abzuweisen (vgl. , mwN).
Die Eingabegebühr war im Übrigen im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 110 ASVG nicht zu entrichten.
Wien, am
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Schlagworte | Organisationsrecht Körperschaften des öffentlichen Rechtes Selbstverwaltung VwRallg5/2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022080032.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAF-45925