VwGH 08.03.2023, Ra 2022/08/0012
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | |
RS 1 | § 4 Abs. 4 lit. a ASVG ordnet an, dass u.a. dann keine Pflichtversicherung nach dieser Bestimmung eintritt, wenn auf Grund der Tätigkeit bereits eine Versicherung nach § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 GSVG 1978 besteht. Wird daher eine Tätigkeit im Rahmen einer Gewerbeberechtigung verrichtet, schließt insoweit die aus der Innehabung dieser Gewerbeberechtigung folgende Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG 1978 eine Pflichtversicherung als freier Dienstnehmer nach § 4 Abs. 4 ASVG aus (vgl. , mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2021/08/0153 E RS 3 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des R W in S, vertreten durch die Imre & Schaffer Rechtsanwälte OG in 8200 Gleisdorf, Ludersdorf 201/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , G308 2232901-1/8E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse; mitbeteiligte Partei: R D in T, vertreten durch Mag. Gottfried Stoff, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 15/II; weitere Partei: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Österreichische Gesundheitskasse hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis stellte das Bundesverwaltungsgericht - in Bestätigung eines Bescheides der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - fest, dass der Mitbeteiligte auf Grund seiner für den Revisionswerber ausgeübten Tätigkeit von bis als freier Dienstnehmer gemäß § 4 Abs. 1 Z 14 und Abs. 4 ASVG sowie § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Voll-(Kranken-, Unfall- und Pensions-)Versicherungspflicht sowie der Arbeitslosenversicherungspflicht unterlegen sei. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.
2 Der Mitbeteiligte sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum im Verlag des Revisionswerbers tätig gewesen. Dienstzeiten bzw. ein konkreter Dienstort seien vom Revisionswerber nicht vorgegeben worden. Der Mitbeteiligte sei Inhaber von Gewerbeberechtigungen gewesen; und zwar von bis hinsichtlich des Gewerbes „Berufsfotograf“ und von bis hinsichtlich des Gewerbes „Werbeagentur“. Die tatsächliche Tätigkeit des Mitbeteiligten für den Revisionswerber habe sich in die Aufgabenbereiche „Anzeigenverkauf“, „Fotoreporter“ und „redaktionelle bzw. journalistische Tätigkeit“ gegliedert. Die redaktionelle Tätigkeit sei nicht von der aufgrund der Innehabung einer Gewerbeberechtigung eingetretenen Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG umfasst gewesen, sodass der Mitbeteiligte „zumindest hinsichtlich der redaktionellen bzw. journalistischen (Teil-)Tätigkeit“ der Versicherung als freier Dienstnehmer nach § 4 Abs. 4 ASVG unterlegen sei.
3 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe unterbleiben können, weil die ÖGK den Sachverhalt in einem umfassenden Ermittlungsverfahren geklärt habe. Das Bestehen eines freien Dienstverhältnisses sei außer Streit gestellt worden. Strittig sei lediglich die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Im vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren haben die ÖGK und der Mitbeteiligte Revisionsbeantwortungen erstattet und beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Zur Zulässigkeit der Revision wird unter anderem vorgebracht, in der Beschwerde sei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Einvernahme des Mitbeteiligten zu seiner Tätigkeit beantragt worden. Indem das Bundesverwaltungsgericht entgegen diesem Antrag ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden habe, sei es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen.
7 Die Revision ist in diesem Sinn zulässig und berechtigt.
8 Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung dann absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehört es im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (etwa , mwN).
10 Im vorliegenden Fall lagen widersprechende prozessrelevante Behauptungen in diesem Sinn vor. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass nach § 4 Abs. 4 lit. a ASVG aufgrund einer Erwerbstätigkeit u.a. dann keine Pflichtversicherung als freier Dienstnehmer nach § 4 Abs. 4 ASVG eintritt, wenn auf Grund dieser Tätigkeit bereits eine Versicherung nach § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 GSVG besteht. Wird daher eine Tätigkeit im Rahmen einer Gewerbeberechtigung verrichtet, schließt insoweit die aus der Innehabung dieser Gewerbeberechtigung folgende Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG eine Pflichtversicherung als freier Dienstnehmer nach § 4 Abs. 4 ASVG aus (vgl. , mwN).
11 Der Mitbeteiligte war während seiner Tätigkeit für den Revisionswerber Inhaber von Gewerbeberechtigungen. Die ÖGK und dieser folgend auch das Bundesverwaltungsgericht haben nicht in Abrede gestellt, dass der Mitbeteiligte aufgrund der insoweit ausgeübten Tätigkeit einer Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 GSVG unterlag. Strittig ist jedoch, ob der Mitbeteiligte für den Revisionswerber lediglich im Rahmen seiner Gewerbeberechtigungen tätig geworden ist, sodass eine Pflichtversicherung als freier Dienstnehmer im dargestellten Sinn nach § 4 Abs. 4 lit. a ASVG nicht eintreten konnte, oder ob er für den Revisionswerber (auch) eine (abgrenzbare) andere Tätigkeit verrichtet hat. Im zweitgenannten Fall ist es möglich, dass - wie vom Bundesverwaltungsgericht angenommen - zu einer Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG eine solche als freier Dienstnehmer nach § 4 Abs. 4 ASVG hinzutritt, somit eine Mehrfachversicherung eintritt (vgl. zu diesem Begriff etwa ).
12 Der Revisionswerber hat im Beschwerdeverfahren zwar erklärt, der Annahme, die vom Mitbeteiligten für ihn verrichtete Tätigkeit sei in Form eines freien Dienstverhältnisses erfolgt, nicht entgegen zu treten. Er hat sich aber darauf berufen, dass aufgrund der Gewerbeberechtigungen des Mitbeteiligten eine Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 4 ASVG ausscheide und ausdrücklich bestritten, dass andere Tätigkeiten als solche im Rahmen der Gewerbeberechtigung ausgeübt worden wären. Es war daher entgegen den Annahmen des Bundesverwaltungsgerichts sehr wohl strittig, welcher Arbeit der Mitbeteiligte für den Revisionswerber nachgegangen ist. Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher im Sinn des in der Beschwerde gestellten Antrags eine mündliche Verhandlung durchführen und seine Feststellungen über die vom Mitbeteiligten für den Revisionswerber verrichtete Tätigkeit auf die Ergebnisse der Beweisaufnahme in dieser Verhandlung stützen müssen.
13 Im Übrigen war - ausgehend von der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass (nur) ein abgrenzbarer Tätigkeitsbereich des Mitbeteiligten nicht von seinen Gewerbeberechtigungen erfasst war - der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses überschießend, weil damit die Pflichtversicherung nach dem ASVG hinsichtlich der gesamten Tätigkeit des Mitbeteiligten für den Revisionswerber festgestellt wurde.
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022080012.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAF-45921