VwGH 21.08.2023, Ra 2022/07/0166
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Die Beurteilung, ob Rückstände aus thermischen Prozessen, deren Ablagerung nach § 5 Abs. 5 letzter Satz der DeponieV 2008 auf Massenabfalldeponien nicht zulässig ist, vorliegen, ist zwar auf sachverständigen Grundlage vorzunehmen, stellt letztlich aber eine rechtliche Beurteilung dar, die einem Sachverständigen verwehrt ist (). |
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RS 2 | Das Erfordernis der Widerlegung eines von der Behörde eingeholten Sachverständigengutachtens auf gleicher fachlicher Ebene greift nur dann ein, wenn ein vollständiges, schlüssiges und widerspruchsfreies Gutachten vorliegt (vgl. hierzu das hg. E vom , 2012/06/0063, mwN) und sich nur auf die sachverständige Beurteilung und nicht auf Rechtsausführungen erstreckt. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ro 2014/06/0017 E RS 4 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Bamer, über die Revision der R GmbH & Co KG in E, vertreten durch die Eisenberger & Offenbeck Rechtsanwalts GmbH in 8010 Graz, Muchargasse 30, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , Zl. LVwG 46.34-1451/2022-2, betreffend Anzeige nach § 37 Abs. 4 Z 2 AWG 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann für Steiermark), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Eingabe vom zeigte die revisionswerbende Partei eine Erweiterung ihres Abfallschlüsselnummerkatalogs an und stellte den Antrag, die Abfallart mit Schlüsselnummer 31205 (Leichtmetallkrätze, aluminiumhaltig) zur Ablagerung auf der mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom im UVP-Verfahren abfallrechtlich bewilligten Massenabfalldeponie zu genehmigen. Dieser Eingabe waren Beurteilungsnachweise im Sinne des § 11 Abs. 6 der Deponieverordnung 2008 (DVO 2008) beigefügt.
2 Die belangte Behörde wies diesen Antrag mit Bescheid vom ab. Dabei stützte sie sich in ihrer Begründung auf die im Gutachten der beigezogenen abfallwirtschaftlichen Amtssachverständigen aufgestellte Aussage, dass es sich bei der gegenständlichen Abfallart um einen Rückstand aus thermischen Prozessen handle, und schloss sich dem Hinweis der Amtssachverständigen an, wonach die Ablagerung von Rückständen aus thermischen Prozessen, ausgenommen Aschen von Anlagen, in denen ausschließlich Biomasse verbrannt werde, auf einer Massenabfalldeponie nicht zulässig sei. Im Gutachten sei weiters die eindeutige Prognose im Sinne des § 8 Z 3 AWG 2002 getroffen worden, dass die Ablagerung der gegenständlichen Abfallart auf der Massenabfalldeponie chemische Reaktionen hervorrufen könne, die die Freisetzung von Gasen bewirkten. Neben der Geruchsemission (in Form von Ammoniakgeruch) habe die Amtssachverständige auch eine weitere Reaktion im Deponiekörper, die Temperaturentwicklung, aufgezeigt und sei auf die Gefährdung der Mitarbeiter nachvollziehbar und schlüssig eingegangen.
3 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde bestritt die revisionswerbende Partei die von der Amtssachverständigen aufgestellte Prämisse, dass die zur Ablagerung auf der Massenabfalldeponie beantragten Abfälle als Rückstände aus thermischer Verwertung zu werten seien. Es handle sich beim gegenständlichen Material zwar um Abfall der SN 31205, aber nicht um einen Rückstand aus einem thermischen Prozess im Sinne des § 5 Abs. 5 letzter Satz der DVO 2008, weil sich das Material schon seit Jahrzehnten auf der N 6 „Aluminiumschlackendeponie“ befinde und vor der dortigen Ablagerung einer mechanischen Aufbereitung unterzogen worden sei, um Aluminium abzutrennen. Deshalb sei es hinsichtlich der nunmehrigen „Umlagerung“ als „Aushubmaterial“ anzusehen. Überdies sei vor der gegenständlich beantragten Deponierung eine Konditionierung mit Zeolith und Wasser vorgesehen. Die thermische Behandlung liege sohin schon lange Zeit zurück und sei das Material vor der nunmehr geplanten Deponierung auf der Massenabfalldeponie mehreren anderen Behandlungsschritten unterzogen worden. Der Ausschluss der Ablagerbarkeit nach § 5 Abs. 5 letzter Satz der DVO 2008 beziehe sich nur auf Abfall, der unmittelbar vor der Ablagerung als Rückstand eines thermischen Prozesses angefallen sei. Auch die mit der Anzeige vom vorgelegten Beurteilungsnachweise einer akkreditierten und damit gesetzlich befugten Fachanstalt hätten die Ablagerbarkeit des Materials auf einer Massenabfalldeponie attestiert.
4 Diese Beschwerde wies das Verwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom als unbegründet ab (Spruchpunkt I.). Zudem sprach es aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei (Spruchpunkt II.).
5 Auch nach der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei eine Ablagerung des gegenständlichen Materials auf der Massenabfalldeponie nicht zulässig, weil es sich um Rückstände aus thermischen Prozessen handle. Überdies könnten nach den Ausführungen der Amtssachverständigen zur Möglichkeit von chemischen Reaktionen mit den Folgen von Gasfreisetzungen und Temperaturentwicklungen die Schutzinteressen des § 43 AWG 2002 nicht gewahrt werden.
6 Hinsichtlich der Nichtdurchführung einer Verhandlung führte das Verwaltungsgericht aus, dass gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG trotz eines diesbezüglichen Antrages der revisionswerbenden Partei von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden habe können, weil eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließe und der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt sei. In der Beschwerde seien keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen worden, dass deren Lösung eine Verhandlung erfordert hätte. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt sei unbestritten geblieben bzw. sei den fachlichen Ausführungen nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten worden und gehe es alleine um die Klärung der Rechtsfrage des Deponierungsverbotes von Rückständen aus thermischen Prozessen auf einer Massenabfalldeponie.
7 Die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen mit den verba legalia des Art. 133 Abs. 4 B-VG.
8 Gegen dieses Erkennntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
9 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof hat die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt wird.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
11 Der Revisionswerber macht unter anderem ein Abweichen des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen hinsichtlich eines Absehens von einer beantragten mündlichen Verhandlung geltend. Die Revision ist aus diesem Grund zulässig und auch begründet.
12 Der Revisionswerber hat in seiner Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde gemäß § 24 VwGVG ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beantragt.
13 Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht nur dann ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und dem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.
14 Die Akten lassen dann im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann, wenn also die Voraussetzungen hinsichtlich der Klärung des Sachverhaltes gegeben sind und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, für die eine Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre. Bei konkretem sachverhaltsbezogenen Vorbringen des Revisionswerbers vor dem Verwaltungsgericht ist eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. bis 0087, mwN). Hingegen liegen die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung vor, wenn in der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehende, für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet wurde und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, deren Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre. Ein bloß unsubstanziiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhalts kann außer Betracht bleiben (vgl. , mwN).
15 So hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG auch bereits wiederholt festgehalten, dass der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen hatte (vgl. , mwN).
16 In der Beschwerde trat die revisionswerbende Partei der Beurteilung der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde, es lägen Rückstände aus thermischen Prozessen vor, die die Unzulässigkeit der Ablagerung auf einer Massenabfalldeponie zur Folge hätten, entgegen. Dazu brachte die revisionswerbende Partei maßgebliches - von der Behörde nicht ausdrücklich berücksichtigtes - Sachverhaltsvorbringen in Bezug darauf vor, dass die thermische Behandlung des zur Ablagerung auf der Massenabfalldeponie geplanten Materials schon lange Zeit zurückliege und das Material vor der nunmehr geplanten Deponierung mehreren anderen Behandlungsschritten unterzogen worden sei. Auf Grundlage dieses Sachverhaltsvorbringens erstattete die revisionswerbende Partei auch Vorbringen zu den im Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen, etwa, dass die Zuordnung der Abfallart nicht ausschließlich von ihrer ursprünglichen Herkunft abhänge, sondern der Abfall in demselben Zustand untersucht und beurteilt werden müsse, wie er abgelagert werden solle, und sich der Ausschluss der Ablagerbarkeit nach § 5 Abs. 5 letzter Satz der DVO 2008 nur auf Abfall, der unmittelbar vor der Ablagerung als Rückstand eines thermischen Prozesses angefallen sei, beziehe.
17 So irrt das Verwaltungsgericht, wenn es vermeint, es sei nur die Rechtsfrage des Deponierungsverbotes von Rückständen aus thermischen Prozessen auf einer Massenabfalldeponie zu klären gewesen. Vielmehr ist auch strittig, ob fallgegenständlich „Rückstände aus thermischen Prozessen“ vorliegen.
18 In diesem Zusammenhang ist anzuführen, dass jene Begründung des Verwaltungsgerichts, die revisionswerbende Partei sei den Ausführungen der Amtssachverständigen, bei der gegenständlichen Abfallart handle es sich um Rückstände aus thermischen Prozessen, nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, zu kurz greift, weil die Beurteilung, ob Rückstände aus thermischen Prozessen, deren Ablagerung nach § 5 Abs. 5 letzter Satz der DVO 2008 auf Massenabfalldeponien nicht zulässig ist, vorliegen, zwar auf sachverständigen Grundlage vorzunehmen ist, letztlich aber eine rechtliche Beurteilung darstellt, die einem Sachverständigen verwehrt ist (vgl. , mwN, wonach einem Sachverständigen keinesfalls die Lösung von Rechtsfragen zukommt). So führte das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang selbst rechtliche Überlegungen ins Treffen, wenn es hinsichtlich der Beurteilung der Abfallart ausführte, es sei - unter Verweis auf die Abfallzuordnung gemäß Anhang 2 zur Abfallverzeichnisverordnung - stets auf die ursprüngliche Herkunft der Abfälle abzustellen und, dass Behandlungsschritte des Abfalls keine Änderung der ursprünglichen Herkunft bewirkten.
19 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes greift das Erfordernis der Widerlegung eines von der Behörde eingeholten Sachverständigengutachtens auf gleicher fachlicher Ebene nur dann ein, wenn ein vollständiges, schlüssiges und widerspruchsfreies Gutachten vorliegt und sich dieses nur auf die sachverständige Beurteilung und nicht auf Rechtsausführungen erstreckt (vgl. , mwN, oder zu den Anforderungen an ein Sachverständigengutachten etwa , mwN).
20 Insoweit sich das Verwaltungsgericht tragend auf die Beurteilung der Amtssachverständigen, es lägen Rückstände aus einem thermischen Prozess vor, stützte, ist vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung darauf hinzuweisen, dass diese Aussage im Gutachten unbegründet blieb und nicht erkennbar ist, auf welchem Weg die Sachverständige zu ihrer Schlussfolgerung gekommen ist.
21 Die fehlende Begründung der gutachterlichen Aussage offenkundig ergänzend führte das Verwaltungsgericht aus, dass es sich beim Schmelzprozess, bei dem Aluminiumkrätze prozessbedingt bei der Erzeugung von Aluminium anfalle, unzweifelhaft um einen thermischen Prozess handle. Dafür findet sich jedoch keine Grundlage im Gutachten.
22 Zusammengefasst lagen daher sowohl Rechtsfragen als auch ein maßgebliches, mit diesen Rechtsfragen in Zusammenhang stehendes sachverhaltsbezogenes Vorbringen der revisionswerbenden Partei zur Erörterung in einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vor. Auf dem Boden der oben zitierten Rechtsprechung (siehe Rn. 14f) wäre eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen.
23 Es kann dahinstehen, ob es sich bei der vorliegenden Angelegenheit um eine solche im Anwendungsbereich des Art. 6 MRK bzw. Art. 47 GRC handelt, wo der Verstoß gegen die Verhandlungspflicht auch ohne Relevanzprüfung zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses führt. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, liegt die Relevanz des aufgezeigten Verfahrensmangels hier auf der Hand, ist doch nicht ausgeschlossen, dass das Verwaltungsgericht bei dessen Vermeidung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre (vgl. ).
24 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG schon wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, weshalb ein Eingehen auf das übrige Revisionsvorbringen nicht notwendig war.
25 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Schlagworte | Anforderung an ein Gutachten Besondere Rechtsgebiete Beweismittel Sachverständigenbeweis Beweismittel Sachverständigenbeweis Besonderes Fachgebiet Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtliche Beurteilung Sachverständiger Aufgaben Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Besonderes Fachgebiet |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022070166.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAF-45913