VwGH 23.05.2024, Ra 2022/05/0202
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Für die Beurteilung der Parteistellung des übergangenen Nachbarn ist die Rechtslage anzuwenden, die in jenem Verfahren galt, in dem der Nachbar Parteistellung wünscht; das Tatbestandsmerkmal der Parteistellung bestimmt sich nach dem normativen Gehalt der in der Rechtssache anzuwendenden Vorschriften (vgl. , mwN). Relevant ist der Zeitpunkt der Erlassung des bisher an andere Verfahrensparteien bereits ergangenen Bescheides (vgl. ). |
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RS 2 | Die Frage der Präklusion von Einwendungen und der Parteistellung bezieht sich nur auf ein bestimmtes, konkretes Verfahren - was auch umgekehrt bei einem neuen verfahrenseinleitenden Antrag die neuerliche Möglichkeit der Erhebung von Einwendungen begründet (vgl. ). Durch bloße Projektänderungen geht die einmal erlangte Parteistellung zwar nicht unter, auf ein neu eingereichtes Projekt würden sich die Einwendungen aber nicht beziehen (vgl. , und , 2008/06/0089, und darauf, dass ein solches neu verhandelt werden müsste; vgl. auch ). |
Normen | BauO Wr §134 BauRallg |
RS 3 | Das Baubewilligungsverfahren ist ein Projektgenehmigungsverfahren, bei dem die Zulässigkeit des Bauvorhabens aufgrund der eingereichten Pläne zu beurteilen ist. Gegenstand dieses Verfahrens ist das in den Einreichplänen (und sonstigen Unterlagen) dargestellte Projekt (vgl. ). Maßgeblich für die Frage der Beeinträchtigung von Nachbarrechten ist der in den Einreichplänen, in der Baubeschreibung sowie vorliegend maßgeblich im Betriebskonzept zum Ausdruck gebrachte Bauwille (vgl. in diesem Sinn erneut ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2019/06/0256 B RS 4 |
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RS 4 | Allenfalls vor Einbringung des Bauansuchens erhobene Einwendungen können sich nicht auf das gegenständliche Bauvorhaben beziehen und gelten demnach auch nicht im gegenständlichen Verfahren als erhoben. Vielmehr bedarf es neuerlicher Einwendungen oder zumindest eines ausreichend klaren Vorbringens, dass jene Einwendungen aufrechterhalten werden (Hinweis Erkenntnisse vom , 2008/06/0089 und vom , 2008/06/0102). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2011/05/0136 E RS 2 (hier: nur der erste Satz) |
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RS 5 | Nach § 134 Abs. 4 letzter Satz sind Einwendungen binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses für ihre Erhebung bei der Behörde einzubringen, DIE DIE BAUVERHANDLUNG ANBERAUMT hat. Diese Frist kann somit nur dann zur Anwendung gelangen, wenn die Behörde eine Verhandlung anberaumt hat; solange keine Verhandlung anberaumt wurde, kommt eine Versäumung der (14-tägigen) Einwendungsfrist nicht in Betracht. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2005/05/0203 E RS 1 |
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RS 6 | § 134 Abs. 4 Wr BauO fand gleichzeitig mit einer Novellierung des § 134 Abs. 3 Wr BauO (Einwendungen sind spätestens bei der mündlichen Bauverhandlung zu erheben) Eingang in die Wr BauO: Mit der Bauordnungsnovelle 1992, LGBl. Nr. 34/1992, wurde - gemeinsam mit der taxativen Aufzählung der subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte - eine "Modifizierung des Eintrittes in die Parteistellung als Anrainer eingeführt" (BlgWrLT Nr. 14/1992, 2). Die Eigentümer benachbarter Liegenschaften sollen seither die Parteistellung nur dann erlangen, wenn sie spätestens bei der mündlichen Bauverhandlung Einwendungen im Sinn des § 134a Wr BauO gegen ein Bauvorhaben erheben. |
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RS 7 | Der Zeitpunkt des Einfügens des § 134 Abs. 4 Wr BauO gleichzeitig mit der Novellierung des § 134 Abs. 3 Wr BauO mit der Bauordnungsnovelle 1992, LGBl. Nr. 34/1992, lässt den Rückschluss zu, dass die Bestimmung jene Ausnahme regeln möchte, in der ein Nachbar nicht spätestens bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen erheben konnte. Dem - am Versäumnis keine Schuld treffenden - Nachbarn wird die Möglichkeit von Einwendungen über den Zeitpunkt der Bauverhandlung hinaus eröffnet. Dass ihm dies nicht zeitlich unbegrenzt möglich sein kann, ergibt sich aus der Tatsache, dass abgesehen vom Schutz des übergangenen Nachbarn auch die - in den Erläuterungen ausdrücklich erwähnte - Rechtssicherheit von Bedeutung ist. Der Gesetzgeber hat sich für eine Frist von drei Monaten entschieden und als Bezugspunkt den Baubeginn herangezogen. Der Nachbar wird insofern in die Pflicht genommen, als er bei längerer Abwesenheit oder sonstiger Verhinderung durch eine Vertretung Vorsorge gegen bedenkliche, ihm nicht bekannte Bauführungen auf angrenzenden Liegenschaften treffen muss (vgl. BlgWrLT Nr. 14/1992, 19). |
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RS 8 | Grundsätzlich sind die Regelungen des § 134 Abs. 3 und 4 Wr BauO auf das Abhalten einer Bauverhandlung durch die Baubehörde zugeschnitten. Wenn jedoch keine Bauverhandlung anberaumt wurde, stellt sich die Frage, ob einem übergangenen Nachbarn gleichermaßen die absolute Einwendungsfrist von drei Monaten nach Baubeginn entgegengehalten werden kann. Eine sachliche Rechtfertigung für eine unterschiedliche Behandlung der beiden Sachverhalte ist somit nicht ersichtlich. Die Wendung "auch nach dem Abschluss der mündlichen Bauverhandlung" in § 134 Abs. 4 Wr BauO ist daher im Sinn von "selbst nach" oder "sogar nach" dem Abschluss der mündlichen Bauverhandlung zu verstehen. Die absolute Dreimonatsgrenze des § 134 Abs. 4 Wr BauO ist auch auf jene Fälle anwendbar, in denen eine - an sich vorgesehene - Bauverhandlung nicht durchgeführt wurde. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger, Mag. Liebhart-Mutzl, Dr.in Sembacher und Dr.in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Tichy, über die Revision des Mag. H K in W, vertreten durch Mag. Stephan Hemetsberger, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Hietzinger Hauptstraße 158, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW-111/V/067/8831/2022-24, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Partei: Ing. D D, MBA, in M, vertreten durch Mag. Erwin Dirnberger, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30/5; weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist Eigentümer einer näher bezeichneten Liegenschaft der KG E in 1220 Wien. Die Liegenschaft des Revisionswerbers grenzt westlich unmittelbar an die Liegenschaft des Mitbeteiligten. Auf den Liegenschaften befinden sich Einfamilienhäuser; die Garage des Mitbeteiligten ist an dessen westliche Hausmauer angebaut.
2 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom , mit dem dem Mitbeteiligten gemäß § 61 der Bauordnung für Wien - BO für Wien (BO) die Bewilligung zur Errichtung des Außengerätes einer Klimaanlage auf dem Garagendach an der Wand des Hauptgebäudes in einem Abstand von 3,11 m von der gemeinsamen Grundgrenze mit der Nachbarliegenschaft des Revisionswerbers erteilt worden war, zurück. Der Revisionswerber habe keine Parteistellung im Verfahren zum gegenständlichen Bauvorhaben des Mitbeteiligten erlangt. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, im Jahr 2016 habe der Mitbeteiligte zwei Klimaaußengeräte auf seinem Garagendach angebracht. Diese seien ohne Einhausung und Richtung Süden zur H-Gasse ausgerichtet im rechten Winkel zur westlichen Außenmauer des Wohngebäudes (frei stehend) montiert gewesen. Der Mitbeteiligte sei der Ansicht gewesen, dass die Montage dieser Klimaaußengeräte keiner baubehördlichen Bewilligung bedurft habe, was er dem Revisionswerber auch mitgeteilt habe.
4 Der Mitbeteiligte sei in weiterer Folge „vom Rathaus“ informiert worden, dass es Beschwerden gegen seine Klimageräte gebe und diese einer Bewilligung bedürften. Deshalb habe der Mitbeteiligte am die baubehördliche Bewilligung für die Montage von zwei Klimaaußengeräten beantragt. Die beiden Klimaaußengeräte seien über der Garage (nunmehr direkt) an der Westfront der Liegenschaft des Mitbeteiligten (gemeint: an der westlichen Hausfront) projektiert worden. Dem Bauansuchen seien technische Beschreibungen sowie das Privatgutachten eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Klimatechnik angeschlossen gewesen, demzufolge der Genehmigung zum Betrieb der Klimaanlage aus schalltechnischer Sicht „zuzustimmen“ sei. Die Baubewilligung sei daraufhin bloß auf Grundlage der Einreichunterlagen erteilt worden. Eine mündliche Bauverhandlung habe nicht stattgefunden. Nachbarn sei nicht die Möglichkeit zur Erlangung einer Parteistellung eingeräumt worden. Der Baubewilligungsbescheid vom sei dem Mitbeteiligten am zugestellt worden.
5 Der Mitbeteiligte habe im Herbst oder gegen Ende des Jahres 2018, wie auch vom Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung bestätigt, die bereits vorhandenen Klimaaußengeräte demontiert und diese an der im Einreichplan ausgewiesenen Position montiert, das heißt auf dem Garagendach von der ursprünglichen Stelle (ausgerichtet südlich Richtung H-Gasse) im rechten Winkel abgerückt an der Westfront seines Wohnhauses (ausgerichtet Richtung Westen). Zusätzlich habe er eine Einhausung zwecks Reduktion des Schalls vorgenommen.
6 Nachdem der Mitbeteiligte den Revisionswerber am vom Vorhandensein einer Baubewilligung für die Errichtung der beiden Klimaaußengeräte informiert habe, habe der Revisionswerber mit Eingabe vom unter Hinweis auf seine Stellung als Nachbar Einwendungen gegen das Bauvorhaben des Mitbeteiligten erhoben. Er habe darin die vom Betrieb der Klimageräte ausgehenden Lärmemissionen, insbesondere durch die Störung der Nachtruhe, und eine damit einhergehende Gesundheitsgefährdung der Bewohner seiner Liegenschaft angesprochen. Er habe weiters die Zustellung des Baubewilligungsbescheides und den Abspruch über seine Parteistellung im Baubewilligungsverfahren des Mitbeteiligten beantragt.
7 Nach Zustellung des entsprechenden Bescheides habe der Revisionswerber gegen den von der belangten Behörde dem Mitbeteiligten zugestellten Baubewilligungsbescheid Beschwerde erhoben. Diese sei dem Verwaltungsgericht von der belangten Behörde unter Abstandnahme von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung vorgelegt worden.
8 Rechtlich beurteilte das Verwaltungsgericht die Beschwerde wie folgt: Da die belangte Behörde keine mündliche Verhandlung durchgeführt habe, sei dem Revisionswerber nicht die Möglichkeit zur Erhebung von Einwendungen bei der mündlichen Verhandlung eröffnet worden. Der Revisionswerber sei daher übergangene Partei. Die Erhebung von Einwendungen im Sinn des § 134a BO sei bis längstens drei Monate nach dem Baubeginn eröffnet; eine spätere Erlangung der Parteistellung sei gemäß § 134 Abs. 4 BO ausgeschlossen. Die Grenze von drei Monaten nach Baubeginn sei eine absolute. Die Frist zur Erhebung von Einwendungen habe - abstellend auf den datumsmäßig nicht konkret bestimmbaren Baubeginn - im Herbst bzw. Ende 2018 zu laufen begonnen und - einen Baubeginn erst mit Ende des Jahres 2018 annehmend - Ende März 2019 geendet. Der Revisionswerber habe erst am Einwendungen gegen dieses Bauvorhaben erhoben.
9 Damit seien die vom Revisionswerber gegen das Bauvorhaben vorgetragenen Einwendungen außerhalb der in § 134 Abs. 4 BO normierten absoluten dreimonatigen Frist nach Baubeginn erhoben worden, weshalb eine Erlangung der Parteistellung im verfahrensgegenständlichen Baubewilligungsverfahren ausgeschlossen sei.
10 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
11 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, der Revision kostenpflichtig nicht Folge zu geben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, § 134 Abs. 4 BO setze voraus, dass Baubeginn und Einwendungen nach der mündlichen Bauverhandlung erfolgten, die im gegenständlichen Fall nicht stattgefunden habe. Die Bestimmung sei daher - mangels Bauverhandlung - nicht anwendbar. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Frage liege nicht vor.
13 Die Revision erweist sich im Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig. Sie ist aber nicht begründet.
14 Die Bauordnung für Wien - BO, LGBl. Nr. 11/1930 in der vorliegend maßgeblichen Fassung LGBl. Nr. 37/2018, lautet auszugsweise:
„Parteien
§ 134.
[...]
(3) Im Baubewilligungsverfahren und im Verfahren zur Bewilligung von Abweichungen von Vorschriften des Bebauungsplanes sind außer dem Antragsteller (Bauwerber) die Eigentümer (Miteigentümer) der Liegenschaften Parteien. Personen, denen ein Baurecht zusteht, sind wie Eigentümer der Liegenschaften zu behandeln. Die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften sind dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre im § 134a erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte berührt und sie spätestens, unbeschadet Abs. 4, bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinne des § 134a gegen die geplante Bauführung erheben; das Recht auf Akteneinsicht (§ 17 AVG) steht Nachbarn bereits ab Einreichung des Bauvorhabens bei der Behörde zu. [...]
(4) Weist ein Nachbar der Behörde nach, dass er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Parteistellung nach § 134 Abs. 3 zu erlangen, kann er seine Einwendungen im Sinne des § 134a gegen die Bauführung auch nach dem Abschluss der mündlichen Bauverhandlung bis längstens drei Monate nach dem Baubeginn vorbringen und ist vom Zeitpunkt des Vorbringens dieser Einwendungen an Partei; eine spätere Erlangung der Parteistellung (§ 134 Abs. 3) ist ausgeschlossen. Solche Einwendungen sind vom Nachbarn binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses für ihre Erhebung bei der Behörde einzubringen, die die Bauverhandlung anberaumt hat.
[...]“
15 Der Revisionswerber vertritt einerseits die Auffassung, es handle sich um einen Fall einer nachträglichen Baubewilligung und seine gegen die ursprüngliche Errichtung der Klimaanlage bei der belangten Behörde geltend gemachten Einwendungen müssten weiter Berücksichtigung finden. Selbst wenn man von der Möglichkeit mehrerer Baubeginne ausgehen wollte, könne bei einer - wie hier - nachträglichen Baubewilligung nur der „erste“ Baubeginn der gemäß § 134 Abs. 4 BO relevante sein, weil es nach Erteilung der nachträglichen Baubewilligung gar keinen weiteren Baubeginn (das Bauwerk sei schon errichtet) oder wie hier „eine bloße Positionsänderung“ eines Teils des bewilligten Projekts gebe. Bei einer nachträglichen Baubewilligung könne die Frist des § 134 Abs. 4 BO nicht anwendbar sein, auch wenn der Baubeginn bereits mehr als drei Monate (hier: zwei Jahre) zurückliege. Dies sei umso mehr geboten, als die Einleitung eines Verfahrens kein für einen Nachbarn von außen erkennbarer Akt sei.
16 Andererseits stützt sich der Revisionswerber darauf, dass die (absolute) Dreimonatsfrist des § 134 Abs. 4 BO, die schon ihrem Wortlaut nach auf einen Zeitraum „nach dem Abschluss der mündlichen Bauverhandlung“ abstelle, nur dann zur Anwendung gelange, wenn die Behörde eine Bauverhandlung anberaumt habe. Da die belangte Behörde keine mündliche Bauverhandlung durchgeführt habe, sei die Frist von drei Monaten nicht anwendbar und könne auch nicht versäumt werden.
17 Für die Beurteilung der Parteistellung des übergangenen Nachbarn ist die Rechtslage anzuwenden, die in jenem Verfahren galt, in dem der Nachbar Parteistellung wünscht; das Tatbestandsmerkmal der Parteistellung bestimmt sich nach dem normativen Gehalt der in der Rechtssache anzuwendenden Vorschriften (vgl. , mwN). Relevant ist der Zeitpunkt der Erlassung des bisher an andere Verfahrensparteien bereits ergangenen Bescheides (vgl. Moritz, BauO für Wien6 [2019] Anm. zu § 134 Abs. 4, 445, mit Hinweis auf ).
18 Dem Mitbeteiligten wurde die Baubewilligung am zugestellt. Zur Beantwortung der Frage der Rechtzeitigkeit von Nachbareinwendungen kommt daher jene - oben wiedergegebene - Rechtslage zur Anwendung, die vor dem In-Kraft-Treten der Bauordnungsnovelle 2018, LGBl. Nr. 69/2018 (Kundmachung am ), in Geltung stand.
19 Das Mitspracherecht der Nachbarn im Baubewilligungsverfahren ist in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen, und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. für viele etwa ).
20 Die Frage der Präklusion von Einwendungen und der Parteistellung bezieht sich nur auf ein bestimmtes, konkretes Verfahren - was auch umgekehrt bei einem neuen verfahrenseinleitenden Antrag die neuerliche Möglichkeit der Erhebung von Einwendungen begründet (vgl. , mit Hinweis auf Hengstschläger/Leeb, AVG II [2005] § 42 Rz. 48). Durch bloße Projektänderungen geht die einmal erlangte Parteistellung nach der hg. Rechtsprechung zwar nicht unter, auf ein neu eingereichtes Projekt würden sich die Einwendungen aber nicht beziehen (vgl. Moritz, Anm. zu § 134 Abs. 3, 439, mit Hinweis auf , und , 2008/06/0089, und darauf, dass ein solches neu verhandelt werden müsste; vgl. auch ).
21 Das Baubewilligungsverfahren ist ein Projektgenehmigungsverfahren, bei dem die Zulässigkeit des Bauvorhabens aufgrund der eingereichten Pläne zu beurteilen ist. Gegenstand dieses Verfahrens ist das in den Einreichplänen (und sonstigen Unterlagen) dargestellte Projekt. Maßgeblich für die Frage der Beeinträchtigung von Nachbarrechten ist der in den Einreichplänen, in der Baubeschreibung sowie in einem allfälligen Betriebskonzept zum Ausdruck gebrachte Bauwille (vgl. sinngemäß etwa , mwN).
22 Das Verwaltungsgericht hielt fest, dass der Mitbeteiligte die Klimageräte nach Erlangung der Baubewilligung vom demontierte, um sie später samt einer Einhausung an einer anderen Position zu montieren. Dies war vom Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht auch bestätigt worden. Von zwei unterschiedlichen Bauführungen ausgehend (2016 und 2018) nahm das Verwaltungsgericht den für das gegenständliche Verfahren relevanten Baubeginn mit der den Einreichplänen entsprechenden, neuen Montage der Geräte im Jahr 2018 an. Die erste Bauführung tätigte der Mitbeteiligte ohne Baubewilligung, die zweite Bauführung bzw. das hier relevante Projekt nach Erlangen einer Baubewilligung entsprechend der dafür eingereichten Pläne. Die vom Revisionswerber bekämpfte Baubewilligung bezieht sich auf das verfahrensgegenständliche Projekt.
23 Dem Verwaltungsgericht ist nicht entgegenzutreten, wenn es - im Hinblick auf die geänderte Ausführung und Positionierung - von einem erstmals eingereichten Projekt ausging, auf das sich die zur konsenslos errichteten Anlage erhobenen Einwendungen des Revisionswerbers nicht bezogen. Infolgedessen handelt es sich hier nicht um eine Konstellation einer nachträglichen Baubewilligung. Die Frage, ob der Revisionswerber durch seine zur ersten Montage der Geräte erhobenen Einwendungen bereits Parteistellung erlangt haben kann, die unter der Annahme einer bloßen Projektänderung nicht untergegangen wäre, stellt sich daher fallbezogen nicht. Vor Einbringung eines Bauansuchens erhobene Einwendungen können sich nicht auf das gegenständliche Bauvorhaben beziehen und gelten demnach auch nicht als im gegenständlichen Verfahren erhoben (vgl. , mwN).
24 Zur Frage der Rechtzeitigkeit der mit Eingabe vom erhobenen Einwendungen macht die Revision geltend, § 134 Abs. 4 BO setze voraus, dass Baubeginn und Einwendungen nach der mündlichen Bauverhandlung erfolgten, die aber im gegenständlichen Fall gar nicht stattgefunden habe. Die Bestimmung sei daher - mangels Bauverhandlung - nicht anwendbar.
25 Im Erkenntnis vom , 2005/05/0203, hat der Verwaltungsgerichtshof zu den Fristen des § 134 Abs. 4 BO insofern eine Aussage getroffen, als er darin ausgesprochen hat, dass die zweiwöchige Einwendungsfrist des § 134 Abs. 4 letzter Satz BO ab Wegfall des Hindernisses nicht in Betracht kommt, solange keine Verhandlung anberaumt wurde; diese Frist kann nur zur Anwendung gelangen, wenn die Behörde eine Verhandlung anberaumt hat. Der Verwaltungsgerichtshof prüfte auch, ob die Einwendungen rechtzeitig im Sinn der absoluten Frist des § 134 Abs. 4 BO erhoben wurden, was im damaligen Beschwerdefall der Fall war. Eine explizite Aussage zur Frage der Anwendbarkeit der Dreimonatsfrist bei Nichtdurchführung einer Bauverhandlung ist diesem Erkenntnis nicht zu entnehmen.
26 Im Erkenntnis vom , 2000/05/0180, hat der Verwaltungsgerichtshof die Erlangung der Parteistellung der dortigen Beschwerdeführerin, die mangels Ladung zur mündlichen Bauverhandlung an der Erhebung von Einwendungen gemäß § 134a BO spätestens bei dieser Verhandlung gehindert war, verneint, weil sie der Behörde hätte nachweisen müssen, dass sie ohne ihr Verschulden gehindert war, die Parteistellung zu erlangen, und jedenfalls bis längstens drei Monate nach dem (damals noch:) angezeigten Baubeginn ihre Einwendungen hätte vorbringen müssen, was sie jedoch unterlassen hatte.
27 § 134 Abs. 4 BO fand gleichzeitig mit einer Novellierung des § 134 Abs. 3 BO (Einwendungen sind spätestens bei der mündlichen Bauverhandlung zu erheben) Eingang in die BO: Mit der Bauordnungsnovelle 1992, LGBl. Nr. 34/1992, wurde - gemeinsam mit der taxativen Aufzählung der subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte - eine „Modifizierung des Eintrittes in die Parteistellung als Anrainer eingeführt“ (BlgWrLT Nr. 14/1992, 2). Die Eigentümer benachbarter Liegenschaften sollen seither die Parteistellung nur dann erlangen, wenn sie spätestens bei der mündlichen Bauverhandlung Einwendungen im Sinn des § 134a BO gegen ein Bauvorhaben erheben.
28 Der damals neu eingefügte § 134 Abs. 4 BO wurde seit seinem In-Kraft-Treten zwar mehrfach novelliert, die Erwägungen des Gesetzgebers im Hinblick auf eine schuldlose Verhinderung der Erlangung der Parteistellung von Nachbarn haben aber nach wie vor Gültigkeit. Die Gesetzesmaterialien führen zu § 134 Abs. 4 BO aus (BlgWrLT Nr. 14/1992, 19):
„Im neu eingefügten Abs. 4 wird den Eigentümern benachbarter Liegenschaften, die ohne ihr Verschulden daran gehindert waren, die Parteistellung zu erlangen, die Möglichkeit eingeräumt, auch nach Abschluß der mündlichen Verhandlung bis längstens drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn Einwendungen zu erheben und damit die Parteistellung zu erlangen. Eine spätere Erlangung der Parteistellung wird jedenfalls ausdrücklich ausgeschlossen, um zu verhindern, daß übergangene Nachbarn etwa noch Jahre nach Erteilung der Baubewilligung auftreten und durch ihre Einwendungen die Aufhebung von bereits konsumierten Baubewilligungen bewirken. Dieser Lösung liegt die Auffassung zugrunde, daß der Eigentümer einer Liegenschaft auch die Pflicht hat, bei längerer Abwesenheit oder sonstiger Verhinderung, Vorsorge dafür zu treffen, daß die aus seinem Eigentum erwachsenden Rechte durch einen Vertreter wahrgenommen werden; andernfalls muß er hinnehmen, daß während seiner Verhinderung auf den Nachbarliegenschaften Bauführungen stattfinden, gegen die er sich nicht mehr aussprechen kann. Es wurde daher aus Gründen der Rechtssicherheit eine absolute Frist - drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn - in das Gesetz aufgenommen, nach deren Ablauf jedwede Einwendungsmöglichkeiten und demgemäß sämtliche Parteienrechte untergegangen sind. Der Baubeginn wurde als Bezugspunkt herangezogen, da dadurch eine erteilte Baubewilligung auch für die Nachbarn in erkennbarer Weise nach außen in Erscheinung tritt.“
29 Die Erläuterungen machen die Intention der Bestimmung deutlich, bei der Rechtsstellung übergangener Nachbarn einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen schaffen zu wollen. So führt auch Moritz aus, dass der Gesetzgeber dabei eine Abwägung zwischen der Rechtssicherheit betreffend den Bestand einer Baubewilligung und der Wahrnehmung von Nachbarrechten zu treffen habe. Die Grenze von drei Monaten nach dem Baubeginn sei eine absolute, das heißt, es sei irrelevant, aus welchen Gründen die Einwendungen nicht schon vorgebracht worden seien (s. Moritz, Anm. zu § 134 Abs. 4, 443 f).
30 Dabei lässt der Zeitpunkt des Einfügens des § 134 Abs. 4 BO gleichzeitig mit der Novellierung des § 134 Abs. 3 BO den Rückschluss zu, dass die Bestimmung jene Ausnahme regeln möchte, in der ein Nachbar nicht spätestens bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen erheben konnte. Dem - am Versäumnis keine Schuld treffenden - Nachbarn wird die Möglichkeit von Einwendungen über den Zeitpunkt der Bauverhandlung hinaus eröffnet. Dass ihm dies nicht zeitlich unbegrenzt möglich sein kann, ergibt sich aus der Tatsache, dass abgesehen vom Schutz des übergangenen Nachbarn auch die - in den Erläuterungen ausdrücklich erwähnte - Rechtssicherheit von Bedeutung ist. Der Gesetzgeber hat sich für eine Frist von drei Monaten entschieden und als Bezugspunkt den Baubeginn herangezogen. Der Nachbar wird insofern in die Pflicht genommen, als er bei längerer Abwesenheit oder sonstiger Verhinderung durch eine Vertretung Vorsorge gegen bedenkliche, ihm nicht bekannte Bauführungen auf angrenzenden Liegenschaften treffen muss (vgl. die oben wiedergegebenen Gesetzesmaterialien).
31 Aus der Gesetzesgenese folgt zwar, dass die Regelungen des § 134 Abs. 3 und 4 BO grundsätzlich auf das Abhalten einer Bauverhandlung durch die Baubehörde zugeschnitten sind. Wenn jedoch - wie im Revisionsfall - keine Bauverhandlung anberaumt wurde, stellt sich die vom Revisionswerber aufgeworfene Frage, ob einem übergangenen Nachbarn gleichermaßen die absolute Einwendungsfrist von drei Monaten nach Baubeginn entgegengehalten werden kann.
32 Nun kann es verschiedene Gründe geben, warum ein Nachbar unverschuldet verhindert war, seine Einwendungen spätestens im Rahmen der Bauverhandlung zu erheben (vgl. die bei Moritz, Anm. zu § 134 Abs. 4, 444, aufgezählten Beispiele, wie etwa die Weigerung der Behörde in der mündlichen Verhandlung, eine Person als Nachbarn am Verfahren als Partei bzw. Beteiligte teilnehmen zu lassen). Es stellt sich die Frage, ob es sachlich gerechtfertigt wäre, etwa den Fall der Weigerung der Behörde, einen Nachbarn an der Bauverhandlung teilnehmen zu lassen, anders zu behandeln als einen Fall wie den vorliegenden, in dem die Behörde gar keine Bauverhandlung anberaumt hat. In beiden Konstellationen ist einerseits der Nachbar ohne sein Verschulden daran gehindert, spätestens bei der Bauverhandlung Einwendungen zu erheben; in beiden Fällen ist andererseits die Rechtssicherheit betreffend den Bestand der Baubewilligung schützenswert. In jeder der beiden Varianten wäre es dem Nachbarn möglich, binnen längstens drei Monaten nach Baubeginn seine Einwendungen vorzubringen (unter allfälliger Beachtung des § 134 Abs. 4 letzter Satz BO). Eine sachliche Rechtfertigung für eine unterschiedliche Behandlung der beiden Sachverhalte ist somit nicht ersichtlich. Die Wendung „auch nach dem Abschluss der mündlichen Bauverhandlung“ in § 134 Abs. 4 BO ist daher im Sinn von „selbst nach“ oder „sogar nach“ dem Abschluss der mündlichen Bauverhandlung zu verstehen. Die absolute Dreimonatsgrenze des § 134 Abs. 4 BO ist auch auf jene Fälle anwendbar, in denen eine - an sich vorgesehene - Bauverhandlung nicht durchgeführt wurde.
33 Dagegen, dass das Verwaltungsgericht eine erkennbare Bautätigkeit - im Herbst bzw. Ende 2018 - angenommen hat, wendet sich die Revision nicht. Sie legt im Übrigen nicht dar, dass sich der Revisionswerber ab Kenntnis der Demontage der Geräte und Montage samt Einhausung an einer anderen Position im Jahr 2018 bei der Baubehörde nicht hinreichend über das bewilligte Bauvorhaben zur Erhebung entsprechender Einwendungen informieren hätte können (vgl. erneut ).
34 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht demnach die Parteistellung des Revisionswerbers zu Recht verneint, indem es die Frist des § 134 Abs. 4 BO („bis längstens drei Monate nach Baubeginn“) trotz Nichtdurchführung einer Bauverhandlung zur Anwendung brachte und die rund zwei Jahre nach Baubeginn (Herbst 2018) erhobenen Einwendungen des Revisionswerbers als verspätet erachtete und daher die Beschwerde zurückwies.
35 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
36 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Schlagworte | Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Baurecht Nachbar Baurecht Nachbar übergangener Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv öffentliche Rechte BauRallg5/1 Verfahrensbestimmungen |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2024:RA2022050202.L00 |
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Fundstelle(n):
SAAAF-45885