VwGH 06.02.2023, Ra 2022/05/0197
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Normen | AVG §68 Abs1 VwRallg |
RS 1 | Der Grundsatz des § 68 Abs. 1 AVG kommt dann nicht zum Tragen, wenn eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - vorliegt bzw. eine Änderung jener Rechtvorschriften, wobei diesen Änderungen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/10/0162). Ansuchen, die offenbar die Aufrollung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezwecken, sind auch dann wegen "res judicata" zurückzuweisen, wenn das Begehren nicht ausdrücklich dahin lautet (vgl. die in Walter - Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I2, S. 1432, in E. 163 zu § 68 AVG angeführte hg. Judikatur). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2006/06/0321 E RS 1 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner und die Hofrätinnen Mag. Liebhart-Mutzl und Dr.in Sembacher als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des X Vereins in S, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, LL.M, MAS, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom , LVwG-170040/9/JS, betreffend Zurückweisung eines Antrags in einer baurechtlichen Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadtgemeinde S; weitere Partei: Oberösterreichische Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Spruchpunkt 1. des Bescheids vom untersagte der Bürgermeister der Stadtgemeinde S. als Baubehörde der revisionswerbenden Partei die widmungswidrige Benützung von näher bezeichneten Räumlichkeiten eines näher genannten Altbaus und eines näher genannten Neubaus auf zwei näher bezeichneten Liegenschaften zum Zwecke der Religionsausübung sowie für Vereinszwecke gemäß § 50 Abs. 2 und 4 Oö. Bauordnung 1994 (Oö. BauO 1994). Nach den unbestritten gebliebenen Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis erwuchs dieser Bescheid in Rechtskraft.
2 Mit Schreiben vom beantragte die revisionswerbende Partei die ersatzlose Behebung des Benützungsverbots betreffend den Altbau und begründete dies damit, dass in diesem Objekt zuvor jahrzehntelang eine Anwaltskanzlei betrieben worden sei und in der näheren Umgebung andere Objekte - Bezug genommen wurde dabei auf ein Fitnessstudio, eine Physiotherapeutin und eine evangelische Kirche - überörtlich genützt würden. Die Nutzung des Altbaus für Vereinszwecke bzw. für Zwecke der Religionsausübung könne daher nicht unzulässig sein.
3 In weiterer Folge ergingen mehrere Schreiben von der Baubehörde an die revisionswerbende Partei mit Verweisen auf das Oö. Raumordnungsgesetz 1994 und auf rechtskräftige Entscheidungen des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich (LVwG).
4 Die revisionswerbende Partei erhob am eine betreffend dem Antrag vom betreffende Säumnisbeschwerde an das LVwG, die diesem am vorgelegt wurde.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des LVwG vom wurde der Antrag der revisionswerbenden Partei vom auf ersatzlose Behebung des „mit Bescheid vom , AZ.[...] verhängte[n] Benützungsverbot[s] betreffend den Altbau B[...s]traße [...], (Parzelle [...], KG S[...])“ zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Das LVwG sprach weiters aus, dass gegen diese Entscheidung eine Revision unzulässig sei (Spruchpunkt II.).
6 Begründend führte das LVwG nach Prüfung der Zulässigkeit der Säumnisbeschwerde im Wesentlichen aus, dass der Antrag vom auf die Abänderung eines rechtskräftigen Bescheides der belangten Behörde gerichtet sei; dem stehe die entschiedene Sache entgegen. Nach § 50 Abs. 2 und 4 Oö. BauO 1994 habe die Baubehörde dem Eigentümer eines Objektes eine der Baubewilligung widersprechende Nutzung zu untersagen. Das Vorbringen zur Nutzung als Anwaltskanzlei in der Vergangenheit und zur Nutzung anderer Objekte in der Nachbarschaft ziele auf die neuerliche rechtliche Beurteilung ab, ob die Benutzung des Altbaus zu Religionsausübungs- und Vereinszwecken konsentiert sei. Darüber sei bereits rechtskräftig abgesprochen worden. Der Antrag sei aus diesem Grund gemäß § 68 Abs. 1 AVG unzulässig und wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Der Vollständigkeit halber sei auf die Bestimmungen der §§ 24 und 25 Oö. BauO 1994 zu verweisen, wonach die Änderung des Verwendungszwecks von Gebäuden unter Umständen ein bewilligungs- bzw. anzeigepflichtiges Bauvorhaben darstellen könne.
7 Die Behandlung der sodann von der revisionswerbenden Partei an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde lehnte dieser mit Beschluss vom , E 1089/2022-5, ab und trat die Beschwerde unter einem dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
8 Die nunmehr vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das LVwG habe zu Unrecht keine mündliche Verhandlung abgehalten und das Parteiengehör der revisionswerbenden Partei verletzt. Auch habe das LVwG den Antrag zu Unrecht zurückgewiesen. Die von der revisionswerbenden Partei im Antrag vorgebrachten Argumente seien nicht Gegenstand des seinerzeitigen Verfahrens gewesen, weshalb bei gesetzes- und verfassungskonformer Vorgangsweise eine Sachentscheidung zu treffen gewesen wäre. Es bedürfe einer Klärung durch den Verwaltungsgerichtshof.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision erfolgt ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung (vgl. für viele etwa , oder auch , Ra 2020/05/0239, jeweils mwN). Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit einer Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. , oder auch , Ra 2020/05/0118, jeweils mwN).
13 Soweit die Revision das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung rügt, ist sie darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG bereits wiederholt festgehalten hat, dass der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen habe. Ferner komme eine ergänzende Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung in Frage. Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen dem Absehen von einer Verhandlung von Seiten eines Verwaltungsgerichtes (§ 24 Abs. 4 VwGVG) aber ua. dann nicht entgegen, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht und auch keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten können, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist (vgl. , mwN.).
14 Ist das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung von einem Sachverhalt ausgegangen, der in der Revision - wie im vorliegenden Fall - nicht in Abrede gestellt wird, lässt sich nicht erkennen, dass eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht eine weitere Klärung der Rechtssache im Sinne des § 24 Abs. 4 VwGVG hätte erwarten lassen. Damit stand der entscheidungswesentliche Sachverhalt fest, weshalb diesbezüglich weder Fragen seiner Ergänzung noch Fragen der Beweiswürdigung auftreten können (vgl. , mwN).
15 Soweit die Revision vorbringt, die revisionswerbende Partei sei in ihrem Recht auf Parteiengehör verletzt worden, rügt sie einen Verfahrensmangel. Wird ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wegen eines Verfahrensmangels geltend gemacht, ist der Verfahrensmangel zu präzisieren und dessen Relevanz für den Verfahrensausgang darzutun (vgl. , mwN). Eine solche konkrete und fallbezogene Relevanzdarstellung lässt die Revision mit ihrem bloß allgemein gehaltenen Vorbringen zur Verletzung des Parteiengehörs vermissen.
16 Wenn die Revision zu ihrer Zulässigkeit schließlich ausführt, es fehle ausreichende Rechtsprechung zu Fragen des § 68 Abs. 1 AVG und weiters vorbringt, das LVwG sei auch von der bereits vorliegenden - nicht näher genannten - Rechtsprechung abgewichen, so ist dazu Folgendes festzuhalten:
Der Grundsatz der entschiedenen Sache (§ 68 Abs. 1 AVG) kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann nicht zum Tragen, wenn eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - bzw. eine Änderung der anzuwendenden Rechtvorschriften vorliegt, wobei diesen Änderungen Entscheidungsrelevanz zukommen muss. Ansuchen, die offenbar die Aufrollung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezwecken, sind auch dann wegen „res iudicata“ zurückzuweisen, wenn das Begehren nicht ausdrücklich dahin lautet (vgl. , mwN; ebenso ). Weder behauptet die Revision eine Änderung des relevanten Sachverhalts und der zugrundeliegenden Rechtsvorschriften, noch bestreitet sie die Richtigkeit des vom LVwG als relevant angenommenen Sachverhalts. Auch ist vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung nicht erkennbar, dass das LVwG von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre. Die Revision vermag deshalb auch mit diesem Vorbringen keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | AVG §68 Abs1 VwRallg |
Schlagworte | Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Zurückweisung wegen entschiedener Sache |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022050197.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAF-45883