VwGH 22.08.2022, Ra 2022/04/0074
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Gemäß § 16 Abs. 3 UVPG 2000 ist § 39 Abs. 3 AVG in UVP-Verfahren mit der Maßgabe, dass neue Tatsachen und Beweismittel bis spätestens in der mündlichen Verhandlung vorzubringen sind und der Schluss des Ermittlungsverfahrens auch für einzelne Teilbereiche der Sache erklärt werden kann, anzuwenden, während § 39 Abs. 4 erster und zweiter Satz und Abs. 5 AVG in UVP-Verfahren nicht anzuwenden sind. Demnach kann das VwG gemäß § 39 Abs. 3 erster Satz AVG iVm § 17 VwGVG 2014 und § 16 Abs. 3 UVPG 2000 in UVP-Verfahren das Ermittlungsverfahren durch Verfahrensanordnung auch für einzelne Teilbereiche der Sache für geschlossen erklären, sofern jene Teilbereiche zur Entscheidung reif sind. Dies bewirkt, dass zu einem bereits geschlossenen Teilbereich keine Beweismittel mehr in bzw. nach der Verhandlung vorgebracht werden können und setzt voraus, dass in den betroffenen Teilbereichen keine weiteren Ermittlungen mehr notwendig sind (vgl. die Erläuterungen zur UVPG-Novelle 2018, BGBl. I Nr. 80: RV 275 BlgNR 26. GP 9). Diese Möglichkeit zielt darauf ab, "Verfahrensverschleppungen" zu verhindern und versetzt jene Instanz, die die Schließung des Ermittlungsverfahrens vorgenommen hat, in die Lage, auf dem Boden der bis dahin gesammelten Ermittlungsergebnisse den Bescheid bzw. das Erkenntnis (den Beschluss) zu erlassen (vgl. , Rn. 34). |
Normen | AVG §52 VwRallg |
RS 2 | Richtlinien sind grundsätzlich keine Regelungen mit normativer Wirkung. Ihnen kommt allgemein keine verbindliche Wirkung zu (vgl. etwa , Rn. 37, mwN). Ob eine Richtlinie oder ein einschlägiges Regelwerk den anerkannten Regeln der Technik entspricht bzw. welche Richtlinie zur Erhebung und Beurteilung der von einem Vorhaben ausgehenden Immissionsbelastung anzuwenden ist, ist insofern keine Rechtsfrage, sondern vom Sachverständigen zu beurteilen. (hier: VDI 4280 Richtlinie Blatt 3) |
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RS 3 | Die Gesamtbewertung nach § 17 Abs. 5 UVPG 2000 erfordert im Hinblick auf die Beurteilung, ob schwerwiegende Umweltbelastungen "zu erwarten" sind, eine Prognoseentscheidung, die etwa auf Grund von ausreichenden Sachverhaltsermittlungen - etwa schlüssigen Sachverständigengutachten - zu treffen sind (vgl. etwa bis 0083, 0130, Rn. 35, mwN). |
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RS 4 | Welchem von mehreren, einander widersprechenden Gutachten das Gericht folgt, hat es nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung danach zu prüfen, welchem die höhere Glaubwürdigkeit beizumessen ist (siehe ). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/09/0117 B RS 3 |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2022/04/0075
Ra 2022/04/0076
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision 1. der Bürgerinitiative G in B, 2. der Dr. I O in B und 3. des K E in S, alle vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W109 2241128-1/83E, betreffend Genehmigungsverfahren gemäß § 17 UVP-G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Oberösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Partei: A GmbH in B, vertreten durch die Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Böhmerwaldstraße 14), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung (belangte Behörde) vom wurde der mitbeteiligten Partei unter Vorschreibung von Nebenbestimmungen die Genehmigung gemäß § 17 UVP-G 2000 für die Errichtung und den Betrieb des Vorhabens „Kapazitätserweiterung zum Schmelzen von Aluminium und Gießen von Walzbarren“ in R erteilt.
2 Das Vorhaben umfasst die Errichtung und den Betrieb einer neuen Produktionslinie zum Schmelzen von Aluminium und Gießen von Walzbarren mit einer Jahreskapazität von 100.000 t/a in der Walzbarrengießerei am bestehenden Betriebsstandort der mitbeteiligten Partei.
3 Gegen diesen Bescheid erhoben die erstrevisionswerbende Partei, eine Bürgerinitiative gemäß § 19 Abs. 4 UVP-G 2000, sowie die Zweitrevisionswerberin und der Drittrevisionswerber, beide Nachbarn iSd § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000, jeweils Beschwerde.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis änderte das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) „in Erledigung der Beschwerden“ den bekämpften Genehmigungsbescheid in Bezug auf drei Auflagen ab und wies darüber hinaus die Beschwerden ab (Spruchpunkt A). Im Übrigen sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision nicht zulässig sei (Spruchpunkt B).
5 Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit im Revisionsverfahren wesentlich - aus, aus dem Bericht der AGES ergebe sich in Bezug auf Dioxin, dass bei einem Messpunkt am Betriebsgelände toxisch-relevante Werte festgestellt worden seien. Dies betreffe jedoch die bestehenden Anlagenteile. Außerhalb des Betriebsgeländes seien keine toxisch relevanten Werte ermittelt worden. Nachdem die Immissionsmessung die gesamte Anlagensituation widerspiegle, sei daraus keine direkte Quellzuordnung möglich. Der westlich des Betriebsareals gelegene Messpunkt für Luftgütemessungen sei für den Bereich westlich des Projektgebietes als repräsentativ anzusehen. Ausgehend von der Messdauer und des Messzeitraums der diesen Messpunkt betreffenden Luftgütemessungen könne davon ausgegangen werden, dass im Projektgebiet die jeweiligen Grenzwerte eingehalten würden. Für den Bereich östlich der Betriebsanlage liege keine lokale Luftgütemessung vor. Ostseitig sei jedoch die Entfernung zu den nächsten möglichen Wohnanrainern so hoch, dass projektbedingte Immissionseinträge nur mehr im irrelevanten Bereich prognostiziert würden. Auf Grund des ergänzenden Ermittlungsverfahrens zum Fachbereich Luftschadstoffe sei bei der Verwirklichung des Vorhabens mit einer kaum relevanten Zunahme von Schadstoffen zu rechnen.
Auf dem weitläufigen Betriebsareal befänden sich Standorte von verschiedenen Gewerbebetrieben. Dass die von den Revisionswerbern aufgezeigten nächtlichen Lärmspitzen vom Betriebsstandort der mitbeteiligten Partei stammten, könne nicht festgestellt werden. Jedenfalls sei ausgehend von einem konsensgemäßen Betrieb seitens der mitbeteiligten Partei durch die beantragte Erweiterung nicht mit einer Zunahme von nächtlichen Lärmimmissionen zu rechnen.
In Bezug auf eine mögliche Gefährdung durch Schadstoffe mit kanzerogenen Risiken sei es nach dem Amtssachverständigen für Umweltmedizin aus wissenschaftlichen Überlegungen nicht möglich, einen „Unschädlichkeitsgrenzwert“ anzugeben. Die Beurteilung erfolge hier in einer Risikoabschätzung, in die auch luftreinhaltetechnische Irrelevanzkriterien einfließen würden. Zur Beurteilung von Dioxinen als Luftschadstoffe seien in Österreich im Immissionsschutzgesetz - Luft (IG-L) oder anderen in Österreich verbindlichen Beurteilungsgrundlagen keine verbindlich anwendbaren Beurteilungskriterien verfügbar. Aus der im luftreinhaltetechnischen Gutachten aufgezeigten Zusatzbelastung von 0,7 fg-TEQ/m³ PCDD/F gegenüber einem TA-Luft Zielwert (Inhalation) von 150 fg sei eine Veränderung des Gesundheitsrisikos nicht abzuleiten. Der Wert von 150 fg-TEC/m³ entspreche hierbei dem Zielwert für die langfristige Luftreinhalteplanung der deutschen Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Immissionsschutz (LAI), die ihre Einstufung an die Neubewertung der WHO angepasst und einen Zielwert von 150 fg-WHO-TEQ/m³ PCDD/F angegeben habe. Für den Wert PCDD/F werde die höchste projektbedingte Zusatzbelastung außerhalb des Werksgeländes bei der Deposition am Aufpunkt 205 mit 0,06 pg/m²/d (1,5% des Zielwertes der TA-Luft) prognostiziert. Der Depositionspunkt 205 entspreche dem Immissionspunkt 05. Rechne man die Deposition zurück in eine Immissionskonzentration, betrage dieser Wert 0,7 fg/m³ und liege im Vergleich zu den Zielwerten nach TA-Luft in der Höhe von Vorbringen zu diesen Fachbereichen wiederholt. Dieses Vorbringen sei, soweit es über den Fachbereich Umweltmedizin hinausgehe, unzulässig bzw. unbeachtlich. Soweit sich die Revisionswerber in dieser Stellungnahme zu den in der mündlichen Verhandlung getätigten Ausführungen des Sachverständigen für Humanmedizin äußerten, seien dazu keine weiteren (insbesondere sachverständigen) Ermittlungstätigkeiten erforderlich.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Gemäß § 29 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. etwa , mwN). Weiters sprach der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt aus, dass die bloße Zitierung von Beweisergebnissen nicht hinreichend ist, um den Anforderungen an die Begründungspflicht gerecht zu werden. Auch die Darstellung des Verwaltungsgeschehens vermag die fehlende Begründung der Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes nicht zu ersetzen (vgl. etwa bis 0126, mwN).
10 Dass das angefochtene Erkenntnis diesen Anforderungen nicht gerecht wird, zeigt die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen, wonach das Verwaltungsgericht keine ausreichenden Feststellungen zum Vorbringen der Revisionswerber in Bezug auf die Dioxinbelastung getroffen habe, weshalb nicht erkennbar sei, von welchem Sachverhalt es in seiner rechtlichen Beurteilung ausgegangen sei, nicht auf.
11 Vielmehr setzten sich die vom Verwaltungsgericht beigezogenen nichtamtlichen Sachverständigen für Verfahrenstechnik und Luftschadstoffe mit dem Vorbringen der Revisionswerber zu der vom vorliegenden Vorhaben ausgehenden Dioxinbelastung eingehend auseinander. Das Verwaltungsgericht gab diese Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis als Feststellungen wieder und legte jeweils knapp, jedoch hinreichend dar, weshalb es den aus seiner Sicht schlüssigen Ausführungen der beiden Sachverständigen entgegen dem Privatsachverständigen der Revisionswerber folgte.
12 Das Verwaltungsgericht hat am Ende der Verhandlung am gemäß § 39 Abs. 3 AVG iVm § 17 VwGVG und § 16 Abs. 3 UVP-G 2000 das Ermittlungsverfahren für die Teilbereiche Verfahrenstechnik, Verkehrstechnik, Luftreinhaltetechnik und Schallemissionen, somit ausgenommen für den Teilbereich Umweltmedizin, für geschlossen erklärt.
13 Die Revision bringt in ihrem Zulässigkeitsvorbringen dazu vor, das Verwaltungsgericht habe die in der Stellungnahme der Revisionswerber vom beantragten Beweismittel und zwar die neuerliche Durchführung einer repräsentativen Lärmmessung nicht aufgenommen sowie sich nicht mit dem in dieser Stellungnahme erstatteten Vorbringen zur notwendigen Kumulierung gesundheitsbeeinträchtigender Luftschadstoffe, insbesondere in Bezug auf die Dioxinbelastung, und den dazu vorgelegten fachlichen Stellungnahmen bzw. Privatgutachten auseinandergesetzt.
14 Gemäß § 16 Abs. 3 UVP-G 2000 ist § 39 Abs. 3 AVG in UVP-Verfahren mit der Maßgabe, dass neue Tatsachen und Beweismittel bis spätestens in der mündlichen Verhandlung vorzubringen sind und der Schluss des Ermittlungsverfahrens auch für einzelne Teilbereiche der Sache erklärt werden kann, anzuwenden, während § 39 Abs. 4 erster und zweiter Satz und Abs. 5 AVG in UVP-Verfahren nicht anzuwenden sind. Demnach kann das Verwaltungsgericht gemäß § 39 Abs. 3 erster Satz AVG iVm § 17 VwGVG und § 16 Abs. 3 UVP-G 2000 in UVP-Verfahren das Ermittlungsverfahren durch Verfahrensanordnung auch für einzelne Teilbereiche der Sache für geschlossen erklären, sofern jene Teilbereiche zur Entscheidung reif sind. Dies bewirkt, dass zu einem bereits geschlossenen Teilbereich keine Beweismittel mehr in bzw. nach der Verhandlung vorgebracht werden können und setzt voraus, dass in den betroffenen Teilbereichen keine weiteren Ermittlungen mehr notwendig sind (vgl. die Erläuterungen zur UVP-G-Novelle 2018, BGBl. I Nr. 80: RV 275 BlgNR 26. GP 9). Diese Möglichkeit zielt darauf ab, „Verfahrensverschleppungen“ zu verhindern und versetzt jene Instanz, die die Schließung des Ermittlungsverfahrens vorgenommen hat, in die Lage, auf dem Boden der bis dahin gesammelten Ermittlungsergebnisse den Bescheid bzw. das Erkenntnis (den Beschluss) zu erlassen (vgl. , Rn. 34).
15 Inwiefern das Vorbringen der Revisionswerber in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom zu nächtlichen Lärmspitzen, zu denen das Verwaltungsgericht nicht feststellen konnte, dass sie vom Betriebsstandort der mitbeteiligten Partei ausgehen, und zu gesundheitsbeeinträchtigenden Luftschadstoffen, die durch die Kumulierung bestehender Anlagen eintreten könnten, entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts nicht die bereits für geschlossen erklärten Teilbereiche Luftreinhaltetechnik und Schallemissionen, sondern den Teilbereich Umweltmedizin betrifft, konnte die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht nachvollziehbar darlegen.
16 Wie auch im Zulässigkeitsvorbringen ausgeführt, gründet die Stellungnahme vom auf dem wesentlichen Argument, dass die Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Verfahrenstechnik und Luftreinhaltetechnik und demnach auch der Sachverständige aus dem Fachgebiet der Umweltmedizin sich mangelhaft mit der „Dioxinproblematik“ auseinandergesetzt hätten. Die Stellungnahme beschäftigt sich in weiterer Folge nicht mit der Beurteilung der Gutachtensergebnisse aus den Fachgebieten der Verfahrenstechnik und der Luftreinhaltetechnik durch den umweltmedizinischen Sachverständigen, sondern geht vielmehr wiederum auf die aus Sicht der Revisionswerber mangelhaften Ausführungen der Sachverständigen für Verfahrenstechnik bzw. Luftreinhaltetechnik ein, wie sich auch das mit Schriftsatz vom von den Revisionswerbern vorgelegte ergänzende Gutachten des von ihnen beauftragten Sachverständigen aus dem Fachbereich für chemisch-technische Fragen der Umweltschutztechnik und Umweltanalytik nicht mit dem Gutachten des vom Verwaltungsgericht beigezogenen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Umweltmedizin, sondern mit gutachterlichen Fragestellungen aus dem Fachbereich der Luftreinhaltung auseinandersetzt.
17 Dass die Teilbereiche Verfahrenstechnik, Verkehrstechnik, Luftreinhaltetechnik und Schallemissionen zur Entscheidung noch nicht reif gewesen seien und insofern die Voraussetzung für die Schließung des Ermittlungsverfahrens in Bezug auf diese Teilbereiche gemäß § 39 Abs. 3 erster Satz AVG iVm § 17 VwGVG und § 16 Abs. 3 UVP-G 2000 nicht vorgelegen seien, zeigt die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen allerdings nicht auf.
18 Ebenso wenig legt die Revision die Relevanz des von ihr im Zusammenhang mit der behaupteten mangelnden Würdigung des den Teilbereich der Umweltmedizin betreffenden Vorbringens in der Stellungnahme vom monierten Verfahrensmangels dar (vgl. zum Erfordernis des Aufzeigens der Entscheidungswesentlichkeit eines behaupteten Verfahrensmangels für die Darlegung einer grundsätzlichen Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG etwa , Rn. 10, mwN).
19 Schließlich bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, es stelle sich „die grundsätzliche Rechtsfrage, ob es im Ermessen des BVwG bzw. des Amtssachverständigen liegt die Entscheidung zu treffen, ob bei der Bemessung und Bewertung der Dioxinbelastung mangels einschlägiger österreichischer gesetzlicher Vorschriften die VDI 4280 Richtlinie Blatt 3: ‚Planung von Immissionsmessungen - Messstrategien zur Ermittlung von Luftqualitätsmerkmalen in der Umgebung ortsfester Emissionquellen‘ analog heranzuziehen ist und eine repräsentative Messung mit nur einer Messstelle (bei Messung krebserregender Stoffe !) ausreichend ist“.
20 Das Verwaltungsgericht gründete seine wesentlichen Feststellungen zum Fachbereich Luftschadstoffe, wonach bei der Verwirklichung des Vorhabens mit einer kaum relevanten Zunahme von Schadstoffen zu rechnen sei, auf das Gutachten des Sachverständigen aus dem Sachgebiet der Luftreinhaltung. Darin erläutert der Sachverständige unter anderem eingehend, dass die vorhandenen Daten der Luftgütemessungen von nur einer Messstelle für die Beurteilung der Luftgütesituation im Projektgebiet und die vom Vorhaben ausgehende Immissionsbelastung ausreichend seien. Die vorhandenen Messwerte und zu erwartenden vorhabensbedingten Immissionskonzentrationen beurteilte der Sachverständige im Vergleich zu den Zielwerten nach TA-Luft, zumal es keine gesetzlichen Grenzwerte unter anderem für Dioxin gibt.
21 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Richtlinien grundsätzlich keine Regelungen mit normativer Wirkung. Ihnen kommt allgemein keine verbindliche Wirkung zu (vgl. etwa , Rn. 37, mwN). Ob eine Richtlinie oder ein einschlägiges Regelwerk den anerkannten Regeln der Technik entspricht bzw. welche Richtlinie zur Erhebung und Beurteilung der von einem Vorhaben ausgehenden Immissionsbelastung anzuwenden ist, ist insofern keine Rechtsfrage, sondern vom Sachverständigen zu beurteilen.
22 Gemäß § 17 Abs. 5 UVP-G 2000 ist ein Genehmigungsantrag abzuweisen, wenn die Gesamtbewertung ergibt, dass durch das Vorhaben und seine Auswirkungen, insbesondere auch durch Wechselwirkungen, Kumulierung oder Verlagerungen, unter Bedachtnahme auf die öffentlichen Interessen, insbesondere des Umweltschutzes, schwerwiegende Umweltbelastungen zu erwarten sind, die durch Auflagen, Bedingungen, Befristungen, sonstige Vorschreibungen, Ausgleichsmaßnahmen oder Projektmodifikationen nicht verhindert oder auf ein erträgliches Maß vermindert werden können.
23 Diese Gesamtbewertung erfordert im Hinblick auf die Beurteilung, ob schwerwiegende Umweltbelastungen „zu erwarten“ sind, eine Prognoseentscheidung, die etwa auf Grund von ausreichenden Sachverhaltsermittlungen - etwa schlüssigen Sachverständigengutachten - zu treffen sind (vgl. etwa bis 0083, 0130, Rn. 35, mwN).
24 Die Würdigung eines Sachverständigengutachtens ist Teil der Beweiswürdigung (vgl. , Rn. 12). Ob ein Gutachten in seiner konkreten Ausgestaltung zu Recht als schlüssig qualifiziert wurde, stellt eine fallbezogene Beurteilung dar, welche jedenfalls dann keine Zulässigkeit der Revision begründet, wenn sie infolge der Schlüssigkeit des Gutachtens vertretbar ist. Auch welchem von mehreren, einander widersprechenden Gutachten das Verwaltungsgericht folgt, hat es nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung danach zu prüfen, welchem die höhere Glaubwürdigkeit beizumessen ist (vgl. bis 0150, Rn. 8, mwN). Das Zulässigkeitsvorbringen der Revision betreffend die vom gerichtlichen Sachverständigen verneinte Anwendung der „VDI 4280 Richtlinie Blatt 3“ richtet sich somit gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, ohne jedoch eine Unschlüssigkeit, Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit des Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Luftreinhaltung und insofern eine als unvertretbar anzusehende Beweiswürdigung vorliegend aufzuzeigen.
25 Darüber hinaus ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt hat, dass der vorliegend zur Anwendung kommende § 17 Abs. 2 Z 2 UVP-G 2000 kein generelles, absolutes Immissionsminimierungsgebot enthält, sondern ein Gebot, die Immissionsbelastung zu schützender Güter möglichst gering zu halten. Ein absolutes Gebot enthält diese Bestimmung nur hinsichtlich der Vermeidung der in lit. a bis c leg. cit. genannten Immissionen (vgl. , Rn. 31, mwN). Eine unrichtige Beurteilung insbesondere in Bezug auf den Fachbereich der Luftreinhaltung bzw. Luftreinhaltetechnik, wonach durch das gegenständliche Vorhaben keine Schutzgüter beeinträchtigt werden und das Vorhaben dem Stand der Technik entspricht, vermag die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht darzulegen.
26 In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am
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Schlagworte | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Beweiswürdigung Wertung der Beweismittel freie Beweiswürdigung Gutachten Beweiswürdigung der Behörde widersprechende Privatgutachten Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis Verwaltungsrecht allgemein Rechtsquellen VwRallg1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022040074.L00 |
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LAAAF-45870