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VwGH 20.06.2023, Ra 2022/03/0097

VwGH 20.06.2023, Ra 2022/03/0097

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
AVG §13 Abs2 idF 2008/I/005
AVG §13 Abs5 idF 2008/I/005
VStG §24
RS 1
Eine E-Mail-Sendung ist dann bei der Behörde eingelangt, wenn sie von einem - außerhalb der Amtsstunden betriebsbereit gehaltenen - Server, den die Behörde für die Empfangnahme von an sie gerichteten E-Mail-Sendungen gewählt hat, empfangen wurde und sich damit im "elektronischen Verfügungsbereich" (vgl. die Erläuterungen zur Novelle BGBl. I Nr. 5/2008, 294 BlgNR XXIII. GP, 10 f) der Behörde befindet.

(Hier: Der Berufungswerber hat zwei Berufungen am letzten Tag der Berufungsfrist nach Ende der Amtsstunden per E-Mail an die Behörde erster Instanz abgesendet. Die Berufungsbehörde ist zum Ergebnis gekommen, dass der Berufungswerber die Absendung der Berufungen am letzten Tag der Berufungsfrist zu einem Zeitpunkt nach Ende der Amtsstunden nachgewiesen hat. In einem solchen Fall ist es Sache der Behörde, den Zeitpunkt des (erstmaligen) Empfangs durch einen Server festzustellen, den die Behörde, bei der das Anbringen einzubringen ist, für die Empfangnahme von E-Mail-Sendungen gewählt hat.)
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2008/04/0089 E VwSlg 17673 A/2009 RS 3 (hier: ohne den fallspezifischen Zusatz)
Normen
AVG §13 Abs2
STROG NÖ 1999 §46
STROG NÖ 1999 §47
STROG NÖ 1999 §49
WStV 1968 §105
WStV 1968 §106
WStV 1968 §107
WStV 1968 §67
RS 2
Es entspricht der Rechtsprechung des VwGH, dass die funktionelle Zuständigkeit einer einzelnen Abteilung des Magistrats der Stadt Wien bloß Sache der inneren organisatorischen Gliederung ist, der nach außen keine rechtliche Bedeutung zukommt (vgl. , Rn 37, mwN, und , Ra 2019/03/0128). Diese Rechtsprechung ist auch für den hier betroffenen, nach den §§ 46, 47, 49 NÖ STROG 1999 (ebenso einheitlich) eingerichteten Magistrat maßgebend, wobei diese Bestimmungen mit den korrespondierenden Regelungen der §§ 67, 105 bis 107 WStV 1968 im Wesentlichen vergleichbar sind. Schon daraus ergibt sich, dass der wirksamen Einbringung einer Eingabe per E-Mail nicht entgegen steht, dass die Bediensteten der zuständigen Untergliederung des der belangten Behörde beigegebenen Magistrats darauf nicht unmittelbar zugreifen können und auch sonst keine Kenntnis davon erlangen, sofern der Absender die nach § 13 Abs. 2 AVG kundgemachten technischen Voraussetzungen und organisatorischen Beschränkungen (hier: die Nutzung einer bestimmten Empfänger-E-Mail-Adresse) eingehalten hat und das E-Mail im elektronischen Verfügungsbereich einer anderen Untergliederung dieses Magistrats (hier: in dem im Bereich der Stabstelle Organisationsentwicklung & IT eingerichteten Spam-Quarantäne-Order) eingelangt ist.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Mag. Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Bürgermeisters der Stadt Wiener Neustadt gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zlen. 1. LVwG-S-2646/001-2021, 2. LVwG-S-2647/001-2021, 3. LVwG-S-2648/001-2021, 4. LVwG-S-2649/001-2021, 5. LVwG-S-2650/001-2021, 6. LVwG-S-2651/001-2021, 7. LVwG-S-2652/001-2021, 8. LVwG-S-2653/001-2021 und 9. LVwG-S-2655/001-2021, betreffend Zurückweisung von Einsprüchen gegen Strafverfügungen nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. J B, 2. M H, 3. P J, 4. S K, 5. D L, 6. D L, 7. H M, 8. H N und 9. P P, alle vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 6/6), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Den mitbeteiligten Parteien wird kein Aufwandersatz zuerkannt.

Begründung

1 Mit Strafverfügungen jeweils vom legte die belangte Behörde (der nunmehrige Amtsrevisionswerber) den mitbeteiligten Parteien jeweils eine näher dargestellte Übertretung des COVID-19-Maßnahmengesetzes zur Last und verhängte über sie jeweils eine Geldstrafe.

2 Aufgrund einer Mahnung betreffend die nicht entrichtete Geldstrafe teilte die fünftmitbeteiligte Partei der belangten Behörde mit Schreiben vom mit, dass ihr Rechtsvertreter rechtzeitig per E-Mail Einspruch erhoben habe und übermittelte diesen Einspruch in Kopie. In der Folge übermittelte der Rechtsvertreter der mitbeteiligten Parteien der belangten Behörde am die Quelldaten seiner E-Mails vom 22. und , mit denen er seinem Vorbringen nach für die mitbeteiligten Parteien jeweils Einsprüche gegen die Strafverfügungen eingebracht habe, und schloss diesem Schreiben die betreffenden Einsprüche an.

3 Mit Bescheiden der belangten Behörde vom wies die belangte Behörde diese Einsprüche jeweils gemäß § 49 Abs. 3 VStG als verspätet zurück.

4 Sie begründet dies im Wesentlichen damit, dass die Einsprüche am 22. bzw.  nicht „in der Mailadresse der Behörde, Fachabteilung Verwaltungsstrafrecht“ eingelangt seien. Der Mailprovider des Vertreters der mitbeteiligten Parteien befinde sich auf der Spamliste des dreistufigen Sicherheitssystems des Magistrats, sodass die Firewall des Magistratsservers die E-Mails nicht als sicher einstufen habe können. Sie seien somit nicht in die Sphäre der Verwaltungsstrafbehörde gelangt. Die damit erst am bzw.  eingelangten Einsprüche seien außerhalb der Frist des § 49 VStG eingelangt und daher verspätet.

5 Mit den angefochtenen Erkenntnissen gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich den gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden der mitbeteiligten Parteien jeweils Folge und hob die angefochtenen Bescheide vom auf. Es sprach weiters aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

6 Begründend stellte es insbesondere fest, dass der Vertreter der mitbeteiligten Parteien die Einsprüche am 22. und per E-Mail an die dafür in den Strafverfügungen angeführte E-Mail-Adresse der belangten Behörde gesendet habe und die Einsprüche am jeweils gleichen Tag in den Spam-Quarantäne-Ordner der belangten Behörde eingelangt seien.

7 In rechtlicher Hinsicht kam das Verwaltungsgericht zum Ergebnis, dass die Einsprüche mit dem Einlangen im Spam-Quarantäne-Ordner in den elektronischen Verfügungsbereich der belangten Behörde gelangt und damit wirksam eingebracht worden seien. Es spiele weder eine Rolle, in welchem E-Mail-Postfach bzw. Ordner der belangten Behörde (Spam-Quarantäne-Ordner oder regulärer Posteingang) die jeweiligen Einsprüche eingelangt seien, noch, wann und ob die belangte Behörde diese E-Mails gelesen bzw. zur Kenntnis genommen habe. Es sei rechtlich auch nicht von Bedeutung, wer oder welche Organisationseinheit der belangten Behörde - sei es nun ein Sachbearbeiter oder die IT-Abteilung oder eine andere Organisationseinheit - die Berechtigung besitze, auf den entsprechenden Ordner zugreifen zu können.

8 Weil damit die Einsprüche gegen die jeweiligen Strafverfügungen der belangten Behörde vom rechtzeitig bei der belangten Behörde eingelangt und damit erhoben worden seien, seien die Zurückweisungsbescheide aufzuheben.

9 Gegen diese Erkenntnisse richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde.

10 Die mitbeteiligten Parteien haben unaufgefordert eine Revisionsbeantwortung erstattet und dafür Aufwandersatz beantragt.

11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12 Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird.

13 Die gegenständliche Revision enthält neben Ausführungen zum „Gegenstand der Revision“ und zum „Sachverhalt“ eine „Erklärung über den Umfang der Anfechtung“ sowie Ausführungen zur „Rechtswidrigkeit des Inhaltes“ und zur „Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften“ sowie verschiedene Anträge. Sie enthält abweichend von § 28 Abs. 3 VwGG aber keine gesonderte Darstellung jener Gründe, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erachtet wird.

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Revision daher mit einem der Verbesserung nicht zugänglichen Mangel behaftet und nicht zulässig (vgl. etwa , mwN).

15 Die Revision bringt zwar (im Abschnitt „Rechtswidrigkeit des Inhaltes“) vor, es bestehe keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, welche zum Beschwerdethema „Einlangen eines Einspruchs im elektronischen Verfügungsbereich der Verwaltungsstrafbehörde“ und „Quarantäneordner“ Bezug nehme und dabei auf die Besonderheit einer Statutarstadt eingehe. Aber auch daraus ergibt sich nicht, dass die Revision von der Lösung einer Rechtsfrage abhinge, der grundsätzliche Bedeutung zukäme:

16 Diesbezüglich macht der Revisionswerber im Wesentlichen geltend, dass die Einsprüche nicht in der für die Führung von Verwaltungsstrafsachen zuständigen Dienststelle seines Magistrats eingelangt, sondern vorab gefiltert, für 30 Tage in einem Quarantäneordner, der von der Stabstelle „Organisationsentwicklung & IT“ betrieben werde, verblieben und danach gelöscht worden seien. Der Grund dafür sei gewesen, dass der Vertreter der mitbeteiligten Parteien sich eines Mailproviders bedient habe, welcher immer wieder von Cyberkriminellen missbraucht werde, sodass seine Nachrichten vom eingesetzten Filter als Spam qualifiziert worden seien.

Die Stabstelle sei zentral bei der Magistratsdirektion angesiedelt und nicht ausschließlich für die Bezirksverwaltungsbehörde tätig, sondern nehme auch viele andere Agenden der Informationstechnik der Statutarstadt (etwa in den Bereichen Pflichtschulen, Kindergärten, Musikschule, Privatwirtschaftsverwaltung, Tochtergesellschaften) wahr. Der Magistrat sei neben seiner Funktion als Hilfsorgan der belangten Behörde auch selbst behördlich tätig. Die Stabstelle betreue die gesamte Stadtverwaltung, sei es für die Privatwirtschafts- oder Hoheitsverwaltung, in den Vollzugsbereichen des Bundes und des Landes, sowohl im übertragenen als auch im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde. Die für die Verwaltungsstrafrechtspflege zuständige Dienststelle (Gruppe im Magistrat) habe weder innerhalb der Rechtsmittelfrist noch innerhalb der 30-tägigen Frist, in der Mails im Spam-Quarantäne-Ordner verbleiben (danach sei nur mehr eine aufwändigere Prüfung anhand von Backups möglich), die Möglichkeit oder Veranlassung gehabt, auf diesen Quarantäneordner unmittelbar zuzugreifen.

17 Nach § 13 Abs. 2 AVG (hier: iVm §§ 24 und 49 Abs. 1 VStG) können schriftliche Anbringen der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen.

18 Ausgehend vom Revisionsvorbringen wurden die Einsprüche an jene E-Mail-Adresse gesendet, die dafür von der belangten Behörde im Internet bekannt gemacht wurde. Dafür, dass darüberhinausgehende, im Sinne des § 13 Abs. 2 AVG vorab bekannt gemachte technische Voraussetzungen nicht eingehalten oder solche organisatorische Beschränkungen missachtet worden wären, gibt es keinen Hinweis.

19 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine E-Mail-Sendung dann bei der Behörde eingelangt, wenn sie von einem Server, den die Behörde für die Empfangnahme von an sie gerichteten E-Mail-Sendungen gewählt hat, empfangen wurde und sich damit im „elektronischen Verfügungsbereich“ der Behörde befindet (vgl. , , 2008/10/0251, und , 2010/10/0258).

20 Es entspricht weiters der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die funktionelle Zuständigkeit einer einzelnen Abteilung des Magistrats der Stadt Wien bloß Sache der inneren organisatorischen Gliederung ist, der nach außen keine rechtliche Bedeutung zukommt (vgl. , Rn 37, mwN, und , Ra 2019/03/0128). Diese Rechtsprechung ist auch für den hier betroffenen, nach den §§ 46, 47, 49 NÖ Stadtrechtsorganisationsgesetz (ebenso einheitlich) eingerichteten Magistrat maßgebend, wobei diese Bestimmungen mit den korrespondierenden Regelungen der §§ 67, 105 bis 107 Wiener Stadtverfassung im Wesentlichen vergleichbar sind.

21 Schon daraus ergibt sich, dass der wirksamen Einbringung einer Eingabe per E-Mail nicht entgegen steht, dass die Bediensteten der zuständigen Untergliederung des der belangten Behörde beigegebenen Magistrats darauf nicht unmittelbar zugreifen können und auch sonst keine Kenntnis davon erlangen, sofern der Absender die nach § 13 Abs. 2 AVG kundgemachten technischen Voraussetzungen und organisatorischen Beschränkungen (hier: die Nutzung einer bestimmten Empfänger-E-Mail-Adresse) eingehalten hat und das E-Mail im elektronischen Verfügungsbereich einer anderen Untergliederung dieses Magistrats (hier: in dem im Bereich der Stabstelle Organisationsentwicklung & IT eingerichteten Spam-Quarantäne-Order) eingelangt ist.

22 Weiterer Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes zur Lösung dieses Falles bedürfte es daher nicht.

23 Die Revision war somit ohne weiteres Verfahren gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

24 Nach § 30a Abs. 7 in Verbindung mit § 36 Abs. 1 VwGG hat im Falle einer außerordentlichen Revision der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren zu führen und die Parteien zur Einbringung einer Revisionsbeantwortung aufzufordern. Eine solche Aufforderung ist seitens des Verwaltungsgerichtshofes nicht ergangen. Der Ersatz der Kosten für die seitens der mitbeteiligten Parteien erstattete Revisionsbeantwortung konnte daher nicht zugesprochen werden (vgl. , mwN).

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §13 Abs2
AVG §13 Abs2 idF 2008/I/005
AVG §13 Abs5 idF 2008/I/005
STROG NÖ 1999 §46
STROG NÖ 1999 §47
STROG NÖ 1999 §49
VStG §24
WStV 1968 §105
WStV 1968 §106
WStV 1968 §107
WStV 1968 §67
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022030097.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
RAAAF-45855