VwGH 16.01.2023, Ra 2022/02/0229
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | Der Tatbestand des § 103 Abs 2 KFG ist nicht nur dann erfüllt, wenn die Lenkeranfrage zur Ausforschung eines Straßenverkehrstäters dienen soll, da die Behörde auch aus anderen Gründen hiezu berechtigt ist (Hinweis E , 89/18/0055). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 89/02/0206 E VwSlg 13195 A/1990 RS 5 |
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RS 2 | Eine Lenkeranfrage gemäß § 103 Abs 2 KFG 1967 darf seitens der Behörde nicht grundlos und somit willkürlich erfolgen (vgl. E , 91/03/0349; E , 92/03/0200). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2014/02/0081 E RS 4 |
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RS 3 | Eine Übertretung des § 103 Abs. 2 KFG 1967 liegt auch dann vor, wenn - wie in der Mehrzahl der Fälle - dadurch lediglich eine weniger ins Gewicht fallende Übertretung aufgeklärt werden soll oder - was nach dem Gesetzeswortlaut auch möglich ist - überhaupt kein Bezug zur Ahndung eines Delikts besteht (vgl. ), zumal die Behörde auch aus anderen Gründen zur Lenkeranfrage berechtigt ist (, VwSlg. 13.195A). |
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RS 4 | Die Auskunft über die der Lenkeranfrage zugrundeliegende Verwaltungsübertretung stellt zwar eine zulässige Information dar (vgl. ), jedoch bedarf es deren Angabe nicht (vgl. ), zumal diese im Gesetz nicht vorgesehen ist (vgl. ). |
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RS 5 | Der Zulassungsbesitzer eines Kraftfahrzeuges bringt mit der Erklärung, er könne nicht mehr angeben, wer den Pkw zur Tatzeit gelenkt habe, weil diesen Wagen verschiedene Personen benützten, zum Ausdruck, daß er die im § 103 Abs 2 KFG ihm auferlegte Verpflichtung nicht erfüllen kann. Damit kommt der Zulassungsbesitzer dem Auskunftsverlangen der Behörde zwar formell nach, die erteilte Auskunft entspricht jedoch inhaltlich nicht dem § 103 Abs 2 KFG. Damit ist der Tatbestand dieser Gesetzesstelle erfüllt und ein weiteres Auskunftsverlangen unzulässig. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 81/03/0021 E RS 1 (hier ohne den letzten Satz) |
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RS 6 | Bei Übertretungen nach § 103 Abs 2 KFG bedarf es zur Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat iSd § 44a Z 1 VStG keiner Angabe eines Tatortes. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 91/02/0073 E RS 1 |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2022/02/0230
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision von 1. H und 2. H GmbH, beide in B, beide vertreten durch Mag. Eduard Aschauer, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Sierningerstraße 174a, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW-031/047/7459/2022-8, betreffend Übertretung des KFG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien wurde die Beschwerde der Erstrevisionswerberin gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, mit dem über sie als handelsrechtliche Geschäftsführerin der zweitrevisionswerbenden Partei wegen nicht ordnungsgemäß erteilter Lenkerauskunft gemäß § 103 Abs. 2 KFG iVm § 9 Abs. 1 VStG nach § 134 Abs. 1 KFG eine Geldstrafe von € 180,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag und zwölf Stunden) verhängt wurde, als unbegründet abgewiesen. Weiters wurde sie zu Leistung eines Verfahrenskostenbeitrags verpflichtet und ausgesprochen, dass die zweitrevisionswerbende Partei gemäß § 9 Abs. 7 VStG für die über die Erstrevisionswerberin verhängte Geldstrafe, die Verfahrenskosten sowie für sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen zur ungeteilten Hand hafte und dass gegen diese Entscheidung eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
2 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Die revisionswerbenden Parteien erachten die Revision zunächst deshalb als zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage fehle, ob die Lenkererhebung auf Grund des massiven Eingriffs in die Privatsphäre nur für schwerwiegende Verwaltungsübertretungen herangezogen werden dürfe und damit unverhältnismäßig sei. Hier gehe es um den „Bagatellevorwurf der angeblichen Missachtung des Hupverbotes in Wien“.
7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schützt die Bestimmung des § 103 Abs. 2 KFG das Interesse an einer jederzeit und ohne unnötige Verzögerung möglichen Ermittlung von Personen, die im Verdacht stehen, eine straßenpolizeiliche oder kraftfahrrechtliche Übertretung begangen zu haben, mithin das Interesse an einer raschen und lückenlosen Strafverfolgung. Sinn und Zweck der Bestimmung ist es, der Behörde die jederzeitige Feststellung des verantwortlichen Lenkers ohne langwierige und umfangreiche Erhebungen zu ermöglichen, wobei die Lenkeranfrage auch einem anderen Zweck als dem der Ausforschung des Straßenverkehrstäters dienen kann. Die Lenkeranfrage darf seitens der Behörde bloß nicht grundlos und somit willkürlich erfolgen (vgl. zu all dem , mwN). Eine Übertretung des § 103 Abs. 2 KFG liegt auch dann vor, wenn - wie in der Mehrzahl der Fälle - dadurch lediglich eine weniger ins Gewicht fallende Übertretung aufgeklärt werden soll oder - was nach dem Gesetzeswortlaut auch möglich ist - überhaupt kein Bezug zur Ahndung eines Delikts besteht (so bereits ), zumal die Behörde auch aus anderen Gründen zur Lenkeranfrage berechtigt ist (, VwSlg. 13.195A). Damit erweist sich die von der Landespolizeidirektion Wien durchgeführte Lenkeranfrage als von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gedeckt.
8 Weiters macht die Revision als grundsätzliche Rechtsfrage geltend, dass die belangte Behörde eine „gewisse Mitwirkungspflicht“ treffe, wenn vom Zulassungsbesitzer nicht nur bekannt gegeben werde, wer gefahren sein könnte, sondern auch um Auskunft im Hinblick auf die vorgeworfene Verwaltungsübertretung ersucht werde.
9 In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, nach der die Behörde zur Bestrafung des Zulassungsbesitzers wegen Verletzung seiner Auskunftspflicht nach § 103 Abs. 2 KFG Ermittlungspflichten treffen können. Dies betrifft allerdings Konstellationen, in denen die Behörde mit der als Lenker namhaft gemachten und im Ausland aufhältigen Person nicht in Kontakt treten konnte und zur Qualifizierung der Angaben in der Lenkerauskunft den grundsätzlich zur Mitwirkung bereiten Zulassungsbesitzer zu zweckdienlichen Ergänzungen zu verhalten und darüber hinaus selbständige Ermittlungen anzustellen habe (vgl. ; , jeweils mwN).
10 Eine solcherart unrichtige Lenkerauskunft wurde der Erstrevisionswerberin indes nicht unterstellt, vielmehr wurde ihr eine unvollständige Bekanntgabe angelastet. Daher wich das Verwaltungsgericht nicht von der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.
11 Die von den revisionswerbenden Parteien gewünschte Auskunft über die der Lenkeranfrage zugrundeliegende Verwaltungsübertretung stellt zwar eine zulässige Information dar (vgl. ), jedoch bedarf es deren Angabe nicht (vgl. ), zumal diese im Gesetz nicht vorgesehen ist (vgl. ).
12 Der Zulassungsbesitzer eines Kraftfahrzeuges bringt mit der Erklärung, er könne nicht mehr angeben, wer den PKW zur Tatzeit gelenkt habe, weil diesen Wagen verschiedene Personen benützten, zum Ausdruck, dass er die in § 103 Abs. 2 KFG ihm auferlegte Verpflichtung nicht erfüllen kann. Damit kommt der Zulassungsbesitzer dem Auskunftsverlangen der Behörde zwar formell nach, die erteilte Auskunft entspricht jedoch inhaltlich nicht dem § 103 Abs. 2 KFG ().
13 Dem Verwaltungsgericht ist daher nicht anzulasten, dass es keine weiteren Ermittlungspflichten der Landespolizeidirektion annahm.
14 Soweit die Zulässigkeitsbegründung der Revision beanstandet, die Lenkererhebung habe einen nicht existenten Ort angeführt, an welchem das Fahrzeug angeblich gelenkt worden sei, zeigt sie nicht auf, welche Angabe in diesem Zusammenhang unrichtig oder unvollständig wäre.
15 Weiters bemängelt die Zulässigkeitsbegründung der Revision die fehlende Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichtes mit einer Urkundenvorlage der revisionswerbenden Parteien, die dazu geführt hätte, dass die belangte Behörde das dem Auskunftsersuchen zugrundeliegende Delikt hätte bekannt gegeben müssen.
16 Dem ist entgegen zu halten, dass das Verwaltungsgericht den Inhalt der vorgelegten Urkunden zum Teil sogar wörtlich feststellte (Seite 4 des angefochtenen Erkenntnisses). Zum Umfang der behördlichen Ermittlungspflichten wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
17 Schließlich macht die Revision zur ihrer Zulässigkeit noch geltend, der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses erfülle nicht die Anforderungen des § 44a VStG, weil weder der Sitz der belangten Behörde angeführt, noch das richtige Zustelldatum der Lenkererhebung angegeben sei.
18 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bildet das Datum der Zustellung der schriftlichen Aufforderung nach § 103 Abs. 2 KFG kein wesentliches Sachverhaltselement einer Übertretung dieser Bestimmung. Ebenso bedarf es zur Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat im Sinne des § 44a Z 1 VStG keiner Angabe des Tatortes (vgl. , mwN und VwGH (verstärkter Senat) , 93/03/0156, VwSlg 14398 A). Dass die Aufforderung zur Lenkerauskunft von der Landespolizeidirektion Wien erfolgte, ergibt sich aus dem Spruch des Straferkenntnisses. Es bedurfte daher auch nicht der Aufnahme eines weiteren Hinweises auf Wien in den Spruch des Straferkenntnisses (vgl. , zur vergleichbaren Frage der Anführung des Magistrats Wien).
19 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022020229.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
WAAAF-45849